-
(pu)
Mensch (2)
Mensch (3) Die Adoleszenz ist nicht nur ein wichtiger Lebensabschnitt, sondern der einzige Abschnitt, in dem man im vollen Sinn dieses Wortes von Leben sprechen kann. Die Triebanziehungskräfte entfesseln sich um das dreizehnte Lebensjahr, danach werden sie zunehmend schwächer oder lösen sich in Verhaltensmodelle auf, die alles in allem nichts weiter als erstarrte Kräfte sind. Die Gewalt der ursprünglichen Entfesselung bewirkt, dass der Ausgang des Konflikts mehrere Jahre lang ungewiss bleiben kann; man nennt dies in der Elektrodynamik einen ›Übergangszustand‹. Das Oszillieren wird jedoch nach und nach langsamer, bis es sich in lange melancholische und sanfte Wellen auflöst; von diesem Moment an ist alles gesagt, und das Leben ist nur noch eine Vorbereitung auf den Tod.
Brutaler und weniger exakt ausgedrückt kann man sagen, dass der Mensch
ein verminderter Heranwachsender ist. - Michel Houellebecq,
Ausweitung der Kampfzone. Berlin 1999, zuerst 1996
Mensch (4)
Die Krone der Schöpfung, das
Schwein, der Mensch —: |
- (
benn
)
Mensch (5) Mit Recht müssen wir mit dem Menschen den Anfang machen, um dessentwillen die Natur alles andere erschaffen zu haben scheint, wenn sie gleich für ihre großen Gaben einen so hohen und strengen Preis setzt, daß man nicht genau entscheiden kann, ob sie gegen den Menschen eine gute Mutter oder eine böse Stiefmutter gewesen sei. Von allen lebenden Wesen ist er das einzige, das sie mit fremder Hilfe bekleidet; den übrigen hat sie mancherlei Bedeckungen verliehen, als: Schalen, Rinden, Häute, Stacheln, Zotten, Borsten, Haare, Federn, Flaum, Schuppen und Wolle.
Sogar die Stämme der Bäume hat sie mit einer zuweilen doppelten Rinde vor Kälte und Hitze verwahrt. Nur den Menschen wirft sie bei der Geburt sogleich zum Jammern und Klagen nackt auf die bloße Erde und kein anderes Tier sonst zum Vergießen von Tränen, und zwar gleich von der Geburt an.
Aber wahrlich! des Lachens, jenes voreiligen,
zu schnellen Lachens ist er vor dem 40. Tage nicht fähig. - (pli
)
Mensch (6) »Der Mensch«, so hatte Platon
definiert,« ist ein zweibeiniges Lebewesen ohne Federn.« Die Definition
trug ihm Anerkennung ein, Diogenes aber
rupfte einen Hahn, brachte ihn in Platons Hörsaal und sagte: »Das
ist also Platons Mensch!« Aus diesem Grunde wurde die Definition noch um
den Begriff »mit flachen Nägeln« erweitert.
- (
diog
)
Mensch (8) Was kann man nun von einem Menschen ...
erwarten? Uberschütten Sie ihn mit allen Erdengütern, versenken Sie ihn
in Glück bis über die Ohren, bis über den Kopf,
so daß an die Oberfläche des Glücks wie zum Wasserspiegel nur noch Bläschen
aufsteigen, geben Sie ihm ein pekuniäres Auskommen, daß ihm nichts anderes
zu tun übrigbleibt, als zu schlafen, Lebkuchen zu vertilgen und für den
Fortbestand der Menschheit zu sorgen — so wird er doch, dieser selbe Mensch,
Ihnen auf der Stelle aus purer Undankbarkeit, einzig aus Schmähsucht einen
Streich spielen. Er wird sogar die Lebkuchen aufs Spiel setzen und sich
vielleicht den verderblichsten Unsinn wünschen, den allerunökonomischsten
Blödsinn, einzig um in diese ganze positive Vernünftigkeit sein eigenes
unheilbringendes phantastisches Element beizumischen. Gerade seine phantastischen
Einfälle, seine banale Dummheit wird er behalten
wollen... - Dostojewski, nach: Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein.
München und Zürich 1983
Mensch (9) Der Mensch im System der Natur
(homo phaenomenon, animal rationale) ist ein Wesen von geringer Bedeutung
und hat mit den übrigen Tieren, als Erzeugnissen des Bodens, einen gemeinen
Wert (pretium vulgare). Selbst, daß er vor diesen den Verstand voraus hat,
und sich selbst Zwecke setzen kann, das gibt ihm doch nur einen äußeren
Wert seiner Brauchbarkeit (pretium usus), nämlich eines Menschen vor dem
anderen, d. i. ein Preis, als einer Ware, in
dem Verkehr mit diesen Tieren als Sachen, wo er doch noch einen niedrigern
Wert hat, als das allgemeine Tauschmittel, das Geld,
dessen Wert daher ausgezeichnet (pretium eminens) genannt wird. -
Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten (1797)
Mensch (10) Menschen —
Menschen! falsche, heuchlerische Krokodillenbrut! Ihre Augen sind Wasser!
Ihre Herzen sind Ertz! Küsse auf den Lippen! Schwerter im Busen! Löwen
und Leoparden füttern ihre Jungen, Raben tischen ihren Kleinen auf dem
Aas, und Er, Er — Bosheit hab ich dulden gelernt, kann dazu lächeln,
wenn mein erboster Feind mir mein eigen Herzblut
zutrinkt — aber wenn Blutliebe zur Verräterin, wenn Vaterliebe zur Megäre
wird, o so fange Feuer, männliche Gelassenheit,
verwilde zum Tiger, sanftmütiges Lamm, und jede
Faser recke sich auf zu Grimm und Verderben. - Karl Moor in: Friedrich
Schiller, Die Räuber (1781)
Mensch (11) m. n. mhd. mensch(e), ahd. mennisco, älter mannisco, asächs. mennisco, mnl. mensche, afries. mann(i)ska. Westgerm. Substantivierung ('humanus‘ steht für 'homo‘) unseres ältesten Adj. auf -isch, das mit Suffix germ. -iska von mann 'homo' abgeleitet ist: got. mannisks, anord. menskr, ags. mennisc, afries. asächs. mannisk, ahd. mennisc 'menschlich'. Ebenso steht aind. manusyà-Adj. 'menschlich', m. 'Mensch' neben manu(s) 'Mensch‘.
Daneben besteht die Möglichkeit, ahd. asächs. mennisco m. als
'den von Mannus (dem bei Tacitus, Germ. 2 bezeugten
Urvater der Germanen) Stammenden' aufzufassen, wofür unter mehreren Wurzeln
am besten die gleiche Herleitung wie Mann
aus *men 'denken' voauszusetzen ist. —
Das N. als Genus für Mensch tritt im Mhd. auf, bis ins 17. Jh. ohne
verächtlichen Nebensinn, gern für weibl. Dienstboten. Dies ging im 18.
Jh. verloren; fortan die sittliche Wertung. Die Wortkarte 'Mädchen'
von Dora Blank bei Mitzka, Dt. Wortatlas IV (1955) weist
Mensch in jenem guten Sinne in weiter Fläche in Nieder- und Oberösterreich
nach. - Kluge/Mitzka, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache.
Berlin 1967
Mensch (12) Der Mensch verhält sich zu den Mineralien
des Tierreichs, wie das Eisen zu den Mineralien des Mineralreichs. Wie
nur das Eisen einer höhern Kraft gehorcht, die gleichsam Himmel und Erde
verbindet und scheidet, so der Mensch einer Kraft, die Welt
und Gott verbindet. -
(
rit
)
Mensch (13) Und als sie erst aus dem Wasser heraufgestiegen waren, auf Ranken, auf Füßen, da begannen sich auch am Grunde des Luftozeans lange Wälder zu bilden und meilengroße Wiesen — die Fische nannten sich hier ‹Vögel› — manche zeigten frech das Sägegebiß, und verbargen dafür die Organe der Fortpflanzung; die Blumen trieben‘s umgekehrt, steckten die Freßwerkzeuge in die steife schlüpfrige Erde, und hielten, ja reckten ihre Genitalien, bunt & duftend, nicht zu übersehen noch zu überriechen, unter alle äugenden Nasen. Überall rupfte und knusperte es, und leise sägte ein Meer von Grillen.
Da sie — sie konnten wohl nicht dafür — so angelegt waren, daß Eines nur existieren konnte, wenn es das Andere auffraß, mußten Überfall & Totschlag ihre Hauptbeschäftigung sein, und Lust- & Mordgedanken ein wichtiger Bestandteil ihrer Mentalität.
Als man dann anfing, mit Kunststoffen zu arbeiten — Wespen etwa, die heute noch scharmante hängende Kuppeln aus Zellulose montieren; ( Termiten auch, ja); aber sie Alle hoffnungslos gehandicapt durch eine zu geringe Lebensdauer von 4 Wochen — da kam Schick in die Sache. Besonders kluge Tiere, und die im Durchschnitt 10 bis 20 Tausend Tage alt werden, bildeten sich, in Selbst-Konkurrenz, kurios immer weiter; nunmehr, im Jahre Neunzehnhundert Strichundsechzig, sind ihre Wohnsiedelungen groß wie Inseln geworden; kein Krake ist mehr vor ihnen sicher, und kein Stern. Einzelne davon erfinden bereits, rührend tapfer, Wissenschaftchen & Künstlern, winzige nacaratfarbene Pünktchen in einem üblen grau-grünen Neutrum; die Meisten freilich müssen, ( und man kann es ihnen, wie gesagt, nicht krumm nehmen), hauptsächlich auf frische, möglichst belegte, Semmeln erpicht sein — die knirschen noch genau so angenehm zwischen den Zähnen, ( und wenn‘s falsche sind), wie weiland im Groß-Perm! Sie zucken die weißen ( oder gelb-braunen) Achseln; sie arbeiten; sie haben Lust- & Mordgedanken; und lassen sich von der Erde um die Sonne kutschieren.
Daß diese Wesen verhältnismäßig bald dahin gelangen mußten, nun auch sich selbst zu beschreiben, war jedem Denkenden von vornherein klar; und ich möchte ausdrücklich betonen, daß es dem homo sapiens — meinethalben auch ‹faber-ludens-lucifer› zur Ehre gereicht, wie er sich dieser jenun ‹Aufgabe› ( man lügt, sobald man zu tippen anfängt!) entledigt hat : unsere Museen und Bibliotheken, Konzertsäle und Observatorien, Universitäten und Krankenhäuser, all diese immer-erstaunlichen Konzentrationen & Vermehrungen eines sonst nur in Spurenelementen vorhandenen ( wieder ‹jenun› !) ‹Wahren gutenschönen›, können wir durchaus ‹vorzeigen›, in Konkurrenz mit einer ‹Schöpfung›, die sich derart abgeschmackte Witze geleistet hat, wie etwa die Organe der Liebeskraft gleichzeitig als ‹Harnröhren› anzulegen, und sie zusätzlich noch ausgerechnet am Popo zu befestigen! ( Ein, zugegeben, seit Sir Thomas Browne nicht mehr ganz neues Aperçu; ...
Selbstverständlich leiden wir noch schwer an ‹Instinkten›; schleppen
Urväterhausrat von Zirbeldrüsen und ‹Wurmfortsätzen›
mit uns herum; periodisch überwältigen uns Hormone; uns, mühsam Wassertretende
in einer See von nicht-euklidischen Gespenstrigkeiten — enfin : die Schweinerei
um uns ist so groß, daß sie wohl Jedem peinlich ist. - Arno Schmidt,
Die 10 Kammern des Blaubart. In: ders., Aus Julianischen Tagen. Frankfurt
am Main 1979 (Fischer-Tb. 1926, zuerst 1966)
Mensch (14) Merkwürdig ist es, daß jener witzigste Mensch in Deutschland auch zugleich der ehrlichste war. Nichts gleicht seiner Wahrheitsliebe. Lessing machte der Lüge nicht die mindeste Konzession, selbst wenn er dadurch, in der gewöhnlichen Weise der Weltklugen, den Sieg der Wahrheit befördern konnte. Er konnte alles für die Wahrheit tun, nur nicht lügen ...
Das schöne Wort Buffons «der Stil ist der Mensch selber!» ist
auf niemand anwendbarer als auf Lessing. Seine Schreibart ist ganz
wie sein Charakter, wahr, fest, schmucklos,
schön und imposant durch die inwohnende Stärke. Sein Stil ist ganz der
Stil der römischen Bauwerke: höchste Solidität bei der höchsten Einfachheit;
gleich Quadersteinen, ruhen die Sätze aufeinander, und wie bei jenen das
Gesetz der Schwere, so ist bei diesen die logische Schlußfolge das unsichtbare
Bindemittel. Daher in der Lessingschen Prosa so wenig von jenen
Füllwörtern und Wendungskünsten, die wir bei unserem Periodenbau gleichsam
als Mörtel gebrauchen. Noch viel weniger finden wir da jene Gedankenkaryatiden,
welche ihr la belle phrase
nennt. - Heinrich Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie
in Deutschland. 1834
Mensch (15) Der Mensch lebt noch überall in der
Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt,
als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am
Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft
und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel
der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende
und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung
und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt
etwas, das allen in die Kindheit scheint und
worin noch niemand war: Heimat. - Ernst
Bloch, Das Prinzip Hoffnung
Mensch (16) Da erstand vor ihm ein Bild vom ganzen
Leben des Menschen auf Erden und ihm schien das Menschenleben nichts zu
sein, nur ein winziges Entbrennen, ein kurzes Aufflackern in grenzenlos-schreckensvoller
Finsternis; und alle Größe, alle tragische Würde des Menschen und sein
heldischer Ruhm rührten daher, daß dieses Aufflammen so kurz war. Er wußte:
sein Leben war gering und würde wieder verlöschen, und übrigbleiben würde
nur die unermeßliche, ewige Finsternis, Und er wußte: mit Hohn
auf den Lippen würde er sterben, und mit dem letzten Schlag seines Herzens
würde seine trotzige Absage hineintönen in die alles verschlingende Nacht.
- Thomas Wolfe, Es führt kein Weg zurück, nach: Ernst Bloch, Das
Prinzip Hoffnung
Mensch (17) Der Mensch ist eine
unangenehme Gattung, sehr peinlich, ja. ... Die Hoffnung, daß es auch andere
Wesen gibt, und zwar nicht nur Humanoide, ist ein
kleiner Trost. Ein Trost könnte auch sein, daß es noch ekelhaftere
Kreaturen gibt als den Menschen. Es wäre peinlich zu denken, daß wir die
einzigen sind, die das Weltall bewohnen und ständig solche schrecklichen
Dinge tun. - Stanislaw Lem, FAZ vom 19. Februar 2003
Mensch (18) Die Leute, die sagen, daß der Mensch
Eins ist, folgen nach meiner Ansicht folgendem Gedankengang: Da sie sahen,
daß die Kranken, die Mittel genommen hatten und an übermäßiger Purgierung
starben, teils Galle erbrachen, teils Schleim, so meinten sie, der Mensch
sei jeweils das, bei dessen Ausscheidung sie ihn sterben sahen. Diejenigen,
die sagen, der Mensch sei Blut, argumentieren in
der gleichen Weise; da sie sehen, daß bei Menschen, die erstochen werden,
das Blut aus dem Körper fließt, glauben sie, dies sei das Lebensprinzip
des Menschen. Diese Dinge führen alle als Beweise in ihren Reden an. Aber
erstens ist bei übermäßiger Purgierung noch keiner gestorben, nachdem er
nur Galle ausgeschieden hatte, sondern wenn jemand ein galletreibendes
Mittel genommen hat, wird er zuerst Galle erbrechen, dann Schleim, danach
wird er schwarze Galle erbrechen und am Ende reines Blut. Ebenso geht es
denen, die an schleimtreibenden Mitteln sterben; zuerst erbrechen sie Schleim,
dann gelbe, dann schwarze Galle, schließlich reines Blut, und dabei sterben
sie. Denn wenn das Abführmittel in den Körper kommt, führt es zunächst
das ab, was ihm von den Bestandteilen des Körpers am nächsten verwandt
ist, dann zieht es auch die anderen heraus und führt sie ab. Wie nämlich
das, was gepflanzt und gesät wird, wenn es in die Erde kommt, jeweils das
ihm Verwandte in der Erde an sich zieht — in der Erde aber ist Saures und
Bitteres, Süßes und Salziges und anderes mehr enthalten —, zuerst also
zieht es möglichst viel von dem an sich, was ihm am nächsten verwandt ist,
dann aber auch das andere; so machen es auch die Medikamente im Körper.
Was Galle treibt, führt zuerst ganz reine Galle ab, dann vermischte; die
Abführmittel für Schleim führen zuerst den Schleim ganz rein ab und dann
gemischt, und bei erstochenen Menschen fließt das Blut zuerst ganz warm
und rot, dann aber mehr schleimig und gallig. - (
hi
)
Mensch (19) Mein ganzes Leben lang sah ich die Menschen
mit engen Schultern, ohne eine einzige Ausnahme, stupide und zahlreiche
Taten vollbringen, sah sie ihresgleichen verdummen und die Seelen
mit allen Mitteln verderben. Das Motiv ihrer Handlungen nennen sie: Ruhm.
Bei solchem Anblick wollte ich lachen wie die
anderen; aber das, seltsame Nachahmung, war unmöglich. Ich nahm ein Federmesser
mit scharf geschliffener Klinge, und dort, wo die Lippen sich vereinigen,
durchschnitt ich das Fleisch. Einen Augenblick lang glaubte ich mein Ziel
erreicht. In einem Spiegel betrachtete ich diesen
durch eigenen Willen verletzten Mund! Es war ein
Irrtum! Das Blut, das reichlich aus beiden Wunden
floß, hinderte mich übrigens zu erkennen, ob dies wirklich das Lachen der
anderen sei. Aber nach kurzen Vergleichen sah ich genau, daß mein Lachen
dem der Menschen nicht glich, das heißt, ich lachte nicht. Ich sah die
Menschen mit häßlichem Haupt und mit schrecklichen, tief in finsterer Höhle
liegenden Augen, die Härte des Felsens, die Starre gegossenen Stahls, die
Grausamkeit des Haifisches, die Arroganz der Jugend, die Raserei der Verbrecher,
den Verrat der Heuchler, die ungewöhnlichsten Komödianten, die Charakterstärke
der Priester und die höchste Verstellungskunst, die kältesten Wesen der
Welten und des Himmels übertreffen; sah die Moralisten erlahmen, ihr Herz
zu entdecken und unversöhnlichen Zorn von oben herabbeschwören.
Ich habe sie alle auf einmal gesehen, bald die derbe Faust wider den Himmel
erhoben wie die eines schon perversen Kindes wider die Mutter, wahrscheinlich
von einem Dämon der Hölle
getrieben, die Augen schwer von nagender Reue und Haß
zugleich, in eisigem Schweigen verharren, nicht wagend, die ungeheuerlichen
und undankbaren Gedanken, voller Ungerechtigkeit und Grauen, die ihr Herz
verbarg, zu äußern, um bei dem Gott der Barmherzigkeit trauerndes Mitleid
zu wecken; bald, zu jeder Stunde des Tages, von Kindheit auf bis zum höchsten
Greisenalter, unglaubliche Flüche verbreitend,
ohne Sinn für Gemeinschaft, wider alles, was atmet, wider sich selbst und
die Vorsehung, Frauen und Kinder prostituieren und so die Leibesteile entehren,
die der Scham geweiht sind. Da erheben die Meere
ihre Fluten, reißen die Planken in ihre Schlünde
hinab: Orkane und Erdbeben zerschmettern die Häuser; die Pest und vielerlei
Krankheit lichten die betenden Familien. Aber
die Menschen achten dessen nicht. Ich sah sie auch vor Scham erröten und
erbleichen wegen ihres Wandels auf dieser Erde; selten jedoch. Stürme,
Brüder der Orkane, bläuliches Firmament, dessen Schönheit ich nicht anerkenne,
heuchlerisches Meer, Ebenbild meines Herzens, Erde,
geheimnisvoller Schoß, Bewohner der Sphären, gesamtes Universum,
Gott, der du es so herrlich geschaffen hast, dich rufe ich an: zeige mir
einen Menschen, der gut ist!... Aber möge deine Gnade meine natürlichen
Kräfte verzehnfachen; denn beim Anblick dieses Scheusals könnte ich vor
Staunen sterben: man stirbt an weniger. - (
mal
)
Mensch (20) Die folgenden Worte stammen weder von mir selbst, noch von irgendeinem Menschen; ich bringe sie vor, wie ich sie in einem Gesichte von oben empfangen habe. Knecht Gottes, ... und Kind Gottes, ... vernimm, was das makellose Licht spricht:
Der Mensch ist irdisch und himmlisch zugleich; durch die gute Wissenschaft
der vernünftigen Seele ist er himmlisch, durch
die böse Wissenschaft aber ist er gebrechlich
und finster; je mehr er sich im Guten erkennt, desto mehr liebt er Gott.
Besieht nämlich ein Mensch sein Antlitz in einem Spiegel
und findet, daß es beschmutzt und von Staub bedeckt ist, dann trachtet
er, es zu reinigen und abzuwaschen; in gleicher Weise seufzt er auch, wenn
er merkt, daß er gesündigt und sich in mannigfaltige Eitelkeit verstrickt
hat. Er weiß dann, daß er in seinem guten Wissen beschmutzt wurde, und
klagt mit dem Psalmisten: »Tochter Babylons! Elend bist du, und glückselig
ist der Mann, der dir wieder vergilt, was du uns angetan! Glückselig der
Mann, der deine Kinder erfaßt und an einem Felsen zerschmettert!« -
(
bin
)
Mensch (21) Es ist nämlich unsinnig,
wenn einer meint, die politische Wissenschaft
oder die Klugheit sei die beste Wissenschaft.
Denn der Mensch ist nicht das Beste, was es im Kosmos gibt. -
(
eth
)
Mensch (22) Mich hungerte jetzt; ich zog mein Reisemesser aus der Tasche und schnitt mir ein Stück von dem Felsen ab, aber ich fand es geschmacklos, wie auch bei uns der Stein zu sein pflegt. Ich warf den Trugbissen gerade ärgerlich beiseite, als ich plötzlich um die Ecke des Felsens her ein Geräusch vernahm, das offenbar nur von Menschenstimmen herrühren konnte; denn obgleich die Töne nicht sonderlich viel Menschliches hatten, vernahm ich doch bestimmte artikulierte und modulierte Klänge, welche irgendeiner Sprache angehören mußten, und ich verstand sogar mehrere einzelne Worte.
Rasch entschlossen und mutig trat ich um die Ecke - und richtig, Menschen sah ich vor mir, wenn man solche Gestalten auch Menschen nennen darf. Sie waren von riesiger Größe, dunkelbraun und völlig unbekleidet.
Im Ganzen hatten sie zwar menschliche Formen, allein auf dem Rumpfe saß kein Kopf, sondern nur ein unförmiger Halsstumpf, eine Röhre, aus der helle Flammen emporschlugen. Dabei gehörten diese Geschöpfe nach unseren irdischen Begriffen in das Geschlecht der Insekten; denn obgleich sie nur zwei Beine hatten, hatten sie doch an jeder ihrer Schultern zwei Arme, mit denen sie Fackeln, Beile, Hämmer unter wildem Geheul gegen mich schwangen.
Jetzt wird man nach dem Sitz des Verstandes fragen; hatten sie denn einen solchen gar nicht? - O ja, dem Anschein nach wenigstens, mindestens grinsten mich häßliche Menschengesichter von einem Orte an, wo bei uns oberirdischen Menschen der Verstand wahrlich nicht zu suchen ist, nämlich vom Bauch.
Ich will nicht verhehlen, daß ich bei dem Anblick dieser gräßlichen Gestalten erschrak; ich taumelte einige Schritte zurück und vergaß sogar in der ersten Überraschung, nach meinern Säbel zu greifen, der mir übrigens gegen alle diese Beile und Hämmer kaum von großem Nutzen gewesen wäre.
Dabei entfuhr mir ganz unwillkürlich ein Ausruf des Schreckens: »Alle
guten Geister! - das sind leibhaftige Teufel!« oder so etwas Ähnliches.
Genug, dieser Ausruf war mein Heil, meine Rettung, denn ein glücklicher
Zufall wollte, daß ich dabei das hier geltende Friedensbannwort mit ausrief,
und sogleich warfen die Ungetüme ihre Waffen fort und reichten mir die
Hände, die meinigen drückend, daß ich Ach und Weh hätte schreien mögen.
- Ludwig von Alvensleben, Der Lügenkaiser. In: Erwin Wackermann (Hg.),
Münchhausens wunderbare Reisen. Die phantastischen Geschichten des Lügenbarons
und seiner Nachfolger. München 1968 (dtv 527, zuerst 1833)
Mensch (23)
Bescheidene graugestrichene Stuhlmenschen Wolkenmenschen die sich selbst gebären. Unbenabelte Unmenschen die sich
bessern möchten Löchermenschen durch die schnurstraks
Lange lange dünne Fadenmenschen Menschen die das Gefühl haben Menschen die der Meinung sind Zeigermenschen die an einer Wand angebracht Menschen die nach ihrem Tode leuchtende Sonnen sind. Menschen die ein Meer sind Menschen die mild leuchtende vereierte Monde sind. Menschen die als eine arabische Eins Menschen sagen sich: Menschen die Kieselsteine niesen. Kentaurmenschen halb Auto halb Mensch. Plaudertaschenmenschen die aus der Taillenschule plaudern. Menschen die dem Urgrund |
- Hans Arp, Menschen. In: Lesebuch. Deutsche Literatur
zwischen 1945 und 1969. Hg. Klaus Wagenbach. Berlin 1980 (zuerst 1957)
Mensch (24) Von dem ersten Anfange des Lebens an kommt er, was nicht einmal mit den bei uns erzeugten wilden Tieren geschieht, an allen Gliedern in Fesseln und Bande, und so liegt der glücklich Geborene da mit gebundenen Händen und Füßen, als ein weinendes Geschöpf, welches die übrigen beherrschen soll, und beginnt sein Leben mit Strafen für die einzige Schuld, daß er geboren ward. O über den Unsinn derer, welche nach einem solchen Anfange glauben, sie seien zum Stolze geboren!
Die erste Ahnung von Kraft, das erste Geschenk der Zeit, macht ihn zu einem
vierfüßigen Tiere. Wann aber lernt der Mensch gehen? Wann sprechen? Wann ist
sein Mund fest genug, um Speisen zu genießen? Wie lange klopft sein Scheitel,
ein Beweis, daß er das schwächste aller Geschöpfe ist? Nun kommen Krankheiten
und ebenso viele dagegen ersonnene Heilmittel, und auch diese werden oft durch
Zufälle zuschanden. Die übrigen Tiere erlangen bald ihre Ausbildung; einige
machen Gebrauch von der Schnelligkeit ihrer Füße, andere von ihrem schnellen
Fluge, andere vom Schwimmen. Aber der Mensch kann nichts, ohne daß er es gelehrt
wird, weder sprechen noch gehen, noch essen; kurz, er kann von Natur nichts
als weinen. Daher hat es viele gegeben, welche für das beste hielten, nicht
geboren zu sein oder doch bald wieder zu sterben. -
(
pli
)
Mensch (25)
Weiß der Teufel wie es kommt: wenn man genauer zusieht,
werden Menschen und Dinge leicht dürftig, häßlich und oft sinnlos zweideutig.
- George Grosz 1930, nach: Ivo Kranzfelder, Grosz. Köln 1999
Mensch (26) mendsch n. 'mendschadl n.
mensch, obgleich das wort sehr alt ist und sehr deutsch klingt, möchte ich noch zig. mintš, rw. minsch „vulva" heranziehen, das ihm vermutlich erst das abschätzige gegeben hat. - Aus: Oswald Wiener, Beiträge zu einer Ädöologie des Wienerischen. In: Josefine Mutzenbacher. München 1969 (zuerst 1906)
Mensch (27)
Menschliches Elende. WAs sind wir Menschen doch? ein Wohnhaus grimmer Schmertzen. Diß Leben fleucht davon wie ein Geschwätz
vnd Schertzen. Gleich wie ein eitel Traum leicht auß der acht hinfällt / Was itzund Athem holt / muß mit der Lufft entflihn / |
Mensch (28) Sie halten sich streng vom Wirtsvolk abgesondert, eheliche Verbindungen mit den Bewohnern des Landes kommen höchst selten vor. Der Zigeuner weiß sich dem Wirtsvolk gegenüber sozial unterlegen. Bei aller Wahrung der Distanz unterhält sich der einheimische Südosteuropäer mit ihm, macht Witze über ihn, verspottet oder verprügelt ihn, ohne daß in ihm als dem Opfer irgendein Rachegefühl aufkommt.
In seiner Ohnmacht läßt er mit Gleichmut alles über sich ergehen. Selbst
in den Konzentrationslagern bewahrte er Frohsinn, Tanz und Scherz. Er bleibt
stets, was er ist, ein stolzer, selbstbewußter Zigeuner, der sich o rom »der
Mensch« nennt (fast alle Naturvölker haben die Selbstbezeichnung »die Menschen«)
und für alle Nichtzigeuner den verächtlichen Namen o gadzo oder e gadzi »Fremde,
Barbaren, nicht zu ihm Gehörige« hat, als sei er sich selbst genug. -
Nachwort zu
(zig)
Mensch (29) Was ist ein Mensch ? Mensch
ist, wer tötet, Mensch ist, wer Unrecht zufügt oder leidet; kein Mensch ist,
wer jede Zurückhaltung verloren hat und sein Bett mit einem Leichnam teilt.
Und wer darauf gewartet hat, bis sein Nachbar mit Sterben zu Ende ist,
damit er ihm ein Viertel Brot abnehmen kann, der ist, wenngleich ohne Schuld,
vom Vorbild des denkenden Menschen weiter entfernt als der roheste Pygmäe und
der grausamste Sadist. Ein Teil unseres Seins wohnt in den Seelen der uns Nahestehenden:
darum ist das Erleben dessen ein nichtmenschliches, der Tage gekannt hat, wo
der Mensch in den Augen des Menschen ein Ding gewesen ist. - Primo Levi,
Auschwitz, 26. Januar 1945. Nach (
enc
)
Mensch (30) Ich
glaube, daß Menschen schon vor vielen Jahrtausenden dieses ganze Elend überblicken
konnten, daß sie den menschlichen Charakter — als Kombination so vieler tierischer
Züge — hassenswert fanden und »in ihrem Geist« mit diesem Dasein abgeschlossen
hatten. Man braucht sich also die Erfahrungen jener Menschen nur zu wiederholen.
Man wächst auch zwangsweise in sie hinein. Es ist mit großer Sicherheit anzunehmen,
daß jeder heute lebende Mensch zugleich zehn solcher Menschen ist, die in Abständen
immer gelebt haben. Selbst wenn er eine unbedeutende Abweichung
fertigbringt - was wird das schon sein? Es werden immer weiter einmal mehr,
einmal weniger Menschen leben, und diese sind in irgendeinem bunten System miteinander
unheimlich identisch, aber von Tieren und Menschen merken nur wenige etwas von
allen ihren Identitäten. Langsam wachsen manche Menschen vielleicht in die Tiefe
(was aber immer unwahrscheinlicher wird, wenn sie nicht einmal mehr
Wurzeln schlagen können) - aber wenn jemand bis zur Ruhe
der Verwurzelung kommt, dann findet er mit dem Durchdenken von tausendmal mehr
Daseins-Varianten, daß er genausogut »jeder« wie »einer« sein kann. -
Ernst Fuhrmann, Vorwort zu (
fuhr
)
Mensch (31) Man
kann jeden Menschen aus zwei entgegengesetzten Gesichtspunkten betrachten: aus
dem einen ist er das zeitlich anfangende und endende, flüchtig vorübereilende
Individuum, der Traum eines Schattens [Pindaros], dazu mit Fehlern und
Schmerzen schwer behaftet; - aus dem andern ist er das unzerstörbare Urwesen,
welches in allem Daseyenden sich objektivirt und darf, als solches, wie das
Isisbild zu Sais, sagen: Ich bin alles, was war und ist und sein wird.
- Freilich könnte ein solches Wesen etwas Besseres thun, als in einer Welt,
wie diese ist, sich darzustellen. Denn es ist die Welt der Endlichkeit, des
Leidens und des Todes. Was in ihr und aus ihr ist muß enden und sterben. Allein
was nicht aus ihr ist und nicht aus ihr seyn will durchzuckt sie mit Allgewalt,
wie ein Blitz, der nach oben schlägt, und kennt dann weder Zeit noch Tod. -
(schop)
Mensch (32)
Mensch (33) Sie
kennen meine Definition vom Menschen: ganz nett, aber sie bleiben alle zu lange,
sie sagen einen Moment, und dann nisten sie sich ein.- Gottfried Benn, Drei alte Männer. In: G. B.,
Prosa und Szenen. Ges. Werke Bd. 2. Wiesbaden 1962
Mensch (34) Wir
sind auf Beute aus, verschlingen einander, wie Vogel über Aas herfallen, und
betrügen uns wie Schwindler, Zuhälter und Kuppler oder streifen als Wölfe, Tiger,
Teufel umher, wobei wir daran Gefallen finden, uns gegenseitig Leid zuzufügen.
Die Menschen sind böse, verderbt, arglistig und heimtückisch, ihren Nächsten
lieben sie nicht, sondern allein sich selbst, Gastfreundschaft, Barmherzigkeit
und Umgänglichkeit haben für diese Betrüger und doppelzüngigen Heuchler längst
allen Wert verloren, hartherzig und erbarmungslos verfolgen sie nur ihre eigenen
Zwecke und sichern sich ihren Vorteil ohne Rücksicht darauf, in welches Unheil
sie andere damit stürzen. Als Praxinoa und Gorgo bei Theokrit all die Kostbarkeiten
zu Gesicht bekamen, riefen sie aus: Schön, jetzt geht es uns gut! und wollten
alle anderen aussperren. - (bur)
Mensch (35) Die Mensch sind verpestete Schiffe und im Grabe unter der Erde halten wir Quarantäne. - (idg)