kel   Beim Ekel vor Tieren ist die beherrschende Empfindung die Angst, in der Berührung von ihnen erkannt zu werden. Was sich tief im Menschen entsetzt, ist das dunkle Bewußtsein, in ihm sei etwas am Leben, was dem ekelerregenden Tiere so wenig fremd sei, daß es von ihm erkannt werden könne. Aller Ekel ist ursprünglich Ekel vor dem Berühren. Über dieses Gefühl setzt sogar die Bemeisterung sich nur mit sprunghafter, überschießender Gebärde hinweg: das Ekelhafte wird sie heftig umschlingen, verspeisen, während die Zone der feinsten epidermalen Berührung tabu bleibt. Nur so ist dem Paradox der moralischen Forderung zu genügen, welche gleichzeitig Überwindung und subtilste Ausbildung des Ekelgefühls vom Menschen verlangt. Verleugnen darf er die bestialische Verwandtschaft mit der Kreatur nicht, auf deren Anruf sein Ekel erwidert: er muß sich zu ihrem Herrn machen. - (ben)

Ekel (2)  Höchster Grad des Widerwillens; hat seinen Sitz in den Magen- und Geschmacksnerven, kann aber auch durch »Kitzeln des Gaumens mit Finger oder Feder« evoziert werden. Brockhaus nennt 1892 die Vermählung von körperlichem und geistigem Widerwillen »Hirnekel« und empfiehlt die sogenannte Ekelkur (methodus per nauseam) als altes »Natur- und Kunstheilmittel«, das durch »fortgesetzte Verabreichung von Brechmitteln eine gewaltige Herabstimmung der Nerven- und Geistesthätigkeit« bewirkt. - (lex)

Ekel (3) Dem Schönen ist nichts so sehr entgegengesetzt als der Ekel, so wie nichts tiefer unter das Erhabene sinkt als das Lächerliche. Daher kann einem Manne kein Schimpf empfindlicher sein, als daß er ein Narr, und einem Frauenzimmer, daß sie ekelhaft genannt werde. Der englische Zuschauer hält davor: daß einem Manne kein Vorwurf könne gemacht werden der kränkender sei, als wenn er vor einen Lügner, und einem Frauenzimmer keiner bitterer, als wenn sie vor unkeusch gehalten wird. Ich will dieses, in so ferne es nach der Strenge der Moral beurteilt wird, in seinem Werte lassen. Allein hier ist die Frage nicht, was an sich selbst den größesten Tadel verdiene, sondern was wirklich am allerhärtesten empfunden werde. Und da frage ich einen jeden Leser, ob, wenn er sich in Gedanken auf diesen Fall setzt, er nicht meiner Meinung beistimmen müsse. Die Jungfer Ninon Lenclos machte nicht die mindesten Ansprüche auf die Ehre der Keuschheit, und gleichwohl würde sie unerbittlich beleidigt worden sein, wenn einer ihrer Liebhaber sich in seinem Urteile so weit sollte vergangen haben; und man weiß das grausame Schicksal des Monaldeschi, um eines beleidigenden Ausdrucks willen von solcher Art, bei einer Fürstin, die eben keine Lucretia hat vorstellen wollen. Es ist unausstehlich, daß man nicht einmal sollte Böses tun können, wenn man gleich wollte, weil auch die Unterlassung desselben alsdenn jederzeit nur eine sehr zweideutige Tugend ist.

Um von diesen Ekelhaften sich so weit als möglich zu entfernen, gehöret die Reinlichkeit, die zwar einem jeden Menschen wohl ansteht, bei dem schönen Geschlechte unter die Tugenden vom ersten Range, und kann schwerlich von demselben zu hoch getrieben werden, da sie gleichwohl an einem Manne bisweilen zum Übermaße steigt und alsdenn läppisch wird. - Immanuel Kant, Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764)

Ekel (4) wird hervorgerufen durch eine widerwärtige Verwahrlosung des Körpers.

Ein ekelerregender Mensch läuft mit Aussatz und Flechten bedeckt sowie mit langen Fingernägeln umher und erklärt, dies seien angeborene Krankheiten; er, sein Vater und sein Großvater litten an ihnen, und so könne schwerlich ein Fremder ihrer Familie untergeschoben werden. Natürlich macht es ihm auch nichts aus, Geschwüre an den Schienbeinen und offene Stellen an den Fingern und Zehen zu haben; er behandelt sie nicht, läßt sie im Gegenteil bösartig werden. Von seinen Achselhöhlen bis zu seinen Hüften zieht sich gewöhnlich eine tierisch-dichte Behaarung, und seine Zähne sind schwarz und von Fäulnis befallen, so daß er unausstehlich und abstoßend wirkt.

Außerdem schneuzt er sich beim Essen, kratzt sich während der Opferhandlung, sabbert beim Sprechen und rülpst beim Trinken. In ungewaschenem Bettzeug schläft er mit seiner Frau. Mit ranzigem Öl reibt er sich im Bad ein und bringt dann durch heftige Bewegungen sein Blut in Wallung. Mit einem groben Untergewand und einem fadenscheinigen, völlig mit Schmutzflecken bedeckten Mantel geht er aus auf den Markt. Wenn seine Mutter den Vogelbeschauer aufsucht, stößt er Schmähungen aus. Wenn andere beten und Trankspenden darbringen, wirft er den Becher von sich und stimmt ein Gelächter an, als hätte er etwas außergewöhnlich Großes vollbracht.

Zur Begleitung von Flötenmusik klatscht er als einziger unter allen Anwesenden in die Hände, trällert im Takt und fragt die Flötenspielerin unter Schimpfworten, weshalb sie so früh aufgehört habe. Will er ausspucken, speit er über den Tisch dem Weinschenken ins Gesicht. - (theo)

Ekel (5)

URSPRÜNGLICHER EKEL BEDEUTE, DASS MAN EINEN
GROSSEN BEDARF HABE, INSEKTEN ZU VERSPEISEN -
nun, rüdiger, weder dem beutelfraß ameisen
noch den mega-asseln stinken bewußte schneiden . . .
nur früh linksgeräkelte häuten das faß eier
von jenen ab — aber in säcken ruft es leise
und prüft dicken käfergebäuden (paradeisver-
lorenen) das labgerinnsel senf zu vergreisen:
untrüglich, wer lebendem heuschreck papageien-
soßen verpaßt — nach gesinterten nudelstreifen
pur brüt ich den kegel der läuse: faß an, reiße
los den fettschwanzpanzer, die deckel guter beine,
und führ libellenstäbe feucht dem sandmann ein; be-
toaste demnach maden (innengeburt): den feisten
gurrt müsli, wenn hegel den leuten sagt, daß meist er
großen bedarf habe, insekten zu verspeisen

 - (vok)

Ekel (6) Auch die Menschen sondern Unmenschliches ab. In gewissen hellsichtigen Stunden läßt das mechanische Aussehen ihrer Bewegungen, ihre sinnlos gewordene Pantomime alles um sie herum stumpfsinnig erscheinen. Ein Mensch spricht hinter einer Glaswand ins Telephon, man hört ihn nicht, man sieht nur sein sinnloses Mienenspiel: man fragt sich, warum er lebt. Dieses Unbehagen vor der Unmenschlichkeit des Menschen selbst, dieser unberechenbare Sturz vor dem Bilde dessen, was wir sind, dieser ‹Ekel›, wie ein zeitgenössischer Schriftsteller es nennt, ist auch das Absurde. Auch der Fremde, der uns in gewissen Augenblicken in einem Spiegel begegnet, der vertraute und doch beunruhigende Bruder, den wir auf unseren eigenen Photographien sehen, ist wiederum das Absurde. - Albert Camus, Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde. Reinbek bei Hamburg 1965 (rororo 90, zuerst 1942)

Ekel (7)    Maigret zog seinen dicken Mantel noch enger um sich, als wollte er sich damit vor jeder Berührung schützen. Er hatte seinen Hut nicht abgesetzt. Ihm, der trotz seiner mürrischen Miene soviel Nachsicht für die meisten menschlichen Schwächen hatte, graute es vor manchen Menschen. Er spürte ein physisches Unbehagen in ihrer Nähe. Nun, und Monsieur Dandurand war einer von denen.

Dieser Ekel ging so weit, daß Maigret sich in Anwesenheit seines Kollegen Cassieux, der das Sittendezernat leitete, nie sehr behaglich fühlte.

Es war Cassieux, der ihm von dem Mann, den man allgemein Monsieur Charles nannte, erzählt hatte, von diesem Provinzanwalt, der in eine scheußliche Sittlichkeitsaffäre verwickelt gewesen war, bei der es um Minderjährige ging. Zwei Jahre Gefängnis hatte er abgesessen, ehe er nach Paris kam.

Der Fall war ziemlich außergewöhnlich und offenbarte seltsame Schicksale. Aus der Anwaltskammer ausgeschlossen und in der Hauptstadt untergetaucht, in der er unbekannt war, konnte Dandurand, der noch über genügend Geld verfügte, sich hemmungslos seinem Laster hingeben. Eine jener widerlichen Gestalten, wie man sie am Tage mit scheuem Blick dicht an den Häusern entlangschleichen sieht, die erst in dem Augenblick zum Leben erwachen und munter werden, wenn sie in der Menge ihre Beute verfolgen. - Georges Simenon, Maigret verliert eine Verehrerin. München 1970 (Heyne Simenon-Kriminalromane 101, zuerst 1942)

Ekel (8)    Jene paradoxen Erscheinungen, wie die plötzliche Kälte im Benehmen des Gemütsmenschen, wie der Humor des Melancholikers, wie vor allem die Großmut, als eine plötzliche Verzichtleistung auf Rache oder Befriedigung des Neides — treten an Menschen auf, in denen eine mächtige innere Schleuderkraft ist, an Menschen der plötzlichen Sättigung und des plötzlichen Ekels. Ihre Befriedigungen sind so schnell und so stark, daß diesen sofort Überdruß und Widerwille und eine Flucht in den entgegengesetzten Geschmack auf dem Fuße folgt: in diesem Gegensätze löst sich der Krampt der Empfindung aus, bei diesem durch plötzliche Kälte, bei jenem durch Gelächter, bei einem dritten durch Tränen und Selbstaufopferungen. Mir erscheint der Großmütige — wenigstens jene Art des Großmütigen, die immer am meisten Eindruck gemacht hat — als ein Mensch des äußersten Rachedurstes, dem eine Befriedigung sich in der Nähe zeigt und der sie so reichlich, gründlich und bis zum letzten Tropfen schon in der Vorstellung austrinkt, daß ein ungeheurer schneller Ekel dieser schnellen Ausschweifung folgt, - er erhebt sich nunmehr "über sich", wie man sagt, und verzeiht seinem Feinde, ja segnet und ehrt ihn. Mit dieser Vergewaltigung seiner selber, mit dieser Verhöhnung seines eben noch so mächtigen Rachetriebes gibt er aber nur dem neuen Triebe nach, der eben jetzt in ihm mächtig geworden ist (dem Ekel) und tut dies ebenso ungeduldig und ausschweifend, wie er kurz vorher die Freude an der Rache mit der Phantasie vorwegnahm und gleichsam ausschöpfte. - (frw)

Ekel (9)  Viele geachtete Männer befahl Caligula zu brandmarken und verurteilte sie dann zur Zwangsarbeit im Bergwerk, zum Straßenbau oder zum Kampf mit wilden Tieren. Er sperrte sie auch selbst wie Raubtiere in Käfige, wo sie sich nur auf allen Vieren fortbewegen konnten, oder ließ sie mitten durchsägen. Und das alles keineswegs immer wegen schwerer Verbrechen, sondern nur, weil sie vielleicht über ein von ihm gegebenes Gladiatorenspiel sich geringschätzig geäußert oder kein einziges Mal bei seinem Genius geschworen hätten. Die Väter zwang er, der Hinrichtung ihrer Söhne beizuwohnen. Einem, der sich mit Krankheit entschuldigte, schickte er eine Sänfte, einen anderen lud er unmittelbar von der Stätte, auf der sein Sohn hingerichtet war, zu Tisch und forderte ihn in aller Freundlichkeit auf, doch heiter und vergnügt zu sein. Einen Aufseher der Fechterspiele und Tierhetzen ließ er mehrere Tage hintereinander vor seinen Augen mit Ketten peitschen und nicht eher töten, als bis ihn vor dem Geruch des in Verwesung übergegangenen Gehirns ekelte.  - (sue)

Ekel (10)  Was ich über die Abstimmung und das Wahlrecht denke. Es sind Menschenrechte.

Das Niedrige, das in der Ausübung jedweder Tätigkeit liegt.

Ein Dandy tut nichts. Könnt ihr euch einen Dandy vorstellen, der zum Volk spricht, es sei denn, um es zu verhöhnen?

Es gibt keine vernünftige und gesicherte Regierung außer einer aristokratischen.

Monarchie oder Republik, basiert auf der Demokratie, sind gleich widersinnig und schwach.

Unendlicher Widerwille vor den Maueranschlägen.

Es gibt nur drei achtenswerte Wesen: der Priester, der Krieger, der Dichter. Zu töten und zu schaffen verstehen.

Die andern Menschen sind steuerpflichtig und frohnbar, geschaffen für den Stall, das heißt, um das auszuüben, was man Berufe nennt.   - (cb)

Ekel (11)  Die Menschen sind Schweine. Das Gerede von Ethik ist Betrug, bestimmt für die Dummen. Das Leben hat keinen Sinn als den, seinen Hunger nach Nahrung und Weibern zu befriedigen. Seele gibt es nicht. Hauptsache — man hat das Nötige. Ellenbogengebrauch war notwendig, allerdings ekelhaft. So drückte sich auch in meiner Produktion ein starker Abscheu vor dem Leben aus, der nur überboten wurde vom Interesse für die Vorgänge. Wurde der Ekel zu groß, betrank man sich. - George Grosz und Wieland Herzfelde, Die Kunst ist in Gefahr. Ein Orientierungsversuch. In: Pass auf! Hier kommt Grosz. Bilder Rhythmen und Gesänge 1915 - 1918. Hg. Wieland Herzfelde und Hans Marquardt. Leipzig 1981 (zuerst 1925)

Ekel (12)  Weltweit gibt es einen typischen Gesichtsausdruck für das Ausdrücken von Ekel: Die Nase wird gerümpft und die Oberlippe hochgezogen, während die Mundwinkel nach unten gehen, bei starkem Ekel wird zusätzlich leicht die Zunge herausgestreckt.

Ekel

Physiologisch kommt es häufig zu einem Würgereflex, Speichelfluss und Übelkeit mit Brechreiz, im Extremfall zu starkem Blutdruckabfall und zur Ohnmacht. Die Ekelempfindlichkeit ist individuell unterschiedlich stark ausgeprägt. Es ist möglich, Ekel zu verdrängen oder zu überwinden, was zum Beispiel in medizinischen Berufen oder bei Bestattern eine wichtige Rolle spielt. - Wikipedia

Ekel (13)   Ich verkünde die Opposition aller kosmischen Eigenschaften gegen die Gonorrhoe dieser faulenden Sonne, die aus den Fabriken des philosophischen Gedankens kommt, den erbitterten Kampf mit allen Mitteln des

dadaistischen Ekels.

Jedes Erzeugnis des Ekels, das Negation der Familie zu werden vermag, ist Dada; Protest mit den Fäusten, seines ganzen Wesens in Zerstörungshandlung: Dada; Kenntnis aller Mittel, die bisher das schamhafte Geschlecht des bequemen Kompromisses und der Höflichkeit verwarf: Dada; Vernichtung der Logik, Tanz der Ohnmächtigen der Schöpfung: Dada; jeder Hierarchie und sozialen Formel von unseren Dienern eingesetzt: Dada; jeder Gegenstand, alle Gegenstände, die Gefühle und Dunkelheiten; die Erscheinungen und der genaue Stoß paraleller Linien sind Kampfesmittel: Dada; Vernichtung des Gedächtnisses: Dada; Vernichtung der Archäologie: Dada; Vernichtung der Propheten: Dada; Vernichtung der Zukunft: Dada; Absoluter indiskutabler Glauben an jeden Gott, den spontane Unmittelbarkeit erzeugte: Dada; eleganter, vorurteilsloser Sprung von einer Harmonie in die andere Sphäre; Flugbahn eines  Wortes, das wie ein Diskurs, tönender Schrei, geschleudert ist; alle Individualitäten in ihrem Augenblickswahn achten: im ernsten, furchtsamen, schüchternen, glühenden, kraftvollen, entschiedenen, begeisterten Wahn; seine Kirche von allem unnützen, schweren Requisiten abschälen, wie eine Lichtfontane den ungefälligen oder verliebten Gedanken ausspeien, oder ihn liebkosen - mit der lebhaften Genugtuung, daß das einerlei ist - mit derselben Intensität in der Zelle seiner Seele, insektenrein für wohlgeborenes Blut und von Erzengelkörpern übergoldet. Freiheit: Dada, Dada, Dada, aufheulen der verkrampften Farben, Verschlingung der Gegensätze und aller Widersprüche, der Grotesken und der Inkonsequenzen: Das Leben. - Tristan Tzara, Manifest Dada 1918. In: Dada Almanach 1920. Hg. Richard Huelsenbeck. Berlin 1920 (Nachdruck Hamburg 1980)

Gefühle
Oberbegriffe
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Unterbegriffe
{?} {?}
VB
Abscheu
Synonyme