eele  Die Menschen haben keine Seele, wenn sie doch wenigstens Haltung hätten. - Clemenceau (nach Gottfried Benn)

Seele (2) Der wunderreiche Geist / der Göttlich in dem Wesen / unendlich / unvermischt / rein / heilig / unbegreifflich / sonder Tod /der überirdische Theil deß Menschen / der mit dem Hauch beharrt und gleich der zarten Flammen / ist von der Engel Stammen / dem Leibe zugesellt / verewigt nach dem Tod. Die erleuchte / GOttergebne Himmlische / liebgesinnte/ verhimmelte hochbegabte GOTTgeliebte sündbetrübte / die befleckte / unreine / abgewichne Seele. Die Vestung der Vernunft. Die flüchtig abgeschiedne Seele der Gast und Geist in diesem Leibe. Es wird auch der Odem der schnelle Erdengeist genannt.
Die Seele wird gebildet in Gestalt einer holdseligen Jungfrauen / welcher Angesicht mit einem zarten Flor bedecket / weil sie menschlichen Augen unsichtbar ist / und nur durch ihre Würckung muß erkannt werden. Ihre Bekleidung ist liechthell / tragend einen Stern auf dem Haubte und Flügel an ihren Schultern; mit jenem ihre Unsterblichkeit, mit diesem ihre Geschwindigkeit zu bemerken. - (hrs)

Seele (3) Der große deutsche Arzt Rudolf Virchow konstatierte am Ende seines Lebens, daß er zwar einige tausend Leichen zergliedert, jedoch nie eine Seele gefunden habe. - (Der Spiegel 49/2001)

Seele (4) Die sogenannte Seele. — Die Summe innerer Bewegungen, welche dem Menschen leicht fallen und die er infolgedessen gerne und mit Anmut tut, nennt man seine Seele; — er gilt als seelenlos, wenn er Mühe und Härte bei inneren Bewegungen merken läßt. - (mo)

Seele (5) Vor 140 Jahren schrieb der österreichische Sagensammier Ignaz Zingerle von in Tirol verbreiteten Vorstellungen, daß Kröten arme Seelen seien. In Schwaz zum Beispiel hätten Leute beobachtet, wie eine Kröte zum Altar des Michaeliskirchleins kroch und dort die Vorderfüße zum Beten zusammenlegte. - (schen)

Seele (6) Welche Gestalt hat die Seele? Aus welchem Stoffe besteht sie? Wo hat ihre Denkkraft den Sitz? Wie sieht, hört, fühlt sie? Was tut sie, oder worin besteht ohne diese Organe ihr Glück? Wo hat sie ferner ihren Wohnsitz, und wie groß ist die Menge der seit so vielen Jahrhunderten als Schatten abgeschiedenen Seelen?

Alles dies sind Einbildungen kindischer Schwärmerei und der Sucht des Menschen, nie aufhören zu wollen. Ebenso töricht war die Meinung Demokrits, man solle die Leichen (in Honig) aufbewahren, denn sie würden wieder lebendig, denn er selbst lebte ja nicht einmal wieder auf. Welch ein Unsinn ist es zu behaupten, daß mit dem Tode ein neues Leben beginne! Wie kann der Mensch je Ruhe haben, wenn seine Seele oben und sein Schatten in der Unterwelt Empfindung behalten?

Wahrlich, dieser süße, aber alberne Glaube vernichtet das vornehmste Gut, was uns die Natur verliehen hat, den Tod, und macht den Austritt aus dem Leben doppelt schmerzhaft, indem uns sogar noch der Gedanke an die Zukunft bekümmert. Denn wenn es angenehm ist zu leben, wie kann es dann angenehm sein gelebt zu haben? Aber wie viel leichter und sicherer ist es, seiner eigenen Überzeugung zu folgen und aus der Betrachtung des Zustandes vor unserer Geburt auf unsere Ruhe nach dem Tode zu schließen! - (pli)

Seele (7) Ist der Tod, sagte mein Vater, indem er mit sich selbst philosophierte, nichts anderes als die Trennung der Seele vom Körper und ist es wahr, daß Leute ohne Gehirn umhergehen und ihre Arbeit verrichten können, so kann die Seele ihren Sitz sicherlich nicht im Gehirn haben. Q.E.D.

Was den gewissen sehr dünnen, feinen und sehr wohlriechenden Saft anbetrifft, den der große mailändische Arzt Coglionissimo Born, in einem Brief an Bartholinus, in den Zellen der hinteren Teile des Cerebellum entdeckt zu haben vorgibt und von dem er gleichfalls behauptet, er sei der Hauptsitz der vernünftigen Seele (denn Sie müssen wissen, in diesen neueren und aufgeklärteren Zeiten hat jeder lebendige Mensch zwei Seelen, und nach dem großen Metheglingius wird die eine Animus und die andere Anima geheißen)— was also diese Meinung des Born anbetrifft, so konnte mein Vater ihr durchaus nicht beistimmen; der bloße Gedanke, daß ein so edles, so feines, so immaterielles und so erhabenes Wesen wie die Anima oder selbst der Animus seinen Wohnsitz in einer Pfütze oder in irgendeiner Flüssigkeit, sie sei so dick oder dünn, wie sie wolle, nehmen und wie ein Frosch den lieben langen Tag im Sommer wie im Winter nichts anderes tun sollte als dort sitzen und plätschern, empörte seine Phantasie; er konnte deshalb diese Lehre kaum anhören.

Was ihm also unter allem den wenigsten Einwänden ausgesetzt zu sein schien, war die Annahme, daß das Hauptsensorium oder Hauptquartier der Seele, wohin alle Meldungen gebracht und woher alle ihre Befehle geholt würden, im oder nahe beim Cerebellum wäre oder vielmehr irgendwo in der Gegend der Medulla oblongata, in welcher nach der übereinstimmenden Meinung holländischer Anatomen alle feinen Nerven sämtlicher Organe der sieben Sinne zusammenstoßen wie die Straßen und krummen Gassen einer Stadt auf einem großen Platz.  - (shan)

Seele (8) Das ist die Formel; sie gilt für jeden: Monismus und Dualismus lösen wie Licht und Schatten, wie Phasen des Herzschlags einander ab. Erst mit der Vielzahl wird es kompliziert. Was finde ich denn, wenn ich zu meinem Seelchen hinabschleiche? Ein schäbiges, oft geflicktes Netz, das einen Fang von Tiefseetieren zusammenpreßt. Ein Eingeweide von Aalen und Schlangen, Haien, Kraken, Krebsen und Würmern aller Art.

Da ist Ägisth, der Klytämnestra auf das Prunkbett wirft. »Das Blut der Könige ist fahl purpurfleckig.« — Ich besteige die Königin auf dem Lager, das für den Atriden gerüstet war. Er liegt im Bad, ermordet — nie war ihre Hingabe tiefer, bedingungsloser als eben jetzt, da die Tür noch offen steht. Dort ist auch Atreus, sind, neben römischen Konsuln und Caesaren, milde Gestalten — Johannes der Täufer, Johannes am Strand von Patmos, Johannes, dem der Meister den Arm um die Schulter legt.

Vielleicht sind es nicht einmal Tiere der Tiefe, sondern nur ihre Larven und Embryonen, die absterben, wenn sie in Schichten aufsteigen, die das Licht durchdringt. Sie werden in nächtlichen Seancen von der Psyche zitiert und freigelassen zur Selbstbefriedigung. Dort reiben sie sich auf. - Aus: Ernst Jünger, Die Zwille. Stuttgart 1973

Seele (9) Die Peripatetiker behaupten, tagsüber diene die Seele dem Körper, und von ihm gefesselt, sei sie nicht fähig, ungetrübt die Wahrheit zu erkennen. Nachts aber, wenn sie von ihrem Dienst am Körper befreit sei und sich in der Gegend des Brustkorbs gleichsam zu einer Kugel zusammengeballt habe, könne sie besser in die Zukunft schauen, und daraus entstünden die Träume. - ael

Seele (10) Wir haben hier eines jener psichischen Ur-Fänomene vor uns, wie sie zwar nicht selten sind, aber doch selten in so befruchtender Weise in die Geistesgeschichte von Völkern eingreifen und deren Gemütslage bestimmen. Dieses Identifiziren der eignen, heftigen und nicht zu bewältigenden Gefühle mit »Gott«, oder irgend einem hochklingenden Simbol — hier, wenn den Evangelien zu glauben, »der liebe Vater im Himmel« — ist das Urbild eines geistigen Prozeßes, die psichische Zwangslage eines nach Gründe suchenden, innerlich heftig bewegten Menschen, der Saz des zureichenden Grundes nach Innen gekehrt und antropomorfisirt, wie wir ihn heute fast mit experimenteller Sicherheit erweisen können. Wir finden das Yänomen bei allen Rellgionsstiftern, bei Muhamed, bei Buddha, bei Swedenborg, bei Fox, — wir finden es bei Allen, die plözlich in überzeugender Weise ganze Völkerschaaren an ihre Befehle geheftet: beim heil. Franziskus, bei der Jungfrau von Orleans, bei Louise Lateau; wir finden es in den Kreuzzügen, bei den sektirerischen, kommunistischen Auswan-derern nach Amerika im vorigen Jahrhundert, —wir finden es bei den kezerischen Begharden im 14. und 15. Jhrh., und bei der ganzen Gruppe, die die religiösen Umwälzungen im 16. Jhrh. hervorgebracht haben, bei Nikolaus Storch, bei Thomas Münzer, bei Hans Böhm, bei Luther, bei den Wiedertäufern u. a, — und wir finden es schließlich bei den visionären Epileptikern in den Irrenanstalten, deren »Himmels-Erscheinungen« und »Offenbarungen« an Kraft und Schönheit in Nichts den gleichen psichischen Leistungen der christlichen Heiligen und Büßer in den Klöstern nachstehen. Daß also Christus sich auf »seinen lieben Vater im Himmel« beruft, ist bei aller prächtigen, künstlerischen und poetischen Wirkung nur ein klinischer Spezialfall in der Weltgeschichte für ein psichologisch festste-hendes und gesezmäßig eintretendes Ereignis in unserer Psiche. — Oskar Panizza, Christus in psicho-patologischer Beleuchtung. 1898

Seele (11)



Tôrnârssuk mit einer Menschenseele unter dem Arm.
Er ist die höchste und vornehmste Gottheit der Grönländer,
fungiert auch als Schutzgott, begleitet und führt
Schamanen
bei ihrer ekstatischen
Reise durch Meerestiefen.
[Aus: J. P. Asmussen u. a., Handbuch der Religionsgeschichte, Bd. 1, Göttingen 1971]

- Nach: Hans-Jürg Braun, Das Jenseits. Die Vorstellungen der Menschheit über das Leben nach dem Tod. Frankfurt am Main 2000 (it 2516, zuerst 1996)

Seele (12) 

Seele (13) Die Seele hat zwei Kräfte, mit denen sie die Arbeit und Ruhe ihrer Bestrebungen mit gleicher Stärke regelt. Mit der einen steigt sie, Gott fühlend, zur Höhe, und mit der anderen nimmt sie den ganzen Körper, in dem sie ist, wirkend in Besitz. Denn es freut sie im Körper zu wirken, weil er ja von Gott gebildet wurde, und sie ist hurtig in der Vollendung der Tätigkeit des Körpers. Sie steigt in das Gehirn, in das Herz, in das Blut, in das Mark, in den ganzen Körper und erfüllt ihn. Sie erhebt ihn nicht höher, als er es verträgt; denn wenn sie auch in ihm sehr viele gute Werke anstrebt, so kann sie doch nicht weiter vorwärts schreiten, als es ihr die Gnade Gottes gewährt. Sie wirkt auch oft nach dem Begehren des Fleisches so lange, bis das Blut in den Adern durch die Ermüdung etwas ausgetrocknet wird und der Schweiß durch das Mark ausgepreßt wird. Dann zieht sie sich in die Ruhe zurück, bis sie das Blut des Körpers erwärmt und das Mark wieder anfüllt. Und nun weckt sie den Körper zum Wachen auf, erquickt ihn zur Arbeit. Denn während sie sich zuweilen den fleischlichen Begierden hingibt, wird sie davon angeekelt, wenn sie aber dann ihre Kräfte wieder gewonnen hat, beugt sie sich ganz dem Dienste Gottes zu. - (bin)

Seele (14)  Wie das Wort Gottes schaffend alles durchdrang, so durchdringt die Seele den ganzen Körper mit ihm wirkend. Die Seele ist auch das Grün des Fleisches, weil der Körper durch sie wächst und gedeiht, so wie die Erde durch die Feuchtigkeit fruchtbar ist. Ferner ist die Seele die Feuchtigkeit des Körpers, weil sie ihn benetzt, damit er nicht austrocknet, so wie sich der Regen auf die Erde ergießt. Von der Seele gehen auch manche Kräfte aus, indem sie den Körper belebt, so wie die Feuchtigkeit vom Wasser kommt, und auch deshalb ergötzt es die Seele, mit dem Körper zu arbeiten. Betätigt sich der Mensch dem Streben der Seele entsprechend, dann werden alle seine Werke gut, schlecht aber, wenn er dem Fleische folgt. Das Fleisch schwitzt seine Feuchtigkeit durch die Seele aus, weil der Hauch der Seele das Fleisch bewegt, so wie es seine Natur erfordert. Der Mensch bekommt zu allem Lust durch den Anhauch der Seele. Denn die Seele steigt zu Himmlischem empor und erkennt es fühlend; sie beurteilt auch alle Werke nach deren Verdienst, und wie durch das Gefühl des Körpers der ganze Körper regiert wird, so sammelt die vernünftige Seele alle Werke der Glieder des Menschen und erwägt, was sie nach ihren Wünschen wirken könnten. Sie läßt auf diese Weise die Glieder des Menschen sprießen, so wie die Feuchtigkeit die Erde ... Und wie die Erde Nützliches und Schädliches wachsen läßt, so hat auch der Mensch das Seufzen nach oben und die Gier zur Sünde in sich. - (bin)

Seele (15) Denn durch den Tod wird eine größere Wandlung bewirkt, als wahrnehmbar ist. Während im allgemeinen die Seele, die entwich, irgendwann zurückkehrt (dabei zeigt sie sich in Gestalt des einstigen Leibes) und dann manchmal von den noch Lebenden gesehen wird, ist es schon vorgekommen, daß der wirkliche Körper ohne Seele umherwandernd angetroffen wurde. Und es wird bezeugt von denen, die ihm begegneten und noch lebten, um davon berichten zu können, daß eine solchermaßen auferstandene Leiche keine natürliche Regung oder auch nur eine Erinnerung daran hat, sondern nur Haß kennt. Es ist auch bekannt, daß einige Seelen, die zu Lebzeiten ein gütiges Wesen besaßen, nach dem Tode ganz bösartig werden. - 'HALI', nach Ambrose Bierce, Die Spottdrossel. Zürich 1963 (zuerst ca. 1890)

Seele (16)

Auch das folgende wird dir das Wesen der Seele erläutern,
Wie so fein ihr Gewebe und wie sie mit winzigem Raume
Auskommt, falls ein Zusammenschluß sich nur irgend ermöglicht.
Nämlich sobald nur den Menschen die friedliche Ruhe des Todes
Überwältigt, sobald mit dem Geiste die Seele geschieden,
Siehst du doch keinen Verlust an der ganzen Gestaltung des Körpers
Weder nach Form noch Gewicht. Der Tod zeigt alles wie vordem,
Nur fehlt jetzt ihm das Lebensgefühl und die feurige Wärme.
Also muß doch die Seele in Adern, Geweiden und Sehnen
Nur durch die kleinsten Atome sich ganz mit dem Leibe verknüpfen.
Denn selbst wenn sie vom Körper nun ganz und gar sich getrennt hat,
Bleibt ihm doch völlig erhalten der äußere Umriß der Glieder,
Und an dem alten Gewicht fehlt auch kein einziges Quentchen.
Ähnlich verflüchtigt sich auch die Blume des Weines, und wenn sich
Lieblicher Duft in die Lüfte dem Salbölfläschchen entwindet,
Oder wenn irgendein Saft aus unserem Körper entweichet,
Ohne daß dieser nun selbst deswegen für unsere Augen
Kleiner erschien' und ohne daß irgendwas fehlt' am Gewichte.
Wunderbar ist dies nicht. Denn viele winzige Keime
Bilden den Saft und Geruch in dem ganzen Körper der Dinge.
Darum präge dir ein (ich verkünd' es dir wieder und wieder),
Daß die Natur wie den Geist so die Seele aus winzigen Keimen
Schuf, weil, wenn sie entweichen, sich nichts im Gewichte verändert.

- (luk)

Seele (17) Nach der Todesangst, die so stark gewesen war wie noch nie, begriff ich plötzlich den Ausdruck ANIMA CANDIDA: nur eine anima candida, eine reinweiße Seele, kann vom Tod nicht geschwärzt, verdüstert, verdunkelt werden - und aus den Grathöhen der Todesangst kehrte ich heim in die schönen Niederungen des Lebens, nur noch Hitze in der Brust statt des Grauens, und saß draußen im Freien, im leichten Regen, der nun das mir Angemessene war: im Regen draußen war ich im Leben, und die Vorbeigehenden übersahen mich. Die Süßigkeit des Lebens war zurückgekommen mit einem kleinen, einzelnen Vogelruf: anima candida! (Wieder einmal feiere ich: eine überstandene Todesangst) - (bleist)

Seele (18)

Bleiben, so fragt man weiter, im Leichnam Reste der Seele
Oder verbleiben sie nicht? Sind wirklich solche vorhanden,
Kann man nicht wohl mit Recht Unsterblichkeit leihen der Seele;
Denn sie verließ ja den Leib durch Verlust von Teilen gemindert.
Hat sie jedoch aus den Gliedern des Leibs sich restlos geflüchtet,
Ohne daß Teile von ihr in dem Körper zurück sind geblieben,
Woher kommt's, daß die Leiche Gewürm aus dem faulenden Fleische
Ausspeit, ferner woher, daß solch ein gewaltig Gewimmel
Bein- und blutloser Maden durchströmt die geschwollenen Glieder?

- (luk)

Seele (19) Fürsten der Unterirdischen sind, sagen die Ägypter, Demeter und Dionysos. Die Ägypter haben aber auch, und zwar als erste, die Behauptung ausgesprochen, daß des Menschen Lebensseele unsterblich sei; vergehe aber der Leib, gehe sie ein in ein anderes Lebewesen, das grade entsteht; wenn sie aber ihren Durchgang vollendet habe durch all die Wesen des Festlands und des Meers und der Luft, trete sie wieder ein in den Leib eines Menschen, der grade geboren werde, es währe aber dreitausend Jahre, bis sie ihre Wanderung abgeschlossen habe. Diese Lehre haben gewisse Hellenen, die einen früher, andere später, vorgetragen, als wäre es ihre eigene. Deren Namen weiß ich, zeichne sie aber nicht auf.  - (hero)

Seele (20) Gesetzt nun, man hätte bewiesen, die Seele des Menschen sei ein Geist, so würde die nächste Frage die man tun könnte etwa diese sein: Wo ist der Ort dieser menschlichen Seele in der Körperwelt ? Ich würde antworten: derjenige Körper, dessen Veränderungen meine Veränderungen sein, dieser Körper ist mein Körper, und der Ort desselben ist zugleich mein Ort. Setzet man die Frage weiter fort, wo ist denn dein Ort (der Seele) in diesem Körper? so würde ich etwas Verfängliches in dieser Frage vermuten. Denn man bemerkt leicht, daß darin etwas schon vorausgesetzet werde, was nicht durch Erfahrung bekannt ist, sondern vielleicht auf eingebildeten Schlüssen beruhet: nämlich daß mein denkendes Ich in einem Orte sei, der von den Örtern anderer Teile desjenigen Körpers, der zu meinem Selbst gehöret, unterschieden wäre. Niemand aber ist sich eines besondern Orts in seinem Körper unmittelbar bewußt, sondern desjenigen, den er als Mensch in Ansehung der Welt umher einnimmt. Ich würde mich also an der gemeinen Erfahrung halten und vorläufig sagen: wo ich empfinde, da bin ich. Ich bin eben so unmittelbar in der Fingerspitze wie in dem Kopfe. Ich bin es selbst, der in der Ferse leidet und welchem das Herz im Affekte klopft. Ich fühle den schmerzhaften Eindruck nicht an einer Gehirnnerve, wenn mich mein Leichdorn peinigt, sondern am Ende meiner Zehen. Keine Erfahrung lehrt mich, einige Teile meiner Empfindung von mir vor entfernt zu halten, mein unteilbares Ich in ein mikroskopisch kleines Plätzchen des Gehirnes zu versperren, um von da aus den Hebezeug meiner Körpermaschine in Bewegung zu setzen, oder dadurch selbst getroffen zu werden. Daher würde ich einen strengen Beweis verlangen, um dasjenige ungereimt zu finden, was die Schullehrer sagten: meine Seele ist ganz im ganzen Körper und ganz in jedem seiner Teile. Der gesunde Verstand bemerkt oft die Wahrheit eher, als er die Gründe einstehet, dadurch er sie beweisen oder erläutern kann. - Immanuel Kant, Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik (1766)

Seele (21)  Während der Jüngling sie bearbeitete, gab ihm die Durand das Pulver ein. Die Zuckungen ergriffen ihn, bevor er noch Zeit hatte, seinen Schweif aus dem Arschloch meiner Freundin herauszuziehen, und so starb er mitten unterm Vögeln und das erzeugte bei Clairwil eine solche Lustkrise, daß ich glaubte, sie würde sterben. "Hol mich der Teufel!" schrie sie. "Ich glaube ich habe seine Seele zugleich mit seinem Samen bekommen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sein Glied während den Zuckungen angeschwollen ist und was für ein unsägliches Lustgefühl dies bei mir hervorrief. Wollüstige Frauen! Vergiftet eure Liebhaber, während ihr sie im Arschloch oder in der Scheide habt, und ihr werdet sehen, welcher Erfolg." Wir hatten wirklich die größte Mühe, sein Glied aus dem Arschloch meiner Freundin herauszuziehen, und als wir es erreicht hatten, bemerkten wir, daß ihn die Todeszuckungen nicht verhindert hatten, zu entladen. "Habe ich euch nicht gesagt," sagte Clairwil, "daß ich in meinen Arsch zugleich seine Seele und seinen Samen aufgenommen?" - (just)

Seele (22)  "Ebenso materialistisch in bezug auf die Seele wie auf den Gott, muß ich euch eingestehen," sagte die Durand, "daß ich, nachdem ich mit Aufmerksamkeit alle Träume der Philosophen über diesen Punkt gelesen, zur Ansicht gekommen bin, daß die Seele des Menschen nur ein Teil jenes Fluidums ist, das aus der Sonne quillt, durchaus ähnlich der Seele des Tieres, wenn auch anders organisiert. Diese Seele, nach meiner Meinung die Weltseele, ist das heiligste Feuer im Weltall; sie brennt nicht von selbst, aber in unseren Nerven, ihrem gewöhnlichen Wohnsitz, erzeugt sie ein derartiges Leben der tierischen Maschine, daß sie sie empfänglich macht für alle Gefühle und alle Empfindungen. Es ist ein Effekt der Elektrizität. Beim Tode des Menschen wie des Tieres entflieht dieses Feuer und vereinigt sich mit der allgemeinen Masse, die stets in Bewegung und stets unverändert. Der Körper zerfällt und vereinigt sich zu neuen Formen, welche entflammt werden von neuen Teilen dieses himmlischen Feuers".  - Marquis de Sade, Justine oder Die Leiden der Tugend, gefolgt von Juliette oder Die Wonnen des Lasters. Nördlingen 1987 (zuerst 1797)

Seele (23)   Es könnten alle diese einfache Substanzen oder erschaffene Monaden / Entelechiae, genennet werden. Denn sie besitzen eine gewisse Vollkommenheit in sich / (εχουσι το εντελες) sie haben eine Suffisance, (αυταρκεια) oder dasjenige / was sie zur Vollziehung ihrer Würkungen nötig haben / und welches verursachet / daß sie die Quelle ihrer innerlichen Actionen und / so zu reden / unkörperliche automata sind.

Wenn wir alles dasjenige / welches Perception und Appetit hat / nach dem jetzterklärten allgemeinen Verstande eine Seele nennen wollen; so können alle einfache Substanzen oder erschaffene Monaden Seelen genennet werden; gleichwie aber das sentiment oder der Gedanke etwas mehr als eine bloße perception ist; so bin ich darinnen übereinstimmig / daß der allgemeine Name / (Monaden und Entelechiae) für die einfachen Substanzen /welche nur alleine die Empfindung haben / zureichend sei: und daß man nur denenjenigen / deren perception viel distincter oder deutlicher und mit Gedächtnis verknüpft ist / den Namen / Seele / beilege. - Gottfried Wilhelm Leibniz,  Monadologie, nach: Projekt Gutenberg

Seele (24)   Wenn der Leib gegen die Seele einen Prozeß anhängig machte wegen der Schmerzen und Mißhandlungen, die er von ihr zeitlebens erfahren, und er selbst, Demokrit, als Richter über die Anklage zu entscheiden hätte, so würde er die Seele mit Vergnügen verurteilen, weil sie den Leib teils durch Vernachlässigung zugrunde richtete und durch Trunksucht schwächte, teils durch Wollüste vernichtete und verlotterte, etwa wie er einen rücksichtslosen Benutzer verantwortlich machen würde, wenn ein Instrument oder Gerät sich im schlechten Zustande befände. - Demokrit

Seele (25)  Manche sagen, die Seele bewege den Körper, in dem sie ist, so wie sie selbst sich bewegt. Zu ihnen gehört Demokrit, der die gleiche Ansicht ausspricht wie der Komödiendichter Philippos. Der sagt nämlich, Daidalos habe die hölzerne Aphrodite dadurch in Bewegung gesetzt, dass er ihr Quecksilber eingoß. In gleicher Weise äußert sich auch Demokrit. Er sagt nämlich, wenn die unteilbaren Kügelchen sich bewegen, reißen sie dadurch, dass sie ihrer Natur nach nie zum Stillstand kommen, den ganzen Körper mit sich fort und bringen ihn in Bewegung. - Aristoteles De anima

Seele (26)   »Mein Liebling«, sagte die Königin, »sie sind imstande, dich zu töten!« - »Wenn ich meine Seele in mir hätte, so würden sie mich schon lange getötet haben«, sagte der Riese. »Wo ist denn deine Seele, mein Lieber? Bei den heiligen Büchern, ich will sie sorglich hüten.« - »Sie ist«, sagte er, »im Herdstein.« Als er am Morgen fortging, säuberte sie den Herdstein mit der allergrößten Sorgfalt. Zur Zeit der Dämmerung kam der Riese heim. Sie hatte ihren Mann wieder vor die Pferde gebracht. Der Riese ging hin, den Pferden Futter zu geben, und diesmal walkten sie ihn noch mehr durch. »Warum hast du den Herdstein so sorgfaltig gesäubert?« sagte er. »Weil deine Seele darin ist.« -»Ich sehe, daß du, wenn du wüßtest, wo meine Seele ist, aufs allerbeste für sie sorgtest.« - »Ja, das täte ich«, sagte sie. »Nicht hier ist meine Seele«, sagte er, »sie ist in der Türschwelle.« Am Morgen reinigte sie die Türschwelle sorgfältig.

Als der Riese nach Hause kam, machte er sich daran, den Pferden Futter zu bringen, und die Pferde walkten ihn noch mehr durch. »Was hat dich dazu veranlaßt, die Türschwelle so sorgfältig zu reinigen?« - »Weil doch deine Seele darin ist.« - »Ich sehe, wenn du wüßtest, wo meine Seele ist, so würdest du gut für sie sorgen.« - »Das täte ich«, sagte sie. »Aber nicht dort ist meine Seele«, sagte er. »Unter der Türschwelle ist eine große Steinplatte. Unter der Platte ist ein Widder. Im Bauch des Widders ist eine Ente, und im Bauch der Ente ein Ei, und in diesem Ei ist meine Seele.« Als der Riese am nächsten Morgen weggegangen war, hob sie die Steinplatte, und heraus kam der Widder. »Wenn ich nur den schlanken Hund vom grünen Wald hätte, der brauchte nicht lange, mir den Widder zu fangen«, sagte der König. Der schlanke Hund vom grünen Wald kam mit dem Widder im Maul. Als sie den Widder öffneten, war die Ente schnell heraus und flog mit den anderen Enten davon. »Wenn ich nur den eisgrauen Falken vom grauen Felsen hätte, der brauchte nicht lange, mir die Ente zu bringen.« Der eisgraue Falke vom grauen Felsen kam mit der Ente im Schnabel an; als sie die Ente aufschnitten, um das Ei aus ihrem Bauch zu holen, fiel das Ei heraus, in die Tiefe des Meeres. »Wenn ich nur den braunen Otter vom Fluß hätte, der brauchte nicht lange, mir das Ei zu bringen.« Der braune Otter kam und hatte das Ei im Maul, und die Königin packte das Ei und zerdrückte es zwischen ihren beiden Händen. Der Riese kam eben herein, denn es war die Stunde der Dämmerung, und als sie das Ei zerdrückte, fiel er tot zu Boden und stand nicht wieder auf. - (schot)

Seele (27)   Es ist nunrnehro eine ausgemachte, eine entschiedene Wahrheit, daß in dem menschlichen Körper ein feines Lichtwesen, eine ätherische Hülle des unsterblichen vernünftigen Geistes seye, welche sich im Magnetismus, im Galvanismus, in der Elektrizität, und in Sympathie und Antipathie unwidersprechlich darstellt, und auf mancherley Weise würksam erzeigt; hiemit ist der vernüftige Geist ewig und unzertrennlich verbunden. Ich nannte diesen innern Lichttnenschen  die Menschenseele. - (still)

Seele (28)  Die Seele ist  nur ein nichtiger Ausdruck, von dem man keine rechte Vorstellung hat und dessen sich ein guter Kopf nur zur Benennung des in uns denkenden Prinzips bedienen sollte. Nimmt man auch nur den geringsten Grund zur Bewegung an, so wird es den beseelten Körper nicht an dem Nötigen fehlen, sich zu bewegen, zu fühlen, zu denken, zu bereuen und sich mit einem Worte in der physischen Welt so wie in der davon abhängenden moralischen angemessen zu benehmen. - Julien Offray de La Mettrie, Der Mensch eine Maschine. In: Künstliche Menschen. Hg. Klaus Völker. Frankfurt am Main 1994 (st 2293)

Seele (29)  Die Seele ist ein Seelenschiff, das nicht überladen, überlastet werden darf.  Je weniger Ballast geladen wird, desto früher kommt es zum Ruhehafen. Anker tief lichten.  Der Geist ist der Kapitän, der wachsam, den Blick geradeaus, aufpassen muß. Stranden oder landen?  S O S so oder so.  Salon oder Saustall machen aus dem Leben.

Seelenschiff des Friedrich Schröder Sonnenstern

- Friedrich Schröder Sonnenstern, Trostlied für Aus- und Angebombte. Hg. Gerhard Jaschke. Wien 1981

Seele (30)

Seele (31)

Meine Insekten-Seele,
einer elend-scheußlichen Ameise gleich,
krabbelt sie nächtelang
am Fuß der Mauern
in gewunder Gangart.

Als sie die Türe öffnete, fand sie mich tot.
(doch meine Träume leben weiter).

- N.M. Rashed, nach (loe2)

Seele (32)  Er weigerte sich, an Lenas Grab das Kaddischgebet zu sprechen. Warum sollte er Riten befolgen, an die er nicht glaubte? Welchen Sinn hatte es, zu einem ewig schweigenden Gott zu beten, dessen Ziele nicht zu erkennen waren, ebensowenig wie seine Existenz? Selbst wenn Mark je geglaubt hätte, daß der Mensch eine Seele habe, so hatte ihn Lenas Tod davon überzeugt, daß dies absurd war. Lenas Körper zerfiel, zusammen mit ihrer sogenannten Seele. Während ihrer ganzen Krankheit hatte sie nicht ein Wort geäußert, aus dem zu erkennen gewesen wäre, daß sie bald einer anderen Sphäre angehören würde. Also gut, und was würde Lenas Seele tun, selbst wenn sie überlebte? Wieder Modezeitschriften lesen? Die Marszalkowska Straße herunterbummeln und Schaufenster anschauen? Andererseits, würde sich Lenas Seele verändert haben und nicht mehr die sein, die sie auf Erden gewesen war, dann wäre es eben nicht mehr Lenas Seele!... Mark Meitels hatte viel von dem polnischen Medium Kluski gehört, bei dessen spiritistischen Sitzungen die Toten angeblich die Abdrücke ihrer Hände in einer Schüssel mir Paraffin hinterließen. Er hatte die Aufsätze des polnischen Okkultisten Professor Ochorowicz gelesen, wie auch die von Conan Doyle, Barrett, Sir Oliver Lodge und Flammarion. Es hatte Augenblicke gegeben, wo er gedacht hatte: vielleicht, warum nicht? Schließlich und endlich, was wissen wir von der Natur und ihren Geheimnissen? Aber Lenas Krankheit hatte all seine Illusionen fortgewischt. Nach ihrem Tode blieb nichts als eine große Leere und das Gefühl völliger Nichtigkeit. Es gab keinen, noch konnte es einen grundlegenden Unterschied zwischen Lena und den Hühnchen geben, die man für sie zubereitet, und die man am nächsten Tag in den Abfall geworfen hatte.  - Isaac Bashevis Singer, Die Hexe. In: I.B.S., Leidenschaften. Geschichten aus der neuen und der alten Welt. München 1993. (zuerst 1975)

Seele (33) Die menschliche Seele teilt Pythagoras in drei Teile: Vernunft, Verstand, Mut. Vernunft und Mut finde sich auch in den übrigen lebenden Wesen, Verstand aber nur beim Menschen. Es erstrecke sich aber das Reich der Seele vom Herzen bis zum Gehirn, und der dem Herzen zugehörige Teil derselben sei der Mut, während Verstand und Vernunft ihren Sitz im Gehirn hätten; die Sinne seien Tropfen von diesen (letzteren). Der Verstand sei unsterblich, das übrige sterblich. Ihre Nahrung erhalte die Seele vom Blute; ihre inneren Verhältnismäßigkeiten seien Windhauche. Sie selbst wie auch ihre Verhältnismäßigkeiten seien unsichtbar, da auch der Äther unsichtbar ist. Bänder der Seele seien die Adern und die Arterien und die Sehnen. Wenn sie aber bei Kraft und ruhig mit sich selbst beschäftigt sei, dann gäben ihr ihre Worte und ihre Werke den festen Halt. Aus ihrem Gefüge herausgerissen aber schweife sie über die Erde hin in der Luft, dem Körper ähnlich. Hermes aber sei der Hüter der Seelen, weshalb er denn Geleiter genannt werde und Torwächter und Unterirdischer, da er die vom Leibe geschiedenen Seelen von Land und Meer nach ihrem Bestimmungsort bringt, und zwar würden die reinen Seelen nach dem höchsten Platze gebracht, die unreinen dagegen dürften sich weder jenen nähern noch auch einander, sondern würden in unlösbaren Fesseln von den Erinnyen festgehalten. Das ganze Luftreich sei voll von Seelen, und diese seien es, die man Dämonen und Heroen nenne. - (diol)

Seele (34), die - Bohrung des Gewehrlaufes.    - (weid)

Seele (35)

Darstellung der Seele
als präzise zugeschnittene Reihe von Vermögen

- Aus: Gregor Reisch, Margarita philosophica nova (1512)

Seele (36)  In Wahrheyth hatte Bellaugh nie nicht geglaupet, eine Seel zu besitzen, doch itzo fühlte er, wie sie sich blähte im Innern des Bauches, daß er sie aus dem Hintern mußte herausfahren lassen, so er nicht wollte zerrissen werdten. Was sonst war dann all diese Lufft, wenn nicht seyne verflixte Seel? Sie wars, die ihm all das forchtbare Ohngemach im Dunkel der Nacht bereythete, und gleych darauf fuhr sie ihm hinten heraus und brauste dabey alswie eine Fanfaren im Zimmer.

Aus welchem Grundt die Seel gar so viel Getös mußt machen, war nicht zu verstehen. Vielleicht waren nicht alle Seelen gleych und nicht alle blähten sich so und suchten sich ein derart weyth unten gelagertes Loch, um in die Welt hinauszufahren. So mann die Lufftthöne nahm, die danach noch herauspfoffen, hätt mann der Meynung seyn können, daß seyne Seel gar ohngeduldtig war und von heytherer Art.  - Luigi Malerba, Pataffio. Berlin 1988

Seele (37)

Seele (38)  in seinem Inneren hörte er eine Art Gurgeln, das ihn immer unsicher machte. Dieses innerere Gurgeln mußte seine unsichere, zittrige Seele sein, wie er in sein Tagebuch schrieb: »Vielleicht ist die Seele so etwas wie das Wasser, das Wirbel bildet, wenn es an eine enge Stelle kommt, und wenn es dann ein Loch findet, fängt es an zu gurgeln. Vielleicht machen es die Gedanken genauso, wenn sie in das Loch der Seele fallen, das heißt hineinstürzen, und man kann sie nicht mehr zurückhalten, und nachher steigt ein Gurgeln hoch.« Aber als er mit seinem Freund darüber sprach, merkte er, daß ihn der andere nicht verstand, denn er antwortete ihm so: »Nein, nein, ich höre die Seele als Pfiff. Meine Seele pfeift, und dann kommt mir das Gesicht von Cathérine in den Sinn, und ich kann mich nicht mehr ruhig halten, ich würde alles tun, um sie sofort wiederzusehen und zu umarmen. Also, das ist der Pfiff der Seele, der mich immer zu Cathérine führt.« - Gianni Celati, Die Novelle von den zwei Studenten. In: G. C., Cinema naturale. Berlin 2001

Seele (39)  Die Seele, sagen sie, bestehe aus acht Teilen, und zwar seien diese Teile die fünf Sinne, das Sprechorgan, das Denkvermögen, das der Verstand selbst ist, und das Zeugungsvermögen. Eine Folge aber der irrigen Meinungen sei die Geistesverwirrung, aus der zahlreiche Leidenschaften hervorsprossen und Anlässe zum, Hin- und Herschwanken. Es ist aber nach Zenon die Leidenschaft selbst entweder eine unvernünftige und naturwidrige Bewegung der Seele oder ein das Maß überschreitender Trieb. Die oberste Stellung unter den Leidenschaften nehmen, wie Hekaton im zweiten Buch Von den Leidenschaften und Zenon in seiner Schrift über die Leidenschaften sagen, vier Gattungen ein: Schmerz, Furcht, Begierde, Lust. Ihrer Meinung zufolge sind aber die Leidenschaften nichts anderes als Urteile, wie Chrysipp in dem Buch über die Leidenschaften sagt. Denn die Geldgier ist eine Annahme des Verstandes, der gemäß man das Geld für etwas Schönes hält und ähnlich die Trunksucht und die Zügellosigkeit und die andern Leidenschaften.  - Stoiker, nach (diol)

Seele (40)  Die Invention der Seele durch den Menschen, ein Gedanke, der jedesmal auftaucht, wenn man den Körper als Parasiten empfindet, als Wurm, der am Ich klebt. Sobald man sich leben fühlt (und Leben nicht als etwas bloß Hingenommenes, als gut-daß-es-das-gibt), wird mit einemmal der nächste und liebste Teil des Körpers, wie zum Beispiel die rechte Hand, zu einem Gegenstand, der auf abstoßende Weise seine zweifache Beschaffenheit verrät - nicht ich zu sein und mir dennoch anzuhängen.

Ich löffle meine Suppe. Nach einer Weile, wenn ich mitten in einer Lektüre bin, denke ich: »Die Suppe ist in mir, ich hab sie in dieser Tasche, die ich nie zu sehen kriegen werde, in meinem Magen.« Mit zwei Fingern taste ich mich ab und fühle etwas Dickes, das Hin- und Herschlingern des Essens hier drin. Das bin ich, ein mit Essen gefüllter Sack. Nun wird die Seele geboren: »Nein, das bin ich nicht.« Aber ja (seien wir wenigstens dieses eine Mal ehrlich) ja, das bin ich. Mit einer hübschen kleinen Ausflucht zum Hausgebrauch für Zartbesaitete: »Ich bin auch das.« Oder eine kleine Stufe höher: »Ich bin dann.« Ich lese The Waves, diese Spitzenborte aus Asche, Märchen aus   Schaum.   Etwa  dreißig   Zentimeter  unterhalb   meiner Augen bewegt sich in meiner Magentasche langsam eine Suppe, ein Haar wächst auf meinem Schenkel, eine Talgzyste entsteht unmerklich auf meinem Rücken. - (ray)

Seele (41)  Die Seele kann nur unter zwei Gesichtspunkten, — als aktives und als denkendes Prinzip, — betrachtet werden, und nach beiden Seiten hin wollen wir durch zwei unwiderlegliche Syllogismen nachweisen, daß sie Materie ist:

1. Als aktives Prinzip ist sie teilbar, denn das Herz bewahrt seine Bewegung noch lange nach seiner Trennung vom Körper. Nun alles was teilbar ist, ist auch Materie; folglich ist das aktive Prinzip Materie.

2. Alles was wächst und vergeht ist Materie. Nun folgt aber die Seele den Eindrücken des Körpers, sie ist zart im zarten Alter und schwach im Greisenalter. Sie wächst also und vergeht und ist daher Materie.

Wiederholen wir nochmals und immer wieder: Es gibt nichts, das beweist, daß das Denken von der Materie unabhängig ist oder daß die entwickelte Materie nicht denken könnte. Und das ist unendlich leichter zu begreifen wie die Existenz eines Gottes. Wenn aber diese Seele wirklich das Werk Gottes wäre, warum unterläge sie dann allen Veränderungen und Unfällen des Körpers? Diese Seele müßte doch dann vollkommen und schon im Embryo ausgebildet sein, so daß Cicero schon in der Wiege seine Tusculanes und Voltaire als Säugling ,Alzire' hätte dichten können. Da dies aber nicht der Fall ist, und die Seele wächst und sich kräftigt, muß man annehmen, daß sie aus Teilen besteht. Alles aber, was Teile hat, ist Materie, und wir müssen einsehen, daß die Seele unmöglich ohne Körper und der Körper unmöglich ohne Seele bestehen kann.  - (just)

Seele (42)  Ihrer Lehre nach ist die Natur ein künstlerisches Feuer, das sich planvoll dem Werke der Erzeugung widmet; es ist ein feuriger, der Kunst verwandter Hauch. Die Seele aber ist zu sinnlicher Wahrnehmung angelegt; sie ist der uns angeborene Geisteshauch; daher sei sie auch Körper und dauere nach dem Tode fort; doch sei sie vergänglich, wogegen die Weltseele, deren Teile die Seelen der lebenden Einzelwesen sind, unvergänglich ist. Zenon von Kition und Antipater in den Büchern von der Seele und Poseidonios nennen die Seele einen warmen Hauch, denn durch sie erhielten wir das Vermögen zum Atmen und zur Bewegung. Kleanthes behauptet das Fortdauern aller Seelen bis zum Weltbrand, Chrysipp läßt nur die Seelen der Weisen bis dahin leben. Teile der Seele unterscheiden sie acht, nämlich die fünf Sinne, die uns innewohnenden erzeugenden Seelenkräfte, das Stimmorgan und die Denkkraft. Sie sehe, wenn das zwischen dem Gesicht und dem betreffenden Gegenstand befindliche Licht sich kegelförmig dehne, wie Chrysipp im zweiten Buche der Physik und Apollodor sagen. Die Spitze des Luftkegels befinde sich unmittelbar am Auge, die Grundfläche dagegen am gesehenen Gegenstand; wie durch einen Meldestab nun würde durch die ausgestreckte Luft das Geschaute zur Anzeige gebracht.  - Stoiker, nach (diol)

Seele (43)   Im Platonismus ist allein die Seele das wahrnehmende und handelnde Subjekt und der Träger aller Lebensfunktionen, der Körper ist nichts als ein Instrument, das der Seele zeitweise zur Verfügung steht. Die Seele ist unsterblich und existiert sowohl vor der Entstehung des Körpers als auch nach dessen Tod. Gott habe alle menschlichen Seelen zugleich erschaffen. Jede dieser Seelen sei die Verwirklichung einer göttlichen Idee und befand sich ursprünglich in einem idealen Zustand. Ihre vorgeburtliche Existenz bestand nur aus Denken. Indem sich eine Seele verkörpere, komme zum denkenden auch ein fühlendes und ein wollendes Prinzip hinzu, so dass die Seele des verkörperten Menschen quasi aus drei Teilen bestehe. Nur der denkende Teil jedoch sei unsterblich, während die beiden anderen Teile der Seele mitsamt dem Körper vergänglich seien. Die inkarnierte Seele besitze eine Möglichkeit der Erinnerung an ihre vorgeburtliche Existenz: wenn ein Mensch etwas lerne, erinnere sich in Wahrheit seine Seele an Wissen aus der Ideenwelt (Anamnesis).  - Wikipedia

Seele (44)   Da Hermes gesagt hat, daß nur die Seele das Mittel ist, das den Geist mit dem Körper vereingt, hat er nicht Unrecht gehabt, da der Sulfur diese Seele ist und wie ein Feuer alle Dinge reif macht und auskocht. So kann er auch den Geist mit dem Körper verbinden und sie miteinander leiblich machen und vereinigen, so daß daraus ein gar edler Körper wird. Der gewöhnliche verbrennbare Sulfur soll nicht für die Selee der Metalle gehalten werden, sondern die Seele ist ein Ding und kein verbrennbarer oder zerstörbarer Körper. Sie ist selbst ein Feuer, daher kann kein Feuer sie verbrennen. Sie ist fürwahr nichts anderes als die Quinta Essentia des Sulfur, welche aus dem reverberierten Sulfur mit Weingeist ausgezogen wird und die rot und durchsichtig wie ein Rubin erscheint. Sie ist ein sehr großes und herrliches Arcanum, weil sie die weißen Metalle verwandeln kann und auch den Mercurius vivus zu beständigem Gold koagulieren kann. Dies soll dir als ein großer Schatz, um reich zu werden, empfohlen sein und du sollst dir an dieser einen Verwandlung der Metalle genügen lassen. - (par)

Seele (45)  Die ersten Philosophen, gleich ob Ägypter oder Chaldäer, sprachen: »Notwendig muß ein Ding in uns sein, das unsere Gedanken hervorbringt; dies Ding muß sehr fein sein: es ist ein Hauch, ein Feuer, Luft, ein fünftes Element, es ist ein Schein, eine Entelechie, eine Zahl, gewiß eine Harmonie.« Nach dem göttlichen Platon schließlich ist es ein Gebilde aus dem Selbst und dem Andern. »Atome sind es, die in uns denken«, sprach Epikur nach Demokrit. Aber mein Freund, wie denkt ein Atom? gesteh, du weißt es nicht.  - Voltaire, Philosophisches Wörterbuch, nach (vol)

Seele (46)  Dieser sagt, die Seele des Menschen sei Teil vom Wesen Gottes selber; jener meint, sie sei Teil vom großen Ganzen; ein dritter, sie sei von Ewigkeit an geschaffen; ein vierter, sie sei gemacht und nicht geschaffen; andere versichern, Gott bilde sie, je nachdem man welche brauche, und sie träfen im Augenblick der Zeugung ein. »Sie verfügen sich m die Samentierchen«, schreit dieser. »Nein«, sagt jener, »sie nehmen ihre Behausung im Eileiter.« - »Ihr irrt allesamt«, spricht einer, der hinzukommt, »die Seele wartet sechs Wochen, bis die Leibesfrucht sich gebildet; sodann ergreift sie Besitz von der Zirbeldrüse; findet sie jedoch einen falschen Keim, so kehrt sie zurück und wartet auf eine bessere Gelegenheit.« Die neueste Meinung besagt, ihr Sitz sei im Hirnmark: diesen Platz weist La Peyronie ihr zu; man mußte gewiß Erster Chirurg des Königs von Frankreich sein, um solcherart über die Wohnung der Seele zu verfügen. Indessen hat sein Hirnmark nicht ebensolches Vermögen gemacht wie damals jener Chirurg.

Der heilige Thomas sagt in seiner fünfundsiebzigsten Erörterung und in den darauffolgenden, die Seele sei ein Gebilde subsistante per se und sei alles in allem, ihr Wesen unterscheide sich von ihrer Kraft; es gebe drei stoffliche Seelen, nämlich die nährende, die wachsende, die zeugende; die Erinnerung an die geistigen Dinge sei geistig, und die Erinnerung an die leiblichen sei leiblich; die vernünftige Seele sei ein Gebilde »geistig m der Handlung und leiblich im Wesen«. Der heilige Thomas hat zweitausend Seiten voll dieser Kraft und Klarheit geschrieben und ist darum der Engel der Scholastik.

Nicht weniger Systeme hat man um die Frage errichtet, wie diese Seele fühlt, wenn sie ihren Leib verlassen hat, mit dem sie fühlte; wie sie ohne Ohren hört, ohne Nase riecht, ohne Hände berührt; sodann welchen Leib sie einst bewohnen wird: ob jenen, den sie mit zwanzig Jahren bewohnte oder mit achtzig; welcherart das Ich, die Übereinstimmung des Einzelnen, fortbestehen soll; welcherart die Seele eines Menschen, der mit fünfzehn Jahren schwachsinnig ward und mit siebzig starb, den Faden seiner Gedanken dort anknüpfen soll, wo dieser im Jünglingsalter riß; durch welchen Kniff eine Seele, deren Bein in Europa weggeschnitten ward und deren linker Arm in Amerika verlorenging, beides wiederfinden soll, was doch längst zu Gemüse verwandelt worden und seitdem in das Blut irgendeines anderen Lebewesens eingegangen.  - Voltaire, Philosophisches Wörterbuch, nach (vol)

Seele (47)  »Die Seele ist unsterblich!« sagte der eine.

»Keineswegs!« erwiderte der andere, »der Wahnsinn, das Chloroform, ein Aderlaß werfen sie um, und da sie nicht immer denkt, ist sie keineswegs eine Substanz, die aus reinem Geist besteht.«

»Jedoch«, wandte Pécuchet ein, »habe ich etwas in mir, das meinem Körper überlegen ist und zuweilen sich ihm widersetzt.«

»Ein Wesen im Wesen? Der bomo dtiplex? Geh mir doch damit! Unterschiedlich gerichtete Bestrebungen zeigen entgegengesetzte Motive an. Das ist alles.«

»Allein dieses Etwas, diese Seele bleibt die gleiche trotz aller Veränderungen des Äußeren. Also ist sie einfach, unteilbar und folglich rein geistiger Natur.«

»Wenn die Seele einfach wäre«, entgegnete Bouvard, »müßte der Neugeborene Erinnerungen und Vorstellungen haben wie der Erwachsene. Statt dessen bildet sich die Denkfähigkeit erst mit der Entwicklung des Gehirns aus. Und was die Unteilbarkeit anbetrifft, so läßt sich der Duft einer Rose oder der Hunger eines Wolfs ebensowenig in zwei Teile zerlegen wie eine Willensäußerung oder eine Behauptung.«

»Das ändert nichts an der Tatsache«, sagte Pécuchet, »daß die Seele frei ist von den Eigenschaften der Materie!«

»Glaubst du an das Gesetz der Schwerkraft?« erwiderte Bouvard. »Wenn also die Materie fallen kann, dann kann sie auch denken. Da unsere Seele einen Anfang hat, muß sie auch ein Ende haben, und da sie von den Organen abhängig ist, mit ihnen verschwinden

»Ich meinerseits behaupte, daß sie unsterblich ist! Gott kann nicht wollen . ..«

»Aber wenn Gott gar nicht existiert?«

»Wie?« Und Pécuchet zitierte die drei Teile des cartesianischen Gottesbeweises: »Primo, Gott ist einbegriffen in der Vorstellung, die wir von ihm haben; secundo, seine Existenz ist möglich; tertio, wie könnte ich als endliches Wesen eine Vorstellung vom Unendlichen haben? - Und da wir diese Vorstellung haben, so kommt sie uns von Gott, also existiert Gott!«  - (bouv)

Seele (48)  

El alma que sufrio de ser su cuerpo

Tu sufres de una glándula endocrínica, se ve,
o, quiza,
sufres de mí, de m! sagacidad escueta, tácita.
Tu padeces del diáfano antropoide, allá, cerca,
donde está Ia tiniebla tenebrosa.
Tu das vuelta al sol, agarrándote el alma,
extendiendo tus juanes corporales
y ajustándote el cuello; eso se ve.
Tú sabes lo que te duele,
lo que te salta al anca,
lo que baja por ti con soga al suelo.
Tu, pobre hombre, vives; no lo niegues,
si mueres; no lo niegues,
si mueres de tu edad ! ay! y de tu época.
Y, aunque llores, bebes,
y, aunque sangres, alimentas a tu híbrido colmillo,
a tu vela tristona y a tus partes.
Tú sufres, tú padeces y tú vuelves a sufrir horriblemente,
desgraciado mono,
jovencito de Darwin,
alguacil que me atisbas, atrocisimo microblo.
Y tú lo sabes a tal punto,
que lo ignoras, soltandote a llorar.
Tú, luego, has nacido; eso
tambien se ve de lejos, infeliz y cállate,
y soportas la calle que te dió la suerte
a tu ombügo interrogas: dónde? cómo?
Amigo mio, estás completamente,
hasta el pelo, en el año treinta y ocho,
nicolás o Santiago, tal o cual,
estés contigo o con tu aborto o conmigo
y cautivo en tu enorme libertad,
arrastrado por tu hércules autónomo ...
Pero si tu calculas en tus dedos hasta dos,
es peor; no lo niegues, hermanito.

Que no? Que si, pero que no?
Pobre mono! .,. Dame la pata! ... No. La mano, he dicho.

SaIud! Y sufre!

Die Seele, die es leid war, Körper zu sein

Du leidest unter der Zirbeldrüse, das liegt auf der Hand,
oder am Ende
leidest du unter mir, meiner nackten und stummen Weisheit.
An dem durchsichtigen Menschenaffen leidest du, der dir im Nacken
sitzt, dort in der finsteren Finsternis.
Du fährst um die Sonne und hältst deine Seele fest,
hältst deine Handschuhhalter ans Licht
und zupfst dich damit am Kragen; das liegt auf der Hand.
Du weißt, was dir weh tut,
was dir im Nacken sitzt,
was deinetwegen zu Boden sinkt mit einem Strick.
Du lebst, armer Mensch; leugne es nicht,
wenn du stirbst; leugne es nicht,
wenn du an deinem Alter, ach, und an deinem Zeitalter stirbst.
Und wenn du auch weinst, trinkst du,
und wenn du auch blutest, so fütterst du doch deinen  Bastard-Hauer,
deine trübsinnige Nachtwache und deine Körperteile.
Du leidest, du liegst darnieder und leidest schrecklich von neuem,
unglücklicher Affe,
Darwins halbwüchsiger Sohn,
der mir auflauert, Spitzel, monströser Bazillus.
Und du weißt es derart genau,
daß du in Tränen ausbrichst vor Unwissenheit.
Du bist mithin geboren; das
liegt ebenfalls klar auf der Hand (schweig, Unglückswurm!),
und du erduldest den Weg, den dir das Verhängnis wies
und befragst deinen Nabel: wohin? und wie?
Mein Freund, du steckst ganz und gar und bis
über beide Ohren im Jahr aditunddreißig,
als Klaus oder Jakob, als der oder jener,
du bist bei dir, oder bei deiner Fehlgeburt, oder bei mir,
und gefangen in deiner maßlosen Freiheit,
und dein eingeborener Herkules schleift dich mit...
Wenn du jedoch bis zwei zählen kannst an deinen Fingern,
um so schlimmer; Brüderchen, leugne es nicht.

Hab ich nicht recht? Oder doch?
Oder doch nicht? Armer Affe!... Gib Pfötchen! ... Verzeihung. Ich     meine die Hand.
Leb wohl! Und leide!

- César Vallejo, Gedichte. Frankfurt am Main 1963  (zuerst 1939)

Seele (49) Die Seele, erklärte  Platon, sei unsterblich und umkleide sich nacheinander mit einer ganzen Reihe verschiedener Leiber; ihr Ursprung gehe zurück auf die Zahl, wie der des Körpers auf geometrische Raumfiguren. Er definierte sie als Idee des nach allen Seiten sich zerteilenden Lebenshauches, sprach ihr Selbstbewegung zu und erklärte sie für dreiteilig: ihr vernünftiger Teil habe seinen Sitz im Haupt, der mutvolle Teil im Herzen und der begehrliche Teil in der Gegend des Nabels und der Leber. Sie umschließe von der Mitte aus ringsum allseitig den Körper, setze sich aus den Elementen zusammen und bilde, nach harmonischen Intervallen geteilt, zwei ineinandergefügte Kreise, von denen der innere, sechsfach geteilt, im ganzen sieben Kreise bilde, und dieser liege dem Durchmesser nach zur linken Seite nach innen zu, der andere nach der Seite rechts hin. Darum komme ihm auch die Herrschaft zu, da er nur einer sei, während der andere nach innen zu geteilt sei. Der erste-re sei der Kreis des Selbigen, die letzteren die Kreise des anderen; der erstere, erklärte er, sei die Bewegung der Seele, durch die letzteren würde sowohl das Ganze wie auch die darin befindlichen Planeten bewegt. So von der Mitte aus bis zu den Enden hin nach harmonischen Verhältnissen geteilt, erkenne die Seele das Seiende und stehe mit allem in Einklang, da sie in sich die harmonisch geordneten Elemente habe. Meinung bilde sich nach Maßgabe des Kreises des anderen, wenn dieses sich in richtiger Verfassung befinde, Wissen aber nach dem des Selbigen.  - (diol)

Seele (50)

Ein Wort über die Seele

Eine Seele hat man.
Keiner hat sie
unentwegt und für immer.

Tag für Tag,
Jahr um Jahr
kann ohne sie vergehen.

Manchmal nur nistet sie sich
in den Entzückungen und Ängsten der Kindheit
für länger ein.
Manchmal nur im Staunen darüber,
daß wir alt sind.

Sie assistiert uns selten       ^
bei mühsamen Tätigkeiten,
wie Möbelrücken,
Kofferschleppen
oder beim Fußmarsch in engen Schuhen.

Beim Ausfüllen von Fragebogen
und beim Fleischhacken
hat sie in der Regel frei.

Von unseren tausend Gesprächen
beteiligt sie sich an einem,
und auch das nicht unbedingt,
lieber schweigt sie.

Wenn unser Körper zu schmerzen beginnt,
macht sie sich heimlich davon.

Sie ist wählerisch:
Ungern sieht sie uns in der Masse,
unser Kampf um Überlegenheit und der Lärm der Interessen
widern sie an.

Freude und Trauer
sind ihr nicht verschiedene Gefühle.
Nur in ihrer Verbindung
ist sie zugegen.

Wir können auf sie zählen,
wenn wir ganz unsicher sind,
und neugierig auf alles.

Unter den materiellen Dingen
mag sie die Pendeluhren
und Spiegel, die emsig arbeiten,
selbst wenn niemand zusieht.

Sie sagt nicht, woher sie kommt
und wann sie uns wieder entschwindet,
doch ausdrücklich erwartet sie solche Fragen.

Es sieht so aus,
daß so, wie wir sie,
auch sie uns
zu irgend etwas braucht.

- Wislawa Szymborska, Der Augenblick. Frankfurt am Main 2002

Seele (51)  Ganz absonderlich scheint nun, daß in den Gesetzen des auserwählten Volkes kein Wort zur Geistigkeit und Unsterblichkeit der Seele vernehmbar wird: nichts in den Zehn Geboten, nichts im Leviticus, nichts im Deuteronomium.

Es ist gewiß, ja unzweifelhaft, daß Mose den Juden nirgendwo Lohn oder Strafe in einem ändern Leben verheißt, daß er ihnen niemals von der Unsterblichkeit ihrer Seelen redet, daß er sie nicht auf den Himmel hoffen, die Hölle nicht fürchten läßt: alles ist irdisch.

Er sagt ihnen vor seinem Tod im Deuteronomium:

»So ihr Kinder und Enkel gezeugt habt und vergesset eure Pflichten, sollt ihr ausgerottet sein im Lande und eure Zahl klein werden unter den Völkern.

Ich bin ein eifriger Gott zu strafen die Sünden der Väter bis ins dritte und vierte Glied.

Ehret Vater und Mutter, auf daß ihr lange lebet.

Genug sollt ihr zu essen haben und sollt nie Mangel leiden.

So ihr den fremden Göttern huldigt, sollt ihr ausgerottet sein . ..

So ihr gehorsam seid, sollt ihr Regen im Lenz haben, im Herbst aber Weizen, Öl, Wein, dazu Heu für euer Vieh, auf daß ihr esset und satt werdet.

Bewahrt   solche   Worte   in   euren   Herzen,   Händen und Augen; schreibt sie an eure Türen, auf daß eure Tage zunehmen.

Tut, was ich euch gebiete, ohne daß ihr's mehrt noch mindert.

So ein Prophet aufsteht und sagt Wunderdinge und seine Prophezeiung ist wahr, und spricht ein solcher zu euch: >Auf, laßt uns den fremden Göttern folgern, so tötet ihn im Nu, und alles Volk erschlage ihn nach euch.

So der Herr die Völker in eure Hand gegeben, würgt alles und schont niemanden, und erbarmt euch keines einzigen.

Unreine Vögel, wie den Adler, den Greif, den Ixion, sollt ihr nicht essen.

Unter den Tieren sollt ihr nicht essen, was da wiederkäut und die Klauen nicht spaltet, wie Kamel, Hase, Stachelschwein, und desgleichen.

So ihr all diese Gebote haltet, sollt ihr gesegnet sein in der Stadt und auf den Feldern, und sollen gesegnet sein die Früchte eures Leibes, eures Ackers, eures Viehs . . .

So ihr aber nicht haltet all diese Gebote und Feiern, sollt ihr verflucht sein in der Stadt und auf den Feldern . . . und sollt Hunger und Armut leiden, daß ihr sterbet in Elend, Kälte, Armut und Fieber, und sollt haben Grind und Geschwür, dazu Eiterbeulen an Knien und Waden.

Der Fremde soll euch auf Wucher leihen, und ihr ihm nicht. . . habt ihr doch dem Herrn nicht gedient.

Und sollt die Frucht eures Leibes essen und das Fleisch eures Sohnes und eurer Tochter«, und so fort.

Es liegt zutage, daß alle diese Verheißungen und Drohungen ganz allein Irdisches nennen und daß man zur Unsterblichkeit der Seele und zum künftigen Leben kein einziges Wort findet.  - Voltaire, Philosophisches Wörterbuch, nach (vol)

Seele (52)  

Dieselben, die Seele Vatter Ubus (aus den Abgründen auftauchend).

Die Seele Vatter Ubus: Ich habe Euch gehört, Mutter Ubu! Hier haben die Wände Ohnen. Meine Wamme ist der edelste Teil meines Körpers, das Haupt meines Körpers hat Ohnen, also hat meine Wamme, die diesen Raum umschließt, Ohnen. Und nach Platons Unterscheidung von drei Seelen, was für unseren Umfang nicht zu viel ist, bin ich die Seele der Wamme!

Mutter Ubu: Gnade, Herr Ubu.

Vatter Ubu: Wir glauben, daß wir Hahnrei sind, voll gültig, trotz der Unwahrscheinlichkeit, in Anbetracht unserer Reize. Wir sind Vater eines hübschen Vögleins, Hornzackwamme! Er kommt uns vorsteinzeitlich vor, eine Kreuzung von Vampir und Archaeopteryx, ein Fischvogel, mit manchen Eigenschaften der Flatterfüßler, Bastardhasen, Flossenflügler, Dickhäuter und Borstentiere! Wir bedauern fast, ihn nicht selbst gezeugt zu haben. Es freut uns aber ungemein, daß er so, wie er auf seinem Gesäß sitzen, auch durch die Lüfte sausen kann.

(Die Seele Vatter Ubus verfolgt Mutter Ubu, ihr den Archaeopteryx nachschleudernd bis sie in die Versenkung plumpst.)

 - Alfred Jarry, Ubu Hahnrei oder Der Archaeopteryx. In: A. J. Ubu. Stücke und Schriften. Frankfurt am Main 1987 (2. Fassung 1897)

Seele (53)  Die Tiere wollen die Seele des Menschen nicht, sie verabscheuen sie, sie ist ihnen zu gedunsen und zu häßlich. Sie ziehen ihre anmutige Armut vor und weit lieber als von Menschen lassen sie sich von Tieren fressen.  - Elias Canetti, nach: Peter Hamm, Nachwort zu (arc)

Seele (54)

 Seele (55)  Ich mußte an die Seele denken, die ich als Kind mir wie eine Maus vorzustellen pflegte: Wenn man ganz still und verloren im Zimmer sitzt, sieht man sie plötzlich aus dem Dunkel ihrer Höhle huschen, sehr vertraut, lange bekannt, und doch fremd, unheimlich, ja etwas abstoßend zugleich. Aber wie man im Zimmer überrascht, neugierig und ein wenig erschreckt, mit äußerster Schärfe diesen kleinen, grauhuschenden Schatten ins Auge faßt und kaum zu atmen wagt, so ist man gespannt wie der Jäger und geängstigt wie das Wild überall, wo die Seele für einen kurzen Augenblick im Zwielicht sich aus ihren Dickichten wagt.  - (ej)


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