Nun aber, wenn sie sich paaren und das Männchen
grade dabei ist und den Samen ausstößt,
packt das Weibchen es am
Hals und beißt sich fest und läßt nicht los, bis es ihn durchgebissen hat.
Das Männchen stirbt also auf die besagte Art,
das Weibchen aber hat Buße zu zahlen für das Männchen,
und zwar so: Die Kinder rächen ihren Vater
noch im Mutterleib und beißen sich durch die Mutter, und wenn sie sich
durchgefressen haben durch ihren Leib, haben sie so ihren Ausschlupf. -
(
hero
)
Rache
(2) Artaxerxes mit dem
Beinamen Ochos soll durch die Nachstellungen des Eunuchen Bagoas,
der ein Ägypter war, getötet, in Stücke geschnitten und den Katzen
vorgeworfen worden sein. An seiner Stelle wurde ein anderer begraben und
in der königlichen Gruft beigesetzt.
Doch Bagoas genügte es nicht, Ochos getötet zu haben, er machte
auch aus seinen Schenkelknochen Dolchgriffe, wodurch er seine Mordlust
zeigte. Er haßte Ochos, weil der bei seinem Aufenthalt in Ägypten ebenfalls,
wie früher schon Kambyses, den Apisstier
getötet hatte. - (
ael
)
Rache
(3) Der Charakter von Lope
de Aguirre wird am besten illustriert mit einer Anekdote aus der Chronik
des Garcilaso de la Vega, der berichtet, Aguirre habe 1548 einem
Zug Soldaten angehört, der indianische Sklaven von den Minen bei Potosi
[Bolivien] zu einem Depot der Krone eskortierte. Die Indianer waren mit
unzulässig großen Mengen Silber beladen. Aguirre wurde von der örtlichen
Behörde wegen Unterdrückung der Indianer verhaftet und statt zu einer Geldbuße
zu 200 Peitschenschlägen verurteilt. »Als der Soldat Aguirre davon erfuhr,
beschwor er den Alkalden, die Hiebe seien für ihn gleichbedeutend mit dem
Tod, da er von edler Geburt sei ... All das beeindruckte den Alkalden nicht,
der anordnete, ein Lasttier zu holen und das Urteil zu vollstrecken. Das
Tier wurde zum Gefängnis gebracht und Aguirre darauf festgebunden ... Das
Tier wurde angetrieben, und Aguirre erhielt seine Peitschenschlage ...
«Nachdem man ihn losgebunden hatte, bekundete Aguirre seine Absicht, den
Alkalden Esquivel, der ihn verurteilt hatte, zu töten. Esquivels Amtszeit
lief aus, und er floh ins 960 Meilen entfernte Lima. Doch innerhalb von
15 Tagen hatte ihn Aguirre dort aufgespürt. Der verängstigte Richter ging
nach Quito, weitere 1200 Meilen entfernt, doch 20 Tage später war Aguirre
dort.
»Als Esquivel von Aguirres Ankunft erfuhr«, so Garcilaso, »legte er noch einmal 1500 Meilen zurück und ging nach Cuzco; aber nach wenigen Tagen war auch Aguirre dort. Er hatte die Strecke ohne Schuhe zu Fuß zurück-gelegt, weil ein ausgepeitschter Mann, wie er sagte, nichts auf einem Pferd zu suchten hat und sich auch nicht dort aufhalten kann, wo andere seiner ansichtig werden können. Auf diese Weise verfolgte Aguirre seinen Richter drei Jahre und vier Monate.« Der Jagd müde, blieb Esquivel schließlich in Cuzco, denn die Stadt war unter einem so strengen Regiment, daß er glaubte, dort vor Aguirre sicher zu sein. Er nahm sich ein Haus in der Nähe der Kathedrale und wagte sich nie ohne Schwert und Dolch nach draußen.
»Doch an einem Montag betrat Aguirre gegen Mittag das Haus, durchquerte
den Flur, ein Wohnzimmer und kam in ein Hinterzimmer, wo der Richter seine
Bücher auf bewahrte. Dort fand er Esquivel, eingeschlafen über einem Buch,
und erstach ihn. Der Mörder machte sich auf den Rückweg, doch an der Haustür
merkte er, daß er seinen Hut vergessen hatte, und besaß die Frechheit umzukehren
und ihn zu holen. Dann ging er seelenruhig auf die Straße.« - THE
GOLDEN DREAM: SEEKERS OF THE ELDORADO, VON WALKER CHAPMAN, 1967, nach (
macht
)
Rache
(4) Einsmals hieß mich die Magd
einen lausigen Landschuften und Kratzhansen, da schmiß ich in ihrem Absein
wohl eine ganze Handvoll tote Fliegen in den Kraut- und Fleischtopf, und
als das Essen so unsauber auf den Tisch kam, konnte sich der Schulmeister
abscheulich darüber zereifern und schlug also die Magd eine Treppe hinunter,
die andere wieder hinauf. Wenn er sich unterweilen einen roten Vigerner
Wein, welchen er überaus gerne trank, holen ließ und etwan zu der Stube
ging, da raufte ich mir selbst die Haare aus dem Kopfe und schmiß solche
heimlich in das Geschirr, denn ich wußte, daß er nichts essen noch trinken
konnte, worinnen er nur das allergeringste Härlein fand. Solchermaßen bekam
ich den Wein zu saufen, und er ließ sich einen frischen holen. Er hatte
seine Instrumenten, als Clavicimbel, Lauten, Geigen und Clavichordien,
kaum so bald bezogen, als ich dort und dar die Saiten wieder hinweggerissen.
Ich ließ es auch nicht bei dem bleiben, sondern zerschnitt ihm Mantel,
Rock und Hosen, und was ich nur an einer Wand hangen sah, darüber wischte
ich mit meinem Taschenmesser her und zerlästerte fast alles, was mich ankam.
Wenn der Küfer kam und die Faß ausbesserte, so satzte sich die Schulmeisterin
gemeiniglich auf eine Bank, daselbsten dem Arbeiter zuzusehen, und indem
er mit seinen Gesellen zu klopfen anfing, nahm ich einen Stein und Nagel,
und damit nagelte ich die Schulmeisterin unter währendem Klopfen der Küfer
perfect an die Bank, und wenn sie hernach wieder davongehen wollte, so
schleppte sie entweder die Bank hintennach, oder sie riß ein Loch in den
Rock. - Johann Beer, Die teutschen Winter-Nächte & kurzweiligen
Sommer-Täge. Frankfurt am Main 1985 (it 872, zuerst 1682, Hg. Richard
Alewyn)
Rache
(5) »Es ist nicht genug«,
schrieb Gallienus, dieser weichliche aber unmenschliche Fürst, »daß
Du Diejenigen ausrottest, welche gegen mich in Waffen erschienen sind:
eine Schlacht hätte mir eben so wirksam dienen können. Das männliche Geschlecht
jedes Alters muß weggetilgt werden, vorausgesetzt, daß Du bei Hinrichtung
der Kinder und Greise es so anstellen kannst, daß unser Ruf gerettet bleibt.
Laß Jeden tödten, der gegen mich, gegen mich, den Sohn des Valerian, den
Vater und Bruder so vieler Fürsten, ein Wort hat fallen lassen, oder einen
Gedanken gehegt. Gedenke, daß Ingenuus zum Kaiser gemacht worden ist: zerfleische,
tödte, haue in Stücke. Ich schreibe mit eigner Hand, und wünsche dir meine
Gefühle einzuflößen.« - Edward Gibbon, Verfall und Untergang
des Römischen Reiches. Nördlingen 1987 (Die Andere Bibliothek 29, zuerst
1776 bis 1788)
Rache
(6) Nach dem Tod des Aiolos
bemächtigte sich Salmoneus des thessalischen Throns.
Sisyphos, der der rechtmäßige Erbe war, wandte
sich an das Orakel in Delphi. Dort wurde ihm gesagt:
«Zeuge mit deiner Nichte Kinder; sie werden dich rächen!» Daraufhin verführte
er Tyro, die Tochter des Salmoneus. Als Tyro erkannte, daß er die Tat nicht
aus Liebe zu ihr begangen hatte, sondern aus Haß gegen ihren Vater, tötete
sie die beiden Söhne, die sie ihm geboren hatte. Da betrat Sisyphos den
Marktplatz von Larissa, zeigte die toten Körper, beschuldigte fälschlicherweise
Salmoneus der Inzucht und des Mordes und ließ ihn aus Thessalien verjagen.
- (
myth)
Rache
(7) Larcius
Macedo, ein Mann vom Rang eines Prätors, ein hochmütiger und wilder
Mann, der sich zu wenig oder vielmehr zu sehr daran erinnerte, daß sein
Vater als Sklave gedient hatte, badete in seinem Landhaus in Formiae, als
plötzlich die Sklaven um ihn herumstehen. Einer geht auf seine Kehle los,
ein anderer schlägt seinen Mund, ein weiterer stößt ihn gegen die Brust
und den Mangen und sogar - scheußlich zu sagen - die Geschlechtsteile.
Und, sobald sie ihn für leblos halten, werfen sie ihn auf den heißen Fußboden,
um zu prüfen, ob er noch lebte. Jener erfüllte sie mit der Sicherheit des
eintetretenen Todes, weil er unbeweglich und ausgestreckt dalag, sei es,
weil er es nicht fühlte, sei des, weil er vortäuschte, es nicht zu fühlen.
Dann schließlich wird er hinausgetragen, als wäre er durch die Hitze erstickt.
Es nehmen ihn die treueren Sklaven, seine Geliebten laufen mit
Heulen und Geschrei mit. So wird er durch die Stimmen geweckt und wiederbelebt
durch die Kühle des Ortes; mit geöffneten Augen und bewegtem Körper gibt
er zu erkennen, daß er lebt (es war schon sicher). Die Sklaven fliehen
auseinander; ein großer Teil von ihnen wurde ergriffen, die übrigen sucht
man. Er selbst wurde nur für wenige Tage kaum mehr wiederbelebt und starb
nicht ohne den Trost der Rache, so als Lebender gerächt, wie es sonst nur
bei Ermordeten üblich ist. - Plinius
der Ältere, Briefe
Rache
(8)
1 Unter dem Felsen am Wege 2 Große Last legt' er mir auf 3 „Erbe meiner Rache 4 Stumm schwitzt er Gift aus, 5 Gewaltsame Botschaft kam über uns, 6 Mich hat das Schicksal geplündert, 7 Sonnenhitze war er 8 Trocken von Hüften, 9 Mit festem Sinn 10 Wolkenregen war er, 11 Staatlich vor dem Volke, 12 Zwei Geschmäcke teilt' er aus, 13 Schreckend ritt er allein, 14 Mittags begannen wir Jünglinge 15 Jeder war ein Schwert, 16 Sie schlürften die Geister des Schlafes,
17 Rache nahmen wir völlige; 18 Und hat der Hudseilite, 19 Auf rauhen Ruhplatz 20 Als der Morgen ihn da begrüßt', 21 Nun aber sind gemordet von mir 22 Des Speeres Durst ward gelöscht 23 Nun ist der Wein wieder erlaubt, 24 Auf Schwert und Spieß 25 Reiche den Becher denn, 26 Und den Todeskelch 27 Da lachten die Hyänen 28 Die edelsten Geier flogen daher, |
- Unbekannter Araber, nach: Goethe, Noten und Abhandlungen zu
besserem Verständnis des West-Östlichen Divans (zuerst 1819)
(9)
Rache
(10) Sich rächen wollen und
sich rächen. — Einen Rachegedanken haben und ausführen heißt einen heftigen
Fieberanfall bekommen, der aber vorübergeht: einen Rachegedanken aber haben,
ohne Kraft und Mut ihn auszuführen, heißt ein chronisches Leiden, eine Vergiftung
an Leib und Seele mit sich herumtragen. -
Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches. Stuttgart 1964 (zuerst
1878)
Rache
(11) In der Stadt Waldshut am
Rhein, in der Diözese Konstanz, lebte eine Hexe, die den Einwohnern sehr verhaßt
war und auch zu einer Hochzeitsfeier nicht eingeladen wurde, während doch fast
alle Einwohner derselben beiwohnten. Voll Zorn und Rachbegierde ruft sie den
Dämon an und sagt ihm dem Grund ihrer Traurigkeit,
bittet auch, daß er einen Hagel erregen und alle Leute im Hochzeitszuge damit
treffen möchte. Jener sagte zu, hob sie hoch und führte sie vor den Augen einiger
Hirten durch die Luft hinweg, zu einem Berge nahe der Stadt. Da ihr, wie sie
später gestand, das Wasser fehlte, um es in eine Grube zu gießen, (welches Mittel
sie, wie sich zeigen wird, beobachten, wenn sie Hagel erregen), da ließ sie
selbst in die Grube, die sie gemacht hatte, ihren Urin an Stelle des Wassers
hinein und rührte das nach der gewöhnlichen Sitte in Gegenwart des Dämons mit
dem Finger um. Dann warf der Dämon die feuchte Masse plötzlich in die Luft und
schickte einen Hagelschlag mit gewaltigen Schloßen, aber bloß über die Hochzeitler
und Städter. Als diese dadurch auseinander gejagt waren und sich dann gegenseitig
über die Ursache besprachen, kehrte die Hexe nach der Stadt zurück, weshalb
der Verdacht noch mehr bestärkt ward. Als aber jene Hirten berichtet, was sie
gesehen hatten, da wuchs der Verdacht gegen die Verbrecherin gewaltig. Sie ward
also verhaftet und gestand, daß sie jene Tat deshalb verübt hätte, weil sie
nicht eingeladen worden war. Wegen vieler anderer Hexentaten, die sie vollbracht
hatte, ward sie eingeäschert. - Jakob Sprenger, Hexenhammer (1487), nach (
bisch
)
Rache
(12) Dies der Grundgedanke:
ich mußte, und zwar mit dem Instrumentarium meiner eigenen Demütigung,
eine Frau völlig verstören, verletzen, in ihren zartesten und empfindlichsten
Gefühlen erniedrigen und mich solcherart an allen rächen; in ihrer Seele eine
möglichst unheilbare Wunde aufreißen. Anders ausgedrückt,
ich mußte sie sterblich in mich verliebt machen,
und wenn sie dann wirklich soweit war, ihr meine Behinderung offenbaren oder
sie von ihr selbst feststellen lassen; der schwere Schlag, den sie dadurch bekäme,
ihr Außerstandesein, mit ihrer Liebe ein körperliches Gebrechen (obgleich ich
heute sehr wohl weiß, daß es nicht nur ein solches ist) des Geliebten
zu überwinden, dies alles würde dann meinen Sieg bedeuten.
- Tommaso Landolfi, Ewige Provinz, nach (
land
)
Rache
(13) Der Fürst N ... schlägt
ihm die Hand seiner Tochter, der Prinzessin, just in dem Augenblick vor,
in dem der Herzog von Lucca seinen Günstling mit seiner Tante, der verwitweten
Königin von Neapel verheiraten will. »Aber Sie werden einsehen, daß ich meine
Gründe habe«, sagt N ... zu ihm. »Meine Tochter ist nämlich schwanger.« La Roche-Pouchin
heiratet sie.
Ein paar Tage darauf tritt er ins Zimmer seiner Frau. »Madame, ich wußte, daß Sie schwanger sind, aber ich wußte nicht, daß Sie auch krank sind, und ich bin es jetzt. Das hatte man mir vorenthalten; ich bringe Ihnen aber zur Kenntnis, daß Sie an der Krankheit sterben werden.« Von da an strengste Überwachung, die Dienerschaft ist bestochen, um keinerlei Arznei und keinen Arzt zu seiner Frau einzulassen. Allerdings war er gezwungen, sie manchmal in Gesellschaften zu führen. Der junge und schöne Herzog von Bentivoglio war in sie verliebt; im Ballgespräch bei einem Kontertanz sagt sie zu ihm: »Ich will Ihnen gern angehören, aber ich bin krank; Sie werden es werden, Sie werden mir Ihre Arzneien zustecken.« Sie schlafen zusammen, aber er steckt sich nicht an, geht aber zu seinem Arzt und sagt ihm, er habe die Lues. Da der Arzt nichts feststellt, gibt er ihm nur harmlose Mittel, die der Herzog in der Kirche Madame Pouchin zusteckt. La Roche-Pouchin ist zwar ein wenig eifersüchtig, doch er beruhigt sich, als er Bentivoglio immer ausreiten sieht. Bentivoglio verreist, beauftragt Plonplon (den Prinzen Napoleon, Sohn von Jérôme) Vermittler für seine Korrespondenz zwischen ihr und ihm zu sein.
Als Plonplon einmal in der Loge von Madame ist, sagt sie zu ihm: »Sie betreiben ein für einen Prinzen ziemlich merkwürdiges Geschäft! Und dazu auch noch für einen anderen . . .« - »Ich täte es sehr gern für mich selbst!« antwortet Plonplon. »Ganz einfach, töten Sie meinen Gatten, und ich werde Ihnen gehören. Ich bin krank . . .«usf. Der Gatte kommt in die Loge zurück, Plonplon beleidigt ihn, der andere antwortet, Plonplon versetzt ihm eine Ohrfeige, aber er selbst trägt eine Platzwunde an der Stirn vom Opernglas des Beleidigten davon.
Plonplon geht mit ihr ins Bett, erwischt die Lues, wegen der Ricord (ein
Spezialist für die Syphilis) ihn heute noch behandelt. Er steckt ihr die Arzneien
zu. Während acht Monaten wird das Duell stets durch die Dazwischenkunft der
Gendarmen verhindert. Endlich stellt der König von Württemberg, ein Verwandter
Jerömes, der das Duell wünscht, das Gebiet seiner Staaten zur Verfügung. La
Roche-Pouchin wird am Arm leicht verwundet. Während seiner Abwesenheit liebt
der schönste aller griechischen Prinzen Madame und bringt ihr Arzneien, er verschafft
sich einen Schlüssel und kommt auch nachts. La Roche-Pouchin wird bei seiner
Rückkehr davon informiert, läßt in seinem Palais mit riesigen Türen von Gaza
die Angeln seiner Bronze-Tür entfernen, und sie fällt auf den griechischen Prinzen,
als er den Schlüssel ins Schlüsselloch steckt, bricht ihm die Wirbelsäule. Acht
Tage lang dauert es, bis er stirbt, während seine untere Körperpartie schon
in Verwesung übergeht. Und die Frau, strenger überwacht als je, ohne Arznei
und ohne Liebhaber, stirbt von der Seuche zerfressen, nachdem ihr Haare und
Zähne ausgefallen sind. - (
gon
)
Rache
(14) Ein ellenlanger pechschwarzer
Regenwurm beschloß, dem Besitzer des Bauernhofs, auf dem er lebte, einen Streich
zu spielen. Er wußte, daß die Menschen sich vor den Würmern ekeln und hatte
beschlossen, sich dafür zu rächen.
Während der Nacht erklomm der Regenwurm mühsam die Treppe des Hauses und erreichte das Zimmer des Bauern. Unter dem Bett standen seine Schuhe. Der Regenwurm entfernte den schwarzen Schnürsenkel von einem Schuh und bezog seinen Platz, indem er durch die Löcher schlüpfte. Dabei lachte er sich schon ins Fäustchen, weil er an das ekelverzerrte Gesicht des Bauern dachte, wenn er die Sache am nächsten Morgen merkte.
Der Bauer wachte sehr früh auf und zog schlaftrunken mit halbgeschlossenen
Augen seine Schuhe an, wobei er in den pechschwarzen Regenwurm, der wirklich
wie ein Schnürsenkel aussah, einen Doppelknoten machte. Dann verließ er das
Haus und ging zur Arbeit aufs Feld. Dem doppelt verknoteten Wurm gelang es den
ganzen Tag über nicht, sich aus dem Schuh zu befreien. - (
ma2
)
Rache
(15) Jahrelang verfolgte
er sie, und nicht nur mit Briefen. Er mußte sich an ihr rächen, wußte bloß nicht,
wie. Rache, das war während jener Zeit sein fast alleiniger Gedanke.
Doch nie fiel ihm zu dem Gedanken eine mögliche Handlung ein. Weder Töten,
nicht einmal Schlagen, noch Vergewaltigen kamen bei der Frau da in Frage, weder
Hausanzünden noch - das einzige, was er flüchtig erwogen hatte - Entführen ihres
Kindes. Blieb nur das Warten, daß ihre Strafe von anderer Seite vollstreckt
würde, von emem ähnlich ins Unglück Gestürzten, oder meinetwegen vom Himmel
oder, am besten, von ihr selbst, denn ihr Schuldgefühl ihm gegenüber mußte doch
mit der Zeit unerträglich werden; in Gedanken an das über ihn verhängte Unrecht
konnte sie nur eines hoffentlich baldigen Tages sich aus der obersten Etage
ihres Bürohauses in den Zusammenfluß der beiden Flüsse stürzen oder, noch berückenderer
Gedanke, wahnsinnig werden. - Peter Handke, Der Bildverlust. Frankfurt am Main 2002
Rache
(16) Bald jährte sich der Tag,
an dem Huangs Vater umgebracht worden war. Huang ging auf Yuan zu, ergriff sein
Schwert und sagte mit zorniger Miene: »Yuan Drei, hast du nicht vor önem Jahr
an diesem Tage meinen Vater ermordet? Wer mordet, muß sterben!» Und damit zog
er ihm sein Gewand aus, fesselte ihn wie ein zürn Opfer bestimmtes Schwein
und legte An in einen Weidenkorb, den er am Grabe seines Vaters niedersetzte.
Alsdann brachte er ein Weinopfer dar und sprach unter schmerzlichen Klagen seine
Opferrede. Als er damit fertig war, schlitzte er
Yuans I,eib auf und nahm Herz und lieber heraus,
verbrannte sie und begrub die Asche.
Nun stand etwa drei Meilen vom Hause des Huang entfernt ein Weidenbaum, unter dem seinerzeit sein Vater den Tod gefunden hatte. An diesem Baum hing Huang den Kopf des Yüan auf und kehrte dann wieder heim.
Ein halbes Jahr später wurde in seinem Hof ein Esel mit schwarzem Fell geboren,
der sehr kräftig und willig war. Jemand wollte ihn um zehn Geldstücke kaufen,
doch Huang mochte das Tier nicht hergeben. Eines Tages ritt er auf dem Esel
in die Kreisstadt und kam auf dem Rückweg auch an jenem Weidenbaum vorbei. Da
fing der Esel plötzlich mit menschlicher Stimme an zu sprechen: «Ich bin der
dritte Yüan. Ich habe deinen Vater getötet und dadurch meinen Tod verdient.
Aber wozu warst du so grausam, mir den Leib aufzuschneiden und mich zu schlachten?»
Unter diesen Worten schnappte der Esel nach Huangs linkem Bein und warf ihn
zu Boden. Dann biß er ihn so, daß an Schultern und Rücken keine heile Stelle
mehr blieb, und zerbiß ihm auch einen Arm. Wenn nicht Huangs Mütze verrutscht
wäre und seinen Hals geschützt hätte, so hätte das Tier ihm sogar die Gurgel
durchgebissen. Nachdem Huang so mit knapper Not dem Tode entronnen war, konnte
er sich gerade noch schnell in einen ausgetrockneten Brunnen wälzen, der sich
dort befand. Der Esel aber schaute in den Brunnen hinunter und begann, um den
Brunnen herumzulaufen, immer wieder, und das Blut Huangs, das am Brunnenrand
klebte, aufzulecken. - Aus:
Die Goldene Truhe. Chinesische Novellen aus zwei Jahrtausenden. München 1961
Rache
(17) Ich achte die Rache
an sich. Auf ihr bauen sich alle großen Gefühle auf, und auch die Liebe
macht da keine Ausnahme. Aber ich kann nur akzeptieren, wenn jemand in
der ersten Anwandlung des Zornes Rache nimmt. Im Zorn ist man moralisch
blind. Oder es rächt sich einer kaltblütig, weil er weiß, er wird nicht
bestraft. Das ist nicht die Haarspalterei des Feiglings, mein Lieber, was
ich Ihnen da sage, sondern die Überlegung eines erfahrenen Mannes. In
dem Moment, wo Sie aufhören, sich von der Leidenschaft blenden zu lassen,
werden Sie auch frei von der Idee des Mordes um des Mordes willen. Dann
haben Sie plötzlich nicht mehr ein vages Etwas vor sich; es gehen Ihnen
vielmehr die Augen auf für die Gemeinheit, die Niedrigkeit Ihres Gegenübers,
und Sie müssen sich sagen, daß Ihr Leben mehr wert ist als dasjenige dieser
Kanaille. Versteifen Sie sich auf den Gedanken
einer Rache um jeden Preis, dann tun Sie das aus irgendeiner falschen Scham
sich selbst gegenüber, aus einer Art fanatischer Halsstarrigkeit. Sie
haben sich geschworen, eine bestimmte Tat zu begehen, und Sie wollen Wort
halten. Wenn Sie meine Meinung wissen wollen: Man soll sich
nie festlegen, und schon gar nicht durch Schwüre, die man seinem eigenen
Ich leistet. So was kommt immer teuer zu stehen. Sie werden sagen,
es sei eine große Schwäche, vor den Folgen einer Tat zurückzuschrecken,
der man entgegenfiebert. Da haben Sie recht. Aber wenn die Folgen mehr Unannehmlichkeiten
bringen als die Tat an freudiger Genugtuung, dann
finde ich diese Schwäche sehr menschlich, sehr einleuchtend. Sie
zeugt sogar von Mut; sie geht von der nüchternen Einschätzung der Dinge
aus und befreit sich vom trügerischen Vorsatz. Die Stoa hat
behauptet, Leiden sei kein Übel. Die Stoiker
waren groteske Schwachköpfe. - Georges Darien, Der Dieb. Nördlingen 1989
(Die Andere Bibliothek 54, zuerst 1897)
Rache
(18) „Rache"— das Verlangen
nach Vergeltung — ist nicht das Gefühl,
daß Unrecht geschehen sei, sondern daß ich besiegt bin — und daß ich
mit allen Mitteln jetzt meine Geltung wiederherstellen muß. - Friedrich Nietzsche, "Die Unschuld des Werdens"
(Nachlaß)
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