älte  In der Tat, wenn der Teufel kein Feuergeist wäre, wie könnte er es denn in der Hölle aushalten? Er ist ein Wesen von so kalter Natur, daß er sogar nirgends anders als im Feuer sich behaglich fühlen kann. Über diese kalte Natur des Teufels haben sich alle die armen Frauen beklagt, die mit ihm in nähere Berührung gekommen. Merkwürdig übereinstimmend sind in dieser Hinsicht die Aussagen der Hexen, wie wir sie in den Hexenprozessen aller Lande finden können. Diese Damen, die ihre fleischlichen Verbindungen mit dem Teufel eingestanden, sogar auf der Folter, erzählen immer von der Kälte seiner Umarmung; eiskalt, klagten sie, waren die Ergüsse dieser teuflischen Zärtlichkeit.

Der Teufel ist kalt, selbst als Liebhaber. Aber häßlich ist er nicht. - Heinrich Heine, Elementargeister (1837)

Kälte (2)  Die Kälte ist auch eine Qualität wie die Hitze. Sie qualifiziert in allen Kreaturen, was aus der Natur worden ist, und in allem, was sich darinnen beweget: in Menschen, Tieren, Vögeln, Fischen, Würmern, Laub und Gras, und ist der Hitze entgegengesetzt und qualifizieret in derselben, als wäre es ein Ding. Sie wehret aber der Hitze Grimmigkeit und stillet die Hitze.

 Sie hat aber auch zwo Species in sich, davon zu merken ist, als nämlich daß sie die Hitze besänftiget und alles fein lieblich machet, und ist in allen Kreaturen eine Qualität des Lebens; denn es kann keine Kreatur außer der Kälte bestehen; denn sie ist eine quallende, treibende Beweglichkeit in allen Dingen.

 Die andere Species ist die Grimmigkeit; denn so sie Gewalt kriegt, so druckt sie alles nieder und verderbet alles wie die Hitze. Es kann kein Leben in ihr bestehen, so ihr die Hitze nicht wehret. Die Grimmigkeit der Kälte ist eine Verderbung alles Lebens und ein Haus des Todes, gleichwie der Hitze Grimmigkeit auch ist. - (boe)

Kälte (3)  Das Los bestimmte, wer den Anfang machen sollte. Der Variago war es.

Er ging zu dem Mädchen und küßte sie erst zart auf die Augenlider und liebkoste sanft ihr Haar. Danach wurden seine Küsse gezielter, feuriger, auf die Wangen und hinab zum Mund. Sodann vereinigten sich die Münder für lange Zeit, und der Variago umarmte das Mädchen fest. Langsam und mit fast fraulicher Zärtlichkeit glitten seine kräftigen Hände über ihre Schultern, das Rückgrat entlang, umfaßten die eleganten Linien ihres Körpers, suchten ihn an allen Stellen der Ruhe. Nun ging der Mund des Mannes hinab, entdeckte die Achselhöhlen, die Senke zwischen den Brüsten, die Brüste, die Taille; und seine Hände strichen über die schlanken Rundungen der Schenkel und Waden, verharrten mit Vorliebe über den Fußgelenken und Knöcheln, unter den Zehen ihres kleinen Fußes, dort, wo sie in die Sohle überleiten. Während dieser ganzen Zeit aber war Lucrezia regungslos und kalt; über dem Kopf des Mannes behielten ihre stets geöffneten Augen fast so etwas wie ein Lächeln, einen Glanz verächtlicher Ironie.

Schließlich umklammerten die beiden Körper einander, vielmehr der des Variago umklammerte den anderen mit Macht, bebte, erschauerte, schien sein Selbst zu verlieren und blieb am Ende schwer auf dem zarten, blassen Körper des Mädchens liegen. Aber auch jetzt noch war Lucrezia eiskalt, hatte offene, gar nicht aufgerissene Augen, Blick und Gesicht waren gleichgültig.  - Tommaso Landolfi, Das Meer der Schaben, nach (land)

Kälte (4)  Da möchte der Wolf vom Fuchs wissen, wie dieser zu seinem Fisch kam. Der Fuchs rät ihm, in einem zugefrorenen See ein Eisloch zu schlagen und seinen Schwanz hineinzuhängen, bis ein Fisch anbeißt. Der Wolf verharrt bei dieser frostigen Methode so lange, bis sein Schwanz festgefroren ist. Doch in den Anden geht eine ähnliche Geschichte anders aus: Da streitet der Fuchs mit dem Kondor darüber, wer es länger auf dem Schnee aushält. Der Fuchs, der sein Gesicht wahren will, gibt nicht nach und erfriert, worauf ihn der Kondor verspeist. - (loe2)

Kälte (5)

Kälte (6) Die Felsenwege wurden ungangbar unter der Glätte. Auf höheren Partien des Gebirges lag der Schnee wie Daunen meterhoch geschichtet. Trat man in die weißen Massen, so schrumpften sie nicht weich zusammen; es gab ein zartes Klirren wie von tausend Schieferplatten, der Schnee riß Wunden in die Hände. Die Luft, zuerst von einer tiefgrünen Durchsichtigkeit, nahm einen grauen Ton an.

Eine mongolische Karawane, die von den nördlichen Pässen herüberkam, zog dicht bis an die Nan-ku-Berge. In einer Nacht erfroren fünfunddreißig Maultiere; zwei Bären saßen am hellen Morgen unvertreibbar mit rot unterlaufenen drohenden Augen bei einem Pferde, von dem man nicht wußte, ob es erfroren oder lebend zerrissen war. - Alfred Döblin, Die drei Sprünge des Wang-lun. München  (zuerst 1915)

Kälte (7)  Plötzlich bemerkte er, dass sich eine unheimliche Kälte m ihm ausbreitete, eine Kalte, die ihn, wie er sich erinnerte, schon früher einmal befallen hatte - er muss-te an ihre letzten Minuten auf dem Mond denken. Es dauerte nicht lang, da griff die Kälte die Oberfläche sämtlicher Gegenstände um ihn herum an, breitete sich in Schwaden aus, bildete Blasen, die mit einem Seufzer zerplatzten. In die offenen Wunden wühlte sich die Kälte bis in das Herz aller Dinge. Vor seinen Augen wuchs eine Wüste aus Eis und ein Wind pfiff über die weite Ebene, in die die Realität sich verwandelt hatte; und Dunkelheit breitete sich aus, so weit seine Vision reichte; er wusste, dass er nur einen kleinen Ausschnitt davon erfasste.

Das bilde ich mir alles nur ein, dachte er. Die Welt wird nicht unter Eis und Dunkelheit begraben, das spielt sich nur in meinem Inneren ab - und doch nehme ich es als äußere Realität wahr. Wie seltsam. Habe ich etwa das Universum in mir? Hat mein Körper es verschlungen? Und wann ist das geschehen? So muss es sich anfühlen, wenn man stirbt. Dieses Gefühl von Vagheit, dieses Absinken in die Entropie - so also geht das vor sich und das Eis, das ich um mich herum sehe, ist das Resultat dieses Prozesses. Wenn ich abtrete, verschwindet das ganze Universum. Aber was ist mit dem Licht, das ich sehen müsste, dem Eintritt in den neuen Mutterleib? Und wo ist der rauchige Schein kopulierender Paare, das dumpfe Glühen animalischer Gier? Alles, was ich erkennen kann, ist diese umfassende Dunkelheit und diese Abwesenheit von Wärme, diese erkaltete, von der Sonne im Stich gelassene endlose Fläche.

Das kann nicht der normale Tod sein, dachte er dann. Das ist unnatürlich - der Moment, an dem sonst die völlige Auflösung beginnt, wird von etwas anderem überlagert, von etwas Willkürlichem, Gewalttätigem.  - (ubik)

Kälte (8)  «Ich hatte», sagte er mir, «eine bescheidene Dosis fetten Extrakts zu mir genommen, und alles entwickelte sich aufs beste. Die Krise krankhafter Fröhlichkeit hatte nur kurze Zeit gedauert, und ich befand mich in einem Zustand von Ermattung und Erstaunen, der fast an Glück grenzte. Ich versprach mir daher einen ruhigen und sorglosen Abend. Unglücklicherweise zwang mich ein Zufall dazu, jemanden ins Theater zu begleiten. Ich spielte meine Rolle recht tapfer und war entschlossen, mein ungeheures Verlangen nach Trägheit und Rcglosigkeit zu verbergen. Alle Droschken in meinem Quartier waren besetzt. Ich mußte mich zu einem langen Fußmarsch bequemen und dazu die mißtönenden Geräusche der Wagen und die dummen Gespräche der Vorübergehenden, diesen ganzen Ozean von Trivialitäten, über mich ergehen lassen. Schon hatte sich in meinen Fingerspitzen leichte Kühle bemerkbar gemacht. Bald verwandelte sie sich in lebhafte Kälte. Es war, als hielte ich meine beiden Hände in einen Eimer voll eiskalten Wassers getaucht. Aber es war kein Schmerz dabei. Diese heftige Empfindung durchdrang mich eher wie Wollust. Immerhin war mir, als überflute mich die Kälte mehr und mehr, je länger die endlose Wanderung dauerte. Ich fragte die Person, die ich begleitete, zwei- oder dreimal, ob es tatsächlich so kalt sei. Man antwortete mir, es sei im Gegenteil mehr als lauwarm. Als ich endlich in dem Thcatersaal saß, in der Loge eingesperrt, die mir bestimmt war, und zwei, drei oder gar vier Stunden Ruhe vor mir hatte, glaubte ich, ich sei im Lande der Verheißung angekommen. Die Gefühle, die ich unterwegs mit der ganzen spärlichen Energie, über die ich verfügte, zurückgestaut hatte, brachen hervor, und ich überließ mich ungehemmt meiner stummen Verrücktheit. Die Kälte wurde immer größer. Trotzdem erblickte ich leicht bekleidete Leute, die sich mit müder Miene die Stirn trockneten. Mich packte der erfreuliche Gedanke, ich sei ein privilegierter Mensch, dem allein das Recht zustand, in diesem Theatersaal im Sommer zu frieren. Doch wurde die Kälte schließlich so groß, daß es beängstigend war. Vor allem aber war ich von der Neugier beherrscht, zu erfahren, bis zu welchem Grad die Kälte absinken würde. Schließlich war sie so vollkommen und allgemein verbreitet, daß alle meine Gedanken sozusagen einfroren. Ich war ein Stück denkendes Eis. Ich betrachtete mich als Statue, die aus einem Eisblock gehauen war. Diese verrückte Halluzination gewährte mir ein Gefühl des Stolzes und erregte in mir ein inneres Wohlbehagen, das ich nicht schildern kann. Was aber meinen entsetzlichen Genuß noch steigerte, war die Gewißheit, daß alle Anwesenden nichts von meiner Natur und meiner Überlegenheit über sie alle wußten. Dazu kam das Glück, zu denken, daß mein Gefährte nicht einen einzigen Augenblick lang bemerkt hatte, von welch bizarren Gefühlen ich besessen war! Mir ward die Belohnung für meine Vcr-stellungskünste zuteil, und meine außerordentliche Wollust war ein wirkliches Geheimnis.»   - Nach: Charles Baudelaire, Die künstlichen Paradiese. Zürich 2000 (zuerst ca. 1860)            


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