niversum Bis
auf den heutigen Tag ist das Universum der Gestirne, grundsätzlich als identisch
mit dem eigentlichen Universum angesehen worden, wie ich den Begriff zu Beginn
meines Essays definiert habe. Immer ist, sei‘s direkt sei‘s indirekt, angenommen
worden — zumindest seit dem Aufdämmern einer Astronomie, die diesen Namen verdient
— daß, wär‘ es uns möglich irgendeinen gegebenen Punkt im Raum einzunehmen,
wir immer noch, auf allen Seiten von uns, eine unendliche Folge von Gestirnen
antreffen würden. Dies war auch die (unhaltbare)
Idee Pascal's, als er den vielleicht erfolgreichsten aller je gemachten Versuche unternahm,
die Vorstellung, nach der wir mit dem Wort ‹Universum› ringen, zu parafrasieren. «Es ist eine Kugel», sagt er, «deren Mittelpunkt
überall, deren Umfang nirgends ist». Aber obgleich dieser Versuch einer Definition,
imgrunde keine Definition des ‹Universums der Gestirne› ist, können wir
sie, unter gewissen Vorbehalten, passieren lassen, als eine Definition (streng
genug für jedweden praktischen Gebrauch) des eigentlichen Universums — will
sagen, des ‹Universums des Raumes›. Dies letztgenannte also sei betrachtet,
als «eine Kugel, deren Mittelpunkt überall, deren Umfang nirgends ist.». Es
ist ja auch wirklich so, daß, während wir es unmöglich finden, uns ein Ende
des Raumes vorzustellen, es keine Schwierigkeit bereitet, uns eine unendliche
Zahl von Anfängen, von Startpunkten, auszumalen.
- Edgar Allan Poe, Heureka (1848),
in (
poe
)
Universum (2)
Die ptolemäische
Astronomie und die christliche Theologie bestimmen Dantes Universum.
Die Erde ist eine unbewegliche Sphäre; im Mittelpunkt
der Nordhemisphare (die den Menschen zugänglich ist) befindet sich der Berg
Zion; neunzig Grad östlich des Berges stirbt ein Fluß, der Ganges; neunzig Grad
westlich des Berges wird ein Fluß gebo ren, der Ebro. Die Südhemisphäre besteht
aus Wasser, nicht aus Land, und sie ist den Menschen verwehrt; im Mittelpunkt
befindet sich als Antipode zum Berg Zion der Berg des Fegefruers. Die beiden
Flüsse und die beiden Berge sind gleich weit voneinander entfernt und bilden
innerhalb der Sphäre ein Kreuz. Unter dem Berg Zion, aber viel breiter, öffnet
sich zum Mittelpunkt der Erde ein umgedrehter Kegel,
die Hölle, unterteilt in abgestufte Kreise, die den
Rängen eines Amphitheaters gleichen. Es sind neun Kreise, und ihre Topographie
ist unheilvoll und gräßlich, die ersten fünf Kreise bilden die Obere Hölle,
die letzten vier die Untere Hölle, eine Stadt mit roten Moscheen, umgeben von
eisernen Mauern. In dieser Stadt gibt es Grüfte, Brunnen, Abgründe, Sümpfr und
Wüsten; im Gipfelpunkt des Kegels ist Luzfer, »der Wurm,
der die Welt durchlöchert«. Ein von den Wassern Lethes im Fels eröffneter Spalt
verbindet den Boden der Hölle mit dem Grund des Fegefeuers. Dieser Berg ist
eine Insel und verfügt über ein Tor; an seinen Hängen ziehen sich Terrassen
empor, die den Todsünden entsprechen; auf dem Gipfrl liegt der blühende Garten
Eden. Um die Erde kreisen neun konzentrische Sphären; die sieben ersten sind
die planetarischen Himmel (die des Mondes, Merkurs, der Venus, der Sonne, des
Mars, Jupiters, Saturns); der achte ist der Himmel der Fixsterne; der neunte,
der Kristallhimmel, wird auch Primum Mobile genannt. Ihn umgibt das Empyreum,
wo sich die Rose der Gerechten unermeßlich um einen Punkt herum öffnet, der
Gott ist. Wie nicht anders zu erwarten, sind die Blätter der Rose in neun Kreisen
angeordnet ... Dies ist, in groben Zügen, die Beschaffenheit der dantesken Welt;
wie der Leser bemerkt haben wird, sind in ihr die Eins, die Drei und der Kreis
bestimmend. Der Demiurg oder Weltschöpfrr im Timaios, einem von Dante
erwähnten Buch (Convivio III, 5; Paradies IV 49) hielt die Rotation für
die vollkommene Bewegung und die Kugel für den vollkommenen Körper; dieses Dogma,
das Platons Demiurg mit Xenophanes und Parmenides
gemein hatte, bestimmt die Geographie der drei von Dante durchwanderten Welten.
- (
bo2
)
Universum (3)
Butte
nennt die Zahlen Schatten,
getötete Zahlen, hinter denen ewige und lebendige stehen; die toten, die wir
einzig kennten, hätten eine rein mathematische Bedeutung, während die lebendigen
von einst auch eine physikalisch-philosophische gehabt hätten, die im Laufe
der Zeiten verloren gegangen sei. Bruchstücke der uralten Kenntnis seien aus
der alten Welt auf uns gekommen, so der Ausspruch des Pythagoras,
daß das Weltall aus Zahlen bestehe, die herkömmliche Unterscheidung der geraden
und ungeraden Zahlen als männliche und weibliche, der volkstümliche Glaube an
heilbringende und verderbliche Zahlen; das alles wären Trümmer untergegangener,
rätselhafter Weisheit. Die Zeit ihrer Wiederbelebung,
glaubte Butte, sei nicht ferne, die Zeit des Novalis hänge mit
der des Pythagoras zusammen. »Wenn die Mathematik ihre ganze Bahn der
Entfernung vom Leben durchlaufen hat, wird sie zur Physik zurückkehren und sich
mit ihr begegnen, die zuletzt keine qualitativen Verhältnisse mehr kennen wird,
als welche sich in quantitative auflösen lassen.« Andere Stimmen ließen sich
in ähnlichem Sinne vernehmen, so daß die Ansicht, die mystische Bedeutung der
Mathematik ginge neuer Enthüllung entgegen, berechtigt erschien. So sprach Johann
Jakob Wagner die Meinung aus, die Wissenschaft müsse das in der Mathematik
enthaltene Weltgesetz wiederfinden und die Religion
müsse auf Mathematik zurückgeführt werden. Eschenmayer
sagte mit Hinblick auf des Pythagoras »großen Gedanken«, - Malfatti nannte ihn
kolossalisch - daß die Gestaltung des Universums im Zahlensystem verhüllt liege,
jedem Dinge in der Welt sei eine Zahl einverleibt, und könne der Mensch die
Zahlen der Dinge erforschen, so würde er auch ihre Eigenschaften erkennen, und
die Natur würde sich ihm in ihrem innersten Wesen enthüllen.
Von einigen Dingen nun nannte uralte Überlieferung die einverleibte Zahl:
5 galt als die facultas animae minima vivendi, als die Hieroglyphe der Pflanze,
7 als die des Tieres, 9 als die des Menschen und insbesondere des Mannes, während
das Wesen des Weibes ebenfalls durch die 7 ausgedrückt ist - womit die volkstümliche
Bezeichnung einer zänkischen Frau als böse Sieben in merkwürdiger Übereinstimmung
ist. - Ricarda Huch, Die Romantik. Blütezeit, Ausbreitung und Verfall.
Tübingen 1951 (zuerst 1899)
Universum (4)
Oder ist vielleicht
das Universum geformt wie Eingeweide, und ist der
Hades nur der Endpunkt: der Arsch,
wie manche meinen, die Scheiße, wie andere meinen;
obwohl es sinnvoller scheinen will anzunehmen, er sei das Loch
des Arsches, als abstrakter und zugleich verhängnisvoller
Ort. Schwierig scheint's in der Tat zu glauben, daß er der Arsch
sei, denn in diesem Fall würde er doch immer noch Teil des Universums sein,
und könnte seine ureigentliche Aufgabe nicht erfüllen; besser daher die Hypothese
vom Exkrement, zugleich äußerlich und als Qualitätssprung,
unwürdig, gemein, skandalös, jedoch mit den Eigenschaften versehen, die geeignet
sind, einem kosmischen ›Nein‹ Leben zu verleihen.
Der Gedanke, daß der Hades Exkrement sei, bringt uns auf eine andere bereits erwogene Theorie zurück: daß er ein Etwas sei, das es nicht gibt; das Loch im festen Firmament; aktive Öffnung wie jene absurde, die sich im Mittelpunkt des brodelnden Wassers abzeichnet und die Strom und Meer zu verschlingen scheint, obgleich sie wahrhaft ein Nichtexistierendes ist. Durch diese Laufmasche des Nichts würde nach und nach unweigerlich die stolze Festigkeit der Dinge ausrinnen; der Hades als Spülschüssel, durch deren kloakenduftendes Loch das ganze Universum rinnt, abstraktes Eingeweide, das alles haschiert und zerlöst, wodurch du auch das Gewand des höchst erzürnten, versinkenden Gottes wirst strudeln sehen.
In diesem Fall würden sich im Nichts des Hades nicht nur alle Dinge konzentrieren, sondern auch alle Nichtdinge; und das Universum hätte man sich also vorzustellen als von jeher ins Netz gelegt vom Hades, der es mit Entfernungen und Abwesenheiten und mit jeder anderen Form der Verneinung versieht. Wäre es aber dann etwas anderes als der Hades?
Schließlich und endlich, um das gleiche Problem von der anderen Seite anzugreifen, wie wird die absteigende Entrückung enden? In welcher Form müssen wir uns den Hades denken, auf daß er geeignet wäre, die anspruchsvolle Angst der Hadesreisenden zu befriedigen? Welche Eigenschaften und Gestalten wird die Heiterkeit haben, die ihnen von diesem geometrischen Ort, Tier, Maschine, Exkrement, Nichtsein, Loch geliefert wird?
In diesem Zusammenhang könnte man folgende Hypothese aufstellen:
- Giorgio Manganelli, Niederauffahrt. Berlin 1987 (Wagenbach Quarthefte
20/21, zuerst 1964)
Universum (5)
Das Universum
(das andere die Bibliothek nennen) setzt sich aus
einer unbestimmten, vielleicht unendlichen Zahl sechseckiger Galerien zusammen,
mit weiten Luftschächten in der Mitte, eingefaßt von niedrigen Geländern. Von
jedem Sechseck kann man die unteren und oberen Stockwerke sehen: ohne Ende.
Die Anordnung der Galerien ist immer gleich. Zwanzig Bücherregale, fünf breite
Regale auf jeder Seite, verdecken alle Seiten außer zweien; ihre Höhe, die des
Raums, übertrifft kaum die eines normalen Bibliothekars.
Eine der freien Wände öffnet sich auf einen schmalen Gang, der in eine andere
Galerie, genau wie die erste, wie alle, einmündet. Links und rechts am Gang
befinden sich zwei winzige Kabinette. Im einen kann man im Stehen schlafen,
im anderen seine Notdurft verrichten. - J. L.
Borges
, Die Bibliothek von Babel, In:
J.L.B.,
Blaue Tiger und andere Geschichten. München 1988 (zuerst 1941)
Universum (6)
Kosmographisches Diagramm der Jaina, mit siebenstöckiger
Unterwelt.
Das Universum wird als
menschliches Wesen begriffen.
Die Götter
leben in himmlischen Palästen, und ähnlich
sind die Höllen unterteilt: Höllen in den Höllen.
- (zahl)
Universum (7)
Das
Universum, das sich als Hades erkennt, drückt sich aus
in der fügsamen Folgsamkeit vor den notwendigen hierarchischen Höllenkreisen.
Du, der du ins enge Gehäuse eines unendlichen Universums eingeschlossen bist,
bewohnst einen Höllenkreis, aus dem du, wenn du bewegungslos und erdgleich geworden
bist, in einen anderen Höllenring übergehst, der dir vorbestimmt ist. Du bist
der Verdammte; und bist zugleich der Dämon: der gehörnte und klumpfüssige, der
komische und kindische Teufel. Als solcher bist du gefeit gegen die Aggressionen
des Glaubens: nicht als Zweifelnder, das sei klar, sondern als einer, der gewiß
ist der offenbaren Zeichen der Heilslehre; deshalb bleibst du hocken in deiner
Hölle, halb grab-, halb brunnenkühl, wohlanständig und geschniegelt in deiner
gutsitzenden Livree aus Flammen und Finsternissen. Deiner Würde bewußt und daher
auf unzeitliches Niveau gehoben, feierst du im Dunst deiner inneren Beweihräucherungen
alle möglichen Abschiede als wären sie bereits erfolgt. Du kostest den theoretischen
Geschmack des Abschieds. Experimentierst Liebe zur Liebeslosigkeit; denn das
Hades-Universum fühlt Liebeslosigkeit gegen dich Hades-Menschen, und gleichzeitig
erleuchtet es dich und verleiht dir Sinn; und so ist es denn nicht unangemessen
zu sagen, daß es dich liebt. - (nieder)
Universum (8)
Hochedle Prinzessin, das
Universum ist sicherlich, wie Ihr vermutet, wie
eine Verschachtelung von Göttern zusammengesetzt,
und ich vermute, daß dieses unser Zwiegespräch beweist, daß nunmehr einige Risse
sich aufgetan haben, eine blutlose Wunde, ein Spalt,
der breit genug ist als Durchlaß von einem Universum zum anderen; und es mag
sein, daß die Verwalter der kurzbevorstehenden Welt dabei sind, Zwangsföderationen
der Kosmen auszuhecken. Um uns in Verbindung zu setzen, müssen wir uns in diesen
winzigen Zeitspalt einschleichen, wie zwei Seelen, die einen gemeinsamen Zeitspalt
brauchen, um sich gegenseitig Liebeslehrstunden zu erteilen. Unser Diskurs geht
auch um das baldige Weltende: das, wie Ihr meint,
auch der Anfang ist. Sei's drum: aber ich hege weder Liebe noch Interesse für
die Götter, die den Platz der Heutigen einnehmen werden. Ich hege vielmehr Haß
gegen diese darüberbefindlichen Parasiten, verachte die anderen, welche diese
kleineren Sterblichen in ihren Leuchtdärmen beherbergen. Die Götter sind
nichts weniger als herrlich und mächtig; aber derart dumm! Ich mochte sie verjagen,
bloßstellen, beleidigen, betrügen; kurzum ungehorsam sein. - Hamlet an
die Prinzessin von Clève, nach: Giorgio Manganelli, An künftige Götter. Berlin 1983
Universum (9)
Universum (10)
"Unser" Universum im Alter von ca. 400 000 Jahren
Universum (11)
Universum (12)
Hat
der Mensch einen Eigenwert, fragt Arlecq, und Mathäus, auf jede Frage gefaßt,
greift ins Bücherregal. Sie können so die Frage nicht stellen, mein Lieber,
sagt er und schlägt das Buch beliebig auf. Rivarol,
sagt er, Maximen und Gedanken. Arlecq möchte unterbrechen, aber Mathäus liest
schon: Die Welt besteht aus konzentrischen umeinander geordneten Kreisen, die
mit einer wunderbaren Harmonie einander entsprechen vom Insekt und vom Menschen,
vom Atom und der Sonne bis zu dem einzigen strahlenden und geheimnisvollen Wesen,
das ihr Zentrum ausmacht und das Ich des Universums
ist. - Fritz Rudolf Fries, Der Weg nach Oobliadooh. Leipzig
1993 (zuerst 1975)
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