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absch
)
Loch
(2)
Es lohnt sich,
sich daran zu erinnern, daß Schmerzen - wie modern und persönlich auch
immer - uns mit einer primitiven Welt verbinden, die heute fast völlig
verschwunden ist. Menschliche Knochen aus frühen Gräbern haben manchmal
kleine runde Löcher, die in den Schädel gebohrt wurden.
Diese Löcher sind das Ergebnis einer prähistorischen Chirurgie, der Trepanation, die in primitiven Gebieten immer noch praktiziert wird. Bei einer Trepanation wird ein Stückchen vom Schädel (ein sogenanntes Kalvarium) entfernt, ohne daß dabei die darunter liegenden Membranen oder das Gewebe beschädigt werden. Für den Medizinmann oder Zauberer gab es verschiedene Gründe, diese ominösen Löcher zu bohren oder auch daran zu kratzen, zu schaben, herumzuschneiden oder -zusägen. Alte Schädel aus Peru belegen beispielsweise, daß die Inkas die Trepanation gewöhnlich bei Kopfverletzungen anwendeten, die im Kampf erlitten worden waren. Aus den verheilten Knochen läßt sich schließen, daß die meisten Patienten die Operation offenbar überlebten.
Eine verbreitete Absicht der Trepanation war es, Schmerzen zu beheben,
die, wie man gemeinhin glaubte, von bösen Geistern verursacht wurden. Fast
jede Erkrankung vom Kopfschmerz bis zum Wahnsinn wurde dem Eindringen eines
von einem Feind (mit Hilfe schwarzer Magie) gesandten Dämons zugeschrieben
oder als Strafe für eine Verletzung der Stammestabus gesehen. In diesen
Kulturen galten Schmerzen als übernatürlich. Daher bohrte der Zauberer
Löcher in den Schädel, damit die bösen Geister entweichen können. Zu der
Qual durch die Schmerzen kam die Überzeugung, Opfer eines Angriffs dämonischer
Kräfte zu sein, überfallen und besessen. Diese Vorstellungen beschränken
sich natürlich nicht auf prähistorische Zeiten. Die Trepanation wird in
einigen Teilen Afrikas heute noch praktiziert. Die Künstler des 19. Jahrhunderts
von Cruickshank und Gillray bis Daumier illustrierten
auf nicht ganz ernste Weise das Dämonische in Leiden wie Kolik, Gicht,
Kopfschmerzen und anderen Erkrankungen, gegen die die Wissenschaft wenig
tun konnte. Das Jackson Memorial Hospital in Miami beschäftigt heute einige
Voodoo-Ärzte im Bereitschaftsdienst für die Behandlung von haitianischen
Patienten, die sich für behext halten. - David B. Morris, Geschichte
des Schmerzes. Frankfurt am Main 1996 (st2529, zuerst 1991)
Loch
(3)
Vor mir verlor
sich ein schmutziger Gang in die Finsternis, die Gemäuer, die diesen Stollen
einschlossen, schienen schon in Fäulnis übergegangen, üble Flüssigkeiten
rannen an ihnen nieder und flossen an unsichtbaren Stellen ab; sie sickerten
hinunter in die Stadtkloaken, deren bitterer Dunst
mich von Zeit zu Zeit überschwemmte. Dies waren die Augenblicke, in denen
ich die Flucht ergriff, vom Ekel überwältigt, und mir schwor, nie wieder
herabzusteigen. - Und auf meiner Flucht in Richtung Ausgang mußte ich an
einer Trennwand vorbei, die einen Nebengang zusperrte. Sie war später eingefügt
worden, man sah es ... und deshalb war sie noch brüchiger und verrotteter
als das übrige Mauerwerk: ein Teil des Gesteins war herausgebrochen, und
dieses Loch in der Mauer - dahinter war die dickste, giftigste Dunkelheit
- war es, das mir besonderes Grauen einflößte. Ich konnte mir nicht erklären,
warum, ich wagte mich dem Mauerstück kaum zu nähern: nur manchmal hatte
ich, wenn meine Neugier überhandnahm - unter dem Loch in Deckung liegend,
weil ich eine augenblickliche Gasexplosion befürchtete -, ein paar brennende
Zeitungen durch die Öffnung geworfen. Sie fielen nicht tief; die Luft in
dem Loch war so sauerstoffarm, daß die Flammen nicht zur Entfaltung kamen.
Es war nichts darin außer Gestank und Verwesung ...
-
(ich)
Loch
(4)
Fromme
Katholiken hatten zum Heil der Kirche beschlossen,
den König, die königliche Familie und das ganze Parlament in die Luft zu
sprengen, um so England von diesen Ketzern zu befreien. Man zeigte mir
die Stelle, wo die selige Königin Maria, die Tochter Heinrichs VIII., mehr
als fünfhundert ihrer Untertanen hatte verbrennen lassen. Ein irischer
Priester versicherte mir, das sei eine sehr
gute Tat gewesen: erstens, weil die Verbrannten Engländer
waren, und zweitens, weil sie niemals Weihwasser gebraucht und nicht
an das Loch des heiligen Patrick geglaubt hatten. Er wunderte sich sehr,
daß die Königin Maria noch nicht heiliggesprochen worden war, aber er hoffte,
daß das geschehen würde, sobald sein Neffe, der Kardinal,
etwas mehr Zeit hätte. - Voltaire, Geschichte der Reisen Scarmentados.
Stuttgart 1983 (Die Bibliothek von Babel, Bd. 28)
Loch
(5)
Der heilige Bischof
Patrick bestieg, ehe er vqn Schottland nach Irland kehrte, daselbst einen
Berg, um zu fasten und zu beten. Da sah er weit hinaus und bemerkte, daß
das Land voll Schlangen und giftigen Gewürms war. Und er hob seinen Krummstab
und bedrohte damit das Gezücht also, daß es geifernd und zischend entwich.
Danach kamen Leute zu ihm herauf, seiner zu spotten. Da sprach er vor tauben
Ohren und bat Gott um ein Zeichen, davon die Menschen erschreckt würden,
und stieß mit seinem Stab auf den Felsen, darauf er stand. Und ging ein
Spalt auf in dem Fels, der glich einem kreisrunden Loch und ließ Rauch
und Feuer ausgehen. Und der Abgrund öffnete sich bis in das Herz der Erde
und das Geschrei von Flüchen, die sind das Hosian-nah der Verdammten, drang
aus dem Loch hervor. Da entsetzten sich die, so das mitansahen, und erkannten,
daß ihnen St. Patrick die Hölle aufgetan hatte.
Und St. Patrick sprach: wer darein gehe, dem sei keine andere Buße mehr not, und so etwas an ihm von gediegenem Golde wäre, das schmelze der Glutofen aus von einem Morgen zum andern. Und gingen nachmals Viele hinein, kam aber selten Einer wieder. Denn das Feuer des Schicksals läutert oder verbrennt einen Jeden nach seiner Beschaffenheit.
Und das ist St. Patricks Loch, daran mag ein Jeglicher vernehmen, was
an ihm ist, und ob er die Taufe des Teufels bestehen möge im ewigen Leben.
— — — Unter dem Volk aber geht bis heutigen Tags das Geraune, das Loch
sei immer noch offen, doch sehen könne es nur einer, der dazu gerichtet
und geordnet ist und geboren am ersten Mai als Sohn einer Hexe oder Hure.
Und wenn die schwarze Scheibe des Neumonds senkrecht über dem Loche stünde,
dann stiegen zu ihr die Flüche der Verdammten aus dem Herzen der Erde empor
wie ein inbrünstiges Gebet der Teuflischen aus der Verkehrtheit und fielen
herab auf das Land wie seine Tropfen, und sobald sie die Scholle berührten,
würden schwarze gespenstische Katzen daraus. - Gustav Meyrink, Der
Engel vom westlichen Fenster. München 1984 (zuerst 1927)
Loch
(6)
Wollen Sie sich
einen großen Namen machen? Wollen Sie ein Stifter werden? Dann seien Sie
völlig verrückt, aber so, daß Ihre Verrücktheit
in die Zeit paßt! Bewahren Sie sich bei aller Torheit einen Rest von Vernunft,
um Ihre Überspanntheit in die richtige Bahn zu lenken, und seien Sie auch
maßlos starrköpfig! Es kann geschehen, daß man Sie hängt, aber tut man
dies nicht, errichtet man Ihnen vielleicht Altäre.
Im Ernst, ist jemals ein Mensch reifer fürs Irrenhaus gewesen als der
heilige Ignatius oder, wie er eigentlich hieß,
Iñigo der Biskayer? Er verliert den Verstand über der Lektüre
der Aurea Legenda wie später Don Quijote de la Mancha durch
die Lektüre von Ritterromanen. Mein Biskayer macht sich also zunächst einmal
zum Ritter der heiligen Jungfrau und hält Waffenwache zu Ehren seiner Dame.
Die heilige Jungfrau erscheint ihm und nimmt seine Dienste an. Sie kommt
mehrmals wieder und bringt ihren Sohn mit. Der Teufel, der auf der Lauer
liegt und all den Schaden voraussieht, den die Jesuiten ihm eines Tages
zufügen werden, veranstaltet einen Heidenlärm im Hause und zerschlägt alle
Fensterscheiben. Der Biskayer vertreibt ihn durch das Zeichen des Kreuzes.
Der Teufel flüchtet durch die Wand
und hinterläßt darin ein großes Loch, das man den Neugierigen noch fünfzig
Jahre nach diesem wundersamen Ereignis zeigte. - Voltaire, Philosophisches
Wörterbuch. Frankfurt am Main 1967 (Sammlung Insel 32, zuerst 1764)
Loch
(7)
Daß die wichtigsten Dinge durch Röhren gethan werden.
Beweise: erstlich die Zeugungsglieder, die Schreibfeder
und schließlich
unser Schießgewehr.
(Lichtenberg)
Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist.
Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des Nichtlochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut. Wäre überall etwas, dann gäbe es kein Loch, aber auch keine Philosophie, und erst recht keine Religion, als welche aus dem Loch kommt. Die Maus könnte nicht leben ohne es, der Mensch auch nicht: Es ist beider letzte Rettung, wenn sie von der Materie bedrängt werden. Loch ist immer gut.
Wenn der Mensch "Loch" hört, bekommt er Assoziationen: Manche denken an "Zündloch", manche an "Knopfloch" und manche an Goebbels.
Das Loch ist der Grundpfeiler dieser Gesellschaftsordnung, und so ist sie auch. Die Arbeiter wohnen in einem finstern, stecken immer eins zurück, und wenn sie aufmucken, zeigt man ihnen wo der Zimmermann es gelassen hat, sie werden hineingesteckt, und zum Schluß überblicken sie die Reihe dieser Löcher, und pfeifen auf dem letzten. In der Ackerstraße ist Geburt Fluch; warum sind diese Kinder auch gerade aus diesem gekommen? Ein paar Löcher weiter, und das Assessorexamen wäre ihnen sicher gewesen.
Das Merkwürdigste an einem Loch ist der Rand. Er gehört noch zum Etwas, sieht aber beständig in das Nichts, eine Grenzwache der Materie. Das Nichts hat keine Grenzwache: während den Molekülen am Rande eines Lochs schwindlig wird, weil sie in das Loch sehen, wird den Molekülen des Lochs... festlig? Dafür gibt es kein Wort. Denn unsre Sprache ist von den Etwas-Leuten gemacht; die Loch-Leute sprechen ihre eigne.
Das Loch ist statisch; Löcher auf Reisen gibt es nicht. Fast nicht.
Löcher, die sich vermählen, werden ein Eines, einer der sonderbarsten Vorgänge unter denen, die sich nicht denken lassen. Trenne die Scheidewand zwischen zwei Löchern: Gehört dann der rechte Rand zum linken Loch? oder der linke zum rechten? oder jeder zu sich? oder beide zu beiden? Meine Sorgen möcht ich haben.
Wenn ein Loch zugestopft wird: wo bleibt es dann? Drückt es sich seitwärts in die Materie? oder läuft es zu einem anderen Loch, um ihm sein Leid zu klagen - wo bleibt das zugestopfte Loch? Niemand weiß das: unser Wissen hat hier eines.
Wo ein Ding ist, kann kein anderes sein. Wo schon ein Loch ist: kann da noch ein anderes sein?
Und warum gibt es keine halben Löcher-?
Manche Gegenstände werden durch ein einziges Löchlein entwertet; weil an einer Stelle von ihnen etwas nicht ist, gilt nun das ganze übrige nichts mehr. Beispiele: ein Fahrschein, eine Jungfrau und ein Luftballon.
Das Ding an sich muß noch gesucht werden; das Loch ist schon an sich.
Wer mit einem Bein im Loch stäke und mit dem andern bei uns: der allein
wäre wahrhaft weise. Doch soll dies noch keinem gelungen sein. Größenwahnsinnige
behaupten, das Loch sei etwas Negatives. Das ist nicht richtig: der Mensch
ist ein Nicht-Loch, und das Loch ist das primäre. Lochen sie nicht; das
Loch ist die einzige Vorahnung des Paradieses, die es hienieden gibt. Wenn
sie tot sind, werden sie erst merken, was Leben ist. Verzeihen sie diesen
Abschnitt; ich hatte nur zwischen dem vorigen Stück und dem nächsten ein
Loch ausfüllen wollen. - Kurt
Tucholsky
Loch
(8)
ES dachte Lesbie / sie sässe
gantz allein / |
- (
hofm
)
Loch
(9) Astronomen der University of Minnesota haben bei einer Analyse der
Daten des Very Large Array-Radioteleskops ein gewaltiges Loch im
Universum entdeckt,
das einen Durchmesser von einer Milliarde Lichtjahre besitzt. In ihm
scheint nichts enthalten zu sein, weder normale Materie noch dunkle
Materie. Das ist die bislang das größte Nichts, das im Universum
entdeckt wurde. - Florian Rötzer,
Telepolis
vom 26.08.2007
Loch
(10) Angesichts des Weltenraums
drängt sich die Vermutung auf, dass die Materie die
Ausnahme und das Loch die Regel
ist. Kubiklichtjahrhunderte stoffloser Leere, und dann und wann eine Galaxie.
Richten wir unseren Blick ins Kleinste und Innerste der Materie, so gähnt uns
auch dort die im Verhältnis gewaltige Leere entgegen, welche zwischen einem
Atomkern und den Elektronen klafft, die ihn umsausen, und welche von nichts
als einer schwer fassbaren Kernkraft durchkreucht wird - wobei wir dieser Art
Loch immerhin zu danken haben, dass wir nicht auseinanderfallen. Die Natur als
Gegenspielerin der Löcher, aus welchen sie unaufhörlich hervorquillt, um sie
auszufüllen, die Natur also hat es wohlweislich so eingerichtet, dass der Mensch
zum Großteil aus Wasser besteht, da es fast unmöglich ist, in Flüssigkeiten
Löcher anzubringen. -
Blog bei der Stuttgarter Zeitung
Loch
(11) Er versuchte, sich den Augenblick
des Unfalls zu vergegenwärtigen, und wurde wütend, als er merkte, daß es da
so etwas wie ein Loch, eine Leere gab, die er einfach nicht auszufüllen vermochte.
Zwischen dem Aufprall und dem Augenblick, da man ihn vom Boden aufgehoben hatte,
lag eine Ohnmacht oder was das auch gewesen war,
die ihn nichts sehen ließ. Und zur gleichen Zeit hatte er das Empfinden, daß
jenes Loch, jenes Nichts, eine Ewigkeit gedauert hatte. Nein, nicht einmal Zeit,
viel eher so, als wäre er in diesem Loch durch etwas hindurchgegangen oder als
hätte er unermeßliche Entfernungen zurückgelegt. Der Zusammenstoß, der heftige
Aufprall auf dem Pflaster. Auf alle Fälle hatte er beim Verlassen des schwarzen
Schachts fast eine Erleichterung verspürt, während ihn die Männer vom Boden
aufhoben. Trotz des Schmerzes im gebrochenen Arm, dem Blut aus der klaffenden
Braue, der Quetschung am Knie; trotz alledem war er erleichtert, als er wieder
zu sich kam und fühlte, daß man ihn stützte und ihm half. Und das war sonderbar.
- Julio
Cortazar, Die Nacht auf dem Rücken. Die Erzählungen Bd. 1. Frankfurt am Main
1998
Loch
(12)
Loch
(13)
Loch
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Loch
(15) Was ist ein Loch?
Das war eine von diesen ebenso naiven wie tückischen Fragen, mit denen Z. gerne
aufwartete. Oberflächen, sagte er, seien selten eben, die meisten bildeten Beulen,
Senken, Spitzen und so fort. Aber Löcher? Ob dafür eine Delle, eine Vertiefung
reichte? Wie sei das mit der Haut und ihren Poren? Müsse ein Loch nicht nach
beiden Seiten durchlässig sein?
»Unsinn«, rief sogleich der vorlaute Abiturient aus der ersten Reihe und zeigte seine Schuhsohle vor. »Wollen Sie bestreiten, daß dieser Schuh ein Loch hat?« »Das habe ich auch immer gedacht«, erwiderte Z., »bis mir ein Topologe erklärte, das Loch sei überhaupt keine Eigenschaft der Fläche, sondern des Raumes, der sie umgibt. Wenn jemand, beispielsweise, auf einem Rettungsring oder auf einer Brezel zu Hause wäre, käme er nie auf die Idee, daß seine Welt ein Loch hätte. Deshalb hätten die Mathematiker alle Objekte in Klassen eingeteilt, je nachdem, wie viele Löcher sie hätten. Und diese Klassen nennen sie Geschlechter. Ich war verblüfft, als ich das hörte. Ein Hosenknopf mit drei Löchern hat demzufolge das Geschlecht drei und eine Kugel null. Wenn Sie dagegen Ihren eigenen Körper als eine Röhre betrachten, Lichtenberg soll dies vorgeschlagen haben, dann gehörte er nach dieser Logik zur ersten dieser Klassen.« »Glauben Sie das im Ernst?« »Eine gewöhnungsbedürftige Betrachtungsweise, zugegeben, aber daß sie scharfsinnig ist, können Sie nicht bestreiten.« »Und wozu soll das gut sein?«
»Auch wenn ich nichts von Kosmologie verstehe, wüßte ich doch gern, ob das
Universum porös ist oder ob es echte Löcher hat. Sie brauchen nur den Fernseher
einzuschalten, und schon erzählt man Ihnen von Schwarzen Löchern. Mein Topologe
sagt, wenn die Welt mehr als die üblichen vier Dimensionen hätte, würden wir
das gar nicht bemerken. Er ist es gewohnt, mit fünf bis elf Dimensionen umzugehen,
und dort wimmelt es von Mannigfaltigkeiten und Geschlechtern, und auch Wurmlöcher
sind offenbar keine Seltenheit.« Er selber allerdings, mit diesen Worten versuchte
Herr Z. seine Zuhörer zu beruhigen, gebe sich gewöhnlich mit dem zufrieden,
was er sich vorstellen könne. - Hans Magnus Enzensberger, Herrn Zetts Betrachtungen
oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern. Berlin 2014
Loch
(16) Der heilige Bischof
Patrick bestieg, ehe er von Schottland nach Irland kehrte, daselbst
einen Berg, um zu fasten und zu beten. Da sah er weit hinaus und
bemerkte, daß das Land voll Schlangen und giftigen Gewürms
war. Und er hob seinen Krummstab und bedrohte damit das Gezücht
also, daß es geifernd und zischend entwich. Danach kamen Leute
zu ihm herauf, seiner zu spotten. Da sprach er vor tauben Ohren und
bat Gott um ein Zeichen, davon die Menschen erschreckt würden, und
stieß mit seinem Stab auf den Felsen, darauf er stand. Und ging
ein Spalt auf in dem Fels, der glich einem kreisrunden Loch und
ließ Rauch und Feuer ausgehen. Und der Abgrund öffnete sich bis in
das Herz der Erde und das Geschrei von Flüchen, die sind das
Hosiannah der Verdammten, drang aus dem Loch hervor. Da entsetzten
sich die, so das mitansahen, und erkannten, daß ihnen St.
Patrick die Hölle aufgetan hatte.
Und St. Patrick sprach: wer darein gehe, dem sei keine andere Buße mehr not, und so etwas an ihm von gediegenem Golde wäre, das schmelze der Glutofen aus von einem Morgen zum ändern. Und gingen nachmals Viele hinein, kam aber selten Einer wieder. Denn das Feuer des Schicksals läutert oder verbrennt einen Jeden nach seiner Beschaffenheit. Und das ist St. Patricks Loch, daran mag ein Jeglicher vernehmen, was an ihm ist, und ob er die Taufe des Teufels bestehen möge im ewigen Leben.
Unter dem Volk aber geht bis heutigen Tags das Geraune, das Loch sei immer noch offen, doch
sehen könne es nur einer, der darauf gerichtet und geordnet ist und
geboren am .ersten Mai als Sohn einer Hexe oder Hure. Und wenn die
schwarze Scheibe des Neumonds senkrecht über dem Loche stünde,
dann stiegen zu ihr die Flüche der Verdammten aus dem Herzen
der Erde empor wie ein inbrünstiges Gebet der Teuflischen aus der
Verkehrtheit und fielen herab auf das Land wie seine Tropfen, und
sobald sie die Scholle berührten, würden schwarze gespenstische
Katzen daraus. - Gustav Meyrink, Der Engel
vom westlichen Fenster. München 1984 (zuerst 1927)
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