nde  Und ich sah einen tiefen Abgrund und Säulen himmlischen Feuers, und unter ihnen sah ich stürzende Feuersäulen... Und Uriel sagte zu mir: ›Hier sollen die Engel stehen, die bei Weibern lagen und deren Geister, mancherlei Gestalt annehmend, die Menschen beflecken und sie in die Irre führen, so daß sie Dämonen anbeten und ihnen opfern. Hier sollen sie stehen bis zum Tag des Gerichts... Und die Frauen, die sie verführten, sollen Sirenen werden.‹ Ich, Henoch allein, sah diese Vision vom Ende aller Dinge; kein anderer soll sehen, was ich geschaut. - 1. Buch Henoch, 18,11, nach (grav)

Ende (2) DIE Stadt ist unsagbar arm. Schon seit geraumer Zeit haben ihre Bewohner es aufgegeben, die eigene Lage zu verbessern, und führen ein einsames, zurückgezogenes und schweigsames Leben. Langsam schrumpft die Bevölkerung, aber nicht, weil irgendjemand auswandert — niemandem steht der Sinn danach auszuziehen, um wie man sagt »das Glück zu suchen« —, sondern weil die Toten nicht ersetzt werden; wenn ein Kind geboren wird, was äußerst selten geschieht, dann wird es den Nachbarstädten angeboten, wo sich dann jemand findet, der es adoptiert. Die Häuser sind alt und aus einem Material gebaut, das schon jetzt die Merkmale eines andauernden und nunmehr überstürzten Verfalls aufweist. Es gibt keine richtigen Bauarbeiten, aber hin und wieder wird eine bestimmte Anzahl von Bewohnern angewiesen, ein paar Steine — drei oder fünf — von einer Straße in eine andere zu tragen. Wenn es fünf Steine sind, kommen zehn Bürger, und jeder schafft die Hälfte des Wegs; sie werden mit abgegriffenen, unleserlichen Münzen entlohnt, die in keiner Stadt mehr im Umlauf sind. Nicht selten verlieren sie sie, zumal es in der Stadt nichts zu kaufen gibt. Sie leben von den kümmerlichen Erträgnissen ihrer Obstgärten, die von Leuten angelegt wurden, die es weder schätzen noch verstehen, Obstgärten anzulegen. Da sie diese Gärten haben, gehen sie nie oder fast nie auf die Straße. Sie haben stets das Gefühl, daß es sofort zu regnen anfängt — ganz gleich, wie das Wetter ist. Es gibt keine Schneider, und ihre Kleider zerfallen allmählich, aber bei dem geringen Gebrauch, den sie davon machen, können sie damit auskommen bis zum vollständigen Erlöschen der Stadt. Der Ursprung solch großen Elends ist unbekannt. Wahrscheinlich ist es chaotischen Religionskrisen zuzuschreiben, die in tödliche Verwirrung mündeten. Oder einem Netz von gleichzeitigen Liebesenttäuschungen, die Männer und Frauen trennten und einige in die Einsamkeit trieben, andere in Ehen ohne Begehren und Liebe In dieser Stadt verliebt sich seit vielen jahren niemand mehr, und obwohl man in den langen leeren Stunden Liebesgeschichten liest, betrachtet man die Sache als ein unlauteres Spiel. Anfänglich kamen Studienkommissionen in die Stadt, um den Mechanismus dieses unglaublichen Elends zu verstehen. Ein Zirkus wurde eingeladen, der zwei Tage gratis auf dem Marktplatz spielte. Es kam ein einziger Mann — ein Tauber, der den Eindruck gewann, es handle sich um eine religiöse Totenfeier. Die anderen Bürger blieben alle in ihren Häusern und litten heftig unter dem prunkvollen Getöse. Man kann nicht sagen, daß sie das eigene Ende und das Ende der Stadt erwarten; dunkel wissen sie, daß sie das Ende sind. - (pill)

Ende (5) Nun wendet sich die bewaffnete Wache gegen Heliogabal und sucht ihn im ganzen Palast. Julia Soemia hat die Bewegung wahrgenommen, sie eilt herbei. Sie findet Heliogabal in einer Art Seitengang, ruft ihm zu, er solle fliehen. Und sie begleitet ihn auf der Flucht. Von allen Seiten ertönen die Rufe der nahenden Verfolger, ihr wuchtiger Schritt läßt die Mauern erbeben, namenlose Panik erfaßt Heliogabal und seine Mutter. Von allen Seiten wittern sie den Tod. Sie stürzen in die Gärten, die im Schatten großer Pinien zum Tiber hinabführen. In einer abgelegenen Ecke, hinter einer dichten Reihe Stecheichen und duftender Buchsbäume erstrecken sich im Freien die Latrinengräben der Soldaten wie Furchen, die die Erde aufwühlen. Der Tiber ist zu weit weg. Die Soldaten sind ganz nah. Heliogabal stürzt sich in irrer Angst mit einem einzigen Satz in die Latrinen, versinkt in den Exkrementen. Das ist das Ende.

Die Schar, die ihn gesehen hat, holt ihn ein; und schon packen ihn seine eigenen Prätorianer am Schopf. Und jetzt spielt sich eine Fleischbankszene ab, ein ekelhaftes Gemetzel, ein antikes Schlachthofbild.

Exkremente mischen sich mit Blut, spritzen hoch mitsamt dem Blut auf den Schwertern, die im Fleisch von Heliogabal und seiner Mutter herumstochern.

Dann werden ihre Leichen bei Fackellicht weggekarrt, durch die Stadt geschleift vor dem entsetzten Pöbel, vor den Häusern der Patrizier, die ihre Fenster öffnen und Beifall klatschen. Eine ungeheure Menschenmenge zieht hinter diesen jämmerlichen Fleischklumpen, die schon ausgeblutet, aber noch besudelt sind, zum Tiberufer hinunter.

»In die Gosse«, heult jetzt der Pöbel, der sich Heliogabals Spenden einverleibt, doch nur zu gut verdaut hat.

»In die Gosse mit den beiden Leichen, Heliogabals Leiche in die Gosse!« Die Soldateska hat sich am Blut und am obszönen Anblick dieser beiden entblößten, verwüsteten Körper, die alle ihre Organe, selbst die verborgensten, preisgeben, geweidet und versucht nun, Heliogabals Leichnam in den erstbesten Kanalschacht zu stopfen. Doch so schlank er ist, er ist noch zu breit. Man muß sich etwas anderes einfallen lassen.

Man hat Elagabalus Bassianus Avitus, auch Heliogabal genannt, bereits den Spitznamen Varius gegeben, weil er aus mancherlei Samen gebildet war und von einer Prostituierten abstammte, man hat ihm später die Namen Tiberinus und Tractaticius gegeben, weil er geschleift und nach dem Versuch, ihn in die Gosse zu stecken, in den Tiber geworfen worden ist; doch vor der Gosse hat man ihn zurechtzufeilen versucht, weil er zu breite Schultern hatte. Man hat ihm also die Haut abgezogen und das Skelett, das man heil zu lassen geruhte, bloßgelegt; und so hätte er wohl noch die beiden Namen »Der Gefeilte« und »Der Gehobelte« verdient. Doch er ist, obzwar zurechtgefeilt, natürlich immer noch zu breit, und so wird sein Leichnam in den Tiber geworfen, der ihn, und ein paar Strudel hinter ihm Soemias Leichnam, mitfortreißt ins Meer.

So endet Heliogabal, ohne Inschrift und ohne Grab, doch mit einem grausigen Leichenbegängnis. Er ist feige gestorben, doch im Zustand offener Rebellion; und ein solches Leben, gekrönt von einem solchen Tod, spricht, wie mir scheint, für sich selbst. - Antonin Artaud, Heliogabal oder Der Anarchist auf dem Thron. München, Frankfurt am Main 1980 (zuerst 1967)

Ende (6) Sihe / Es kompt ein vnglück vber das ander / Das ende kompt / es kompt das ende / es ist erwacht vber dich / Sihe / es kompt. Es gehet schon auff / vnd bricht daher / vber dich / du Einwoner des Landes / Die zeit kompt / der tag des jamers ist nahe / da kein singen auff den Bergen sein wird. Nu wil ich bald meinen Grim vber dich schütten / vnd meinen Zorn an dir volenden / vnd wil dich richten / wie du verdienet hast / vnd dir geben / was deinen Greweln allen gebürt. Mein Auge sol dein nicht schonen / vnd wil nicht gnedig sein / Sondern ich wil dir geben / wie du verdienet hast / vnd deine Grewel sollen vnter dich komen / Das jr erfaren solt / Jch sey der HERR / der euch schlegt.  - Hesekiel 7

Ende (7)  Man wird sich erinnern, daß der Kaiser Augustus, jener fürchterliche Mensch, der sich ebenso in der Gewalt hatte und der ebenso schweigen konnte wie irgend ein weiser Sokrates, mit seinem letzten Worte indiskret gegen sich selber wurde: er ließ zum ersten Male seine Maske fallen, als er zu verstehen gab, daß er eine Maske getragen und eine Komödie gespielt habe, er hatte den Vater des Vaterlandes und die Weisheit auf dem Throne gespielt, gut bis zur Illusion! Plaudite amici, comoedia finita est! — Der Gedanke des sterbenden Nero: qualis artifex pereo! war auch der Gedanke des sterbenden Augustus: Histrionen-Eitelkeit! Histrionen-Schwatzhaftigkeit! Und recht das Gegenstück zum sterbenden Sokrates! — Aber Tiberius starb schweigsam, dieser gequälteste aller Selbstquäler, — der war echt und kein Schauspieler! Was mag dem wohl zuletzt durch den Kopf gegangen sein! Vielleicht dies:

"Das Leben — das ist ein langer Tod! Ich Narr, der ich so vielen das Leben verkürzte! War ich dazu gemacht, ein Wohltäter zu sein? Ich hätte ihnen das ewige Leben geben sollen: so hätte ich sie ewig sterben sehen können. Dafür hatte ich ja so gute Augen: qualis spectator pereo!" Als er nach einem langen Todeskampfe doch wieder zu Kräften zu kommen schien, hielt man es für ratsam, ihn mit Bettkissen zu ersticken, — er starb eines doppelten Todes.  - (frw)

Ende (8)  MITTWOCH, 23. JANUAR 1907 Mit dem armen Jarry ist es aus, aus und vorbei. Krank, zerrüttet von Entbehrungen, vom Trinken und vom Onanieren, unfähig, sich auf irgendeine Weise seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sei es durch eine Anstellung oder durch eine irgendwie geartete Mitarbeit bei einer Zeitung. Vor zwei oder drei Jahren hatte man ihn in den Figaro gebracht. Er tat nichts, oder aber, was er tat, war unlesbar. Im letzten Jahr, als er tief verschuldet und bereits leicht verrückt war, hatte man beim Mercure die Veröffentlichung eines schmalen Werkes von ihm organisiert - in beschränkter Auflage und zu einem sehr hohen Preis. Nach Begleichung all seiner Schulden hatte ihm das achthundert bis tausend Francs gebracht. Er hat das ganze Geld damit vertan, zu trinken und in Cafés zu gehen, so daß er sich heute, fertig und erledigt, damit abfinden muß, wieder zu seiner Schwester zu fahren. «Am besten war's, er käme nie wieder», meinte Vallette zu mir. «Er ist erledigt, nicht mal mehr imstande, einen Botengang zu tun.»  - (leau)

Ende (9)   Sollte es mit dem Christentum einmal dahin kommen, daß es aufhörte liebenswürdig zu sein (welches sich wohl zutragen könnte, wenn es, statt seines sanften Geistes, mit gebieterischer Auktorität bewaffnet würde): so müßte, weil in moralischen Dingen keine Neutralität (noch weniger Koalition entgegengesetzter Prinzipien) Statt findet, eine Abneigung und Widersetzlichkeit gegen dasselbe die herrschende Denkart der Menschen werden; und der Antichrist, der ohnehin für den Vorläufer des jüngsten Tages gehalten wird, würde sein (vermutlich auf Furcht und Eigennutz gegründetes) obzwar kurzes Regiment anfangen: alsdann aber, weil das Christentum allgemeine Weltreligion zu sein zwar bestimmt, aber es zu werden von dem Schicksal nicht begünstigt sein würde, das (verkehrte) Ende aller Dinge in moralischer Rücksicht eintreten. - Immanuel Kant, Das Ende aller Dinge

Ende (10)   Wie immer : die leeren Schalen der Häuser. Atombomben und Bakterien hatten ganze Arbeit geleistet. Meine Finger preßten mechanisch, unaufhörlich, an der Dynamotaschenlampe. In einer Kammer ein Toter : sein Gestank hatte Zwölfmännerstärke : also wenigstens im Tode Siegfried (nebenbei selten, daß es noch roch; war ja alles schon zu lange her). Im ersten Stock lagen fast ein Dutzend Gerippe, Männer und Frauen (an den Beckenknochcn kann mans unterscheiden). Also sechs Männer (bzw. Knaben); fünf Frauen und Mädchen.

Draußen : Früher wars wohl adrett genug gewesen; jetzt schlotterte der Garten ums hohle Haus. Schöne starke Kiefern aber. Graue Mauer, von der graue Kräuter nickten, auch Lupinen und Wegerich. Aus grauen Mauern machte man Häuser; aus Häusern Städte, aus Städten Kontinente : wer fand sich da noch durch ! Bloß gut, daß Alles zu Ende war; und ich spuckte aus : Ende ! - Arno Schmidt, Schwarze Spiegel. Zürich 1987 (zuerst 1949)

Ende (11)    Fragt mich nicht, wie es ausgegangen ist: alles geht übel aus. Auch wenn ein menschliches Geschöpf sich über seine hinfällige Natur erhebt und seine Instinkte, Unsinnigkeiten, Gebrechen überwindet, sich sublimiert und sich ein Reich brüderlicher Freude, Liebe und Freiheit errichtet, zu seinen Ursprüngen zurückzukehren scheint, ein fremdes Schicksal zu seinem eigenen macht und zusammen mit dem auserwählten Erlösten sich selbst erlöst, zu seiner wahren Heimat emporsteigt, die eine Seelenheimat ist (und zu dieser Gelegenheit, was ja nie schaden kann, den jeweiligen Pegasos oder lahmen Klepper seiner Beredsamkeit besteigt), und so weiter und so fort — selbst dann, und sei's nur, weil jedes Feuer doch nur ein Strohfeuer ist, selbst dann geht alles übel aus. - Tommaso Landolfi, Ewige Provinz, nach (land)

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