ing  Das waren keine Menschen mehr, nicht einmal annähernd, sondern große, grauweiße schlüpfrige Dinger, die sich nach Belieben ausdehnen und zusammenziehen konnten. Ihre eigentliche Gestalt glich - obschon sie häufig wechselte — einer Art Kröte, die keine Augen, dafür aber eine sonderbar vibrierende Masse blauroter Tentakel am Ende ihres stumpfen, vagen Mauls besaß. Diese Objekte watschelten geschäftig die Kais entlang, verluden mit übernatürlicher Kraft Lattenkisten, Ballen und Behälter. - H. P. Lovecraft

Ding (2) Das Ding kann unmöglich beschrieben werden - es gibt keine Sprache für solche Abgründe brüllenden unvorstellbaren Irrsinns, für diese Verneinung von Materie, kosmischer Gültigkeit und Ordnung. Ein Berg bewegte sich wie eine Qualle, stolperte schlingernd einher. O Gott! war es da zu verwundern, daß auf der anderen Seite der Erde ein großer Architekt verrückt wurde und der unglückliche Wilcox in diesem telepathischen Augenblick im Fieber raste? Das Ding der Idole, das schleimgrüne klebrige Gezücht der Sterne, war aufgestanden, um sein Recht zu beanspruchen. Die Planeten standen wieder in der richtigen Position, und was ein jahrtausendealter Kult vergeblich beabsichtigt hatte, das hatte durch Zufall ein Haufen nichtsahnender Seeleute vollbracht. Nach Vigintillionen Jahren erblickte der große Cthulhu zum erstenmal wieder das Licht, und er raste vor Lust.

Drei der Leute wurden von den glitschigen Fängen verschlungen, noch bevor sich jemand bewegte. Gott möge ihnen Frieden schenken — wenn es irgendeinen Frieden im Universum gibt! Es waren Donovan, Guerrera und Angström. Parker glitt aus, als die übrigen drei in panischem Schrecken über endlose Flächen grünverkrusteter Felsen zum Boot stürzten, und Johansen geht jeden Eid ein, daß er von einem Winkel in dem Quaderwerk verschluckt wurde, den es eigentlich gar nicht hätte geben dürfen; einem Winkel, der spitz war, aber alle Eigenschaften eines stumpfen besaß. So erreichten nur Briden und Johansen das Boot, und sie ruderten verzweifelt auf die Alert zu, als sich das gebirgige monströse Schleimding die glitschigen Felsen herunterplumpsen ließ und zögernd im seichten Wasser umherwatete. Es war nur das Werk von ein paar Sekunden, fieberhaftes Hin- und Herhasten zwischen Dampfkesseln und Steuerhaus, um die Alert flottzumachen; langsam begann sie inmitten dieser grauenhaften unbeschreiblichen Szene die lethalen Gewässer aufzuwühlen; während auf den Felsblöcken dieser Leichenküste, die nicht von dieser Welt war, das Ding von den unseligen Sternen geiferte und sabberte und grunzte wie Polyphem, der das fliehende Boot des Odysseus verfluchte. - H. P. Lovecraft, Cthulhus Ruf. In: Cthulhu. Geistergeschichten. Übs. H. C. Artmann. Frankfurt am Main 1972 (st 29, zuerst 1928)

Ding (3)  Und doch sah ich sie - ein nicht enden wollender Strom watschelnder, hopsender, quakender, blökender Gestalten, der sich unmenschlich unter dem gespenstischen Mond wie in einer grotesken, bösartigen Sarabande aus einem phantastischen Alptraum dahinwälzte. Und manche von ihnen hatten Tiaren aus jenem namenlosen, weißlich-goldenen Metall... und manche trugen sonderbare Roben ... und einer, der den Zug anführte, war in einen gespenstisch buckligen schwarzen Mantel und gestreifte Hosen gekleidet und trug einen normalen Filzhut auf dem formlosen Gebilde, das ihm den Kopf ersetzte.

Ich glaube, ihre vorherrschende Farbe war graugrün, doch die Bäuche waren weiß. Sie waren überwiegend glänzend und glitschig, aber die Wülste auf ihrem Rücken waren schuppig. Ihre Gestalt erinnerte entfernt an menschliche Wesen, doch ihre Köpfe waren die Köpfe von Fischen, mit grotesk glotzenden Augen, die sich nie schlossen. Am Halse hatten sie auf beiden Seiten pochende Kiemen, und ihre langen Klauen hatten Schwimmhäute. Sie hopsten unregelmäßig, manchmal auf zwei Beinen und manchmal auf allen vieren. Ich war irgendwie erleichtert, daß sie nicht mehr als vier Glieder hatten. Ihre quakenden, bellenden Stimmen, die sie offensichtlich für artikulierte Sprache benutzten, waren all der dunklen Schattierungen des Ausdrucks fähig, die ihren starrenden Gesichtern versagt blieben. - H. P. Lovecraft, Schatten über Innsmouth. In: Der Fall Charles Dexter Ward. Frankfurt am Main 1971 (Insel, zuerst 1929)

Ding (4) Das Ding, das gekrümmt in einer übelriechenden Lache grünlich-gelben Bluts und teeriger Ekligkeit lag, war fast neun Fuß groß; der Hund hatte ihm alle Kleider und Teile der Haut heruntergerissen. Es war nicht tot, sondern zuckte schweigend und in Krämpfen. während seine Brust sich in schauerlichem Einklang mit den wahnsinnigen Schreien der wartenden Ziegenmelker draußen senkte und hob. Teile von Schuhleder und von Kleidung waren im ganzen Raum verstreut, und direkt unter dem Fenster lag ein leerer Segeltuchsack, der offensichtlich dort fallengelassen worden war. Neben dem Tisch in der Mitte lag ein Revolver, der nicht abgefeuert worden war, auf dem Boden. Das Ding selbst jedoch verdrängte im Augenblick alle anderen Bilder. Es wäre übertrieben und nicht ganz richtig, wollte man sagen, daß keine menschliche Feder es beschreiben könne; aber man kann guten Gewissens behaupten, daß derjenige sich kein lebendiges Bild davon machen kann, dessen Begriffe von Aussehen und Kontur zu eng mit den herkömmlichen Lebensformen dieses Planeten und der drei uns bekannten Dimensionen verknüpft sind. Es war ohne jeden Zweifel zum Teil menschlich, mit den Händen und dem Kopf eines Mannes, und das bocksähnliche, kinnlose Gesicht trug den Stempel der Whateleys. Aber der Rumpf und die unteren Teile des Körpers waren so ungeheuerlich mißgebildet, daß nur reichliche Kleidung ihm ermöglicht haben konnte, ungeschoren auf dieser Erde zu existieren.

Oberhalb der Taille war es halbmenschlich; obwohl seine Brust, auf der noch immer die aufgerissenen Klauen des Hundes wachsam ruhten, die lederähnliche, netzartige Haut eines Krokodils oder Alligators besaß. Der Rücken war gelb und schwarz gescheckt und erinnerte schwach an gewisse schuppige Schlangen. Unterhalb der Gürtellinie wurde es jedoch ganz grauenhaft; hier endete jede menschliche Verwandtschaft. Die Haut war dicht von zottigem schwarzem Fell bedeckt, und aus dem Unterleib hingen schlaff unzählige grünlichgraue Tentakeln mit roten schmatzenden Mündern. Sie waren seltsam angeordnet und schienen den Gesetzen einer kosmischen Geometrie zu folgen, die auf der Erde oder im Sonnensystem unbekannt ist. Auf jedem der Hüftknochen saß in einer mit Wimpernhärchen besetzten Höhle so etwas wie ein rudimentäres Auge, während anstelle eines Schwanzes eine Art Rüssel oder Fühler mit blutroten Ringmarkierungen herabhing, mit allen Anzeichen eines unterentwickelten Mundes oder Halses. Die Glieder ähnelten, abgesehen von ihrer schwarzen Behaarung, im groben den Hinterpranken prähistorischer Riesensaurier und endeten in furchigen dickadrigen Pfoten, die weder Hufe noch Klauen waren. Wenn das Ding atmete, wechselten der Schwanz und die Tentakeln rhythmisch ihre Farbe, was im Nicht-Menschlichen der grünlichen Tönung des Blutes begründet lag; während das Gelbliche des Schwanzes sich mit einem blassen Grau-Weiß in den Zwischenräumen der roten Kerben ablöste. Wirkliches Blut war nichts von allem; nur eine stinkende grünlich-gelbe Flüssigkeit, die klebrig auf den gestrichenen Boden tropfte und ihn seltsam entfärbte. - H. P. Lovecraft, Das Grauen von Dunwich. In: Cthulhu. Geistergeschichten. Übs. H. C. Artmann. Frankfurt am Main 1972 (st 29, zuerst 1929)

Ding (5)  Für John Carpenters »Das Ding aus einer anderen Welt« (1982) bemühte sich eine vierzigköpfige Crew unter dem Make-up-Künstler Rob Bottin ein Jahr lang, zum Preis von anderthalb Millionen Dollar ein unüberbietbares Monstrum zu erschaffen. Es soll, so will es die Story, vor Urzeiten im Eis der Antarktis gestrandet und von einer Forschergruppe freigesprengt worden sein. Eigentlich ist es eine Art Virus, der in irdische Wirtswesen eindringt, ihre »Gene umbaut« und sie dadurch in Monster verwandelt. Das heißt, das Ding muß gar keine bestimmte eigene Gestalt haben; seine Monsterhaftigkeit braucht sich nur darin zu erweisen, daß es vertraute irdische Wesen verunstaltet. Glücklicherweise widersteht es wohl dem Frost, dem Flammenwerfer aber nicht. Die erste Version, deren man ansichtig wird, sieht aus wie eine abstrakte Skulptur aus gebratenen Lammkeulen. Reichlich macht der Film von dem Motiv aufplatzender Körper Gebrauch, das zu einem Standardhorroreffekt geworden ist; zum Schrecken gesellt sich damit der Ekel, Ekel vor Blut, vor Eingeweiden, vor Schleim (dargestellt von viel Gelatine). In der grausigsten Szene platzt einem vom »Ding« infizierten Mann der Bauch längs auf, der Riß wird zu einem Riesenmaul mit Riesenzähnen, das dem ihn gerade betastenden Arzt die Hände abbeißt, dann dehnt sich sein Hals (mittels Bubble Gum), aus dem Schädel bricht ein anderer Männerkopf hervor und fällt zu Boden, eine meterlange Zunge wächst ihm aus dem Mund und wickelt sich um ein Tischbein, und am Ende kriecht das grausig verformte Haupt verkehrtherum auf langen Spinnenbeinen umher...- Dieter E. Zimmer, Experimente des Lebens. Zürich 1989

Ding (6) Wir sind seitdem viele Male aufgefordert worden, sie zu beschreiben, aber vielleicht besitzen wir nicht ein solch präzises Auge für Einzelheiten wie andere Leute. Damals wie heute können wir nur sagen, daß bei dieser Gelegenheit keine erkennbare Form zu unterscheiden war. Die Mitte leuchtete tiefrot, umgeben von einer Art hellerem verwaschenen Kranz. Der beste Vergleich, der mir einfällt, wäre der mit einem grellroten Licht, das hinter einer dichten Nebelwand hervorscheint und infolgedessen einen starken Lichthof besitzt.

Außer uns lehnten noch andere Passagiere an der Reling, und fairerweise sollte ich vielleicht erwähnen, daß einige von ihnen zigarrenförmige Objekte, andere wiederum Zylinder, Scheiben, Ellipsoide und natürlich Untertassen gesehen zu haben scheinen. Wir nicht. Wir sahen auch nicht acht, neun oder ein Dutzend. Wir sahen fünf.

Möglich, daß der Lichthof von einer Art Düsenantrieb verursacht wurde. Ich weiß es nicht. Die Geschwindigkeit der Punkte schien jedenfalls nicht sehr hoch zu sein. Die Dinger wurden nur langsam größer, und den Passagieren, die sich an Deck befanden, blieb reichlich Zeit, in den Salon zu laufen und ihre Freunde auf das Schauspiel aufmerksam zu machen, so daß kurz darauf eine lange Reihe von Neugierigen die Reling säumte.

Ohne eine Möglichkeit, vergleichen zu können, war es natürlich ausgeschlossen, Größe und Entfernung der Punkte abzuschätzen. Wir waren uns nur einer Sache sicher, nämlich daß sie in einer langen Gleitbahn niedergingen, die sie allem Anschein nach quer über unser Kielwasser führen würde.

Als der erste auf dem Wasser auftrat, schoß eine riesige, rötlich gefärbte Dampfsäule gen Himmel, die jedoch schnell wieder in sich zusammensank, sich verbreiterte, die rötliche Färbung verlor und schließlich nur noch einer breitgelagerten weißen Dampfwolke glich. Sie begann sich bereits wieder zu verflüchtigen, als das Geräusch des Aufschlags uns in Form eines wütenden Zischens erreichte. Das Wasser um die Aufschlagstelle schäumte und sprudelte wild. Als der Dampf sich endlich völlig verzogen hatte, war nichts mehr zu sehen als aufgewühlte See, die sich langsam wieder glättete.

Dann schlug der zweite auf - auf die gleiche Art und fast an der gleichen Stelle. Nacheinander versanken so alle fünf unter Brausen und Zischen in den Fluten. Kurz darauf zeigten nur noch wenige nahe beisammen liegende Flecken unruhiger See die Stelle an, wo sie verschwunden waren.

An Bord der ›Guinevere‹ schrillte der Maschinentelegraf und schlugen Glocken an. Das Stampfen der Maschine änderte seinen Rhythmus, wir nahmen Kurs auf die Untergangsstelle. Matrosen kamen an Deck gelaufen, um die Boote zu bemannen, andere Männer hielten sich bereit, um Rettungsringe zu werfen.

Viermal dampften wir auf der Suche nach Überlebenden und Wracktrümmern über der Absturzstelle hin und her. Und fanden nichts. Von unserem Kielwasser abgesehen, beschien das Mondlicht eine glatte und völlig leere Wasserfläche. - John Wyndham, Wenn der Krake erwacht. Frankfurt am Main 1988 (st 1535, zuerst 1953)

Ding (7) Ich würde nicht sagen, daß ich kein Nickerchen machte, aber plötzlich barst eine starke Explosion mitten in die Stille hinein, und ich war hellwach sowie, natürlich, voll auf der Hut. Was auch immer für ein Dämon oder Lebewesen das sein mochte, ich hatte den Eindruck, daß sich das Wesen in einer Entfernung von etwa hundert Yards zu meiner Linken befand, und zwar in dem zerklüfteten Gebiet im Schatten des Kliffs, der Sicht jedes Auges entrückt. Ich habe noch nie so ein seltsames, unerkennbares Geräusch gehört. Einerseits war es ein sehr bestimmtes Geräusch wie ein Stein, der auf den anderen fällt; andererseits ähnelte es dem Lärm, den eine fette Kuh macht, wenn sie in ein mit Wasser gefülltes Torfloch fällt. Ich blieb bewegungslos und lauschte, und mein Herz war voller Schrecken. Jedes andere Geräusch war nun verstummt; es gab nur noch die Laute, die verhalten von der See aufstiegen. Es gab jedoch noch etwas anderes, was ich spürte. Die Luft war jetzt faulig durch einen uralten Geruch nach Fäulnis, der die Haut meiner Nase zum Summen und Tanzen brachte. Furcht und Niedergeschlagenheit und Ekel überkamen mich. Das Geräusch und der Geruch waren miteinander verbunden! Mich wehte das starke Verlangen an, sicher zu Hause zu sein und im Ende des Hauses bei den Schweinen zu ruhen. Einsamkeit wehte mich an; ich war ganz allein an diesem Ort, und das unbekannte Üble war auf mich gestoßen.

Ich weiß nicht, ob ich in jenem Augenblick neugierig oder kühn war, aber ein starkes Verlangen erfaßte mich herauszufinden, was mir bevorstand und festzustellen, ob es irgendeine irdische Erklärung für das Geräusch und den Geruch gab, die ich bemerkt hatte. Ich erhob mich und ging nach Westen, nach Osten und dann nach Norden, bis ich unten auf dem Sand des Strandes stand. Der weiche, feuchte Sand war unter meinen Füßen. Ich ging vorsichtig zum Ort des Geräusches. Der üble Geruch war jetzt wirklich stark und verschlimmerte sich mit jedem Schritt, den ich unternahm. Trotzdem schritt ich weiter aus und betete, daß mich der Mut nicht verlassen möge. Eine Wolke hatte die Sterne bedeckt, und eine Zeitlang war die Beschaffenheit des Küstenstreifens nur schwer auszumachen. Plötzlich nahm mein Auge einen Schatten wahr, der schwärzer war als die anderen am Fuß des Kliffs, und nun bedrängte mich der üble Geruch in einer Weise, die dazu angetan war, mir den Magen umzudrehen. Ich blieb stehen, um mit meinem Verstand ins reine zu kommen und Mut zu fassen. Bevor ich jedoch die Gelegenheit hatte, eines dieser Vorhaben auszuführen, bewegte sich das schwarze Objekt von dort, wo es stand, fort. Trotz dem großen Schrecken, der mich in jenem Augenblick gepackt hielt, beobachteten meine Augen genau jede Einzelheit, die da vor ihnen ausgebreitet war. Ein großer Vierbeiner hatte sich erhoben und stand nun inmitten der Felsen, wobei er Schauer fauligen Gestanks um sich spie. Zuerst dachte ich, ein übertrieben sperriger Seehund stehe vor mir, aber später straften die vier Beine diese Annahme Lügen. Dann verstärkte sich der matte Schein am Himmel ein wenig, und ich sah, daß sich in jener Nacht ein großes, starkes, behaartes Objekt in meiner Gesellschaft befand, grauhaarig und mit stechenden roten Augen, die mich wütend anstarrten. Die Dunkelheit war nun von seinem Atem verpestet, was meine Gesundheit dazu bewegte, mich eilig zu verlassen. Plötzlich ging ein Beben und Grunzen durch das Üble, und ich bemerkte, daß es im Begriff stand, mich anzugreifen und mich, vielleicht, zu fressen. Kein gaelisches Wort, das ich je gehört habe, kann den Schrecken beschreiben, der mich umklammert hielt. Ein Schüttelfrost beklemmte meine Glieder vom Scheitel meines Kopfes bis zu den Sohlen meiner Füße; mein Herz setzte bei jedem zweiten Herzschlag aus, und der Schweiß floß reichlich an mir herunter. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich, meine Karriere auf Irlands grünem Festland würde nur von kurzer Dauer sein. Ich war noch nie in einer so ungesunden Lage gewesen wie in jener Nacht am großen Ozean. Die bittere, magere Furcht, die kleine, glatte, feige Furcht überkam mich plötzlich. In mir erhoben sich ein Sturm des Blutes, ein Quell von Schweiß sowie übertriebene geistige Betriebsamkeit. Wieder stieß das graue Objekt dort unten ein Bellen aus. Gleichzeitig kam eine geisterhafte Bewegung in meine Füße, eine unirdische Bewegung, die meinen Körper flink und mit der Leichtigkeit des Windes über das rauhe Land trug, auf dem ich mich befand. Das Üble verfolgte mich. Husten und ein fauliger Gestank waren hinter mir, die mich über Irland, das Paradies, jagten und bewegten.   - Flann O'Brien, Irischer Lebenslauf. Eine arge Geschichte vom harten Leben. Herausgegeben von Myles na Gopaleen. Aus dem Irischen ins Englische übertragen von Patrick C. Power. Aus dem Englischen ins Deutsche übertragen von Harry Rowohlt. Frankfurt am Main 2003 (st 3503, zuerst 1941)

Ding (8)

Ein Mägdlein zu sich selber sprach,
Da sie ihr rauhes Ding ansah:
Siehe, liegst du da und hast so
    schwarze Haar,
Fürwahr, lebst du noch ein Jahr,
Und ich bin dazu frisch und gesund,
Sollst du haben eine Pfeife
    in den Mund.

 - (kal)

Ding (9)  Er fühlte nur zu deutlich, daß zwischen ihm und dem lauernden Grauen eine Art unguter Verbindung bestand. Seine Willenskraft war unter ständiger Anstrengung, und Besucher, die ihn damals beobachten konnten, erinnern sich noch daran, wie er gedankenverloren an seinem Schreibtisch saß und nach dem Turm der Kirche hinüberstarrte, der sich auf dem Hügel jenseits der Stadt düster und drohend erhob. Seine Eintragungen beschäftigten sich immer wieder mit gräßlichen Traumgesichtern und der erschreckenden Präsenz eines unsichtbaren Dinges, die nachts an Intensität zunahm. Er erwähnte auch eine Nacht, in der er plötzlich vollkommen angekleidet erwachte und sich auf dem Weg nach dem Westen der Stadt fand. Immer wieder drückte er die feste Überzeugung aus, daß das blasphemische Ding aus dem Turm ihn überall zu greifen wisse.   - H. P. Lovecraft, Der leuchtende Trapezoeder. In: Cthulhu. Geistergeschichten. Übs. H. C. Artmann. Frankfurt am Main 1972 (st 29, zuerst 1928)

Ding (10)  »Das Ding wird nie wieder kommen«, sagte Armitage. »Es hat sich in das aufgelöst, woraus es ursprünglich bestand, und es wird nie wieder existieren. Es stellte eine Unmöglichkeit in einer normalen Welt dar. Nur ein winziger Bruchteil bestand aus Materie, so wie wir sie verstehen. Es war wie sein Vater - und der größte Teil von ihm ist in unbestimmte Bereiche und Dimensionen außerhalb unseres stofflichen Universums zu ihm zurückgekehrt; in nebelhafte Abgründe, aus denen nur die verfluchtesten Beschwörungen menschlicher Blasphemie es für einen Augenblick auf die Hügel herausrufen konnten.«

Einen Moment lang herrschte Schweigen, und in dieser Pause begann der verwirrte Geist des armen Curtis Whateley den Faden wieder aufzunehmen; er griff sich stöhnend mit beiden Händen an den Kopf. Seine Erinnerung setzte anscheinend da wieder ein, wo sie abgebrochen war, und das Grauen, das ihn niedergeworfen hatte, brach von neuem auf ihn los. »Oh, oh, mein Gott, dieses halbe Gesicht - dieses halbe Gesicht obendrauf ... dieses Gesicht mit den roten Augen und dem krausen Haar eines Albino, und ohne Kinn, wie die Whateleys ... Es war ein Tintenfisch, ein Tausendfüßler, eine Art Spinne - aber obendrauf was das halbe Gesicht eines Menschen ... «  - H. P. Lovecraft, Das Grauen von Dunwich. In: Cthulhu. Geistergeschichten. Übs. H. C. Artmann. Frankfurt am Main 1972 (st 29, zuerst 1929)

Ding (11)   »Größer als eine Scheune ... besteht nur aus Fäden, die sich winden ... das ganze Ding sieht aus wie ein Ei, nur viel größer, mit Dutzenden Beinen, die wie Fässer sind ... nichts daran ist massiv ... alles eine weiche Masse... zusammengeschnürte bewegliche Fäden ... und überall große hervorquellende Augen ... zehn oder zwanzig Münder oder Rüssel, so groß wie Ofenrohre, kommen an allen Seiten heraus und bewegen sich ständig, öffnen und schließen sich ... ganz grau, mit blauen oder violetten Ringen ... und, Gott im Himmel, dieses halbe Gesicht obendrauf ...« Diese letzte Schilderung war einfach zu viel für den armen Curtis; und er brach zusammen.  - H. P. Lovecraft, Das Grauen von Dunwich. In: Cthulhu. Geistergeschichten. Übs. H. C. Artmann. Frankfurt am Main 1972 (st 29, zuerst 1929)

Ding (12)  Es ist schwer zu erklären, wie ein einziger Blick auf ein greifbares Objekt von meßbaren Dimensionen einen Mann so erschüttern und verändern kann; und wir können nur sagen, daß manchen Umrissen und Erscheinungen eine suggestive Symbolkraft innewohnt, die sich schrecklich auf die Phantasie eines empfindsamen Denkers auswirkt und hinter den schützenden Illusionen des normalen Sehens furchtbare Andeutungen von obskuren kosmischen Beziehungen und unnennbaren Wirklichkeiten aufglimmen läßt. Bei jenem zweiten Hinsehen nahm Willett solch einen Umriß oder solch eine Erscheinung wahr, denn in den darauffolgenden Augenblicken war er zweifellos nicht weniger dem schieren Wahnsinn verfallen als irgendeiner der Insassen von Dr. Waites Privat-Irrenanstalt. Die Taschenlampe fiel ihm aus der jeder Muskelkraft oder nervlicher Koordination beraubten Hand, und er achtete nicht auf das knirschende Beißgeräusch, das über ihr Schicksal am Boden der Grube Aufschluß gab. Er schrie und schrie und schrie in einer Stimme, die in ihrer überschnappenden Panik keiner seiner Bekannten wiedererkannt hätte, und da er sich  nicht zu erheben vermochte, kroch und wälzte er sich von dem Loch fort, über den feuchten Fußboden, während aus Dutzenden von Höllenschlünden erschöpftes Jammern und Heulen als Antwort auf seine eigenen irrsinnigen Schreie erscholl. Er riß sich an den rauhen, losen Steinen die Hände blutig und stieß oft mit dem Kopf gegen eine der zahlreichen Säulen, hielt aber trotzdem nicht inne. Dann schließlich kam er in der pechschwarzen, stinkenden Finsternis langsam wieder zu sich und hielt sich vor dem dröhnenden Geheul die Ohren zu. Er war schweißgebadet und hatte keine Möglichkeit, Licht zu machen; heimgesucht und enerviert in diesem schwarzen Abgrund des Grauens, niedergedrückt von einer Erinnerung, die er nie würde aus seinem Gedächtnis löschen-können. Unter ihm waren Dutzende von diesen Wesen noch am Leben, und von einem dieser Schächte war der Deckel entfernt worden. Er wußte, daß das Wesen, das er gesehen hatte, niemals die schlüpfrigen Mauern erklettern konnte, schauderte aber bei dem Gedanken, daß vielleicht doch irgendwelche Stufen in die Wände gehauen sein konnten.

Was für ein Wesen es war, hat er nie verraten. Es war wie manche der gemeißelten Figuren auf dem höllischen Altar, aber es lebte. Die Natur hatte es niemals in dieser Form erschaffen, denn es war zu offensichtlich unvollendet. Die Mängel waren von höchst überraschender Art, und die abnormen Proportionen entzogen sich jeder Beschreibung. Willett findet sich nur zu der Erklärung bereit, daß es sich bei diesem Ding um einen Vertreter jener Wesen gehandelt haben müsse, die Ward aus unvollkommenen Saltzen erweckt habe und die er für Dienstleistungs- und rituelle Zwecke hielt. Hätte es nicht eine gewisse Bedeutung gehabt, sein Abbild wäre nicht in jenen fluchwürdigen Stein gemeißelt worden. Es war nicht das schlimmste der auf diesem Stein abgebildeten Wesen - aber die anderen Gruben hatte Willett nicht geöffnet. - H.P. Lovecraft, Der Fall Charles Dexter Ward. Frankfurt am Main 1971 (Insel Bibliothek des Hauses Usher, zuerst 1941)

Ding (13)   Die ganze Farm leuchtete von dem gräßlichen, unerklärlichen Farbengemisch: Bäume, Gebäude, und sogar das Gras und das Laub, soweit es nicht schon diese tödliche, graue Sprödigkeit angenommen hatte. Die Zweige bogen sich alle himmelwärts, an den Spitzen mit widerwärtigen Flämmchen besetzt, und züngelnde Tropfen desselben monströsen Feuers krochen über die Firstbalken des Hauses, der Scheune und der Schuppen. Es war eine Szene aus einer der Visionen von Fuseli, und über allem anderen herrschte dieser Aufruhr leuchtender Formlosigkeit, dieser fremdartige, dimensionslose Regenbogen kryptischen Giftes aus dem Brunnen - brodelnd, tastend, schlürfend, greifend, glitzernd, zerrend und bösartig blubbernd in seinem kosmischen, unbestimmbaren Chromatismus.

Dann plötzlich, ohne jede Vorwarnung, schoß das Ding vertikal in den Himmel, wie eine Rakete oder ein Meteor, ließ keine Spur zurück und verschwand durch ein rundes und merkwürdig regelmäßiges Loch in den Wolken, bevor auch nur einer der Männer einen Laut des Erstaunens über die Lippen brachte. Keiner, der es sah, wird diesen Anblick je vergessen, und Ammi schaute benommen auf die Sterne des Schwans, mit dem funkelnden Deneb über den anderen, wo die unbekannte Farbe mit der Milchstraße verschmolzen war. Aber sein Blick wurde im nächsten Moment zur Erde zurückgezogen, durch ein Prasseln unten im Tal. Nichts weiter. Nur ein reißendes, prasselndes Geräusch, und nicht ein Explosionsknall, wie hinterher viele der anderen Augenzeugen beteuerten. Aber das Ergebnis war dasselbe, denn in einem fieberhaften, kaleidoskopischen Moment brach aus der verdammten, fluchbeladenen Farm ein leuchtender, eruptiver Kataklysmus unnatürlicher Funken und Stoffteilchen hervor, der die wenigen Beobachter blendete und einen gewaltigen Wolkenbruch solch farbiger und phantastischer Fragmente zum Zenit sandte, wie sie unser Universum notwendigerweise verleugnen muß. Durch schnell sich wieder schließende Wolken folgten sie dem anderen morbiden Ding, das schon vorher verschwunden war, und innerhalb einer Sekunde waren auch sie verschwunden. Hinter und unter den Männern war nur eine Dunkelheit, in die sie nicht zurückzugehen wagten, und überall war ein immer stärker werdender Wind, der in schwarzen, eisigen Stößen aus dem interstellaren Raum herabzuwehen schien. Er pfiff und heulte und peitschte die Felder und die entstellten Wälder in wahnsinniger, kosmischer Wut. - H. P. Lovecraft, Die Farben aus dem All. In: H. P. L., Das Ding auf der Schwelle. Frankfurt am Main 1976 (st 357)

Ding (14) Die Augenzeugen sagten, es habe lange Haare und den Körper einer Ratte, aber sein bärtiges Gesicht, in dem es spitze Zähne trage, sei bösartig menschlich und seine Pfoten sähen aus wie kleine Menschenhände. Es fungiere als Nachrichtenüberbringer zwischen der alten Keziah und dem Teufel und nähre sich von dem Blut der Hexe, das es wie ein Vampir einsauge. Seine Stimme sei ein widerwärtiges Gekicher, und es beherrsche sämtliche Sprachen.  - H. P. Lovecraft, Träume im Hexenhaus. In: H. P. L., Das Ding auf der Schwelle. Frankfurt am Main 1976 (st 357)

Ding (15)  Plötzlich wurde ich durch einen merkwürdig stumpfen Ton, der von links kam, aus meinen Gedanken gerissen. Schnell mich zur Seite wendend sah ich, daß sich dort zwischen einer ungewöhnlich geformten Pilzmasse dicht an meinem Ellbogen etwas bewegte. Es schwankte unsicher hin und her, ganz so, als besäße es Eigenleben. Beim Hinstarren kam mir unvermittelt der Gedanke, daß das Ding eine groteske Ähnlichkeit mit der verzerrten Gestalt eines menschlichen Wesens hatte. Noch als diese Einbildung mir wie ein Blitz ins Gehirn fuhr, gab es ein kleines, ekelerregendes Geräusch, wie ein saugendes, schmatzendes Losreißen, und ich sah, daß einer der astähnlichen Arme sich von den anhängenden grauen Massen befreite und auf mich zukam. Der Kopf des Dings - eine unförmige graue Ballung, neigte sich zu mir hin. Benommen stand ich da, und der niederträchtige Arm wischte mir übers Gesicht. Ich stieß einen entsetzten Schrei aus und wich ein paar Schritte zurück. Auf meinen Lippen, wo das Ding mich berührt hatte, war ein süßlicher Geschmack. Sofort überkam mich ein unmenschliches Verlangen. Ich wandte mich um und packte einen der Pilzklumpen. Dann mehr - und mehr! Ich war unersättlich. - W. A. Hodgson, Stimme in der Nacht, aus: W.A.H., Stimme in der Nacht. Frankfurt am Main 1982 (st 749)

Ding (16)   Ich glaube, daß diese Dinge Menschen darstellen sollten - zum. mindesten eine bestimmte Sorte Menschen, obwohl diese Geschöpfe sich wie Fische in einer Unterwasserhöhle vergnügend dargestellt wurden, oder wie sie einem monolithischen Schrein Ehren erwiesen, der sich anscheinend ebenfalls unter Wasser befand. Ich wage es nicht, ihre Gesichter und Gestalten im einzelnen zu schildern, denn die bloße Erinnerung daran läßt mich schwindlig werden. Grotesk über die Einbildungskraft eines Poe oder Bulwer hinaus, waren sie in großen Umrissen verdammt menschlich, trotz Schwimmflossen an Händen und Füßen, widerlich dicker und schlaffer Lippen, glasig hervorquellender Augen und anderer Züge, die der Erinnerung wenig angenehm erscheinen. Merkwürdigerweise waren sie im Verhältnis zu ihrer dargestellten Umgebung völlig unproportioniert ausgemeißelt worden; denn eines der Geschöpfe wurde dargestellt, wie es dabei ist, einen Wal zu töten, der nur wenig größer ist, als es selbst. Ich bemerkte, wie gesagt, ihr groteskes Aussehen und ihre merkwürdige Größe, entschied aber augenblicklich, daß sie lediglich die Phantasiegötter eines primitiven Fischervolkes oder eines seefahrenden Stammes seien, irgendeines Stammes, dessen letzter Nachkomme lange Zeit, bevor der erste Ahne des Piltdown-Menschen oder Neandertalers geboren wurde, umgekommen war. Erfüllt von heiliger Scheu über diesen Blick in eine Vergangenheit, die außerhalb des Fassungsvermögens auch des kühnsten Anthropologen liegt, stand ich nachdenklich da, während der Mond groteske Reflexe in die stillen Wasser vor mir warf.

Dann erblickte ich es plötzlich. Mit nur leichter Wellenbewegung, die sein Aufsteigen zur Oberfläche anzeigte, glitt das Ding über dem dunklen Wasser in mein Blickfeld. Riesig, einem Polyphem gleich und abstoßend, schoß wie ein erstaunliches Ungeheuer aus einem Alptraum auf den Monolithen zu, den es mit seinen riesigen, schuppigen Armen umschlang, während es sein häßliches Haupt neigte und deutliche, gemessene Töne ausstieß. Ich glaube, da verlor ich den Verstand. - Aus: H.P. Lovecraft, Stadt ohne Namen. Frankfurt am Main 1997 (st 2756, Phantastische Bibliothek 346)

Ding (17)  Mir begegnete der Schrecken, der allen anderen die Krone aufsetzte - das unglaubliche, undenkbare, fast unnennbare Ding. Ich habe gesagt, daß, nachdem Warren seine letzte verzweifelte Warnung ausgestoßen hatte, Äonen zu verstreichen schienen, und daß nur meine eigenen Schreie die grausige Stille zerrissen. Doch nach einer Weile klickte es wieder im Empfangsteil, und ich bemühte mich, etwas zu hören. Wieder rief ich nach unten: »Warren, hörst du mich?« und als Antwort vernahm ich das Ding, das meinen Geist in diese Wolke hüllte. Meine Herren, ich versuche nicht, dies Ding zu erklären - diese Stimme - ich sehe mich auch nicht in der Lage, sie detailliert zu beschreiben, denn die ersten Worte raubten mir die Besinnung und schufen eine geistige Leere, die sich bis zu dem Zeitpunkt meines Wiedererwachens im Krankenhaus erstreckt. Soll ich sagen, die Stimme sei tief gewesen; hohl; gallertartig; entfernt; überirdisch; unmenschlich; körperlos? Was soll ich sagen?  - H.P. Lovecraft, Die Aussage des Randolph Carter. In: Das unsichtbare Auge. Hg. Kalju Kirde. Frankfurt am Main 1979 (st 477, Phantastische Bibliothek 477

Ding (18) Könnte jene Klage auch die Angst einer verlorenen Dinghaftigkeit sein - jenes Dings, das weder Fortschritt noch Verfall erlebte, sondern als Ganzes allmählich vom Gegenstand in den Zustand des Staubs überging? Jetzt erfährt diese Sache gerade die ersten Herausforderungen des Seins; und es kann sein, daß das Sein das Sein der Sache verletzt, und daß dies nicht das Weinen einer Geburt ist, sondern das Stöhnen einer Verwandlung, die unzählige Formen des Schmerzes mit sich bringt, jene Formen, die du sehr genau kennst und die dich zu diesem Rastplatz im Herzen der Nacht gebracht haben. Wenn es sich also um ein Ding handelt, das auf der Schwelle zum Sein balanciert, dann kannst du nicht erfahren, worum es sich handelt, auf keine Art. Du kannst es ein Monstrum nennen, und es würde dir, könntest du es sehen, vermutlich als solches erscheinen - eben als ein Monstrum; aber so hochgradig monströs, daß es das Weinende Monstrum wäre. Was glaubst du, ist es? Vielleicht die vom Winde gerüttelte Tür, die ein anderer Wind gepackt hat, und die Tür weiß jetzt, daß keine Hand sie mehr trösten kann und daß es kein Sich-Öffnen und Schließen mehr für sie gibt, sondern nur noch dieses ununterbrochene Torkeln vor einem Loch, diese einsamen Drehungen in unsicheren Angeln, dieses Altern und Den-Tod-Erwarten in fortwährender Gebrechlichkeit, die der Tür bisher nicht bewußt war. Oder vielleicht ein zerrütteter Ziegel, der das Bewußtsein seiner eigenen Fremdheit gegenüber dem Gebäude erlangt hat, in dem er seinen Platz ausgefüllt hatte; es ist aber auch möglich, daß gerade dieses Ausgestoßensem dem Ziegel das Zeichen für seinen neuen Zustand gegeben hat als etwas, das existiert, ohne Teil eines Systems zu sein. Aber wie dem auch sei und welches Geräusch du auch wählst, du wirst immer eine zugleich hypothetische und monströse Geschichte zu erzählen haben, die den Weg des Dings zum Sein beschreibt, und auf diesen Weg setzt du die Klage. Natürlich ist nichts davon sicher; im Gegenteil, alles ist ganz aleatorisch; du weißt nur, daß ein Wesen, das du nicht wagen würdest einfach als Ding zu bezeichnen, einen Laut ausstößt, der dir als Klage erscheint. Ich sagte, du würdest es nicht wagen; du mußt also zugeben, daß diese Klage auch eine Drohung ist; und in der Tat, ein Ding ist ein einschränkendes Bild: es scheint zum Beispiel keinen Hunger zu haben, es scheint nicht unter Einsamkeit zu leiden; es hat keine Ideen, von denen es uns überzeugen möchte, und keine Offenbarungen, zu denen es uns bekehren möchte; es scheint sich nicht zu verlieben; es wird nicht krank, wenigstens nicht ansteckend, außer für andere Dinge (der Zusammenbruch könnte auch eine Seuche sein). Doch jetzt sind alle diese gemäßigt negativen, freilich auch unsicheren Gewißheiten - niemand hat je unumkehrbar bestimmt, was ein Ding überhaupt ist - unhaltbar geworden; man muß der Annahme Raum geben, daß jetzt etwas da ist, das Hunger und Liebe verspürt und sich anstecken und Ideen haben kann. Es wäre einfach zu behaupten, daß ein so geartetes Wesen - auch wenn nur teilweise Wesen - uns freundlich gesinnt sein könnte oder wenigstens nicht fremd; es gibt jedoch zahllose Nachrichten, die du nicht hast und dir nicht zu verschaffen weißt, womöglich gar nicht verschaffen willst, zumal du in einem solchen Fall gezwungen wärest, dich einem genaueren und folglich einschüchternderen Bild zu stellen. Aber auch wenn wir annehmen, daß jenes Ding soeben ins Sein übergeht, so wissen wir doch weder, an welchem Punkt diese seltsame Verwandlung angelangt ist, noch wie sie zu einem Schluß geführt werden soll; wir wissen auch nicht, welche Empfindungen dasjenige hegt, was sich auf solche Weise verwandelt, noch ob es allein ist; denn es ist nicht unmöglich, daß im selben Augenblick eine Menge, eine Vielheit von Dingen Wesen wird, die vielleicht an verschiedenen Punkten der Verwandlung angelangt sind - ein Türgriff beginnt gerade erst, während der Wachtturm schon versucht, sich die Haare zu raufen, und eine Dachrinne einer fürchterlichen Verwirrung anheimfällt. Es bedarf also großer Vorsicht. Zunächst einmal wissen wir nichts über den Umfang dessen, was diesen Laut hervorbringt; tatsächlich hast auch du in dieser Finsternis das klare Bewußtsein deines Umfangs weitgehend verloren; es kann durchaus sein, daß jene Stimme von einem riesigen Wesen oder von einem Insekt stammt; doch auch hier: niemand weiß, ob das riesige Wesen mild und das Insekt giftig ist oder umgekehrt; und niemand weiß, ob jenes Wesen, wenn die Verwandlung erst vollzogen ist, sich nicht in Bewegung setzt, und dann gerät der ganze Plan des Dorfs ins Wanken, ja kein einziger Plsn ist je wieder möglich, und niemand kann auf irgendeine Weise noch wissen, wo er sich befindet, und alles weil irgendetwas Gluckerndes herumläuft.  - Giorgio Manganelli, Geräusche oder Stimmen. Berlin 1989
 

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