Joseph Roth, nach (
schen
)
Spinne (2)
- Tomi
Ungerer, Der Sexmaniak. Zürich 1968 (Diogenes Tb. 6, zuerst 1964)
Spinne (3)
Dieser
ältere Herr aus Den Haag
trachtete immer danach,
Spinnen
zu kauen,
der eklige Mensch aus Den Haag.
- (lea
)
Spinne (4) Nachdem er sich entschieden hatte, schlich er mit äußerster Vorsicht los. Hobbits verstehen sich besonders in Wäldern auf lautloses Pirschen, wie ich euch schon gesagt habe. Außerdem hatte Bilbo, ehe er aufbrach, den Ring an den Finger gesteckt. Und deshalb konnten die Spinnen ihn weder sehen noch kommen hören.
In aller Heimlichkeit hatte er schon ein Stück Wegs hinter sich gebracht, als er voraus einen dichten schwarzen Fleck ausmachte, pechschwarz selbst in diesem Wald noch, wie ein Streif Mitternacht, den der Tag nicht aufhellen konnte. Als er näher herankam, sah er, daß die Schwärze von Spinnweben herrührte, eine dicht hinter und über der anderen. Und plötzlich sah er auch die riesigen, schrecklichen Spinnen dort in den Zweigen über ihm hocken, und — Ring hin und Ring her — er zitterte vor Angst, daß sie ihn entdecken könnten. Hinter einem Baum stehend, beobachtete er eine Zeitlang eine Gruppe von Spinnen, und in der lautlosen Stille des Waldes entdeckte er, daß diese widerwärtigen Geschöpfe miteinander sprachen. Ihre Stimmen klangen wie ein Knirschen und Zischen, aber Bilbo konnte vieles, was sie sagten, aufschnappen. Sie sprachen über die Zwerge!
»Das war ein scharfer Kampf. Aber er war die Sache wert«, sagte eine. »Sie haben ohne Frage ein ekelhaft dickes Fell. Aber ich wette, es ist innen ein guter Saft drin.«
»Klar, die schmecken gut, wenn sie ein bißchen abgehangen sind«, bemerkte eine andere.
»Laßt sie nicht zu lange hängen«, fügte eine dritte hinzu. »Sie sind nicht so fett, wie sie sein sollten. Ich glaube, sie haben in letzter Zeit nicht gut genug zu fressen bekommen.«
»Tötet sie, sage ich euch«, zischte eine vierte, »tötet sie gleich und hängt sie danach noch eine Weile auf.«
»Die sind jetzt garantiert tot«, fing die erste wieder an.
»Das sind sie nicht. Ich sah den einen eben noch strampeln. Sie kommen gerade zu sich, würde ich sagen, nach einem wunderbaren Schlaf. Ich werde es euch zeigen.«
Damit rannte die fette Spinne ein Tau entlang, bis sie zu einem Dutzend Bündeln gelangte. Sie hingen in einer Reihe von einem hohen Ast herab. Bilbo war entsetzt als er sie so zum erstenmal im Dämmerschatten baumeln sah. Aus manchen Bündeln ragte ein Zwergenfuß heraus, oder hier und da kam eine Nasenspitze, ein Endchen Bart oder der Zipfel einer Kapuze zum Vorschein.
Die Spinne rannte zum dicksten Paket (ich wette, es ist der arme alte Bombur, dachte Bilbo) und zwickte fest in die herausragende Nase. Ein unterdrückter Schrei drang aus dem Bündel, ein Fuß zuckte und trat der Spinne hart in den Bauch — es war also noch Leben in Bombur! Der Tritt klang, als ob einer einen schlaffen Fußball getreten hätte, und die wütende Spinne fiel vom Zweig herab, konnte sich jedoch gerade noch rechtzeitig mit ihrem eigenen Faden fangen.
Die anderen lachten. »Du hast vollkommen recht! « riefen sie. »Das Fleisch lebt noch und keilt aus.«
»Dem werde ich gleich ein Ende machen«, zischte die Spinne
und kletterte auf den Ast zurück. - J.R.R. Tolkien, Der
kleine Hobbit. München 1974 (dtv 7151, zuerst 1937)
Spinne (5) Bis vor kurzem
noch, so Harris, hätten
Seidenraupenlarven und Zikaden, Baumwanzen, Schaben, Fliegenmaden,
Riesenspinnen und Skorpione in weiten Teilen Asiens zur Alltagskost
der Armen gezählt. Europäische Ethnologen, die die gebratenen
und gekochten Wirbellosen bei Esserkundungen vor Ort getestet
hatten, fanden laut Harris "nichts davon unangenehm",
wenngleich der größte Teil der Tiere "fad, mit einem leichten
Anklang an Gemüse" geschmeckt habe. Geröstete Spinnen etwa,
so berichteten sie, seien außen knusprig gewesen, das weiche
Innere dagegen habe die "Konsistenz eines (nicht sehr gelungenen)
Soufflés" besessen. Termiten, Zikaden
und Grillen hätten sie an Kopfsalat erinnert, eine bestimmte
Riesenspinne an rohe Kartoffeln und die acht Zentimeter großen
Riesenwasserwanzen an konzentrierten Gorgonzola. -
paleofood.de
Spinne (6) Der Tierarzt Vegetius
meint, wenn ein Lasttier eine Spinne verschluckt habe, schwelle
sein ganzer Körper, vor allem aber der Kopf an. Ovids Erzählung
von der Metamorphose der Spinne steckt
voller Gefühle des Neides, der Beleidigung und der Aggression:
Die Göttin Athene unterrichtete Arachne ('Spinne'), die Tochter
eines Färbers, im Weben, und die Schülerin übertraf ihre Lehrmeisterin
bald an Kunstfertigkeit. Als nun die junge Frau gar ein Gewebe
mit Darstellungen aus dem Liebesleben der Götter fertigstellte,
zerriß Athene das Kunstwerk und schlug damit auf Arachne ein,
die sich aus Verzweiflung erhängen
wollte. Athene bewahrte sie zwar am Leben, aber Arachne erhielt
die Gestalt einer Spinne, die an einem Faden hängt und weiterwebt,
einsam und allein, wohlgemerkt. Spinnen sind ausgesprochene Einzelgängerinnen;
nur mit ihren Opfern pflegen sie Umgang: bissige Umgarnungen.
- (
schen
)
Spinne (7) Manche mögen glauben, ich sei ein schweigsames Geschöpf, das fortwährend darauf sinnt, neue geometrische Strukturen zu erfinden oder komplizierte polygonale Probleme zu lösen, während meine heiteren Schwestern ihre silbernen Fäden in den Wind spinnen oder zuversichtlich im Mittelpunkt eines Universums warten, das sie eigenhändig zu gestalten wußten.
Ich halte mich indes nicht für schweigsam, und polygone Probleme beschäftigen mich ebensowenig wie unentdeckte geometrische Strukturen. Kurzum, ich glaube nicht, daß ich mich so sehr von meinen Schwestern unterscheide. Schließlich und endlich sind unsere Körper gleich: Tracheenatmung, Gangliensystem, röhrenförmiges Herz und zweifache Augenausrüstung, eine für den Tag und eine für die Nacht.
Die Sache ist jedoch die - und das erklärt alles -, daß ich
mit vertauschten Augen zur Welt gekommen
bin: während meine Schwestern am Tage zwischen Blumen lächeln,
sehe ich dieselben Blumen mit Augen, die allein für die Dunkelheit
und das Geheimnis geschaffen wurden.
- (
tom
)
Spinne (8) Es war Sommer. Schon zog hie und da auf sanft bewegter Luft ein silbernes Fädchen dahin. Auf eins derselben ließ ich mich nieder, neben einer kleinen verschrumpften Spinne, die, kaum daß sie mich bemerkt hatte, sich auch schon gedrungen fühlte, mich mit der Geschichte ihres Lebens zu beglücken.
Einst, so fing sie an zu wehmüteln, vor zirka zweitausend
Jahren, da sei sie eine ungewöhnlich reizende Walküre gewesen,
hochsausend auf stolzem Roß und beliebt bei den Mannsleuten.
Dann, als sie alt geworden, habe sich keiner mehr um sie bekümmert,
außer der Teufel. So wäre sie zur Hexe
geworden und war durch die Lüfte geritten auf dem Besenstiel,
in böswilliger Absicht. Aber selbst der Teufel, nachdem sie ihren
tausendsten Geburtstag gefeiert, sei ihr nicht treu geblieben.
Da habe sie den Salbentopf hergekriegt und habe sich wirkungsvoll
murmelnd in eine Spinne verwandelt und sich dann rückwärts dies
Luftschiff verfertigt und segle mit gutem Winde all die Zeit
her, und wenn die Leute riefen: Altweibersommer!, so sei ihr
das schnuppe. Apa! - Wilhelm Busch, Eduards Traum.
In: Teufelsträume. Phantastische Geschichten des 19. Jahrhunderts.
Hg. Horst Heidtmann. München 1983 (dtv weltliteratur 2118)
Spinne (9) Arachne, Tochter des Purpurfärbers Idmon von Colophon; weithin berühmt für ihre Webkunst. Fordert Pallas Athene, die jungfrauliche Göttin des Krieges, der Wissenschaften und Künste heraus: Ich, Arachne, webe schöner und kunstvoller als selbst die Göttin. Tatsächlich sind Arachnes Teppiche, auf denen sie die Liebesabenteuer der olympischen Götter darstellt, makellos, ja sie übertreffen die Gewebe Athenes. Zornig zerreißt Pallas die Webbilder Arachnes und schlägt sie mit dem Weberschiffchen. Arachne kränkt diese Demütigung so sehr, daß sie versucht, sich zu erhängen:
... mitleidig stützte Pallas die Hängende und sprach: »Bleib zwar am Leben, aber hänge, Vermessene! Und damit du dich für die Zukunft nicht in Sicherheit wiegst: Dieselbe Strafe soll als Gesetz für dein Geschlecht und für die späten Enkel gelten.«
Sie besprengte sie dann schon im Weggehen mit Säften von
Hecates Kraut. Kaum hat das unheilvolle Zaubermittel ihr Haar
berührt, ist es schon dahingeschwunden und mit ihm Nase und Ohren.
Winzig wird der Kopf, und auch der ganze Körper ist geschrumpft;
an ihren Seiten hangen dürre Finger statt der Beine; alles übrige
beherrscht der Bauch; doch aus ihm entläßt sie einen Faden und
übt ihre frühere Webkunst jetzt als Spinne aus . . . - -
Ovidisches Repertoire, in: Christoph Ransmayr, Die letzte Welt.
Frankfurt am Main 1988
Spinne (10) Er ist
der Napoleon des Verbrechens, Watson. Er ist der Organisator
der Hälfte aller Schandtaten und fast sämtlicher unaufgedeckten
Fälle in dieser großen Stadt. Er ist ein Genie, ein Philosoph,
ein abstrakter Denker. Er hat ein vollendet funktionierendes
Gehirn. Wie eine Spinne sitzt er reglos mitten im Netz, doch
dieses Netz hat tausend Ausstrahlungen, und er kennt jedes kleinste
Zittern ganz genau. Er selber tut wenig. Er plant nur. Aber seine
Agenten sind zahlreich und phantastisch diszipliniert. Ist ein
Verbrechen auszuführen, ein Dokument zu entwenden, wollen wir
einmal sagen, ein Haus auszurauben, ein Mann zu erledigen — der
Professor wird informiert, die Angelegenheit organisiert und
ausgerührt. Den Täter erwischt man vielleicht. In diesem Fall
findet sich das Geld für seine Kaution oder Verteidigung. Die
zentrale Macht jedoch, die den Handlanger benutzt, wird nicht
entdeckt. - Arthur Conan Doyle, Sherlock Holmes'
Untergang. In: A.C.D., Sherlock Holmes und der verschwundene
Bräutigam. Berlin u.a. 1987 (Ullstein Tb. 20012, zuerst 1891)
Spinne (11)
Es ist eine riesige Spinne, die nicht vom Fleck kommt, Heute hab ich sie aus der Nähe betrachtet. Es ist eine Spinne, zitternd Soviel Beine! Und doch hängt sie elend, Es ist eine riesige Spinne, ihr Hinterleib Und ich habe ihrer Augen gedacht, |
- César Vallejo, nach (
mus
)
Spinne (12)
sogar im dunkeln konnte das blonde mädchen die
beine
der flauschigen spinnen über die wände
kriechen hören, sie konnte den sanften
flauschigen plumps!
hören wenn sie von der decke
auf den boden
fielen.
das
blonde mädchen saß auf dem rand
ihres bettes. sie horchte,
atmend, sie konnte
sie atmen hören, wie dumpfe
gesänge,
dachte sie, draußen konnte sie leichten regen
hören,
sie konnte den regen hören & das sanfte
feuchte kriechen der spinnen,
sie kamen die
wände runter auf den boden.
das mädchen lag auf
dem bett & wartete, sie würde sie vertreiben wenn
sie
sich zu schnell bewegte, gestern nacht hatte sie
sie vertrieben, doch heute
nacht berührten
ihre blonden finger langsam, ganz langsam kalte lippen.
ein
arm. dann der andere, ihre brüste waren
nackt, weiß, sogar im dunkeln, weiß.
sie
zitterte, die spinnen krochen näher, wie
gebete von feuchten lippen, dachte
sie. sie wußte
sich von ihnen beobachtet, sie konnte sie nicht
sehen,
aber sie wußte, daß sie
warteten.
das
mädchen ließ ihre kleinen hände runter
über ihren bauch gleiten, zärtlich
zog sie ihre knie
an und streifte das pyjama-höschen von den beinen
&
körper. sie schloß ihre augen & kleine hände
rieben
an ihrem borstigen, blonden nest. die spinnen
hatten jetzt den raum durchquert,
ohne sie zu sehen
wußte sie, daß sie das bett erreicht hatten, sie konnte
die sanften, feuchten gebete hören, sie konnte die
flauschigen beine spüren, langsam kriechend & kriechend,
an ihren
beinen hochkriechend, kriechend..
- Donald Cauble: Selbst Gott muß nachts einsam sein, nach:
Acid. Neue amerikanische Szene. Hg. Rolf
Dieter Brinkmann, Ralf-Rainer Rygulla. Frankfurt am Main 1969
Spinne (13) Ich spürte eine unüberwindliche Schlaflust, wie sie alle Taucher überkommt. So schlossen sich bald meine Augen hinter dem dicken Glas, und ich sank in eine Schlaftrunkenheit, gegen die ich nichts vermochte. Nur die Bewegung beim Marsch hatte die Müdigkeit bisher fernhalten können. Kapitän Nemo und sein robuster Gefährte streckten sich im klaren Wasser aus und gaben uns das Beispiel, wie sich's hier schlafen ließe.
Wie lange ich bewußtseinslos in tiefem Schlaf gelegen hatte, konnte ich nicht schätzen. Doch als ich wieder erwachte, schien sich die Sonne schon zum Horizont zu neigen. Kapitän Nemo hatte sich bereits erhoben, und ich begann, meine Glieder zu strecken. Da brachte mich plötzlich eine unerwartete Erscheinung rasch auf die Beine.
Nur wenige Meter entfernt beäugte mich mit schielenden Augen eine Meeresspinne
von einem Meter Höhe. Obwohl mein Taucheranzug dick genug war, um mich gegen
die Bisse des Tieres zu schützen, konnte ich mich doch des Grauens nicht erwehren.
Im selben Augenblick erwachten Conseil und der Matrose des Nautilus. Kapitän
Nemo zeigte seinem Gefährten das scheußliche Tier, der es mit einem Kolbenschlag
augenblicklich niederstreckte. Ich sah die fürchterlichen Beine des Ungeheuers
in gräßlichen Zuckungen sich winden. - Jules Verne, Zwanzigtausen Meilen unter Meer. Zürich 1976 (zuerst 1870)
Spinne (14)
Die neue Spinne |
Statt alle Karaiben umzubringen, |
Sobald der Tag anbricht, ist es in Frankreich zu spüren - mag
es sich auch in den tiefsten Ecken einfädeln — und wunderbar in
die Sprache eingewebt und verworren, daß die Spinne eins ist mit
ihrem Netz: Dieses Tier, das sich, anfangs, ins Leere schießen läßt wie ein
Anker am Schiff, So leicht es auch ist, das Tier, eigentlich fliegt es nicht, Ausstrahlend spinnt und webt sie, die Spinne, stickt aber keineswegs, Je nach der Art und den Umständen - und, nicht zuletzt, der Windstärke. Darüber geht sie hin, die sinistre Seiltänzerin: In einem empfänglichen Gedächtnis verstrickt sich alles, Immerhin ist ein empfängliches Gedächtnis zugleich auch der Grund
der Vernunft, Jedoch: Vernunft, der nicht nach und nach die Empfänglichkeit
abhanden käme, Die Spinne, ständig mit ihrer Toilette beschäftigt, So gut wie tot ist sie, wenn sie mit gefältelten Beinen ruht,
einem Einkaufsnetz ähnlich, Wehe! Was fingen wir mit dem Schatten eines Sternes an, Die Antwort ist stumm, (Die Spinne wird überantwortet dem Besen...) Während am dunklen Himmel derselbe Stern aufsteigt - und uns zuführt dem Tag. |
- Francis Ponge, nach (
mus
)
Spinne (15, japanische) Der Held
Minamoto no Raiko und sein Untergebener Watanabe no Tsuna verfolgen einen
durch die Luft fliegenden Schädel, der ihnen jedoch entwischt. In der Nähe finden
sie ein zugewachsenes Haus vor, treffen eine 290 Jahre alte Frau, weitere übernatürliche
Erscheinungen, eine halbnackte Nonne mit riesenhaftem Gesicht, sowie eine Frau,
so schön dass selbst Yang Guifei neidig werden würde. Diese greift Raiko plötzlich
an und blendet ihn. Jener kann sie aber noch mit seinem Schwert verwunden, wobei
jedoch die Schwertspitze abbricht. Raiko und Tsuna verfolgen die weiße Blutspur
erst zum Haus der alten Frau, das jedoch leer ist, und dann bis in die Berge.
Sie bereiten eine Puppe zur Ablenkung vor, gehen in eine Höhle und treffen ein
30 Jo (90 m) langes Monster, das sie beide angreifen. Als Raiko dieser den Kopf
abschneidet, erkennen sie das es die Riesenspinne war, aus deren Schnittstelle
nun 1990 kleine Spinnen kommen. -
Wikipedia
Spinne (16)
Spinne (17) An eine winzige Spinne erinnere ich mich noch, die sprang wie eine Heuschrecke und hatte vier Augen; und außerdem noch zwei, wenn das nicht die Ohren waren; mit gefiederten Zangen probierte sie jegliches Ding, auch meine Fingernägel, und dann kam es mir vor, als würde sie sich entlausen. Und sie hatte sich sicher über mich eine Meinung gebildet; aberich weiß nicht was für eine. Vielleicht war ich für sie ein zusammengekauerter Pflanzenfresser oder ein angefeuchteter Berg.
Eine andere Spinne dagegen gehörte zu denen, die mit übertriebener Geduld
reglos bleiben und nur ihr Netz im Auge haben, weil sie sonst nichts interessiert.
Vielleicht sang sie einige banale alte Schlager vor sich hin, um die Zeit totzuschlagen.
Das hätte ich gemacht an ihrer Stelle. Oder sie sagte Verzeichnisse auf, um
ihr bißchen Erinnerung zu beschäftigen. -
(mond)
Spinne (18) Und Jener bückte sich ärgerlich, um den Floh zu erwischen, da sitzt er ja auf dem Fußknöchel (Jener war nur in Schlappen und Hemd). Eingesperrt und schon betäubt vom Hinundherreiben zwischen Daumen und Zeigefinger, braucht man ihn nur fallen zu lassen, hoffentlich erkennen wir ihn dann auf dem grauen und rissigen Boden. Der Floh fiel, doch irgend etwas Leichtes, Graues, Durchsichtiges und Ungreifbares wie ein Schatten, etwas Fadendünnes, gleichsam Luftgetragenes kam Jenem ins Gesichtsfeld. Er war sich nicht ganz sicher, auch wirklich gesehen zu haben, wie man es eben bei Dingen nicht ist, die an unserem äußeren Blickrand nur schwach aufleuchten und ;die wir (Illusion, Realität?) dann mit einer gewissen Verwunderung noch einmal ins Auge fassen, doch schon hatte ihn sein untrügliches Gespür auf die Gefahr hingewiesen, und sein Herz drohte vor Eiseskälte zu erstarren. Das Licht der schwankenden Taschenlampe schuf in diesem Winkel der großen Küche einen Kontrast mit dem Schatten, der sie von den Wänden her umfaßte und verschlang: das gelbliche, schon erschöpfte Licht verhauchte auf dem grauen Boden und wurde selber grau und war kaum noch mehr als ein Schatten. Tiefste Nacht und tiefstes, undurchdringliches Schweigen, eines mit festverschlossenen Lippen. In dieser Beleuchtung und diesem Schweigen, weder groß noch klein im guten Verhältnis zu ihrem durchscheinenden Grau, durchquerte eine Spinne die Küche.
Es war eine Spinne gewöhnlichster Art, aus einer bei uns namenlosen Familie, die mit den überlangen und haarfeinen Beinen und einem Körper wie ein Pfefferkorn. Sie lief rasch, wie es deren Gewohnheit ist, doch ohne Hast: stelzte lautlos auf ihren unmöglichen Gliedmaßen, die wie Flechten am Fußboden zu haften schienen und die sie mit kleinen Rucken an sich zog, was ihr Gleichgewicht ernstlich gefährdet hätte, wären da nicht viele andere gleichartige Beine gewesen, die es augenblicks von der anderen Seite wiederherstellten; das kleine Korn ihres Leibs war gleich-' sam einem astralen Sturm ausgeliefert, tänzelte unregelmäßig über die von seinen Stützen gegebene Luftlinie, und wenn der Schatten diese Linie verfärbte und verschluckte, schien es sich Mal um Mal mit einem wilden Reigen von monströsem Rhythmus in luftiger Leere im Gleichgewicht zu halten. So stelzte sie dahin, und doch lag in diesem Wesen irgend etwas Stummes und Erhabenes wie das Einhergehen des Schicksals, das wir in unseren schlaflosen Nächten mit Deutlichkeit erkennen. Obwohl Jener mit nackten Beinen dastand und obwohl die Spinne zwei Handbreit an seinem Gesicht (empfindlichste Körperpartie) vorüberzog, machte er keine frenetischen Sprünge wie das andere Mal und selbst nicht den Versuch, vor ihr zurückzuweichen. Vielleicht, weil er die Gefahr nicht rechtzeitig erkannt hatte und ihr nun plötzlich allzu nahe war, veränderte er seine Stellung nicht im mindesten und verharrte, bis ins Herz getroffen, genauso wie er war, gebückt, gebannt und regungslos. Der Floh und die ganze Welt mit Ausnahme der Spinne waren seinem Bewußtsein entrückt. Unter normalen Umständen hätte ihn eine gewisse verzweifelte und an den Fingerkuppen deutlich verspürte Sensibilität eigentlich daran erinnern müssen, daß er diese noch nicht von der dreckigen Berührung mit dem Floh gereinigt hatte. Doch war diese schon vergangen, noch bevor sie sich äußern konnte.
Das Wesen ging überdies seinen genauen Weg: Jener wußte sofort, daß sein
unerbittlicher Vormarsch es im Abstand von einem Fingerbreit, vielleicht sogar
weniger, an der Spitze seines (aufgerissenen, die Wölbung des großen Zehs draußen)
Schlappens vorbeiführen würde. Doch zog er seinen Fuß nicht zurück, wußte, daß
er es nicht fertigbrächte: sie war inzwischen schon zu nahe, und er in seinem
Kreis erstarrten Grauens gefangen. Es gehört ja so wenig dazu, und Jener wußte
dies, eine sogeartete Spinne zu erschrecken. Man braucht sie eigentlich nur
anzublasen, damit sie, je nach bedrohlicher Nähe des Feindes und nach Position,
sich an den Boden preßt, ein unverrückbarer Nagelkopf, gekrönt
vom Strahlenkranz ihrer acht Fäden wie von den Fontänen eines Brunnens;
oder sich totstellt, Fäden über Kreuz und Bauch (um es so auszudrücken, denn
wo ist der Bauch an diesem braunen Korn?) nach oben, regungslos und für alle
Fälle schlaff; oder auch, fest verankert auf ihren Fäden (die offenbar über
Saugnäpfe verfügen) und von einer Wand oder einem
Netz baumelnd, mit ihrem erbärmlichen Pfefferkorn eine Sarabande, einen höllischen
und bedrohlichen Reigen tanzt. Immerhin ließ diese Spinne nicht erkennen, die
Gegenwart unseres Jenes, seinen Blick und seinen angehaltenen Atem bemerkt zu
haben und setzte, mitnichten beunruhigt, ihren fatalen Spaziergang fort. Kam
einen halben Fingerbreit an Jenes großem Zeh vorbei, marschierte weiter und
verflüchtigte sich dann in den tiefen Schatten und vielleicht ins Delirium.
- Tommaso Landolfi, Der Tod
des Königs
von Frankreich. Nach
(land)
Spinne (18)
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