Diese Klassen von Gerüchen korrespondieren nicht so sehr sinnlich wahrnehmbaren
Kategorien als vielmehr geistig-moralischen Werten (sprechen wir nicht
heute noch, nahezu immer im figurativen Sinne, vom ›Geruch der Heiligkeit‹,
und sagen wir nicht bei drohender Gefahr: ›Ça sent mauvais‹ [das riecht
faul] ?).« - (
pal
)
Geruch (2) Den Pionieren ist aufgefallen, daß sie etwas nicht entbehrt hatten, was zu allen Arten von menschlicher Erfahrung gehört, obwohl es zur Bestimmung ihrer Gegenstände so wenig und so Unvereinbares leistet. Sie hatten den Mond nicht riechen können; aber sie hatten das auch nicht als Beeinträchtigung ihres Erlebnisses empfunden. Jetzt merken sie, was sich ein neugieriges Wesen von Erdenherkunft schuldig gewesen wäre.
Die Erde riecht eben doch, sie riecht überall, und jedes ihrer Länder hat seinen Geruch. Erst in der Künstlichkeit der Kapselatmosphäre hatten die beiden Männer bemerkt, was sie vorher gar nicht bemerken konnten, daß auch der Mond seinen Geruch hatte, der in dieser Minute erst zu existieren begann. Auf die Felsen und Krater mochte seit Jahrmilliarden der Blick imaginärer Wesen schon gefallen sein; sie waren da, bemerkbar, auch wenn unbemerkt, das Auge erweckte sie nicht erst zu dem, was sie in ihrer Öde waren. Aber diesen Geruch hatte es bis dahin nicht gegeben. Er war eine Neuschöpfung, nicht nur eine Entdeckung, des Menschen. Reine Subjektivität, und auf dieser ganzen Expedition das einzig Unerwartete dazu.
Gesehen hatten sie nichts, was die Phantasie aller Zeiten vom Flug zum
Mond auch nur aufs leiseste befriedigt hätte. Keiner der Steine, die sie
der NASA zurückbrachten, war so, daß er nicht auch irgendwo auf der Erde
hätte gefunden werden können. Nur diese Unbestimmbarkeit des Geruchs, diese
verachtete Nutzlosigkeit der Mitführung des tierischsten unserer Organe,
hatte die Exotik einer bis dahin unbetretenen — ungerochenen Welt. -
(
blum2
)
Geruch (3) Es macht der Geruch uns keine Plage,
wie euch. Denn euch nötigt er. Räucherwerk, Zimt, Narden, arabische Blätter
und Stengel mit mühsamer, sorgfältiger Apothekerkunst — ihr nennt sie die
Salbenkochkunst — zusammenzumengen; für teures Geld müßt ihr eine Lust
erkaufen, die sich für zarte Jungfrauen, nicht für Männer schickt und im
übrigen gar keinen Zweck erfüllt. Trotzdem hat diese Leidenschaft nicht
nur das ganze weibliche Geschlecht verführt, sogar die meisten Männer,
so daß sie selbst ihre eigenen Frauen verschmähen, wenn sie nicht nach
Balsam und Puder duften. Bei uns aber lockt die Bache den Eber, die Ziege
den Bock und so immer das Weibchen
das Männchen durch seinen eigenen Geruch. Im
Duft des reinen Taues, der Wiesen und des jungen Grüns finden sie zueinander
in gegenseitiger Liebe, ohne daß die Weibchen sich zierten oder ihre Leidenschaft
hinter berückenden Kniffen oder Weigerungen versteckten. Das Männchen,
in seiner Leidenschaft, braucht sich seine Liebesfreude nicht für Geld,
Arbeit oder Dienstbarkeit zu erkaufen; es genießt ohne Trug und List, ohne
Lohn die Liebe, die im Frühling, wie sie die Pflanzen aus dem Boden lockt,
auch die Begierde der Tiere weckt, um sie sogleich wieder zu ersticken,
so daß das Weibchen nach der Empfängnis das Männchen abweist und dieses
auch keine Annäherung mehr versucht. So wenig Wert legen wir der Lust bei;
für uns überragt die Natur alles andere. Daher kennt man bei uns auch die
Liebe der Geschlechter untereinander nicht, der
bei euch selbst vortreffliche, edle Männer oft genug unterliegen. -
(
plu
)
Geruch (4) In meiner Jugend hatten wir immer einen schlechten Geruch in unserem Haus. Manchmal war er so schlecht, daß ich meine Mutter bat, mich in die Schule zu schicken, obwohl ich noch nicht richtig gehen konnte. Passanten machten weder halt noch gingen sie auch nur, sondern sie hasteten, wenn sie sich in der Nachbarschaft des Hauses befanden, an der Tür vorüber, bis sie eine halbe Meile zwischen sich und den schlechten Geruch gelegt hatten. Zweihundert Yards die Landstraße abwärts gab es noch ein weiteres Haus, und eines Tages, als unser Geruch besonders schlecht war, zogen die Leute aus, gingen nach Amerika und kehrten nie mehr zurück. Es heißt, sie hätten Leuten an jenem Ort erzählt, Irland sei ein feines Land, jedoch sei dort die Luft zu stark. Doch ach, es gab nie die mindeste Luft in unserem Haus.
Ein Mitglied unserer Haushaltung war schuldig an diesem Gestank. Er hieß Ambrose. Der Alte-Knabe hing sehr an ihm. Ambrose war der Sohn der Sarah. Sarah war eine Sau, die wir besaßen, und wenn sie mit Nachkommenschaft gesegnet war, dann war sie reichlich damit gesegnet. Trotz ihrer zahlreichen Brüste war keine für Ambrose übrig, als die Ferkel ihre Nahrung aus ihr saugten. Ambrose war schüchtern, und wenn Hunger die Ferkel befiel (er befällt ihresgleichen jäh und unvermittelt und alle gleichzeitig) ging er immer ohne Brust aus. Als der Alte-Knabe sich vergegenwärtigte, daß dieses kleine Ferkel schwächlich wurde und alle Kraft verlor, brachte er es ins Haus, bereitete ihm ein Lager aus Binsen am Kamin und fütterte ihn von Zeit zu Zeit mit Kuhmilch aus einer alten Flasche. Ambrose erholte sich unverzüglich, er wurde kräftig und hübsch und fett. Doch ach! Gott hat jedem Geschöpf gestattet, seinen eigenen Geruch zu besitzen, und das ererbte Aroma des Schweins ist nicht angenehm. Als Ambrose klein war, hatte er einen kleinen Geruch. Als er an Größe gewann, wuchs sein Geruch im gleichen Umfang. Als er groß war, war sein Geruch ebenfalls groß. Zunächst war die Lage tagsüber nicht zu schlimm für uns, weil wir alle Fenster offen ließen, die Tür nicht schlossen und heftige Stürme durch das Haus fegten. Doch wenn die Dunkelheit sich senkte und Sarah mit den Ferkeln zum Schlafen hereinkam, dann war in der Tat eine Situation hergestellt, die sowohl jeder mündlichen wie schriftlichen Beschreibung spottet. Oft kam es uns mitten in der Nacht so vor, als würden wir den Morgen nie mehr bei lebendigem Leibe sehen. Meine Mutter und der Alte-Knabe erhoben sich oft und wanderten draußen zehn Meilen durch den Regen, um dem Gestank zu entkommen. Nachdem Ambrose etwa einen Monat in unserem Haus verbracht hatte, weigerte sich Charlie, das Pferd, nachts hereinzukommen, und jeden Morgen fanden wir ihn durchnäßt und aufgeweicht (es gab für uns keine einzige Nacht ohne Niederschläge). Aber er war nichtsdestoweniger immer guter Laune, trotz allem, was er durch die Unbarmherzigkeit des Wetters zu erdulden hatte. Und in der Tat war ich es, der diese Umstände in ihrer ganzen Härte zu ertragen hatte, denn ich konnte nicht gehen noch sonstige Mittel der Fortbewegung finden.
So ging es noch eine kleine Weile weiter. Ambrose schwoll rapide an, und der Alte-Graue-Knabe sagte, bald werde er stark genug sein, um mit den anderen Schweinen draußen an der frischen Luft herumzutollen. Er war der Liebling des Alten-Knaben, und deshalb konnte meine Mutter das wenig wohlriechende Schwein nicht mit Knüppelschlägen aus dem Haus scheuchen, obwohl ihre Gesundheit des fauligen Gestanks wegen zu leiden begonnen hatte.
Wir bemerkten plötzlich, daß sich Ambrose - über Nacht, wie es schien
- zu beängstigenden Ausmaßen ausgewachsen hatte. Er war so groß wie seine
Mutter, aber wesentlich breiter. Sein Bauch reichte bis zur Erde nieder,
und seine Flanken waren so geschwollen, daß man es mit der Angst bekam.
- Flann O'Brien, Irischer Lebenslauf. Eine arge Geschichte
vom harten Leben. Herausgegeben von Myles na Gopaleen. Aus dem Irischen
ins Englische übertragen von Patrick C. Power. Aus dem Englischen ins Deutsche
übertragen von Harry Rowohlt. Frankfurt am Main 2003 (st 3503, zuerst 1941)
Geruch (5) Neuerdings hat er seiner Frau Gerti
auch verboten, sich zu waschen, denn auch ihr Geruch gehört ihm ganz. Er
wütet in seinem kleinen Waldstück, kracht mit seinem schweren Brotkanten
in ihre Parkplätze, daß sie oft ganz zugeschwollen ist, verflixt und zugenäht.
Seit er es nicht mehr wagt, mittels Partnertausch Inseraten lustige lüsterne
fremde Menschen anzulocken, ist er sich selbst alleine der liebste unter
den Winden geworden, die seiner Frau unter den Rock fahren. Wie einen Faden
soll diese Frau ihre Gerüche nach Schweiß, Pisse,
Scheiße hinter sich herziehen, und er kontrolliert,
ob der Bach auch brav in seinem Bett bleibt, wenn er's verlangt. Dieser
lebende Abfallhaufen, wo die Würmer und Ratten
graben. Grollend wirft er sich hinein und macht seine Tempi, die ihn rasch
ans andre Ende bringen, wo er zu Haus ist und es wieder gemütlich haben
möcht und auch einmal einen fahren läßt oder einen Fisch springen. Er liest
die Zeitungen. Aus dem Sumpf ihres Kissens reißt er die Frau und knackt
sie gleich auf. Und hat heute einmal ihr ganzes angenehmes Wesen zum Spielen
mit den Zitzen und zum Zittern vor dem, was seine Adern wieder mit seinem
Glied angerichtet haben, auf dem Sofa sitzen.
- Elfriede Jelinek,
Lust
.
Reinbek bei Hamburg 1992 (rororo 13042, zuerst 1989)
Geruch (6) «Qué va!» sagte Pilar. «Ich habe den Tod dort gesehen, so deutlich, als ob er ihm auf der Schulter gesessen hätte. Und noch mehr: er roch nach Tod.»
«Er roch nach Tod!» sagte Robert Jordan höhnisch. «Vielleicht nach Angst. Angstgeruch, den gibt es.»
«De la muerte», sagte Pilar. «Hör zu. Als Blanquet, der der größte peon de brega war, der je gelebt hat, unter Granero arbeitete, hat er mir erzählt, daß an dem Tag von Manolo Graneros Tod, als sie auf dem Weg zur Arena in der Kapelle haltmachten, der Todesgeruch so stark war an Manolo, daß ihm, Blanquet, fast übel wurde. Und er war doch bei Manolo gewesen, als er im Hotel badete und sich anzog, bevor sie aufbrachen. Und auch als sie ganz zusammengedrängt im Auto saßen, auf dem Weg zur Arena, war von dem Geruch nichts zu spüren. Und in der Kapelle selbst spürte ihn sonst keiner außer Juan Luis de la Rosa. Weder Marcial noch Chicuelo spürten den Geruch, in der Kapelle nicht und auch später nicht, als alle vier zum paseo antraten. Juan Luis war aber totenblaß, erzählte mir Blanquet, und er, Blanquet, sagte zu ihm: ‹Du auch?›
‹So, daß ich kaum atmen kann›, sagte Juan Luis. ‹Und von deinem Matador›.
‹Pues nada›, sagte Blanquet. ‹Da kann man nichts machen. Hoffen wir, daß es ein Irrtum ist.›
‹Und die anderen?› fragte Juan Luis den Blanquet.
‹Nada›, sagte Blanquet. ‹Gar nichts. Aber der da stinkt schlimmer als José in Talavera.›
Und an diesem selben Nachmittag hat der Stier Pocapenavon der Ranch Veraguas den Manolo Granero erdrückt an den Planken der Barriere vor dem tendido Nummer zwei in der Plaza de Toros von Madrid. Ich war da, mit Finito, und ich hab's selber gesehen. Das Horn zerschmetterte ihm die Hirnschale, sein Kopf stak unter dem estribo am unteren Rand der barrera, wo der Bulle ihn hingeschleudert hatte.»
«Hast du etwas gerochen?» fragte Fernando.
«Nein,» sagte Pilar, «ich saß zu weit weg.» - Ernest Hemingway, Wem die Stunde schlägt. Frankfurt am Main
1978 (zuerst 1940)
Geruch (7) Die Wissenschaft hat schon seit langem
festgestellt, in welche chemische Gruppe die erotischen Gerüche gehören. Es
sind die von Zwaardemaker als »Kaprylgerüche« bezeichneten Gerüche, zu denen
manche Pflanzengerüche gehören und die bei den Tieren und auch beim Menschen
an oder bei den Geschlechtsteilen lokalisiert sind (zum Beispiel die sogenannten
Parfümdrüsen des Moschustieres und Bibers, der Geruch
der männlichen Vorhaut, des männlichen Samens, des
weiblichen Scheidensekretes ). Diese Zersetzungsgerüche (»Odores hircini«),
auch »Bocksgerüche« genannt, sind nun auch im Schweiße wirksam, wodurch der
Hautgeruch zu einem mächtigen sexuellen Lock- und Reizmittel werden kann. Da
in der Achselhöhle des Menschen die stärkste Schweißproduktion
stattfindet, wobei noch die Haare die Rolle von Duftzerstreuern nach Art der
»Duftpinsel« der Schmetterlinge bilden, können vom Achselhöhlengeruch
mitunter besondere sexuelle Reize ausgehen. Auch darüber finden wir in der Literatur
interessante Fälle. So zum Beispiel den jenes Bauernburschen, der herausfand,
daß er sich Mädchen dadurch leichter gefügig machen könne, wenn er ihnen beim
Tanze mit seinem Taschentuch, das er in der Achselhöhle trug, das Gesicht abwische. -
(
erot
)
Geruch (8) Welcher Organsinn ist der undankbarste
und scheint auch der entbehrlichste zu sein ? Der des Geruchs. Es belohnt
nicht, ihn zu kultivieren, oder wohl gar zu verfeinern, um zu genießen; denn
es gibt mehr Gegenstände des Ekels (vornehmlich
in volkreichern örtern), als der Annehmlichkeit, die er verscharfen kann, und
der Genuß durch diesen Sinn kann immer auch nur flüchtig und vorübergehend sein,
wenn er vergnügen soll. - Aber als negative Bedingung des Wohlseins, um nicht
schädliche Luft (den Ofendunst, den Gestank der Moräste und Äser)
einzuatmen, oder auch faulende Sachen zur Nahrung zu brauchen, ist dieser Sinn
nicht unwichtig. - Eben dieselbe Wichtigkeit hat auch der zweite Genußsinn,
nämlich4 der Sinn des Geschmacks, aber mit dem ihm eigentümlichen Vorzuge, daß
dieser die Geselligkeit im Genießen befördert, was der vorige nicht tut, über-dem
auch, daß er schon bei der Pforte des Eingangs der Speisen in den Darmkanal
die Gedeihlichkeit derselben zum voraus beurteilt; denn diese ist mit der Annehmlichkeit
in diesem Genusse, als einer ziemlich sicheren Vorhersagung der letzteren, wohl
verbunden, wenn Üppigkeit und Schwelgerei den Sinn nur nicht verkünstelt hat.
- Immanuel Kant, Anthropologie
in pragmatischer Hinsicht
Geruch (9) Wie die Pflanze in der Zone der Geschlechtsorgane die stärksten Gerüche entwickelt, so auch das Tier. Beide Geruchsarten haben so enge Verwandtschaft miteinander, daß man Geruchsstoffe, wie Zibet von der Zibetkatze, zur Herstellung feinster Blütengerüche verwendet. Umgekehrt ist der Geruch mancher Harzarten, die nicht nur an Baumstämmen, sondern an verschiedenen Pflanzenteilen vorkommen, durchaus den Exkrementen gleichzusetzen. Gerüche von Tier und Pflanze »wirken« auf uns Menschen.
Sie wirken verschieden je nach ihrer Konzentration - stark verdünnte Gerüche
von Exkrementen oder Sexualdrüsen kann der Mensch von Blumengerüchen nicht unterscheiden.
- Ernst
Fuhrmann
,
Was die Erde will. Eine Biosophie. München 1986 (zuerst 1930)
Geruch (10)
Jetzt nun will ich die Frage behandeln: wie kommt der Geruch
denn Diese Gerüche nun alle, soweit sie die Nase uns reizen, |