Ratte 1) so eine R. nennen wir Maus: Redewendung, wenn einer die ausgespielte Karte mühelos stechen kann. Die Maus ist im Verhältnis zur Ratte gefahrlos. 2) die R.n verlassen das Schiff = die Gegner haben nur noch unbedeutende Karten beizugeben. Die Redensart bezieht sich allgemein auf einen unheilankündigenden Vorfall. - (kü)

Ratte (2) Ratten können sich nicht erbrechen. - (h1)

Ratte (3) Was Ratten tun, wenn ein Glied einer fremden Rattensippe in ihr Revier gerät — oder vom Experimentator hineingesetzt wird —, gehört zu den erregendsten, schauerlichsten und widerlichsten Dingen, die man an Tieren beobachten kann. Die fremde Ratte kann minutenlang und länger umherlaufen, ohne das schreckliche Schicksal zu ahnen, das ihrer harrt, und ebenso lange können die Einheimischen mit ihren gewohnten Tätigkeiten fortfahren — bis schließlich der Fremdling einer von ihnen nahe genug kommt, daß diese Witterung von ihm erhält. Da zuckt es wie ein elektrischer Schlag durch dieses Tier, und im Nu ist die ganze Kolonie durch einen Vorgang der Stimmungsübertragung alarmiert, der bei der Wanderratte nur auf Ausdrucksbewegungen, bei der Hausratte aber durch einen scharf gellenden, satanisch hohen Schrei vermittelt wird, in den alle Sippenmitglieder, die ihn hören, mit einstimmen. Mit vor Erregung aus dem Schädel quellenden Augen und gesträubten Haaren begeben sich die Ratten auf die Rattenjagd. So wütend sind sie, daß sie, wenn zwei von ihnen aufeinandertreffen, sich auf jeden Fall zunächst einmal heftig beißen.

»So kämpfen sie drei bis fünf Sekunden lang«, berichtet Steiniger, »dann beschnuppern sie einander gründlich mit stark vorgestrecktem Hals und gehen friedlich auseinander. Am Tage der Verfolgung einer fremden Ratte sind alle Rudelangehörigen gegeneinander gereizt und mißtrauisch.« Offensichtlich kennen sich die Mitglieder einer Rattensippe also nicht persönlich, wie es etwa Dohlen, Gänse oder Affen tun, sondern am Sippengeruch, genau wie Bienen und andere staatenbildende Insekten....

Das Beste, was ihr noch passieren kann, ist, daß sie in maßlosem Schrecken von einem Schocktod ereilt wird. Andernfalls wird sie langsam von den Artgenossen zerfleischt. Selten nur meint man einem Tier Verzweiflung und panische Angst und gleichzeitig ein Wissen um die Unentrinnbarkeit eines gräßlichen Todes so deutlich anzusehen wie einer solchen Ratte, die im Begriffe ist, von Ratten hingerichtet zu werden: sie wehrt sich gar nicht mehr! - Konrad Lorenz, Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression. München 1974 (zuerst 1963)

Ratte (4)  Auf Engebi wurden im Verlauf von vier Jahren vierzehn Atombomben und eine thermonukleare Bombe abgeworfen, die in verschiedenen Höhen über dem Boden explodierten.

Vier Jahre nach Beendigung der Versuchsreihe landeten Wissenschaftler der amerikanischen Marine, in schwere Strahlenschutzkleidung gehüllt, auf der Insel. Der Boden war wie verglast; die üppige tropische Vegetation, die einst die Insel bedeckte, war vollkommen vernichtet und ebenso alle Tiere. Alle, bis auf eine Art: die Ratten. Diese Nager gab es immer noch, und sie vermehrten sich weiterhin ungestört, gesund und kräftig.

»Die Fallen, die wir auf der Insel aufstellten, füllten sich bald mit Ratten, und es waren keine armen, von der Strahlung deformierten Kreaturen, sondern kerngesunde und robuste Exemplare«, notierte erstaunt William B. Jackson, der Hauptverantwortliche der amerikanischen Marineforschungsgruppe.

Doch wie hatten die Ratten fünfzehn Atombomben überleben können? Und vor allem, wovon hatten sie sich in den vier Jahren des Infernos ernährt?

Verschiedene Hypothesen wurden aufgestellt: Die Ratten mußten sich in tiefe unterirdische Gänge verkrochen und von den Wurzeln der einst reich wuchernden tropischen Vegetation gelebt haben, und wahrscheinlich hatten sie sich nach und nach auf den Fischfang verlegt und waren in große Tiefen auf der Suche nach Fischen und Krustentieren hinabgetaucht.

Doch wie gesagt, dies sind Hypothesen, die zahlreichen Faktoren keine Rechnung tragen, wie unter anderem den unvorstellbar hohen Temperaturen (im Bereich von Millionen Graden), die bei einer Nuklearexplosion herrschen, dem Seebeben, das diese hervorruft, dem Verschluß der Gänge durch den schrecklichen Uberdruck, der Zerstörung von Samenzellen durch Gammastrahlen ... - Aus: Francesco Santoianni, Von Mäusen und Menschen. München 1998 (Serie Piper 2594, zuerst 1993)

Ratte (5)  Meine Taschenlampe war ausgebrannt, aber trotzdem lief ich weiter. Ich hörte Stimmen, Gejohle und grausige Echos, aber darüber erhob sich weich, ja fast sanft dieses unheilige, heimtückische Hasten; allmählich steigend, steigend, steigend wie eine steifgeblähte Wasserleiche in einem schleimigen, öligen Fluß hochsteigt, der unter endlosen Onyxbrücken einem schwarzen, faulenden Ozean zuströmt.

Irgendwas stieß gegen mich — etwas weiches, plumpes, Es müssen die Ratten gewesen sein; die bösartige, gallerthafte, hungrige Armee, die von den Toten wie von den Lebenden frißt ... Warum sollten die Ratten nicht einen de la Poer fressen — fressen doch auch de la Poers Verbotenes! ... Der Krieg fraß meinen Jungen, verdammt sollen sie sein ... alle! ... Die Yankees fraßen Carfax mit Flammen und verbrannten Großvater Delapore und das Geheimnis ... Nein, nein, ich sage euch, ich bin nicht der höllische Schweinehirt dieser Zwielichtgrotte! Es war nicht Edward Norrys‘ Kopf auf jenem pilzüberwucherten Ding! Wer behauptet, daß ich ein de la Poer bin? Er lebte, aber mein Junge starb! ... Soll ein Norrys die Ländereien eines de la Poer besitzen? ... Das ist Vudu, sag ich euch ... die getupfte Schlange ... Verflucht sollst du sein, Thornton, ich werde dich lehren, in Ohnmacht zu fallen, beim Anblick dessen was meine Familie tut! ... Gotts Blut, du Hundsfott, ich will dir wohl Mores beibringen ... wolde ye swynke me thilke wys. . .? Magna Mater! Magna Mater! ... Atys ... Dia ad aghaidh 's ad aodann ... agus ba‘s dunach Ort! Dhonas 's dholas ort agus leat-sal... UngI... ungl... rrlh... chchch...

Das, behaupten sie, hätte ich gestammelt, als sie mich nach drei Stunden in der Finsternis über Captain Norrys' halbaufgefressener Leiche kriechend fanden, wobei mir mein eigener Kater eingekrallt an der Kehle hing. - H. P. Lovecraft, Die Ratten im Gemäuer. In: Cthulhu. Geistergeschichten. Übs. H. C. Artmann. Frankfurt am Main 1972 (st 29, zuerst 1936)

Ratte (6)

DIE RATTEN

 In Hof scheint weiß der herbstliche Mond.
Vom Dachrand fallen phantastische Schatten.
Ein Schweigen in leeren Fenstern wohnt;
Da tauchen leise herauf die Ratten

Und huschen pfeifend hier und dort
Und ein gräulicher Dunsthauch wittert
Ihnen nach aus dem Abort,
Den geisterhaft der Mondschein durchzittert

Und sie keifen vor Gier wie toll
Und erfüllen Haus und Scheunen,
Die von Korn und Früchten voll.
Eisige Winde im Dunkel greinen.

- Georg Trakl

Ratte (7)  

Die Diele knackt!
Mir graut
vor meinem Schatten.
Es hat einen dicken Krötenbauch,
Geierkrallen,
lange, schlenkernde Affenarme und Schweinsaugen . . .

Ich leuchte in alle Winkel.
Staub,
abgeblätterter Kalk, tote Fliegen und Spinnweben.

Wie ich mich endlich unter das Bett bücke,
die Haare sträuben sich mir, das Licht schlottert,
in eine Ecke geklemmt,
sitzt das Biest da.

Aus seinem Maul,
halb zerkaut,
hängt mein Pantoffel.

Entsetzt
stieren wir uns an.

Leise,
hin und her,
ringelt sich sein Rattenschwanz.

- Arno Holz, Phantasus (1898)

Ratte (8) Obwohl diese Tiere als recht intelligent gelten, haben sie ein schlechtes Image. Liegt es an ihrem Aussehen? Oder an ihren Nahrungsgewohnheiten? Bangladesh erklärte sie 1992 zum »Staatsfeind Nummer eins«, weil sie den Menschen jährlich Hunderttausende Tonnen Reis wegfuttern. Doch den Vernichtungskampagnen haben sich die schlauen Viecher bisher immer erfolgreich entzogen.

Lästig waren sie den Menschen schon immer, aber wie schädlich sie sein können, weiß man wissenschaftlich genau erst seit 1894. Zwei Forscher in Hongkong entdeckten die »Ursache« (genaugenommen die tödliche Co-Ursache) - und schon zehn Jahre später bot die chemische Industrie die ersten Mittel an, um den Schädlingen den Garaus zu machen. Bei einer Art ist es ihr gelungen : Sie steht in Deutschland seit 1994 auf der Roten Liste der stark gefährdeten Tierarten - doch niemand denkt ernsthaft daran, sie wieder einzubürgern.

Vertreter einer anderen Art sind bei uns allerdings immer noch (zu) häufig. Liegt es an ihrer Fruchtbarkeit? Oder daran, daß sie Allesfresser sind ? Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie auf der Nordsee-Hallig Norderoog fast das ganze Vogelschutzgebiet leer gefressen. Bei Nahrungsmangel verspeisen sie sogar ihre eigenen Jungen. Ihre Ernährung ist halt nicht immer appetitlich ...

Wenig bekannt ist ihre Karriere im Zirkus: Anfang des Jahrhunderts hatte der Zirkus Sarrasani eine Nummer mit 100 dressierten Tieren im Programm. Das wird eine rechte Plage bei der Dressur gewesen sein, denn die meisten Vierbeiner werden nur zwei bis drei Jahre alt. Aber weil sie so hervorragend laufen, klettern und schwimmen können, außerdem sehr gut sehen, hören und riechen, sind sie zur Dressur bestens geeignet. Kein Wunder, daß sie neuerdings sogar als Haustiere beliebt werden. Für Hausbesitzer allerdings eher eine Horrorvorstellung ... Wie heißt das Tier? - (nat)

Ratte (9) Auch die Ratten darf ich nicht vergessen, denn sie vergaßen mich auch nicht. Zahm wie Trencks Maus saßen sie in ihren Löchern und schauten einen an wie ein alter Großvater im Torweg. Oft stürzten sie während der Mahlzeit auf uns zu und nagten an unserem Essen. Als sie das erste Mal Wymontoo zu nahe kamen, war dieser richtig erschrocken, aber er gewöhnte sich daran und wurde bald besser mit ihnen fertig als die anderen. Mit erstaunlicher Geschicklichkeit packte er sie an den Beinen und schleuderte sie durch das Luk nach draußen, wo sie ein nasses Grab fanden.

Aber ich muß noch eine Geschichte erzählen, die ich selbst mit diesen Ratten erlebte. Eines Tages schenkte mir der Kajütsteward etwas Sirup, mit dem ich sehr sparsam umging und den ich in einer Blechkanne in der hintersten Ecke meiner Koje aufbewahrte. Bei unserer Verpflegung war dieser Sirup, auf einen Zwieback getropft, ein wirklicher Luxus, den ich nur mit dem Doktor teilte, und das auch nur insgeheim. Und so süß der Saft auch war, wie konnte ein so zubereitetes und im geheimen verzehrtes Brot auch anders schmecken als köstlich?

Eines Abends lief unsere kostbare Kanne nur noch spärlich, und als ich sie im Dunkeln umkippte, rutschte außer dem Sirup noch etwas anderes heraus. Wie lange es darin gelegen hatte, hat uns die freundliche Vorsehung nicht verraten; wir waren auch gar nicht neugierig darauf und verscheuchten allein den Gedanken daran so schnell wie möglich. Auf jeden Fall ist das Viech eines süßen Todes gestorben.   - Herman Melville, Omoo. Abenteuer in der Südsee. München 1970 (zuerst 1847)

Ratte (10) Daß die Ratten mit uns blutsverwandt sind, steht für mich fest; sie haben Schnurrbärte, übelriechende Körper und Gesinnung, sie sind sich ungemein ähnlich untereinander durch die Trübseligkeit der zugleich feisten und bösartigen Leiber und die Vorliebe für Kotiges. Als Stammgäste der Kloaken, Spezialisten für Scheiße und künstliche Lagerung von Urinen, besitzen sie einen tiefgehenden und schamlosen Patriotismus für die Abtrittsgruben; mit täglich frischem Dung versorgen sie ihre geliebten zahne- und krallenreichen Familienmitglieder; sie stimmen rechts, neigen zum religiösen, häuslichen Herdendasein, wie es ihr menschenfresserisches Einschleichen in die Sterbekammer des Empyreum beweist. Nachdem sie sich ins Allerheiligste des Paradieses gestohlen haben, haben sie ihren Gestank - den sie selber ehrlichen Schweiß der Stirn nennen - mit dem Weihrauch zu einer abscheulichen Mischung vermengt, haben die bebenden Saiten der himmlischen Harfen mit Haaren und Auswurf verpappt, haben mit den Überbleibseln ihrer Nahrung sogar die Throne der pausbäckigen Cherubine besudelt; und haben schließlich jenen göttlichen und antigeschichtlichen Ort mit einem Gestank nach toter Kloake angefüllt.

Daher ist es nicht zu verwundern, wenn - nachdem das Paradies abmontiert ist und nur noch die Seile von den eratischen Wolken hängen und abgenutzte Bruchstücke Heiliger Kreise hier und dort mittelmäßige Pappkulissen vortäuschen - wenn in der schwarzen und dunkelnden Kammer der Gottesleiche sich die infamen Tanten eingeschlichen haben, die filzigen Ratten, um talgige Mahlzeit zu halten; und wäre es noch verwunderlich - zu schließen aus dem bläulichroten und verblaßten Einschnitt an der GROSSEN FERSE, aus den Zahnspuren an der NASE, und zwischen dem SCHENKEL und dem STEISSBEIN -, wenn sie sich auch über den Totem-Onkel hergemacht hätten?

(Ich erinnere mich an eine katholische MAMA, eine Ratte aus Wahlverwandtschaft, die im Verdacht stand, Gatten und Embryos verspeist zu haben; gegen die rühmenden Anspielungen der Blutsverwandten schirmte sie sich ab mit Schnurrhaarlachen; paradigmatisches weibliches Wesen: sie liebte es, nächtlicherweile in Kloaken zu spazieren, sie leerte den Kot im Stehen und las dazu Illustrierte.)    - (nieder)

Ratte (11)  Als ich heute früh in der rue de Condé ankomme, sehe ich, wie die Arbeiter aus dem kleinen typographischen Betrieb von Flammarion eine Ratte in einer Falle mit Benzin übergießen und sie anzünden wollen. Ich trete dazwischen und mache sie auf das Grausame des Vorgehens aufmerksam. Grobe Spötteleien. Ich spreche den Polizisten vor dem Tor des Senats an. Er lehnt es ab, sich zu bemühen, selber belustigt von dem Vorgang. Ich kehre in den Betrieb zurück. Die Ratte brannte. Erneut grobe Spötteleien und heftiges Zuschlagen der Tür. Ich habe an Flammarion geschrieben, und zwar so, daß ein Brief an ihn persönlich geht.

Freilich, eine Ratte ist nur eine Ratte. Aber darum ist sie nicht minder ein Wesen, das lebt, das seine Bedürfnisse, seine Gewohnheiten, seine seine Ängste, seine Empfindlichkeit, seine körperlichen Befriedigungen, ja, wer weiß?, vielleicht sogar einen gewissen Gemütszustand hat? Kurz, sie ist ein lebendes Wesen. - (leau)

Ratte (12)

Ratte (13) »Diese heimtückischen und finsteren Wesen verfügen über die Kräfte des menschlichen Verstandes. Sie kennen auch die Geheimnisse der unterirdischen Höhlen, in denen sie sich verbergen. Es steht in ihrer Macht, ihr Äußeres zu verändern, menschliche Gestalt anzunehmen, als vollständiges, wenn auch falsches Ebenbild der Menschen. Die Ratten können auch unheilbare Krankheiten verursachen und bedienen sich dabei nur ihnen bekannter Mittel. Seuchen, Hunger, Krieg, Überschwemmungen und Invasionen sind ihre Helfer. Dann versammeln sie sich unter dem Zeichen geheimer Metamorphosen, handeln als Menschen, jeder kann mit ihnen sprechen, ohne zu wissen, wer sie sind. Sie stehlen und verkaufen mit einem Gewinn, der einen ehrlich arbeitenden Menschen ins Erstaunen versetzt, durch den Glanz ihrer Kleider und ihre sanfte Sprache führen sie jeden irre, morden und legen Brände, betrügen und legen Fallen; sie umgeben sich mit Luxus, essen und trinken reichlich und haben alles im Überfluß. Gold und Silber sind die Beute, die sie bevorzugen, aber auch Edelsteine, für die sie Schatzkammern unter der Erde eingerichtet haben.«   - Ert Ertrus, Die Vorratskammer des Rattenkönigs (ca. 1520). Nach: Alexander Grin, Der Rattenfänger. In: Phantastische Welten, Hg. Franz Rottensteiner. Frankfurt am Main 1984 (Phantastische Bibliothek 137)
 
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