uge  Es ist ein kindlicher Irrtum zu glauben, dem photographischen Vorgange, einem mechanischen der Fixierung von Linsenspiegelung, auf das gröbste von Lichtern und Schatten reduziert, sei es gegeben, ein in sich so vieldeutiges Wesen wie die Blume, vieldeutig in sich selber und durch die Erregbarkeit des verschieden anschauenden Menschenauges, abzubilden. Die Linse, dumm, starr und unmenschlich wie Sturm und Blitz, schafft niemals ein Bild, das ihr der Mensch nicht erst zuzurichten und einzureden hätte, kennt kein Wesen, erfährt keinen lebenden Eindruck. Sie bewahrt, wie eine Spur im nassen Sande, die gröbste Einwirkung eines stofflichen Drucks, dem sie stofflich ausgesetzt war und unterlegen ist, und bewahrt sie daher in den allergröbsten Einzelheiten übertreibend, die mittleren verwischend, die feineren und feinsten, die physiognomisch bestimmend sind, überhaupt nicht mehr.

Eine Blume ist mehr als ihre bloße Blüte. Die Tracht, die Winkel der aufwärts wachsenden Verzweigung und die Brechungen dieser Winkel im Spiel der Schwere, die Textur und Tönung des Pflanzengewebes, die Miene, die sich im Werbungs- oder Verbergungswillen der Blüte ausspricht, als Linienzauber oder als sinnlicher Vorgang — dies alles bestimmt, aber es erschöpft bei weitem nicht, ihren Habitus; und was erst ist die Blüte selber! Sie hat nicht, wie das Menschenantlitz, Vorder- und Seitenansicht, Profil und en face, hat weder Lächeln noch das magische Auge: und welche Künste muß nicht der Photograph selbst vor der jungen Phyllis und dem ernsten Timon aufwenden, — mit welchen Schirmen, Schleiern, Stützen, Hoch- und Tiefstellungen, ganzen und geteilten Vorhängen, muß er nicht die Dummheit des roh einfallenden Lichtes entmaterialisieren und vergeistigen, in wie viel Nuancen der Wendung und Senkung das Gesicht drehen, ehe er die Aufnahmen erhält, von denen vielleicht eine einzige ihn wert dünkt, ihm als Grundlage für die eigentliche Arbeit der Vermenschlichung durch neue Künste zu dienen, die Retouche, das Korn und den Ton des Abzugspapieres? Und diese Arbeit erst wird dem mechanischen Vorgange etwas von demjenigen inspirieren, was er nicht etwa darum wiedergeben will weil es »vorhanden« wäre, sondern weil er es liebt.

Erst das Auge das sich in das Gesicht der Blume ganz so hineingesehen hätte, wird die Linse zwingen können, ihm zu folgen.  - (garten)

Auge (2) Es sind Horrorgeschöpfe wie die von dem Baseler Entwicklungsbiologen Walter Gehring gezüchteten Fruchtfliegen, die es erlauben, der Evolution in die Karten zu schauen. 14 Augen wuchsen diesen Insekten an abseitigen Stellen: auf den Flügeln und an den Beinen, sogar an den Spitzen ihrer Fühler. Gehring hatte die Wirkung eines Gens verstärkt, das in den Larven die Entwicklung der Augen steuert. Dann ging der Schweizer Forscher einen Schritt weiter: Er entnahm Mäusechromosomen das entsprechende Augen-Gen und schleuste es in Fruchtfliegenlarven em. Wieder waren die ausgewachsenen Fliegenkörper mit rubinrot glitzernden Insektenaugen übersät. Die Umtauschaktion im Erbgut funktionierte sogar, als Gehring seinen Fruchtfliegen kürzlich das Augen-Gen eines Tintenfisches einbaute.

Dieses Gen, erklärt Gehring, sei ein Schalter, der in allen Geschöpfen gleichermaßen die Bildung des Sehorgans steuert. Nur die untergeordneten Gene, welche über die genaue Gestalt des Auges bestimmen, unterscheiden sich von Tiergruppe zu Tiergruppe. - Stefan Klein, aus: Der Spiegel 10 / 1998

Auge (3) Groß aufgetan starrend Augen bedeuten einen hässigen und unschamhaftigen, widerspenstigen, trägen Menschen, besonders so sie bleifarben sind.

So einer breite Augen hat, nach der Breite des Antlitzes, der ist ein boshafter Schalk. Item, wer Augen hat, die gleich sind eines Esels Augen, der ist unweiser und harter Natur.

Sind eines Menschen Augen rot, der ist männlich, stark, vermöglich und keck.

Augen, die da glitzern, funkeln und einen lichten Schein haben, bezeichnen Zucht und Seligkeit.

Augen, die da hin und wider schießen und sich sehr bewegen, bezeichnen einen Menschen, der zur Bosheit geneigt ist.

Scharfsinnige Augen bedeuten einen wahrhaftigen Menschen, behend in allen seinen Werken.

Augen, die sich oft auf und zu tun, bedeuten einen blöden, furchtsamen Menschen. Augen, die sich auftun und starren, bedeuten Torheit und einen Menschen, da kein Weisheit innen ist. - (kal)

Auge (4) 1. Von den Lebenszeichen. Ist der Mensch an seinem Körper gesund, und hat er reine und klare Augen, gleichviel welche Farbe sie haben, so hat er das Zeichen des Lebens; sind die Augen in der Weise hell, wie eine weiße Wolke, durch die hie und da eine Wolke wie Glas erscheint, so wird dieser Mensch leben und nicht bald sterben ...

2. Von den Augen. Denn der Blick der Seele ist in den Augen emes solchen Menschen mächtig, wenn dessen Augen klar und licht sind, weil die Seele in dessen Körper machtvoll sitzt, da sie noch viele Werke in ihm wirken wird. Die Augen des Menschen sind nämlich die Fenster seiner Seele ...

3. Von den trüben Augen und dem Zeichen des Todes. Hat jemand trübe Augen, und ist er dabei noch gesund, sind aber die Augen nicht durchsichtig, so hat er, gleichviel welche Farbe seine Augen haben, das Zeichen des Todes. Auch wenn seine Augen in der Weise trübe sind, wie es eine Wolke ist, die so dicht ist, daß man eine glashelle Wolke unter ihr nicht sehen kann, so wird der Betreffende bald krank werden, und der Tod wird folgen. Im Blicke eines solchen Menschen ist nämlich die Seele nicht mächtig, weil sie dortselbst nur mehr wenige Werke wirken wird, und weil sie wie umwölkt darin sitzt, so wie ein Mensch, der im Zweifel ist und überlegt, wann er seinen Wohnsitz verlassen und aus seinem Hause fortgehen will...

4. Vom Zeichen des Todes. Ist ein Mensch noch gesund, liegt jedoch eine rote oder etwas rote Farbe in den Augenlidern über der Haut, so daß man infolge dieser Röte die Haut in den Lidern nicht mehr sehen kann, so hat er ein Todeszeichen ..., schnell wird er krank werden, und der Tod wird folgen. Die rote Farbe nämlich, die in den Lidern über der Haut liegt, ist der feurige Lebenshauch der Seele. Sie zeigt bereits ihre Kraft außerhalb des Körpers, innerhalb des Körpers aber zeigt sie sich schwach und unsicher, wie ein Mensch, der bereits zur Türe seines Hauses geht, da er im Begriffe ist es zu verlassen. - (bin)

Auge (5) Funk mustert die Leichen, voll neugierigen Grimms. Schau es dir an, das Antlitz des angeblichen Heldentums, das Schandantlitz des Krieges!

Ihm fällt auf, wie aus dem Gesicht des einen, reglos Liegenden die halboffenen Augen plötzlich hinabsinken; ein verblüffender, unerklärlicher Vorgang. Da entdeckt er, daß der Hinterkopf in geradezu exakter Weise fortrasiert ist. So haben die Augen keinen Druck mehr nach vorn, keinen Halt — und es ist, als entfernten sie sich nach innen, weg von dem abscheulichen Anblick dieser Welt ... - Alexander Moritz Frey, Pflasterkästen. Ein Feldsanitätsroman. Leipzig und Weimar 1984 (zuerst 1929)

Auge (6) Sie sind nicht liebenswert, diese gefräßigen, rapid sich vermehrenden Nager. Soll man sie bedauern? Gewiß, auch sie leiden — Opfer des Krieges; in ihrer schrecklichen Menge Produkte des Krieges und Opfer zugleich. Aber gegen die Widerlichkeit ihres Auftretens, ihres Gehabes geht man vergebens innerlich an. Wie sehr unverschämt sie sind! Im Unterstand muß man Brettchen an Drähten oder Schnüren von der Decke herabhängen lassen, um dort halbwegs sicher das Stück Kommißbrot und das Würfelchen Margarine unterzubringen. Wohin man die Toten unbehelligt betten soll, ehe sie begraben sind, weiß man schon gar nicht. Gerne fressen die Ratten als erstes in die Augenhöhlen sich hinein, es mag für sie Feinschmeckerei mitspielen.

Funk denkt daran, in welchen Zustand von Entsetzen und Neugier er einmal gefallen ist, als er am hellen Tag auf einen Pferdekadaver stieß, dessen Auge plötzlich lebendig wurde — bei schon geplatztem Leib — dessen eines Auge sich ungeheuer schwarzgrau vorwölbte und ihn zuckend ansah ... Nachher war es der gierig bewegte Rücken einer Ratte, die im Pferdeschädel wühlte. - Alexander Moritz Frey, Pflasterkästen. Ein Feldsanitätsroman. Leipzig und Weimar 1984 (zuerst 1929)

Auge (6)

Ferner zu sagen, die Augen vermöchten nicht selber zu sehen,
Sondern der Geist nur sehe durch sie wie durch offene Türen,
Ist recht schwer; denn ihr eignes Gefühl spricht heftig dagegen:
Leitet uns doch das Gefühl und verweist auf das Sehen der Augen
Selber, zumal wir ja oft hellglänzende Dinge nicht sehen,
Weil uns das Augenlicht durch das äußere Licht wird geblendet.
Anders steht's mit den Türen. Denn wenn man sie öffnet, so trifft doch
Keinerlei Schade die Öffnung, durch die wir selber hindurchsehn.
Übrigens wenn man für Türen erklären will unsere Augen,
Müßte dann um so mehr bei herausgenommenen Augen,
Wie bei beseitigten Türen, der Geist von den Dingen erschauen.

- (luk)

Auge (7)  Was Seleniten für Augen haben, getraue ich mir kaum zu sagen, es ist so unglaublich, daß ich besorgen muß, man werde denken, ich gebe die Unwahrheit vor. Doch, da ich schon so viel wunderbares erzählt habe, mag das immer auch noch mitgehen. Sie haben nehmlich Augen die sich herausnehmen lassen; wer also die seinigen schonen will, nimmt sie heraus und hebt sie auf; kommt ihm dann etwas vor das er sehen will, so setzt er sein Auge wieder ein, und sieht. Viele, die die ihrigen verlohren haben, sehen mit geborgten; denn was reiche Leute sind, haben deren immer viele vorräthig. - (luege)

Auge (8)  Da wurde der Spiegel plötzlich völlig dunkel, so dunkel, als ob sich in der sichtbaren Welt ein Loch aufgetan habe, und Frodo schaute in eine Leere. In dem schwarzen Abgrund erschien ein einzelnes Auge, das langsam wuchs, bis es fast den ganzen Spiegel ausfüllte. So entsetzlich war es, daß Frodo wie angewurzelt dastand und weder aufzuschreien noch seinen Blick abzuwenden vermochte. Das Auge war von Feuer umrandet, aber es selbst war glasig, gelb wie ein Katzenauge, wachsam und angespannt, und der schwarze Schlitz seiner Pupille öffnete sich über einem Abgrund, ein Fenster zum Nichts.

Dann begann sich das Auge zu bewegen und hier und dort zu suchen; und Frodo wußte ganz genau und voller Entsetzen, daß unter den vielen Dingen, die es suchte, er eines war. Aber er wußte auch, daß es ihn nicht sehen konnte — noch nicht, nicht, solange er es nicht wollte. Der Ring, der an seiner Kette um seinen Hals hing, wurde schwer, schwerer als ein großer Stein, und Frodos Kopf wurde nach unten gezogen. Der Spiegel schien heiß zu werden, und Dampfkringel stiegen vom Wasser auf. Frodo glitt vornüber. - J.R.R. Tolkien, Der Herr der Ringe. Stuttgart 1972 (zuerst 1966)

Auge (9)  Blaue Augen zeugen überhaupt mehr von Schwäche, Weiblichkeit, Weichheit, als die braunen und schwarzen. Zwar giebt's unzählige kraftvolle Menschen mit blauen Augen - doch finde ich viel mehr starke, männliche, denkende Menschen mit braunen, als mit blauen Augen. Woher es komme, daß man in China oder in den philippinischen Inseln sehr selten blaue Augen, und niemals, als nur bey Europäern, oder bey Leuten, die in diesen Gegenden von europäischen Aeltern geboren sind, gesehen habe - ist untersuchens werth - um so mehr, da kein weichlicheres, wollüstigeres, friedsameres, fauleres Volk ist, als die Chineser.

Cholerische Menschen haben allerley Arten von Augen, doch mehr braune und grünlichte, als blaue. Grünlichte sind beynah ein entscheidendes Zeichen von Heftigkeit, Feuer und Muth.

Hellblaue Augen habe ich fast nie bey melancholischen, selten bey cholerischen, am allermeisten bey phlegmatischen Temperamenten, die jedoch viel Aktivität hatten, angetroffen.

Augen, wo der untere Bogen des obern Augenliedes hoher Zirkelbogen war - habe ich immer gut, zart, auch furchtsam, zaghaft, schwach befunden.

Augen, die, wenn sie offen, und nicht zusammengedrückt sind, lange, scharfe, spitzige Winkel gegen die Nase haben, habe ich fast nie, als bey sehr verständigen, oder sehr feinen Menschen gefunden.

Ich habe noch kein Auge, dessen Augenlied horizontal auf dem Apfel sich zeichnete, und halb den Stern durchschnitt, gesehen - als an sehr feinen, sehr geschickten, sehr listigen Menschen, wohl verstanden, an sehr vielen redlichen auch, die aber sehr feinen Verstand hatten, und viel Anstelligkeit.

Augen, die weit offen sind, so daß viel Weißes noch unterm Stern zum Vorschein kömmt - habe ich an den blödesten, phlegmatischten - und zugleich an den muthigsten und feurigsten gefunden. Neben einander gesetzt, wird man leicht das Matte und Feurige, das Unbestimmte und Bestimmte unterscheiden können. Die Feurigen sind fester, kecker gezeichnet, haben weniger Schweifung, gleich dickere, beschnittnere, jedoch weniger häutige Augenlippen. - (lav)

Auge (10) Wie der Gedanke zum erstenmal in mein Hirn drang, läßt sich unmöglich sagen; doch nachdem ich ihn einmal gefaßt, verfolgte er mich ständig Tag und Nacht. Ein Zweck war nicht dabei. Auch keine Leidenschaft. Ich mochte den alten Mann gern. Er hatte mir niemals Unbill zugefügt. Er hatte mich nie beleidigt. Nach seinem Geld gelüstete mich's nicht. Ich denke, es war sein Auge! ja, das war's! Er hatte das Auge eines Geiers - ein blaßblaues Auge mit einem Häutchen darüber. Sooft dessen Blick auf mich fiel, überlief es mich kalt; und so kam ich denn nach und nach - ganz langsam und allmählich - zu dem Entschlüsse, dem alten Mann das Leben zu nehmen und somit des Auges auf immer ledig zu werden. - Edgar Allan Poe, Das verräterische Herz, in (poe)

Auge (11)   Er wirkte gewißlich jung - und liebte es, im Gespräch seine Jugend zu betonen - doch gab es Momente, wo es mir nicht schwer gefallen wäre, ihn mir als hundert Jahre alt vorzustellen. Aber in keinem Betrachte war er sonderlicher denn in seiner persönlichen Erscheinung. Er war ganz einzigartig lang und hager. Ging stark gebeugt. Seine Gliedmaßen wirkten dürr und abgezehrt. Die Stirn war breit und niedrig. Sein Teint absolut blutlos. Der Mund groß und flexibel - und seine Zähne waren, wennschon gesund, doch in so wilder Weise uneben, als ich's nur immer in einem menschlichen Haupte sah. Der Ausdruck seines Lächelns jedoch war keineswegs etwa mißfällig, wie man annehmen möchte; nur zeigte es keinerlei Wandlungsfähigkeit. Es war voll tiefer Schwermut - voll niemals wechselnder, nie endender Düsternis. Seine Augen waren abnorm groß, und rund wie die einer Katze. Auch verengten oder erweiterten sich die Pupillen bei wachsendem beziehungsweise abnehmendem Lichte ganz so, als man es bei den Vertretern der Katzengattung beobachtet. In Augenblicken der Erregung trat in sie ein schier unfaßlicher Glanz: da schien ein Strahlenschein von ihnen auszugeben, nicht reflektiertes, sondern Eigenlicht, wie eine Kerze oder die Sonne es entsendet; doch gewöhnlich blickten sie so schal, verschleiert und stumpf, daß einem unwillkürlich der Gedanke an die Augen eines lang begrabnen Leichnams kam. - Edgar Allan Poe, Eine Geschichte aus den Rauhen Bergen, in (poe)

Auge (12)  Ihr müßt wissen, er war ein ehrbarer, rechtschaffener Mann. Er pflegte oft zu fasten. Er war frei von Sünde. Täglich ging er zur Kirche und hörte die Messe. Stets teilte er sein Brot mit andern, wie es Gott gefällig ist. Weit und breit findet sich kein so tugendreicher Mann. Ich erzähle euch, warum er diesen ausgezeichneten Ruf hat. Er hatte wiederholt gehört, es stehe im heiligen Evangelium geschrieben: »Wenn dich dein Auge zur Sünde verführt, dann reiße es aus deinem Kopf oder mache es blind, damit du nie der Sünde verfällst.« Eines Tages betrat eine schöne Frau seinen Laden, um ein Paar Schuhe zu kaufen. Der Schuhmacher möchte Beine und Füße sehen, um zu wissen, was er ihr anbieten könnte. Die Frau zieht ihr Kleid ein wenig hoch - und wirklich, die Schöne hatte wunderhübsche Beine und Füße. Der tugendhafte Mann ist völlig verwirrt; seine Augen weiden sich an diesem Anblick. Auf einmal wendet er sich von der Frau ab, er will ihr keine Schuhe verkaufen. Nachdem die Frau weggegangen ist, sagt er zu sich selbst: »Du elender, treuloser Kerl, wo sind deine Gedanken? Meine verräterischen Augen sollen es büßen.« Er nimmt sogleich eine Ahle, spitzt sie noch zu und durchsticht sein Auge, so daß es für immer blind ist. - (polo)

Auge (13)  Der Franzose Capedevielle schlug 1903 eine Methode vor, die sich ausschließlich mit den Augen befassen sollte. Sie gliederte sich in vier Operationen: 1. Messung der Hornhautwölbung, 2. Messung des Pupillenabstandes, 3. Messung der Augenwinkelabstände, 4. Feststellung der Irisfarbe. Die Hornhautwölbung sollte mit dem Ophtalmometer von Javal und Schiöltz ausgeführt werden, an dem Capedevielle einige Modifikationen angebracht hatte. Capedevielle behauptete, die Wölbung der Hornhaut bliebe, von pathologischen Fällen abgesehen, bei allen Menschen lebenslänglich konstant. Der Pupillenabstand, der in der Qesamtpopulation zwischen 50 und 90 mm individuell schwanken sollte, sollte mit einem von Capedevielle konstruierten Ophtalmostatometer gemessen werden. Der Augenwinkelabstand sollte mit einem einfachen Schiebermaß gemessen werden. Die Bezeichnung der Irisfarben sollte entsprechend den Vorschriften Bertillons erfolgen, aber ohne Berücksichtigung der von Bertillon mit in Betracht gezogenen Aureole und Peripherie; die Feststellung der besonderen Merkmale der Augen in vollem Umfange nach Bertillon.  - (net) 

Auge (14)   Ich habe freilich die Engel Augen genannt, und jetzt nenne ich sie lebendig gewordene Planeten. Der Name ändert aber nichts an der Sache und dient bloß, bald die, bald die Beziehung mehr vorzuheben.

Man kann ja überdies, wenn man will, auch unsere Erde ein Auge nennen, und unser eigenes Auge nur eine vervollkommnete Wiederholung der Erde, in der sie sich selbst reproduziert hat. Mit welchen Ausdrücken ich aber auch weiter nichts sagen will, als daß sich die Erde in einer Art Beziehung mir einem Auge zusammenstellen läßt; oder mit anderen Worten: diese kurzen Ausdrücke, die Erde ist ein Auge, der Engel ist ein Auge, müssen nur als Abkürzungen für den Ausdruck gewisser, zwischen beiden stattfindender Gleichungspunkte angesehen werden.

Unsere Erde ist gleich dem Auge eine Kugel, bestehend aus konzentrischen Schichten, namentlich mehreren durchsichtigen von verschiedener Dichtigkeit, Atmosphäre und Meer, durch welche das Sonnenlicht einfällt, um auf ihrer Oberfläche lebendige bunte Bilder hervorzurufen, wovon dann wieder nur ein Abdruck in unser Auge gelangt. Aber, was wohl zu bemerken ist, unsere Erde ist ein umgestülptes Auge; die Erdoberfläche mit ihren empfindenden Wesen die konvex nach außen gekehrte Netzhaut; Meer und Atmosphäre der Glaskörper und die auseinandergeflossene Linse, unter deren Mithilfe nur die Sonnenstrahlen das bunte Gemälde des Lebens auf der Netzhaut der Erde hervorzubringen vermögen, gerade wie in unseren Augen. Zum Erdauge ist nur das reell, was in unserem bloß idealer Abdruck ist; die Verhältnisse sind dieselben.  - Gustav Theodor Fechner, Vergleichende Anatomie der Engel. Frankfurt am Main 1985 (Polaris 9. Ein Science Fiction Almanach. Hg. Franz Rottensteiner. st 1168. - Zuerst 1825)

Auge(15)n, die groß, offen, helldurchsichtig, unter parallelen, scharf gezeichneten Oberaugliedern schnell-beweglich funkeln, - haben sicherlich allemal fünf Eigenschaften -

Schnellen Scharfblick,

Eleganz und Geschmack,

Zornmüthigkeit,

Stolz, und

Furiose Weiberliebe. - Johann Caspar Lavater, Hundert physiognomische Regeln (nach: Projekt Gutenberg)

Auge (16) »Leonie hat ihr wie allen hin und wieder die Zunge herausgestreckt. Am erstaunlichsten ist für mich bei dieser Geschichte, daß ein so zähes Weib von einer Kugel aus einem Kindergewehr getötet werden konnte. Und das ist noch nicht einmal alles. Es gibt ja die unwahrscheinlichsten Zufälle. Das linke Auge, durch das die Kugel ins Gehim drang, war nämlich gerade ihr schlechtes, auf dem sie seit Jahren blind war. Was sagen Sie dazu?«

Dr. Bresselles hob sein Glas. Der grünlich schillernde Wein war herb und leicht und hatte einen geradezu erdigen Geschmack.

»Auf Ihr Wohl! Passen Sie auf, man wird Ihnen dauernd Knüppel zwischen die Beine werfen. Glauben Sie kein Wort, weder den Alten noch den Jungen. Kommen Sie zu mir, wann Sie wollen. Ich werde Ihnen helfen, wo ich nur kann.«

»Sie mögen ja die Leute hier wohl nicht besonders gern.«

Bresselles Augen blitzten vergnügt.

»Im Gegenteil, ich liebe sie über alles«, sagte er im Brustton der Überzeugung. »Sie sind einfach toll.« - Georges Simenon, Maigret und die schrecklichen Kinder. München 1971 (Heyne Simenon-Kriminalromane 7, zuerst 1953)

Auge (17) Eine kleine Maus hatte sich nahe der Bank, die selten besucht wurde, ein System von Laufgräben angelegt. Maustief, mit Löchern zum Verschwinden und anderswo wieder aufzutauchen. Sie huschte darin im Kreise, stände huschte im Kreis weiter. Aus dem Grollen der Luft tauchte eine ungeheure Stille auf. Die Menschenhand sank von der Lehne der Bank. Ein Auge, so klein und schwarz wie ein Spennadelkopf richtete sich dahin. Und man hatte einen Augenblick lang ein so sonderbar verkehrtes Gefühl, daß man wirklich nicht mehr recht wußte, ob sich dieses kleine, lebendige, schwarze Auge drehe oder ob sich die ungeheure Unbeweglichkeit der Berge rühre. Man wußte nicht mehr: vollzog sich an einem der Wille der Welt oder der dieser Maus, der aus einem winzigen, einsamen Auge leuchtete. - (nach)

Auge (18)   Nichts wird von Künstlern, Dichtern und Schriftstellern mehr gefürchtet als jenes Auge, welches ihren kleinen Betrug sieht, welches nachträglich wahrnimmt, wie oft sie an dem Grenzwege gestanden haben, wo es entweder zur unschuldigen Lust an sich selber oder zum Effektmachen abführte; welches ihnen nachrechnet, wenn sie wenig für viel verkaufen wollten, wenn sie zu erheben und zu schmücken suchten, ohne selber erhoben zu sein; welches den Gedanken durch allen Trug ihrer Kunst hindurch so sieht, wie er zuerst vor ihnen stand, vielleicht wie eine entzückende Lichtgestalt, vielleicht aber auch als ein Diebstahl an aller Welt, als ein Alltags-Gedanke, den sie dehnen, kürzen, färben, einwickeln, würzen mußten, um etwas aus ihm zu machen, anstatt daß der Gedanke etwas aus ihnen machte, — oh dieses Auge, welches alle eure Unruhe, euer Spähen und Gieren, euer Nachmachen und Überbieten (dies ist nur ein neidisches Nachmachen) eurem Werke anmerkt, welches eure Schamröte so gut kennt wie eure Kunst, diese Röte zu verbergen und vor euch selber umzudeuten!  - (mo)

Auge (19)

- Nicolas-Louis-Marie-Dominique Cirier

Auge (20)  Allmählich kamen Don Juan auf der Fahrt Gesichter entgegen, und zwar sämtlicher Altersstufen, selbst die mittleren Alters, die einem zuletzt als besonders nichtssagend und formlos untergekommen waren, ließen sich nun sehen. Es waren weniger die Gesichter als die Augen. Es waren weniger die Formen, welche den wie in Prozessionsgrüppchen am Rand der Landstraße Dahinziehenden und sich Dahinschleppenden ein Gesicht gaben, als vielmehr die Farben. Auch das ein Zeichen einer neuen Zeit: daß diese Augenfarben, tief hinten im Kaukasus, nicht etwa einheitlich braun oder schwarz waren. Genauso häufig kam da ein Grün daher, ein Blau, ein Hell- oder Dunkelgrau. Und so zu bemerken: auch wenn die Gesichter verzerrt waren, vor Erschöpfung, vor Hoffnungslosigkeit, vor Wut und vor Haß, und da und dort sogar vor Mordlust, auch wenn diese Augen böse blickten, oder abwesend, oder hochmütig, oder schlicht dumm - die Farben selber, sofern man nur zu ihnen durchdrang und sie, eine um die andere, undsofort, aufscheinen oder auftanzen ließ, waren, indem sie eine Augenfarbenreihe bildeten, gut. In der Aufeinanderfolge, gerade weil ausnahmslos jeder der Gehenden woandershin und wie ins Leere schaute, ergaben diese Farben jetzt einen Puls; pulsten jemandem oder etwas entgegen.    - Peter Handke, Don Juan (erzählt von ihm selbst) Frankfurt am Main 2006 (st 3739, zuerst 2004)

Auge (21)

Der Atlantik ist ein sturmdurchtoster Teich; das Mittelmeer - die blaue Lache in dem alten Garten,
hat fünfmaltausend Jahre lang
Opfer von Schiff und Blut geschlürft und schimmert in der Sonne. Doch hier im Pazifik
sind Schiffe und Flieger und Kriege fehl am Platz.
Nicht unsre jetzige Blutfehde mit den tapfern Japanern,
noch irgendein künftiger Weltzwist des westlichen oder östlichen Menschen,
noch die blutige Wandrung der Völker, die Machtgier und die Schlachtfalken,
sind ein Staubkorn auf der großen Waage.
Hier an der bergigen Küste, wo Hügel auf Hügel, delphinengleich
durch grauen Seedunst ins bleiche Meer taucht:
Sieh den riesigen Andrang des Wassers im Westen - es ist
die Hälfte des Erdballs: dieser Dom, diese Halbkugel, dieser vorgewölbte Augapfel des Wassers
spannt sich nach Asien hinüber,
nach Australien und der weißen Antarktis:
dies sind die Lider, die sich nimmer schließen,
dies ist das schlaflos-starre Auge der Erde,
und was es betrachtet, sind nicht unsre Kriege.

- Robinson Jeffers, nach (mus)

Auge (22)  EISPALAST  Die Pfützen bildeten ein Domino geköpfter Gebäude, von denen eines der Festungsturm ist, den man mir in der Kindheit mit nur einem Fenster beschrieben hat, das so hoch ist wie die Augen der Mutter, wenn sie sich über die Wiege beugt.

Nahe der Tür schwankt ein Erhängter über einem von der Ewigkeit umrandeten Abgrund, vor Raum heulend. Das bin ich. Es ist mein Skelett, von dem nichts weiter als die Augen geblieben sind. Bald lächeln sie mir zu, bald schielen sie mich an, bald VERSPEISEN SIE EINE BROTKRUME IM INNERN DES GEHIRNS. Das Fenster öffnet sich, und es erscheint eine Dame, die sich die Fingernägel poliert. Als sie meint, daß sie spitz genug sind, reißt sie mir die Augen aus und wirft sie auf die Straße.

Meine Augenhöhlen bleiben einsam, ohne Blick, ohne Wünsche, ohne Meer, ohne Küken, ohne alles.

Eine Krankenschwester kommt und setzt sich neben mich an den Tisch des Cafés. Sie schlägt eine Zeitung von 1856 auf und liest mit bewegter Stimme:

»Als Napoleons Soldaten in Zaragoza einmarschierten, in das NIEDERTRÄCHTIGE ZARAGOZA, fanden sie nichts weiter als Wind in den verlassenen Straßen. Lediglich in einer Pfütze quakten die Augen von Luis Buñuel. Die Soldaten Napoleons gaben ihnen mit Bajonettstichen den Todesstoß.« - (bun)

Auge (23)  Die »Prunzscherben« oder »Prunzkacheln«, wie man sie um 1510 nannte, waren zumeist aus Ton, auch aus Zinn, später aus Porzellan, und der Hausrat einer reichen Bürgersfrau von Wien um 1800, der Frau Spöttl, wies sogar einen Nachttopf aus Silber auf. Es gab auch solche mit verschließbarem Deckel. Vielfach wiesen die Nachttöpfe scherzhafte Verzierungen und Devisen auf, wie: »Das Auge sieht den Himmel offen.« Es war nämlich auf dem Boden ein offenes Auge gemalt. Es gehörte zu den beliebten Hochzeitsscherzen, dem Brautpaar »Kammertöpfe« mit anzüglichen Inschriften oder Bildern zu überreichen, etwa mit einem entzückt die Augen aufreißenden Antlitz, worunter sich die Unterschrift befand: »Wenn du wüßtest, was ich sehe.«  - (erot)

Auge (24)  Der Kopf der Seeschildkröte stirbt nicht, wenn man ihn abhaut, sondern sieht und blinzelt mit den Augen, wenn man ihm die Hand vorhält. Brächte man die Hand noch näher heran, würde er sogar zubeißen.

Die Schildkröte hat weithin leuchtende Augen, denn die Augäpfel sind hellglänzend und strahlend. Man nimmt sie heraus, faßt sie in Gold und setzt sie in Halsketten. So erscheinen sie den Frauen herrlich.  - (ael2)

Auge (24)  Die Art des Terrors, die Farny ausübte, war versteckt und hinterlistig. Es waren vor allem seine Augen, die Furcht einflößten. Die Iris war grau und schmal, mit vielen winzigen gelben Tupfen. Darum lag die Hornhaut, durchzogen von vielen roten Äderchen. Aber was diese Augen eigentlich so Entsetzen erregend machte, konnte niemand recht sagen. Sie waren wohl leer, ganz und gar ausdruckslos, und auch wenn man fühlte, daß der Sergeant innerlich von Wut geschüttelt wurde, die Augen blieben sich gleich. Das Gesicht war bei diesen Gelegenheiten verzerrt, der Mund belferte, die Wangen zuckten. Aber während die Wut sich bis zum heiseren Schreien steigerte, blieben die Augen weit offen, die Lider schienen festgewachsen und senkten sich auch nicht ein einziges Mal über die Augäpfel, deren Beschaffenheit am ehesten an trübe Gelatine erinnerte.  - (gou)

Auge (25)   Alle achte sind von Künstlern, Baumeistern, Mahlern, Kupferstechern, Medailleurs. So verschieden sie alle sind (und sie müssens seyn, wenn's eine Physiognomie giebt, weil die sich ähnlichsten Genies immer noch sehr verschieden sind) so kommen doch die meisten darinn überein, daß das obere Augenlied mehr oder weniger unter den Augenknochen eingeschoben ist; daß die Augenbraunen stark behaart sind.

Das oberste Paar der zweyten Tafel (die zweyte ist die, wo die Augen näher beysammen stehen) hat dieses am stärksten. Es sind des berühmten Dmghngers, eines prächtigen Silberarbeiters, Augen.

Ganz entgegengesetzter Art ist das zweyte Paar! Hier ist nicht kleinlicher, geduldiger Fleiß, der aus microscopischem Anschauen und scharfem Betrachten entsteht! Hier ist tiefere Ueberlegung, innigeres Gefühl, und viel mehr Feinheit, Geschmack, und Größe! Obgleich es eine sehr schlechte Copey von Wreens Augen seyn mag, ist's sicherlich noch Character genug von Genie. - (lav)

Auge (26)  Ich erinnere mich, auf kalte, mechanische Weise verschiedene Dinge bemerkt zu haben, so, als gelte meine einzige Sorge der Registrierung all dessen, was es zu sehen gab. Sein Gesicht war furchteinflößend, aber seine Augen In der Mitte des Gesichts hatten so etwas von Kälte und Schrecken an sich, daß seine übrigen Züge nahezu freundlich wirkten. Die Haut war wie verblichenes Pergament, auf welchem Runzeln und Falten so angeordnet waren, daß zwischen ihnen ein Ausdruck bodenloser Unerforschlichkelt entstand. Aber die Augen waren entsetzlich. Bei ihrem Anblick hatte ich das Gefühl, sie seien keine echten Augen, sondern mechanische Nachbildungen, durch elektrischen Strom oder ähnliches betrieben, mit einem winzigen Nadelloch im Zentrum der »Pupille«, durch welches das richtige Auge verstohlen und mit ungeheurer Kälte starrte. Diese Idee, die wohl auf nichts tatsächlich Vorhandenem gründete, störte mich bis zur Lähmung und gab meinem Geist zu nicht enden wollenden Spekulationen Anlaß, die sich um die Frage bewegten, welche Farbe und Sehstärke das richtige Auge wohl hätte, ob es tatsächlich ein richtiges Auge sei oder wieder nur eine Attrappe wie das erste Auge, so daß das richtige Auge, möglicherweise hinter tausen-den dieser absurden Verkleidungen, durch ein Rohr dichtgedrängter Gucklöcher starrte. Hin und wieder senkten sich die schweren, käseartigen Lider langsam und mit großer Mattigkeit und hoben sich dann wieder.  - (obr)

Auge (27)

Augen

Es muß gewesen sein, als ich sieben war. Daß ich eines klaren, stürmischen Frühlingstages, während mich irgendwer von hinten umfaßte, im Winkel des Gartens in den aufgelassenen Brunnen sah, in den eckigen Schacht, der abwärts in die Tiefe stürzte: bemoostes, altes Steingemäuer, wuchernde Farne, schaudernd eisige Luft; und drunten auf dem Grund stand reglos und wie ein rostiger Spiegel das Wasser. Heute weiß ich: da zum erstenmal beschlich mich etwas, das vieles in meinem Leben bestimmte.

Wäre jene eine Sekunde eines Frühlingstages des Kindes nicht gewesen und nicht der Blick hinab in die mit kalten Mörderaugen aufgefüllte Düsternis in der Erde, - womöglich hätte ich, zwanzig Jahre alt, dem Freund die Stirn gespalten, oder ich wäre mit fünfundzwanzig in der Kolonne der Ideologen marschiert, hätte vielleicht mit dreißig mich für die Liebe geopfert, mit fünfunddreißig vor Verzweiflung den Strom des Unabänderlichen überquert oder aber mir mit vierzig in unserer Stadt einen Namen gemacht. Doch es ist anders gekommen. Einmal nur im nördlichen China am Yung-ting, dem »Ewig-Unwandelbaren«, als auf seinen Wellen unirdisch weiß die Sonne flammte, überfiel mich der Rausch des Kampfes, der das Leben für nichts erachtet; sonst bin ich in allem träge geblieben und immer der unbeteiligte Augenzeuge.

  - Yasushi Inoue, nach: Friedrich Dürrenmatt, Einführung Yasushi Inoue. In: F. D., Versuche. Zürich 1991

Auge (28)  Wißt ihr wenigstens wie diese Augen aussehen die den Linsen der Brille entsprechen die ihr auf der Wiese in der Nähe des Priestergrabens gefunden habt wo der Metzger gestorben ist? Gut die Dioptrien aber Augen gibt es sehr viele Arten, sie können tausend verschiedene Farbnuancen haben. Vom Gelb zum Orange können sie alle Farben des Regenbogens haben, sie können blau wie das Meer und grün wie der Himmel sein, grau braun violett und andere Farben haben. Audi schwarz. In manchen Fällen hat das rechte Auge eine Farbe und das Unke eine andere und umgekehrt in unzähligen Kombinationen. Man müßte auch wissen ob die Augen die ihr sucht kurzsichtig oder weitsichtig sind, es gibt verschiedene Arten, schlecht zu sehen. Viele tragen eine Brille und brauchen sie nicht, andere tragen Brillen mit falschen Linsen. Manche Leute haben ein Glasauge, andere haben beide aus Glas und niemand merkt es. Sie sind sehr geschickt gemacht das heißt sie sehen aus wie echt, der einzige Unterschied ist daß man mit ihnen nichts sieht. Jetzt haben sie auch die synchronisierten Glasaugen erfunden. Diejenigen die Glasaugen haben tragen meistens eine Brille und die Linsen können beliebig sein. Das heißt es ist nicht einfach den Mörder über eine Brille zu finden. Spaziert herum, laßt euch mit Steinen bewer-fen, vielleicht sind die Augen die ihr sucht hier und lesen die Zeitung und schauen ab und zu auf, lachen euch ins Gesicht und ihr habt keine Ahnung.  - Luigi Malerba, Salto mortale. Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1968)

Auge (29)  Auch bei uns selbst können wir noch Spuren der Tatsache entdecken, daß unsere Augen ursprünglich nicht Abbildungsapparate gewesen sind, sondern Alarmeinrichtungen. Nicht Organe zur unvoreingenommenen, gleichsam wertneutralen Wiedergabe dessen, was vor ihnen lag, sondern optische Filter, die mit Hilfe ausgeklügelter, noch innerhalb der Netzhaut gelegener Verrechnungsschaltungen unter dem optischen Reizangebot eine Vorauswahl zu treffen hatten.

Nur das sollte diese optische Zensurstelle passieren, was auf Grund seiner Beweglichkeit eine Reaktion notwendig machen konnte. Wir erkennen auch hier wieder die Spur der uns schon bekannten Maxime: »So wenig Außenwelt wie irgend möglich«. Die zusätzliche Übermittlung auch noch all der übrigen im Netzhautbild enthaltenen Informationen hätte lediglich zu einer Überflutung des Gehirns mit - von einem biologischen Standpunkt aus - überflüssigen Daten geführt. Zum Funktionsziel hatten diese nicht mehr das geringste beitragen können. Die wirklichkeitsgetreue Wahrnehmung einer »objektiven Welt« ist auf dieser Stufe der Entwicklung für die Verbesserung der Uberlebenschance noch ohne Bedeutung.  - Hoimar von Ditfurth, Der Geist fiel nicht vom Himmel. Die Evolution unseres Bewußtseins. München 1980 (dtv 1587, zuerst 1976)

Auge (30)  Ein anderes Auge - es schien ein Auge zu sein - ging um diese Stunde über Turin auf, sehr hoch, perifarben und nicht ohne einen Anflug von Drohung, In dem Musterviertel von Brussone erkannten es die kleinen Zwillingsmädchen, die gerade, mit Spuren von Tomatensauce um den Mund und auf den Handrücken, rennend das Haus verließen, sofort als das Auge eines Ungeheuers, eines Riesen, irgendeines Geschöpfs aus der Welt der Märchen oder Comics, jedenfalls unbestreitbar übernatürlich. Ein Weilchen blieben sie stehen, um es anzuschauen, wohl erstaunt, doch keineswegs erschreckt. Instinktiv wußten sie, daß das Auge es nicht gerade auf sie abgesehen hatte, und wenn Rossignolo dagewesen wäre (aber er saß statt dessen an der Theke einer Snack-Bar in der Nähe vom Hauptbahnhof und aß Safranreis) und wenn er von ihrer kindlich-realistischen Demut gewußt hätte, würde er sich zweifellos an den Philosophen Spinoza erinnert haben, dem zufolge Gott die irdischen Dinge ohne Haß und ohne Liebe gegen irgend jemanden ansieht. - Fruttero & Lucentini, Wie weit ist die Nacht. München 1989

Auge (31) 

Körperteile, menschliche Sehen

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Stirnauge
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