Aldous Huxley, Himmel und Hölle (Anhang, zuerst 1956)
Wesen
(2)
Der Konstrukteur
beschloß, denkende Wesen aus Wasser
zu bauen, — aber nicht auf so scheußliche Weise, wie ihr nun meint! O nein,
es lag ihm fern, an weiche nasse Körper zu denken!
Davor ekelte er sich, wie jeder von uns. Er wollte
aus Wasser wahrhaft schöne und weise und demnach kristallische Wesen bauen.
Also wählte er weitab von allen Sonnen einen Planeten aus, hackte dort
aus dem gefrorenen Ozean Eisberge heraus und schnitzte
daraus, wie aus Bergkristal, die Kryoniden.
So hießen sie, weil sie nur in schneidendem Frost bestehen konnten und
in sonnenloser Öde. Städte und Schlösser aus Eis
erbauten sie sich binnen kurzem, und da ihnen alles Warme den Tod verhieß,
faßten sie Polarlichter in durchsichtige große Gefäße und beleuchteten
so ihre Wohnsitze. Je vornehmer jemand war, um so mehr Polarlichter hatte
er; zitronfarbene und silbrige. Und glücklich lebte das ganze Volk. Es
war aber für seine Kleinodien berühmt, denn nicht nur dem Licht war es
hold, sondern auch den Edelsteinen. Aus gefrorenen Gasen waren diese Kleinodien
geschnitten und geschliffen. Sie brachten Farbe in die ewige Nacht, worin
gleich gefangenen Geistern die schlanken Polarlichter loderten, jedes wie
ein verwunschener Nebelfleck in einem Block von Kristall. So mancher kosmische
Eroberer wollte sich diese Reichtümer aneignen. Denn ganz Kryonia war aus
weitester Ferne sichtbar, von allen Seiten flimmernd wie ein Juwel, das
auf schwarzem Samtgrund langsam um sich selbst gedreht wird. Daher landeten
Abenteurer auf Kryonia, um das Kriegsglück
zu erproproben. Der Elektritter Messinger kam geflogen, dessen Schritte
wie Glocken donnerten. Doch er hatte die Eisflächen kaum betreten, da schmolzen
sie schon in seiner Hitze, und er stürzte
hinab in die eisigen Ozeantiefen, und die Wasser schlugen über ihm zusammen.
Und wie ein Insekt im Bernstein, so ruht er im Eisberg auf Kryonias Meeresgrund
bis ans Ende der Tage. - Stanislaw Lem, Robotermärchen. Frankfurt
am Main 1973 (st 2673, zuerst 1964)
Wesen
(3)
»Und nun haben Sie
vermutlich das ganze Wissen bereits vergessen!« bemerkte Kusmitschow.
»Wie denn anders? Mit Gottes Beistand stehe ich bereits im achten Jahrzehnt!
Von Philosophie und Rhetorik weiß ich noch dies und jenes, die Sprachen und
Mathematik dagegen habe ich völlig vergessen.« Vater Christofor kniff die Augen
zusammen, überlegte ein wenig und sagte dann halblaut: »Was ist ein Wesen? Ein
Wesen ist ein selbständig Ding, das keines anderen zu seiner Erfüllung bedarf.«
Er drehte den Kopf hin und her und lachte vor Rührung, »Geistige Nahrung!« sagte
er. »So ist es in Wahrheit: das Fleisch wird von der Materie genährt, die geistige
Natur dagegen nährt die Seele!« -
Anton Tschechow, Die Steppe. Nach (tsch)
Wesen
(4)
Wie dem auch sei und welches Geräusch
du auch wählst, du wirst immer eine zugleich hypothetische und monströse Geschichte
zu erzählen haben, die den Weg des Dings zum Sein beschreibt, und auf diesen
Weg setzt du die Klage. Natürlich ist nichts davon sicher; im Gegenteil, alles
ist ganz aleatorisch; du weißt nur, daß ein Wesen,
das du nicht wagen würdest einfach als Ding zu bezeichnen, einen Laut ausstößt,
der dir als Klage erscheint. Ich sagte, du würdest es nicht wagen; du mußt also
zugeben, daß diese Klage auch eine Drohung ist; und in der Tat, ein Ding ist
ein einschränkendes Bild: es scheint zum Beispiel keinen Hunger zu haben, es
scheint nicht unter Einsamkeit zu leiden; es hat keine Ideen, von denen es uns
überzeugen möchte, und keine Offenbarungen, zu denen es uns bekehren möchte;
es scheint sich nicht zu verlieben; es wird nicht krank, wenigstens nicht ansteckend,
außer für andere Dinge (der Zusammenbruch könnte auch eine Seuche sein). Doch
jetzt sind alle diese gemäßigt negativen, freilich auch unsicheren Gewißheiten
- niemand hat je unumkehrbar bestimmt, was ein Ding überhaupt ist - unhaltbar
geworden; man muß der Annahme Raum geben, daß jetzt etwas da ist, das Hunger
und Liebe verspürt und sich anstecken und Ideen haben kann. Es wäre einfach
zu behaupten, daß ein so geartetes Wesen - auch wenn
nur teilweise Wesen - uns freundlich gesinnt sein könnte oder wenigstens nicht
fremd; es gibt jedoch zahllose Nachrichten, die du nicht hast und dir nicht
zu verschaffen weißt, womöglich gar nicht verschaffen willst, zumal du in einem
solchen Fall gezwungen wärest, dich einem genaueren und folglich einschüchternderen
Bild zu stellen. Aber auch wenn wir annehmen, daß jenes Ding soeben ins Sein
übergeht, so wissen wir doch weder, an welchem Punkt diese seltsame Verwandlung
angelangt ist, noch wie sie zu einem Schluß geführt werden soll; wir wissen
auch nicht, welche Empfindungen dasjenige hegt, was sich auf solche Weise verwandelt,
noch ob es allein ist; denn es ist nicht unmöglich, daß im selben Augenblick
eine Menge, eine Vielheit von Dingen Wesen wird, die vielleicht an verschiedenen
Punkten der Verwandlung angelangt sind - ein Türgriff beginnt gerade erst, während
der Wachtturm schon versucht, sich die Haare zu raufen, und eine Dachrinne einer
fürchterlichen Verwirrung anheimfällt. Es bedarf also großer Vorsicht. Zunächst
einmal wissen wir nichts über den Umfang dessen, was diesen Laut hervorbringt;
tatsächlich hast auch du in dieser Finsternis das klare Bewußtsein deines Umfangs
weitgehend verloren; es kann durchaus sein, daß jene Stimme von einem riesigen
Wesen oder von einem Insekt stammt; doch auch hier: niemand weiß, ob das riesige
Wesen mild und das Insekt giftig ist oder umgekehrt; und niemand weiß, ob jenes
Wesen, wenn die Verwandlung erst vollzogen ist, sich nicht in Bewegung setzt,
und dann gerät der ganze Plan des Dorfs ins Wanken, ja kein einziger Plsn ist
je wieder möglich, und niemand kann auf irgendeine Weise noch wissen, wo er
sich befindet, und alles weil irgendetwas Gluckerndes herumläuft. - Giorgio Manganelli, Geräusche
oder Stimmen. Berlin 1989
Wesen
(5) P: Da ist nun noch einer
Ihrer Ausdrücke, den ich unmöglich zu begreifen vermag - ich meine «die wahrlich
wesenbafte Weite der Unendlichkeit».
V: Daß Sie's nicht fassen, kommt vermutlich daher, daß Sie keine hinreichend
generische Vorstellung von den Begriffen ‹Wesen ›, ‹ Substanz›,
‹Wirklichkeit› etc. besitzen. Dies ‹Wesen› dürfen wir
nicht als eine Qualität betrachten, sondern müssen
es als Empfindung sehen: - es ist, bei denkenden
Existenzen, die Wahrnehmung der Adaptation von Materie an ihre, der Existenzen,
Organisation. Es gibt auf der Erde viele Dinge, welche die Bewohner der Venus
eine Nichtigkeit bedünken würden, - und viele Dinge auf der Venus, dort sichtbar
und handgreiflich, die überhaupt als existent anzuerkennen man uns wohl schwerlich
zu bewegen vermöchte. Doch für die anorganischen Wesen - für die Engel-ist die
gesamte unteilbare Materie Substanz und Wirklichkeit; das heißt, das Ganze dessen,
was wir ‹Raum› nennen, besitzt für sie unzweifelhafte
Substantialität; - die Sterne derweil entgehen grad aufgrund dessen, was wir
als ihre Materialität ansehen, der engelischen Sinneswahrnehmung - ganz wie
die unteilbare Materie eben durch das, was wir als ihre Immaterialität betrachten,
sich der organischen entzieht. - Edgar Allan Poe, Mesmerische
Offenbarung. Nach
(poe)
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