iere treiben ihre Neigungen auf die Spitze und brechen sie ihnen dann ab. Am meisten lieben sie den häufigen Wechsel ihrer Geschwindigkeiten. Sie fressen sich satt und lieben sich matt. Seien wir Tiere! - Elias Canetti, Die Blendung, nach ...

Tiere (2) Die Frage: Warum lachen die Tiere nicht? kann man nicht besser beantworten als die Römerin Popilia die Frage: Warum begatten sich die Tiere nur zu einer bestimmten Zeit? — »Weil sie keinen Verstand haben.« - (kjw)

Tier (3) Es erhebt sich das machtvolle Gebilde des TIERES, unendlich mit unendlichen Gliedern, schmarotzender Himmelsverzehrer. Es ist Stier, Löwe, Laus, Skorpion, doppelköpfige Schlange, Einhorn, Schnecke und Wasserschildkröte; es röchelt, winselt, zischt, brüllt, gluckert, trillert; es stampft, schleimt, wurmt, kriecht, springt, stürzt und tanzt; es kaut, labert, saugt, betatscht und zerreißt; es zermalmt und zerstückelt, gibt lästige, winzige Bisse, betäubt mit einem Prankenhieb, umschlingt in Ringen, vergiftet mit schnellen Scheren. Sein Kot ist mächtig, würzig sind seine Fäkalien, der Himmel ist sein Abort. Reptil, Raubtier und Insekt, Vogel und Maulwurf, da ist es und geht durch die wandelbaren Straßen des ruhelosen Systems. Wenn das System im Bild des TIERES steht, wird seine Bevölkerung von einer Art geistigen Dunkelheit befallen; bei den Rangoberen sieht es so aus: die FEUER spalten sich und die einzelnen Ausläufer der Flammen wenden sich gegeneinander; die ESSENZEN werden finster, verfallen in ein trübsinniges Selbstgespräch, verlieren ihre Transparenz, verkapseln sich finster in sich selbst; die ERBAUTIERE zerreißen und zerfleischen einander, es heult der Hirsch und es röhrt der Wolf; die PROPHEZEIUNG flüchtet sich ins Herz der Jahrtausende, die ERINNERUNG verkriecht sich in die Wüste, die vor dem System herrschte; der Schatten wird verrückt und kreischt wie eine Fledermaus, spaltet sich und macht sich selbst Schatten, streckt und reckt sich, um ESSENZEN und FEUER zu bedecken; der THRON atmet geräuschvoll, obschon verlassen, die Angst vor seinem lächerlichen Königtum quält ihn, und er erhebt sich in Richtung des TIERS, vielleicht will er ihm raten, selbst der Fürst zu werden; der DONNER wird zu Hundegebell, er bietet sich dem TIER als treuer Gefährte an, so daß es klingt wie eine fromme Blaskapelle; als einzige sträuben sich die NEIN, indem sie den empfohlenen Schrecken und Wonnen der Niederlage aus dem Wege gehen, einsame Provokateure des TIERES. - Giorgio Manganelli, System. In: (irrt)

Tier (3)  »Seitdem wir... an der Dampfmaschine diesen Ursprung von Arbeitskraft kennen gelernt haben, müssen wir fragen: Verhält es sich beim Menschen ähnlich? In der That ist die Fortdauer des Lebens an die fortdauernde Aufnahme von Nahrungsmitteln gebunden, diese sind verbrennliche Substanzen, welche denn auch wirklich, nachdem sie nach vollendeter Verdauung in die Blutmasse übergegangen sind, in den Lungen einer langsamen Verbrennung unterworfen werden und schließlich fast ganz in dieselben Verbindungen mit dem Sauerstoffe der Luft übergehen, welche bei einer Verbrennung in offenem Feuer entstehen würden. Da die Quantität der durch Verbrennung erzeugten Wärme unabhängig ist von der Dauer der Verbrennung und den Zwischenstufen, in denen sie erfolgt, so können wir auch aus der Masse des verbrauchten Materials berechnen, wieviel Wärme oder dieser äquivalente Arbeit von einem Thierkörper dadurch erzeugt werden kann. Leider sind die Schwierigkeiten der Versuche noch sehr groß; innerhalb derjenigen Grenzen der Genauigkeit aber, welche dabei bis jetzt erreicht werden konnte, zeigen sie, daß die im Thierkörper wirklich erzeugte Wärme der durch die chemischen Processe zu liefernden entspricht. Der Thierkörper unterscheidet sich also durch die Art, wie er Wärme und Kraft gewinnt, nicht von der Dampfmaschine, wohl aber durch die Zwecke und die Weise, zu welchen und in welcher er die gewonnene Kraft weiter benutzt. Er ist außerdem in der Wahl seines Brennmaterials beschränkter als die Dampfmaschine.« - Helmholtz, nach: Dolf Sternberger, Panorama oder Ansichten vom 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1974 (st 179, zuerst 1938)

Tier (4)  Komm her. Und siehe meinen Tod, und siehe dieses ewige Ach,
Die letzte Welle, die verläuft, durchzitternd meinen Flaus,
Und wisse, daß mein Fuß bekrallt und daß er flüchtig war und schwach,
Und frag nicht, ob ich Hase sei, das Eichhorn, eine Maus.

Denn dies ist gleich. Wohl bin ich dir nur immer böse oder gut;
Der Willkürherrscher heißest du, der das Gesetz erdenkt,
Der das nach seinen Gliedern mißt wie seinen Mantel, seinen Hut
Und in den Mauern seiner Stadt den Fremdling drückt und kränkt.

Die Menschen, die du einst zerfetzt: an ihren Gräbern liegst du stumm;
Sie wurden leidend Heilige, die goldnes Mal verschloß.
Du trägst der toten Mutter Haut und hängst sie deinem Kinde um,
Schenkst Spielwerk, das der blutgen Stirn Gemarterter entsproß.

Denn lebend sind wir Vieh und Wild; wir fallen: Beute, Fleisch und Fraß-

Kein Meerestau, kein Erdenkorn, das rückhaltlos ihr gönnt.
Mit Holl und Himmel schlaft ihr ein; wenn wir verrecken, sind wir Aas,
Ihr aber klagt den Gram, daß ihr uns nicht mehr morden könnt.

Einst gab ich meine Bilder her, zu denen du gebetet hast,
Bis du den Menschengott erkannt, der nicht mehr Tiergott blieb,
Und meinen Nachwuchs ausgemerzt und meinen Quell in Stein gefaßt
Und eines Höchsten Satz genannt, was deine Gierde schrieb.

Du hast die Hoffnung und den Stolz, das Jenseits, hast noch Lohn zum Leid,
Der, unantastbar dazusein, in deine Seele flieht;
Ich aber dulde tausendfach, im Federhemd, im Schuppenkleid,
Und bin der Teppich, wenn du weinst, darauf dein Jammer kniet.

- Gertrud Kolmar, Das Tier. Nach (arc)

Tier (5)  Wir haben umgelernt. Wir leiten den Menschen nicht mehr vom Geist von der 'Gottheit' ab, wir haben ihn unter die Tiere zurückgestellt. Er gilt uns als das stärkste Tier, weil er das listigste ist: eine Folge davon ist seine Geistigkeit. Wir wehren uns andererseits gegen eine Eitelkeit, die auch hier wieder laut werden möchte: wie als ob der Mensch die große Hinterlassenschaft der tierischen Entwicklung gewesen sei. Er ist durchaus keine Krone der Schöpfung: jedes Wesen ist neben ihm auf der gleichen Stufe der Vollkommenheit.  - Friedrich Nietzsche, nach: Peter Hamm, Nachwort zu (arc)

Tier (6)  »Ich bin zu den Tieren gegangen und bin an ihnen wieder erwacht. - Es macht nichts, daß sie ebenso gern essen wie Leute, denn sie reden nicht darüber. Ich glaube, es wird das Letzte, das Allerletzte in meinem Leben sein, das mir noch Eindruck macht: Tiere. Ich habe nur über sie gestaunt. Ich habe sie nie erfaßt. Ich habe gewußt: das bin ich, und doch war es jedesmal etwas anderes.«  - Elias Canetti, nach: Peter Hamm, Nachwort zu (arc)

Tier (7)

Vor Tag entdeck ich einen Pulk von Seelöwen
In der schwarzen Grund-Dünung zwischen Fels und Kliff;
Die scharfen Flossen aufgereckt oder die großgeäugten Köpfe,
so lassen sie sich schaukeln von den Seen,
Größer als Karrengäule und wie Hunde bläffend
Den nachtlangen Gesang. Man möcht nicht meinen,
Daß Leben, so nah verwandt dem menschlichen, denkfähig,
    warmblütig, sich fleezen könnte, nölig und gröhlig,
Im wintngen, eiskalten Meer. Bald tränkt die gelbe Früh
Den Himmelsrand im Süden - ich denke an die rasenden,
    zuckenden Leben in der Sonne.
Die haben kaum etwas gemein mit unserem; sie haben nichts
    zu tun mit Sauerstoff und Salzwasser. Sie würden uns
    wie Ungeheuer vorkommen,
Wenn wir sie sehen könnten: die ranken, inbrünstigen
    Flammenleiber, flederwischig, floppend und schrillend,
Gepeinigt von glutheißer Gier und stechend scharfer
    Gegenwärtigkeit, getragen von den Sturmfluten
Des großen Feuerballs. Es sind Tiere wie wir. Es gibt
    noch andere Stoffwechsel des Lebens
Als die langsame Verbrennung von Kohlehydraten und
    Aminosäuren.

 - Robinson Jeffers, nach (arc)


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