elancholie "Ich würde vorziehen, das nicht zu tun" - Herman Melville, Bartleby

Melancholie (2) So können wir in Anlehnung an Gorrhäus eine unbegrenzte Zahl solcher Krankheitszeichen zugestehen und doch die Erkrankung selbst je nach ihrem Sitz - Kopf, Leib, Unterrippengegend - auf drei Formen zurück führen.

Diese Dreiereinteilung findet auch die Zustimmung des Hippokrates wie der meisten Modernen. Erastus nimmt dagegen nur zwei Varianten an, die chronische Kopfmelancholie und eine zweite anfallartig auftretende Art. Andere schlagen vier oder fünf vor wie Rodericus à Castro, der den Nonnen, Witwen und alten Jungfern eine eigene Spielart reservieren möchte.

Es gibt ferner Mediziner, die selbst Schwärmer, Besessene und Ekstatiker zu Melancholiekranken ernennen und auch Werwölfe und Liebestolle nicht ausnehmen. Aber am geläufigsten ist doch das Dreierschema.

Die erste Erkrankungsform ist demnach allein vom Hirn ausgelöst und heißt Kopfmelancholie; die zweite betrifft den ganzen Körper, in dem die schwarze Galle aus dem Gleichgewicht geraten ist, die dritte rührt von den Eingeweiden, der Leber, Milz oder dem Gekröse her und wird hypochondrische oder blähende Melancholie genannt, wobei die Liebesmelancholie, der ich eine gesonderte Abteilung widmen werde, im allgemeinen zur Kopfmelancholie gerechnet wird. - (bur)

  Melancholie (3)

- Bosc, aus: Das Tintenfaß. 10. Jahrg., 24. Folge. Zürich 1974 (Diogenes)

Melancholie (4) Hüten Sie sich vor der Traurigkeit. Sie ist ein Laster. - Flaubert zu Maupassant

Melancholie (5) Geisteskranke geben bekanntlich allen ihren Gemütserregungen mit nur geringer oder gar keiner Zurückhaltung nach;  Dr. J. Chrichton Browne hat mir nun mitgeteilt, daß für einfache Melancholie selbst im männlichen Geschlechte nichts charakteristischer ist als eine Neigung zu weinen bei der allergeringsten Veranlassung oder auch aus gar keiner Ursache. Sie weinen auch ganz unverhältnismäßig beim Eintritt irgendeines tatsächlichen Anlasses für Kummer. Die Länge der Zeit, durch welche manche Patienten weinen, ebenso die Menge der Tränen, welche sie vergießen, ist zuweilen staunenerregend.

Ein melancholisches Mädchen weinte einen ganzen Tag und gestand Dr. Browne später, daß es geschehen sei, weil sie sich erinnerte, daß sie früher einmal ihre Augenbrauen rasiert habe, um deren Wachstum zu befördern.  - (dar)

Melancholie (6)  In den letzten Tagen dachte und dachte ich an des Nordlandsommers ewigen Tag. Ich sitze hier und denke an ihn und an die Hütte, in der ich wohnte, und an den Wald hinter der Hütte, und ich mache mich daran, einiges niederzuschreiben, um die Zeit zu verkürzen und um meines Vergnügens willen. Die  Zeit ist sehr lang, sie will mir nicht so rasch vergehen, wie ich möchte, obwohl ich über nichts traurig bin und obwohl ich das lustigste Leben lebe. Ich bin wohl zufrieden mit allem, und meine dreißig Jahre sind kein Alter. Vor einigen Tagen erhielt ich ein paar Vogelfedern von weither zugesandt, von einem Menschen, der sie mir nicht schuldig war, aber es waren zwei grüne Federn, in einem Bogen Briefpapier, der eine Krone trug und mit einer Oblate versiegelt war. Es machte mir auch Vergnügen, zwei so teuflisch grüne Vogelfedern zu sehen. Und sonst habe ich keine andere Plage als hin und wieder ein wenig Gicht in meinem linken Fuß infolge einer alten Schußwunde, die nun seit langem geheilt ist. - Aus: Knut Hamsun, Pan

Melancholie (7)

- Charles M. Schulz, Nobody's perfect, Charlie Brown. Greenwich Conn. 1968 (Fawcett Crest, zuerst ca. 1962)

 Melancholie (8) Akute Melancholie fällt an denen auf, die sich in diese Materie schon weit hineinbegeben haben, während eine unbeschwerte, verkicherte, tänzelnde Einbildungskraft diejenigen aufrechtzuerhalten scheint, die sich noch in den allerersten Stadien befinden: oberflächlich im Denken; arm an Konzentration; eine Neigung zum Hopsen, Hüpfen, Springen sowie dazu, das Auge unangebrachterweise auf jede einzelne oder mehrfache Erscheinung eines Mädchens in gleichgearteter Unpäßlichkeit zu lenken.

Darauf folgt Kühle oder nächtliche Ruhelosigkeit oder die unerklärliche tabellarische Aufstellung unbedeutender Gegenstände wie Schindeln für (wäre sie in London: Bärenfellmützen) Turmspitzen, Maulbeeren für Körbe, Ösen für Kleider, Hufe für Pferde und Sterne am Himmel.

Binnen sechs bis acht Wochen schafft das Raum für eine Nüchternheit. die Gedanken an Transmigration, Levitation, Myopie und Pusteln einschließt. Das Auge trieft, der Atem ist kurz, der Spleen greift um sich, und die Epiglottis hebt und senkt sich wie das unaufhörliche Schlucken des Herzens. Woraufhin man miterlebt, wie die Venen hervortreten, die Nerven zucken, die Handflächen feucht werden, die Füße ihre Rührigkeit einbüßen, die Eingeweide sich zusammenziehen, und so wie in alten Zeiten, als ein Mensch im letzten Stadium der Tollwut bisweilen junge Hunde im Urin fand, so findet man im Wasser dieser hier die vollständig bekleidete, auf dem Vormarsch befindliche Venusfigur, nicht größer als ein Kümmelkorn, in der einen Hand einen Dreizack und in der linken Faust eine Gänsewespe.

Von einer heißt es, sie habe in Todespein eine ganze Schule von Dirnen passiert, die auf einer Muschelschale lagerten, welchselbe feuerspeiend wütete, bis daß die Gesamtheit der Flüssigkeit in ihrem Nachtgeschirr dermaßen entflammt war, daß sie einem brennenden Brandy gleichkam und dergestalt über die Leidende rann, daß man erleben konnte, wie sie unter Rauchausbruch wieder in Dienst genommen wurde und auf diese Weise binnen weniger als einer Sekunde zu einem Stück Glut verkohlt war. Sei dem, wie wolle, es gibt nicht wenige, die dafür halten, die Krankheit und die Anzeichen derselben seien in einem Maße unterschiedlich, daß eine Klassifikation nahezu unmöglich werde; eine ganze Anatomie sei nötigenfalls zu entwerfen, um auch nur an die kleinste Fiber der Krankheit, des Leidens und der Agonie heranzukommen.

Andere haben ein Temperament von der Art, daß nichts sie aus der Fassung zu bringen vermag außer der Eitelkeit. Die kann man erleben, wie sie sich Efeu ins Haar winden oder sich einen Lorbeerzweig über die Schläfen hinzaubern, während sie »Ich bin ich!« intonieren, und so geruhen sie auch nicht, welchen Gram auch immer zu verspüren, es sei denn, irgendjemand fragte: »Na und?«, was sie in eine solche Wut versetzt, daß selbst das Gewand ihrer Begleitung in Gefahr gerät, und so verzerrt sind ihre Gesichter von sinnlosem Stolz, daß sie in nicht unbeträchtlichem Maße der Wölfin ähneln, der man ihre Jungen geraubt hat.

Wieder andere sind von wieder anderem Charakter und sind immer lieb und zärtlich und haben großes Vergnügen daran, Opfer zu bringen und Geschenke zu machen und Rosen zu streuen, ehe die Angebetete naht. An denen entdeckt man das klare Auge, den geschwungenen Mund, das seidige Kinderhaar, die bonne mine, die Ausgeglichenheit, die Charakterstärke und den Mut, der als Torheit gilt. Auf solche kann man zu jeder Stunde zählen, und sie werden, wenn sie tot sind, mit dem Ausdruck einer wackeren Standuhr begraben, die niemals nach- und niemals vorgegangen ist, sondern für die Dauer der Sterblichkeit exakt die Stunde geschlagen hat und nur dadurch und schnöde zum Schweigen gebracht wird, daß der Herr seine große Schere zückt und die Gewichte abschneidet. - (ladies)

Melancholie (9)  Wider Schwermütigkeit oder Melancholie: Den Leib purgiert mit dem Extrakte aus Schwarzer Nieswurz.

Oder:

Eine Taube voneinander geschnitten, dem Menschen auf die Fußsohlen gebunden, eine Stunde darauf liegenlassen, sodann in fließendes Wasser geworfen und wieder frische aufgebunden. Ist bewährt. - (zauber)

Melancholie (10)  

Melancholey Redet selber

Ich Mutter schweren bluts/ ich faule Last der Erden
Wil sagen/ was ich bin/ und was durch mich kan werden.
Ich bin die schwartze Gall/ 'nechst im Latein gehört/
Im Deutschen aber nun/ und keines doch gelehrt.
Ich kan durch Wahnwitz fast so gute Verse schreiben/
Als einer der sich last den weisen Föbus treiben/
Den Vater aller Kunst. Ich fürchte nur allein
Es möchte bey der Welt der Argwohn von mir seyn/
Als ob vom Höllengeist ich etwas wolt' ergründen/
Sonst könt' ich vor der Zeit/ was noch nicht ist/ verkünden/
Indessen bleib ich doch stets eine Poetinn/
Besinge meinen fall/ und was ich selber bin.
Und diesen Ruhm hat mir mein edles Blut geleget
Und Himmelischer Geist/ wann der sich in mir reget/
Entzünd ich als ein Gott die Hertzen schleunig an/
Da gehn sie ausser sich/ und suchen eine Bahn
Die mehr als Weltlich ist. Hat jemand was gesehen/
Von der Sibyllen Hand so ists durch mich geschehen.

- Andreas Tscherning, nach: Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels. Frankfurt am Main 1972

Melancholie (11)  

Wer ist diß Murmelthier
hier an den dürren Ast gekrümmet?
Der tieffen Augen röthe
straalt/ wie ein Blut Comete/
der zum Verderb und Schrecken glimmet. . .
Jetzt kenn ich dich/ du Feindin meiner Freuden/
Melanckoley/ erzeugt im Tartarschlund
vom drey geköpfften Hund'.
O! sollt' ich dich in meiner Gegend leiden?
Nein/ warlich/ nein!
der kalte Stein/
der Blätterlose Strauch/
muß außgerottet seyn
und du/ Unholdin/ auch.

- Filidor, nach: Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels. Frankfurt am Main 1972

Melancholie (12)  Wo die Melancholie nicht mehr gelingt, jene Traurigkeit, die wir nötig haben, um die Vergeblichkeit unserer Anstrengungen zu überdenken und ertragen zu lernen, beginnt jenes Vakuum, das durch Abwesenheit von Religion, Aberglauben, Illusionen, Naivität, Idealen entsteht und in der unsere Psyche keinen Vorwand zum Leben mehr finden kann, auch keine Selbsttäuschung, keine Vorstellung von Glück, Neugierde, Hoffnung usw., kurz, wo der unbedingte Wille zur Aufklärung bis zur tabula rasa erfolgreich war, betreten wir das Zeitalter der Depressionen.  - Hartmut Lange, Aus dem Tagebuch eines Melancholikers. nach: Tintenfass 7, Zürich 1983

Temperamente
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