-
(klueg)
Narren (2) Die deutsche Sprache
ist reich an komischen Ausdrücken zur Bezeichnung der Narrheit, nur der
Ausdrücke über Trunkenheit möchten noch mehrere
sein. Man ist eigen, hat Eigenheiten, man ist sonderbar,
wunderlich, exaltiert, exzentrisch, Hasenfuß,
Haspel, Zipfel, Querkopf. Der Mann ist mit der Pelzkappe geschossen, hat
einen Schuß, Sparren; es fehlt ihm, es ist nicht
richtig, spukt, rappelt; er ist nicht recht
gebacken; es fehlt im Oberstübchen oder unterm Hute; er ist gespickt, gespritzt,
verschraubt, nicht wohl bei Troste oder letz, wie es in Schwaben heißt.
Er ist auseinander, hinweg, aus dem Geschirr, aus dem Häuschen, überworfen,
übergeschnappt, überhirnig, hinterdenkisch; Schwärmer, Phantast, Visionär;
schwermütig, trübsinnig, verkehrt, verrückt,
unsinnig, aberwitzig, wahnwitzig; ein Narr, ein Toller, ein Rasender. Andere
Sprachen sind nicht minder reich an dergleichen Ausdrücken, und was beweist
das? Die Welt ist ein Narrenhaus.
-
(kjw)
Narren (3, rotwelsch) Achbrumm
Apfel Dackel der Dade Daderer der Didel Dulldapp Ewil Fliegenfanger Fopper
Geckmann Hackel Heckel Hegel Kessel Koppel der Maf Maff der Narwelo Nebel
der Niese der Nille Oochbram der Schaute der Schauter, Schotte Schosser
Schwanz der Sonof Spreck(hansel) Stußhansel Tatidel Wittisch Witschling
Witsch. -
(kas)
Narren (4) In jedem guten
Staate muß Jeder die Freiheit haben, ein Narr zu sein; nur darf der Narr
mit seiner Narrheit Niemand auf den Fuß treten, weil das zu viele Störungen
und Zänkereien geben würde. Wo die Narrheit an Schurkerei und Ausdruck
von Malevolenz grenzt, hat der Staat das Recht, ihr Grenzen zu setzen,
und eher nicht: nicht weil es Narrheit ist, sondern weil es allgemein schädlich
wird. -
(seume)
Narren (5) »Dem Narren muß
man aus dem Wege gehen«, ist ein altes, weises Sprichwort. Da geht man
denn am Sichersten, wenn man Jedermann aus dem Wege geht; Einigen, weil
man sie kennt, Andern, weil man sie nicht kennt. Das Sprichwort
verlangt aber nicht mit, daß man den Grund des Platzmachens merken lasse.
Es ist nicht nöthig und sogar unbefugt, daß ein Anderer wisse, ob man die
Deferenz der Excellenz oder dem Peter Squenz erzeigt. Meistens giebt das
Mittelste dem Letzten nur ein bürgerliches Recht auf das Erste. -
(seume)
Narren (6)
PANTAGRUEL Fatal-Narr |
PANURG Dreimal gestrichener Narr. |
- (
rab
)
Narren (7) Ein Verlogner Narr. Die Zahl diser Narren ist über alle massen groß / ihr Zechmeister und Ober-Haupt ist der Teuffel selbst / welcher ein Vatter der Lugen genannt wird: der Lugen aber seind sehr unterschidlich / etliche die in Duodez eingebunden / etliche in Octav, in Quarto, welche aber in Folio, solche seind gar abscheulich. Folianten seind jene Männer gewest / welche Moyses in das Land Canaan geschickt hat / dasselbe zu besichtigen / und außzuspähen / nachdem solche wider zuruck kommen / da haben sie alle ausser Caleb, und Josue erbärmlich auffgeschnitten / ja / sagten sie / das Land ist wol edel / und fruchtbar / aber grausame / und ungeheurige Leuth gibts darinn / Leuth und Männer seind daselbst einer solchen Grösse / daß wir gegen ihnen wie die Heuschrecken außsehen.
Die Lug hat ihren Ursprung von Paradeiß / dort hat der böse Feind auß der Schlangen zwei batzige Lugen geschmidet: die Erste bestunde in dem Nequaquam, etc. mit nichten werdet ihr deß Todts sterben; die Andere / eritis sicut Dii, ihr werdet sein wie die Götter / etc. Hier ist ein Lug so gesichtig / und so gewichtig wie die andere. Die Eva thätte dazumahl nicht weniger auffschneiden / dann erstlich sagte sie / GOTT hat uns gebotten / wir sollen von disem Baum nicht essen / das ist S. V. eine / dann GOTT nur dem Adam das Gebott geben; ne tangeremus, etc. wir sollen den Baum gar nicht anrühren / das ist schon mehr eine / dann GOtt von Anrühren kein Meldung gethan; ne forte moriamur, etc. daß wir villeicht nicht sterben: Holla! das ist die Dritte / dann GOTT hat das Wörtl villeicht / gar nicht geredt: Von diser Zeit an / da unser erste Mutter also auffgeschnitten / schlagen die Menschen meistentheils nach der Mutter; wenig wenig werden gefunden / die also beschaffen seind / wie der H. Thomas von Aquin; als solcher einstens mit seinem Gespan spatzieren gangen / da kam der Gspan gähe mit diser Lug herauß / ecce Pater, schaut Pater da fliegt ein Ochs: worauff der H. Mann in die Höhe geschaut / sprechend / wo? wo? Der Gespann lachte ihm die Haut voll an / und sagt / ich hab euch für einen so grossen Doctor gehalten / und jetzt glaubt ihr / daß ein Ochs fliegen kan: O mein Frater, gab der H. Thomas, die Antwort / mein Frater, ich hab ehender glaubt / das ein Ochs könne fliegen / als ein Religios liegen. Wenig wenig findt man in der Welt / die also beschaffen seind wie der fromme Loth, bei deme 2. Engel in Gestalt der Frembdlingen die Herberg genommen; als aber bei nächtlicher Weil das Gottlose Volck dise zwei Jüngling mit allem Gewalt gesucht / da hat er es alsobald bestanden / daß sie bei ihme sein / hat es gantz und gar nicht geleugnet / er hette freilich wol können vorgeben / daß sie ihren Weeg haben weiter genommen / ja ein anderer thätte derentwegen dem Teuffel ein Ohr abschwören / daß dergleichen Leuth sein Hauß nie betretten / aber Loth auch in der grösten Gefahr seines Lebens wolte die mindeste Lug nit thun.
Jene Soldaten bei dem Grab deß HErrn / umb weilen ihnen die Juden wacker gespendiert / haben ein unverschambte Lug auff die Bahn gebracht daß nemblich die Jünger hätten den Leichnamb gestohlen / da sie unterdessen erfahren / daß er warhafftig von Todten aufferstanden: dise Gesellen haben umbs Geld gelogen; es seind aber einige so leichtsinnig / daß sie umbsonst / und umb nichts / als wäre es gar kein Sünd / die grösten Lugen aneinander knöpffen / ja sie halten es für ein Kunst / und wol anständige Manier / wann sie zur Vertreibung der Zeit / und zu Erweckung eines ungezähmten Gelächters wacker / und fast ohne Zahl / und ohne Zihl können auffschneiden / dencken aber nicht / was die Göttliche Schrifft sagt: Proverb. c. 12. Abominatio est Domino labia mendacia. Lugenhaffte Mäuler seind GOtt dem HErrn ein Greul.
Ein
solcher unverschambter Auffschneider war jener der bei öffentlicher Taffel
sich in Gegenwarth ehrlicher Leuth hat verlauten lassen / daß es ihme selbst
widerfahren / als er einsmahls mit seinem Herrn neben einem Fluß geritten
/ und ein groß Fisch-Garn voller Fisch darin gesehen habe / und weil ihn
so sehr nach den Fischen gelüstet / habe er das Pferd ins Wasser gesprengt
/ seie aber von einem grossen Fisch mit Pferd / und Sattel verschlucket
worden; disen Fisch haben etliche Fischer lange Zeit hernach gefangen /
und wie sie ihn auffgehauen und den Kopff zerspalten / seie er dem Fisch
im Kopff noch in voller Rüstung zu Pferd gesessen / und habe dem Pferd
die Sporen gegeben / daß er frisch und gesund zu seinem Herrn geritten
/ und demselben erzehlt habe / wie es ihm bißher ergangen seie. Unter andern
war auch einer gewest / der vorgebracht / daß er vor zwei Jahren zu Constantinopel
sich befunden / allwo dazumahl der Groß-Sultan das herrliche Zeug-Hauß
visitiert / und weil einige Fähler darinn beobacht worden / und der dazumal
gegenwärtige Groß-Vezier solche Nachlässigkeit nicht genugsamb kunte entschuldigen
/ also habe ihm der Sultan ein solche Ohrfeigen versetzt / daß ihme das
Feuer auß den Augen gesprungen / darvon auch ein Funcken in das nechste
Pulver-Faß gefallen / worvon das gantze Zeug-Hauß im Rauch auffgangen /
und seie der Groß-Sultan kümmerlich mit dem Leben darvon kommen. Ei so
lieg / daß dir das Maul erkrumpe! Dergleichen verlogene Narren werden schon
erfahren wie theur sie solche Lugen werden müssen bezahlen. -
Abraham a Santa Clara
Narren (8) Aber selbst angenommen den Fall, sie erkennen ihren Wahn, und es gelingt, jemanden seiner Verrücktheit zu überführen, dann wird er zwar vor seiner Torheit in Wort und Tat nicht mehr die Augen verschließen und seine Bauwut oder den eitlen Hang zum Prahlen, Zanken, Verschwenden, Spielen, Buhlen, Kritzeln, Schwatzen, mit dem er sich vor seiner Umwelt lächerlich macht, eingestehen. Aber mit aller Redekunst kann man ihn - den besten Argumenten zum Trotz - nicht soweit bringen, daß er mit seiner Unvernunft bräche. Sie ist so angenehm, so köstlich, daß er nicht auf sie verzichten kann. Er kennt seinen Fehler, macht aber keinen Versuch, ihn abzulegen, auch wenn man ihm die üblen Folgen von völliger Verarmung über Sorge, Krankheit, Ehrverlust und Verderben bis hin zum geistigen Zusammenbruch vorhält.
Ein Wüterich zieht seine Rache, ein Lüstling seine Dirne, ein Dieb seine Beute, ein Vielfraß seinen Bauch allemal seiner Wohlfahrt vor. Man verdeutliche einem Genußsüchtigen, einem Raffgierigen, einem ehrgeizigen Streber seinen Irrweg und bringe ihn nur eine Handbreit davon ab, schon jammert er, daß er verloren sei, und kehrt zu den alten Gewohnheiten zurück wie ein Hund zu seinem Erbrochenen. Keine Überredung, kein Rat, keine Beschwörung zeitigt Wirkung, und wenn man Himmel und Hölle in Bewegung setzte, man predigt tauben Ohren wie Odysseus, der erfolglos auf Elpenor, Gryllus und den Rest seiner Mannschaft einredete: Schweinemenschen, unbelehrbar in ihrem vertierten Naturell. Man zerstampfe solche Leute in einem Mörser, sie bleiben dieselben. Wenn einer ein Ketzer oder in einer abartigen Doktrin so eingefahren ist wie unsere unwissenden Papisten, mag man seinen Verstand eines Besseren belehren, ihm seine Einbildungen und fixen Ideen demonstrieren, ihn zum Abschwören zwingen und alles sonnenklar darlegen, er wird trotzdem verstockt und halsstarrig auf seiner Irrlehre beharren: Wenn ich mich darin irre, dann mit Freuden, und niemand kann mich umstimmen. Ich handle, wie ich und meine Vorfahren gehandelt haben und wie es meine Freunde jetzt tun, und sollten sie närrisch sein, bin ich in guter Gesellschaft. Sagt selbst, sind solche Menschen verrückt oder nicht? Machen sie sich nicht zum Gespött? Oder soll man sie vielleicht für geistig normal, besonnen, klug, vernünftig erklären und ihnen gesunden Menschenverstand zusprechen?
Wer ist von beiden der Tollste? (Horaz)
Ich meinerseits schlage mich auf Demokrits Seite und gebe sie der Lächerlichkeit preis: eine Gesellschaft von hirnerweichten Schwachköpfen, so verrückt wie Orest und Athamas, die allesamt hoch zu Esel reiten oder mit dem Narrenschiff ins Nieswurzland segeln sollten. In diesem Zusammenhang brauche ich mich sicher nicht mit Beweisen abzumühen, feierliche Erklärungen abzugeben und einen Eid zu schwören, vielmehr wird man mir auch so glauben. Auf ein Wort - sind sie nicht Toren? Ich mache euch zu Schiedsrichtern, obwohl ihr selbst gleichermaßen Narren und Verrückte seid, und meine eigene Frage verrät den nämlichen Geisteszustand, denn wie sagt Merkur in einer Komödie:
Gerechtes von Ungerechten zu verlangen ist Narrheit. (Plautus)
In einer ersten Annäherung habe ich versucht, den melancholischen Zustand von Königreichen, Provinzen, Familien und Einzelpersonen zu schildern, nun will ich diese Bereiche detaillierter untersuchen, und worüber ich mich bisher eher unmethodisch und verallgemeinernd verbreitet habe, das soll im folgenden genauer analysiert und in der gebotenen Kürze mit speziellen und einleuchtenden Argumenten, Zeugnissen und Beispielen belegt werden:
Vernimm nun, weswegen alle gerade wie du unklug sind. (Horaz)
Mein erstes Argument leihe ich mir von Salomo und entnehme diesen Pfeil
seinem Sentenzenköcher; 3. Spr. 7: Dünke dich nicht, weise
zu sein, und 26. Spr. 12: Wenn du einen siehst, der sich weise dünkt, da
ist an einem Narren mehr Hoffnung denn an ihm.Jesaja verßuchtjene, die
bei sich selbst weise sind und halten sich selbst für klug (5.Jes. 21).
Und daraus dürfen wir schließen, daß es ein schweres Vergehen und eine
große Selbsttäuschung ist, zu gut von sich selbst zu denken - und ein triftiges
Argument, um den Betroffenen ihre Unvernunft vor Augen zu führen. Viele
wären nach Seneca fraglos weise geworden, hätten sie sich nicht
eingebildet, sie seien schon im Besitz des vollkommenen Wissens, bevor
sie den Weg auch nur zur Hälfte hinter sich gebracht hatten. Sie waren
zu voreilig und frühreif, zu schnell und übereilt und besaßen eine zu hohe
Meinung von sich selbst, ihren Verdiensten, ihrem Mut, Geschick, von ihrer
Kunst, Gelehrsamkeit, ihrem Urteilsvermögen, ihrer Beredsamkeit und von
den übrigen Talenten, die alles verdarb. Alle ihre Gänse waren Schwäne,
und das ist der schlagende Beweis für ihren Unverstand. Früher gab es nur
Sieben Weise, heute lassen sich kaum noch so viele Narren auftreiben. Thaies
übersandte dem Bias und dieser wiederum dem Solon den goldenen Dreifuß,
den ein Fischer gefunden hatte und der nach dem Auftrag des Orakels dem
jeweils Weisesten gehören sollte. Würde er heute entdeckt, so stritten
sich alle um ihn wie die drei Göttinnen um den goldenen Apfel, so klug
sind wir geworden. Wir haben weibliche Politiker, Kinder treiben Metaphysik,
jeder Dummerjan beherrscht die Quadratur des Zirkels, konstruiert sein
Perpetuum mobile, findet den Stein der Weisen,
legt die Offenbarung Johannis aus, entwickelt neue Theorien, ein neues
Weltsystem, eine neue Logik, eine neue Philosophie. Unser Land, sagt Petronius,
bordet über von heiligen Geistern und entrückten Seelen, so daß es leichter
ist, unter uns einen Gott als einen Menschen auszumachen; so überschwenglich
denken wir von uns selbst und bezeugen damit nachdrücklich unseren Wahn.
- (
bur
)
Narren (9) »Die Geisteskranken sind keineswegs arm an
Geist: Man darf sie nicht mit Idioten, Dummköpfen und Normalen verwechseln,
die alle unvollkommene Exemplare der menschlichen Rasse darstellen. Die Narren
sind Leute, die alles besitzen, was auch die normalen Menschen haben; aber darüber
hinaus verfügen sie noch über andere Dinge: intuitive Erkenntnis, das Zweite
Gesicht, die Sehergabe. Sie haben gewissermaßen Antennen. Es mag Ihnen absurd
vorkommen, wenn Ihnen ein Geisteskranker sagt, daß er mit dem Planeten Mars
in Verbindung stehe. Aber der gleiche Kranke ist imstande, einen Börsenmakler
anzurufen, mit dem Auftrage, seine Zucker-Aktien zu verkaufen und an deren Stelle
Phosphat-Aktien zu nehmen. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstanden haben: ich
will damit sagen, daß ein Geisteskranker am gewöhnlichen Leben hienieden teilnehmen
kann, ohne deshalb seine imaginären oder wirklichen Beziehungen zu anderen Gestirnen
zu verlieren. Sie erraten meine These: ein Irrer ist ein Wesen, das nicht weniger,
sondern mehr Möglichkeiten in sich trägt als die andern Menschen. Und da es
einleuchtend ist, daß man selbst die schönsten Gaben besitzen möchte, so ist
es doch wohl nicht unrichtig, wenn ich mir wünsche, zur Kategorie der Menschen
zu gehören, die die meisten Möglichkeiten haben: zu den Narren.« - Maurice Sandoz, Am Rande. Zürich 1967