-
(hes)
Mädchen (2)
Himmelkumov beobachtete ein Mädchen im Fenster gegenüber.
Aber das Mädchen im Fenster gegenüber schaute kein einziges Mal zu Himmelkumov
herüber. »Das macht sie, weil sie schüchtern ist«, dachte Himmelkumov.
-
(charm)
Mädchen (3)
Himmelkumov fixierte ein Mädchen mit Blicken und befahl ihm in Gedanken,
den Kopf nach ihm umzudrehen. Aber das half nichts. Da befahl Himmelkumov
ihr in Gedanken, den Kopf nicht nach ihm umzudrehen. Das half auch nichts.
-
(charm)
Mädchen (4) Jedes Mädchen, das heute an mir vorbeigegangen ist, hat sich blitzschnell in eine Greisin verwandelt, mit jedem Niesen, das ich ihr zugeschrieben habe, ist Fleisch von ihrem Gesicht gefallen, schließlich hat sie sich geschneuzt, und die Augen sind aus ihr herausgequollen, mit einer flüchtigen Bewegung habe ich ihr den Zopf abgenommen, wie ein Skalp oder ein Kopftuch ist dieses Haar in meiner Hand geblieben.
Heute wiederum bin ich von jeder Greisin, der ich begegnet bin, zurückgetrabt
zu einem Mädchen und habe ihr genau das Aussehen gegeben, das sie vor vierzig
Jahren hatte. - (
hra2
)
Mädchen (5) Sie sah aus, wie damals junge Mädchen eben aussahen. Sicher war sie hübsch, aber sie war bestimmt nicht so auffallend, dass man keinen Blick von ihr wenden konnte. Zur auffallenden Schönheit wurde sie erst auf der Leinwand, da war sie einmalig. Aus dem Rückblick muss ich sagen: Ich habe niemals jemanden getroffen, der so eklig wie sie sein konnte. Aber auch niemanden, der so wunderbar auf dem Zelluloid war, und das einschließlich der Garbo. Ich glaube, ihr großes Geheimnis beruhte darauf, dass sie einfach dastehen konnte und sich wundern: Warum schauen mich die Leute so an? Sie war in dieser Hinsicht völlig naiv, und ihre Verwunderung schien auszudrücken: Hat mir etwa jemand ein Schild an den Rücken gehängt?
Es gibt über Marilyn Monroe mehr Bücher als über den Zweiten
Weltkrieg. Darin liegt eine gewisse Ähnlichkeit. Es war die Hölle,
aber es hat sich gelohnt. - Billy Wilder, nach Der Spiegel 15/2002
Mädchen (6) Der »Flapper« ist eine Nachkriegserscheinung, er ist der etwas überhitzte, kleine Backfisch des materialistischen, sachlichen, vergnügungssüchtigen Amerika, halb Kind, halb Dame. Er liebt die Uebertreibungen, schminkt sich zu stark, tanzt zu viel, trinkt zu viel verbotene Cocktails, flirtet zu viel und übernimmt sich auch leicht im Sexuellen.
Die Motive dieser Uebertreibungen der 16- oder 18jährigen entspringen einer an sich erfreulichen Vitalität, einer Unkompliziertheit und gesunden Oberflächlichkeit, die stets im Einklang mit sich und der Welt bleibt, lauter kostbaren, schlichten Werten der amerikanischen Wesenheit, die den F. trotz allen Schwächen liebenswert machen. Mit derselben Unbekümmertheit wie einen Hut, der nicht mehr schick ist, wirft dieser F. die sogenannte »Blüte des Mädchentums« beiseite, denn deren Zwecklosigkeit macht sie keiner Bewahrung wert, und der F. denkt immer real und äußerst praktisch.
Der F. ist jenes Mädchen, das nach Bekunden der Sachverständigen nicht
ohne Schutzmittel in Herrengesellschaft ausgeht. Wenn es in den meisten
Fällen eine nachträgliche Legitimierung der Verbindung fordert, so liegt
dies in der Richtung seines realen Denkens. Sie ist eine Art moralischer
und materieller Sicherung, eine Vorsicht, durch die sie sich von der in
ihren Handlungen nicht impulsiveren, aber unbedenklicher und mehr von ihrem
Gefühl beherrschten und geleiteten Europäerin unterscheidet. - (
erot
)
Mädchen (7) Vermeer
verlangte von seinen Mädchen nie, sie sollten wie Äpfel
aussehen. Im Gegenteil, er bestand
darauf, daß sie bis zum äußersten Mädchen seien — aber immer mit dem Vorbehalt,
daß sie es unterließen, sich mädchenhaft zu benehmen. Sie durften sitzen
oder ruhig dastehen, aber niemals kichern, niemals Verlegenheit zeigen,
niemals fromm die Hände falten oder nach abwesenden Liebsten schmachten,
niemals schwatzen, niemals neidisch auf die Neugeborenen anderer Frauen
blicken, niemals flirten, weder lieben noch hassen, noch arbeiten. - Aldous Huxley, Die Pforten der Wahrnehmung.
München 1989 (zuerst 1954)
Mädchen (8)
In meiner Jugend gab es in Paris Lebemänner, die sich
für Mädchen aus dem Volke ruinierten, damit sie von ihnen geliebt würden.
»Das
ist ein Mensch«, sagte mir eines dieser Mädchen
über den Herzog X., »der angebetet werden will, und das ist kostspielig.«
- Rivarol, nach (
riv
)
Mädchen (9)
Im Jahre 1722 gerieten einige junge Damen von
Stande im Alter von fünfzehn bis achtzehn Jahren, die sich in Abbaye-au-Bois
langweilten, auf den Einfall, einen Brief an den Großtürken zu schreiben,
in welchem sie ihn um Aufnahme in sein Serail baten. Der Brief wurde aufgefangen
und dem König vorgelegt; er gab bei Hofe Stoff zu großer Heiterkeit. Die
Langeweile des Klosters und der Wunsch nach
Liebe hatten diese jungen Damen auf einen sehr natürlichen Einfall
gebracht. - Rivarol, nach (
riv
)
Mädchen (10)
Mädchen (11) Als
ich im Jahre 1885 als Schüler Charcots in Paris weilte, zogen mich
neben den Vorlesungen des Meisters die Demonstrationen und Reden Brouardels
am stärksten an, der uns an dem Leichenmaterial
der Morgue zu zeigen pflegte, wieviel es Wissenswertes für den Arzt gäbe,
wovon doch die Wissenschaft keine Notiz zu nehmen beliebte. Als er einmal
die Kennzeichen erörterte, aus denen man Stand, Charakter und Herkunft
des namenlosen Leichnams erraten könne, hörte ich ihn sagen: »Les genous
sales sont le signe d‘une fille honnète.« Er ließ die schmutzigen Knie
Zeugnis ablegen für die Tugend des Mädchens! - S.
Freud
,
Geleitwort zu (
bou
)
Mädchen (12)
Die Mädchen sind geborne Hexameter, wenn sie Weiber und ****
werden, werden Pentameter draus. - (
rit
)
Mädchen (13)
Gestern in der Fabrik. Die Mädchen in ihren an und für sich
unerträglich schmutzigen und gelösten Kleidern, mit den wie beim Erwachen
zerworfenen Frisuren, mit dem vom unaufhörlichen Lärm
der Transmissionen und von der einzelnen, zwar automatischen, aber unberechenbar
stockenden Maschine festgehaltenen Gesichtsausdruck, sind nicht Menschen,
man grüßt sie nicht, man entschuldigt sich nicht, wenn man sie stößt, ruft
man sie zu einer kleinen Arbeit, so führen sie sie aus, kehren aber gleich
zur Maschine zurück, mit einer Kopfbewegung zeigt man ihnen, wo sie eingreifen
sollen, sie stehn in Unterröcken da, der kleinsten Macht sind sie überliefert
und haben nicht einmal genug ruhigen Verstand,
um diese Macht mit Blicken und Verbeugungen anzuerkennen und sich geneigt
zu machen. Ist es aber sechs Uhr und rufen sie das einander zu, binden
sie die Tücher vom Hals und von den Haaren los, stauben sie sich ab mit
einer Bürste, die den Saal umwandert und von Ungeduldigen herangerufen
wird, ziehn sie die Röcke über die Köpfe und bekommen sie die Hände rein,
so gut es geht — so sind sie schließlich doch Frauen, können trotz Blässe
und schlechten Zähnen lächeln, schütteln den erstarrten
Körper, man kann sie nicht mehr stoßen, anschauen oder übersehn, man drückt
sich an die schmierigen Kisten, um ihnen den Weg freizumachen, behält den
Hut in der Hand, wenn sie guten Abend sagen, und weiß nicht, wie man es
hinnehmen soll, wenn eine unseren Winterrock bereithält, daß wir ihn anziehn.
- Franz Kafka, Tagebücher (5. Februar 1912) Frankfurt am Main 1967
Mädchen (14)
Einmal, während der 50erjahre, komme ich mitten in der nacht,
jedoch stocknüchtern, heim. Als ich bereits im hausflur bin und das tor
hinter mir abschließe, höre ich plötzlich ganz gut vernehmbar eine jigmelodie
[war es nun my wife s a wanton wee thing oder my mither s aye
glowerin owre me?], ich beginne automatisch mitzuspringen und sehe
im gleichen augenblick einige meter vor mir [grade
für den bruchteil der Sekunde] das zauberhafteste mädchenwesen der welt,
ganz transparent aber, wie seide, das eben so wie ich tanzt ... Das ist
wirklich wahr und mir liegt überhaupt nichts daran, ob es nun jemand glaubt
oder nicht. - (
hca
)
Mädchen (15)
haben alle ein leicht geschwollen aussehendes ding
zwischen den beinen und grinsen, wenn man ihnen daraufschaut. Sicher können
sie gar nicht lulu machen, wie sollten sie auch, wo sie ja gar nichts dazu
haben. - (
hca
)
Mädchen (16) Lange bevor die junge Amerikanerin das heiratsfähige Alter erreicht hat, beginnt man sie allmählich der mütterlichen Vormundschaft zu entziehen; noch ist sie der Kindheit nicht ganz entwachsen, und schon denkt sie selbständig, spricht frei und handelt allein; vor ihr breitet sich ständig das große Gemälde der Welt aus; weit entfernt, ihr dessen Anblick vorzuenthalten, enthüllt man es ihren Blicken mit jedem Tag mehr, und man lehrt sie, es festen und ruhigen Auges zu betrachten. So werden ihr die Laster und die Gefahren der Gesellschaft bald offenbar; sie erschaut sie klar, beurteilt sie ohne falsche Erwartung und tritt ihnen furchtlos entgegen; denn sie ist voller Vertrauen in ihre Kräfte, und alle in ihrer Umwelt scheinen ihr Vertrauen zu teilen.
Man darf also nie erwarten, im jungen Mädchen Amerikas jener jungfräulichen Arglosigkeit inmitten erwachender Sehnsüchte, noch jener unschuldigen und unbefangenen Anmut zu begegnen, die bei der Europäerin den Übergang von der Kindheit zum Jugendalter gewöhnlich begleiten. Selten zeigt die Amerikanerin, welches immer ihr Alter sei, eine kindliche Schüchternheit und Unwissenheit. Sie will wie die junge Europäerin gefallen, sie weiß aber genau, um welchen Preis. Liefert sie sich dem Schlechten auch nicht aus, so kennt sie es zumindest; sie hat eher reine Sitten als einen keuschen Sinn. Ich war oft überrascht und fast erschreckt, wenn ich das eigentümliche Geschick und die glückliche Kühnheit sah, mit der diese jungen Mädchen Amerikas ihre Gedanken und ihre Worte durch die Klippen einer scherzhaften Unterhaltung zu steuern verstehen; hundertmal wäre ein Philosoph auf dem engen Pfade gestolpert, auf dem sie sich ohne Unfall und mühelos bewegen.
Man erkennt in der Tat leicht, daß die Amerikanerin gerade in der Unabhängigkeit
ihrer ersten Jugend nie ganz aufhört, sich zu beherrschen; sie genießt
alle erlaubten Vergnügungen, ohne sich ganz an eine zu verlieren, und ihr
Verstand gibt nie die Zügel frei, obwohl er sie manchmal locker zu lassen
scheint.
- Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika. München 1976 (dtv 6063,
zuerst 1835/1840)
Mädchen (17) Lolita, Licht meines Lebens, Feuer meiner Lenden. Meine Sünde, meine Seele. Lo-li-ta: die Zungenspitze macht drei Sprünge den Gaumen hinab und tippt bei Drei gegen die Zähne. Lo. Li. Ta.
Sie war Lo, einfach Lo am Morgen, wenn sie vier Fuß zehn groß in einem Söckchen dastand. Sie war Lola in Hosen. Sie war Dolly in der Schule. Sie war Dolores auf amtlichen Formularen. In meinen Armen aber war sie immer Lolita.
Hatte sie eine Vorläuferin? Ja doch, die hatte sie. Es hätte vielleicht gar keine Lolita gegeben, hätte ich nicht eines Sommers ein gewisses Ur-Mädchenkind geliebt. In einem Prinzenreich am Meer. Ach, wann war es doch? Ungefähr so viele Jahre vor Lolitas Geburt, wie mein Alter in jenem Sommer betrug. Bei einem Mörder können Sie immer auf einen extravaganten Prosastil zählen.
Meine Damen und Herren Geschworene, Beweisstück Nummer eins ist, was
die Seraphim neideten,
die schlecht unterrichteten, naiven, edelbeschwingten Seraphim. Ergötzen
Sie sich an diesem Dorngestrüpp. - (
lo
)
Mädchen (18)
Die spitze Füchsin mit dem roten Rock |
- (
ladies
)
Mädchen (19) GUI ME / Das heiratende Mädchen
Oben ist Dschen, der älteste Sohn, unten Dui, die jüngste Tochter. Der Mann geht voran, das Mädchen folgt ihm erfreut. Es wird der Eintritt des Mädchens in das Haus des Mannes geschildert. Es gibt im ganzen vier Zeichen, die die Beziehungen zwischen Gatten schildern. Nr. 31, Hien, »allseitiger Einfluß«, schildert die Anziehung, die ein junges Paar aufeinander ausübt. Nr. 32, Hong, »die Dauer«, schildert die dauernden Verhältnisse der Ehe. Nr. 53, Dsien, »die Entwicklung«, schildert die zögernden und zeremoniellen Vorgänge beim Abschluß einer korrekten Ehe. Gui Me, »die Heirat des Mädchens«, endlich zeigt einen älteren Mann, dem ein junges Mädchen zur Ehe folgt.
Bemerkung: In China herrscht formell die Einehe. Jeder Mann hat nur
eine offizielle Frau. Diese Verbindung, die weniger die beiden Beteiligten
als die Familien angeht, wird unter strenger Beobachtung der Formen geschlossen.
Doch behält der Mann das Recht, auch den zarteren Neigungen persönlicher
Art Gehör zu schenken. Ja es ist die schönste Pflicht einer guten Frau,
ihm darin behilflich zu sein. Auf diese Weise wird das Verhältnis ein schönes
und offenes. Das Mädchen, das nach der Wahl des Mannes in die Familie eintritt,
ordnet sich der Hausfrau bescheiden unter als jüngere Schwester. Selbstverständlich
handelt es sich hier um sehr heikle und zarte Fragen, die viel Takt auf
jeder Seite erfordern. Doch wenn die Umstände günstig sind, findet sich
hier die Lösung eines Problems, die der europäischen Kultur nicht gelungen
ist. Selbstverständlich entspricht die Weiblichkeit in China so wenig dem
Ideal, wie die Ehen in Europa durchschnittlich im Einklang mit den europäischen
Eheidealen sind. - (
gi
)
Mädchen (20) Wie Tessa bei einbruch der dämmerung zustandekommt.
Wie Tessa in den Zeitungen beschrieben wird.
Was Tessa bewegt, welche besonderen vorlieben sie hat, welche orte sie im allgemeinen für ihre incarnationen vorzieht.
Wie Tessa eigentlich nach London kam.
Wie Tessa im mondlicht aussieht.
Tessas sieben große delicte.
Wie Tessa zu ihrem tun aufbricht.
Wie Tessa, als mann verkleidet, in das zimmer der Lady Waverleigh eindringt.
Wie Tessa in einem blitzableiter verschwindet und infolge eine mannssüchtige ärztin erschlägt.
Wie Tessa in der Covent Garden Opera auftritt und einen brand der königlichen loge verursacht.
Wie Tessa, um die löschactionen der londoner fire-brigade zu erschweren, wasserrohrbrüche verübt und mit einem Straßenmädchen in der überschwemmten gosse schläft.
Wie Tessa sich die gunst einer zum tode verurteilten durch das versprechen, sie zu befreien, erkauft.
Wie Tessa die Nelsonsäule zur Zielscheibe ihrer spuckkünste erwählt und sie dadurch nahezu zerstört.
Wie Tessa im camelienhaus von Cheswick eine mädchenklasse zur unzucht verführt und einen irischen parkaufseher fast zu tode erschreckt.
Was Tessa im kloster der carmeliterinnen anstellt.
Wie Tessa ihre zunge im leibe der tänzerin Urraca Montero vergißt und fürs nächste stumm bleibt.
Tessa und Zambra, die grausame zauberin von Angola: ein bedeutsames zusammentreffen in Mayfair.
Wie Tessa von Zambra eine neue zunge erzwingt, mit dieser aber erst mühsam englisch lernen muß.
Wie Zambra sich an Tessa für den verlust ihrer zunge rächt.
Wie Tessa und Zambra Tessas zunge aus dem leibe der tänzerin Urraca Montero holen.
Wie die Montero ihren schwanentanz tanzt.
Wie Tessa und Zambra durch diese kunstdarbietung ihre übernatürlichen kräfte verlieren.
Wie Tessa und Zambra zum teil ihre Juwelen verkaufen,
um ein billett nach Australien bezahlen zu können. - TESSA, DAS MÄDCHEN
IM GASLICHT DER DÄMMERUNG. In: H.C.
Artmann
,
Unter der Bedeckung eines Hutes. Montagen und Sequenzen. Frankfurt am Main
1976 (st 337, zuerst 1974)
Mädchen (21)
Zwei albernde Mädchen mit zurückgegeltem Haar sitzen unter
einer schick obszönen Reklametafel und benehmen sich wie die Backfische
aus Großmutters Tagen. Sie zeigen Unverdorbenheit in einem Maße, das an
die Wirkung eines Immunstoffs gemahnt. Die Unverderbbaren oder: Niemand
teilt mehr das Allgemeine. Dem Witz der Feen
gleich, wissen sie alles und bewegen sich ohne Rücksicht auf ihr Wissen
unbeschwert. Es ist, als baute die Generation von selbst die nötigen Abwehrstoffe
auf und brauchte dazu weder Konzepte noch Doktrinen. - Botho
Strauß, Der Untenstehende auf Zehenspitzen. München 2004. Nach: Der Spiegel
9 / 2004
Mädchen (22)
• Ein bestimmter Bestandteil des Connorschen Webstuhls heißt "Mädchen"; es ist jener Bestandteil, der den Wechsel der ein- und ausschießenden Fäden im Mehrfachschützen regelt; bei Automaten, in denen ein Bestandteil gleich eine ganze Reihe von Schützen zu regeln vermag, heißt das "Mädchen" „wench", also ungefähr "Dirne".
• Die klassische Grubenlampe des unglücklichen Sir Humphrey Davy soll einen "Mädchen" genannten inneren Zusatzverschluß aufgewiesen haben. (Dieser Bestandteil ist in heutigen Lehrbüchern nicht mehr zu finden.)
• Die äußere Schutzschicht der Tannenbestriche, die der Abwendung von Wildverbiß dient, heißt im Forstadjunktenjargon — kein Forstrat konnte mir erklären, wieso — "Mädchen".
Diese fast beliebig fortsetzbare Reihe zeigt, daß das Mädchen im Leben
der Männer eine wichtige Rolle spielt. Immer wieder haben selbst die Nüchternsten
etc. etc. -
(oko)
Mädchen (23)
Zu den Footballspielen kamen nie viele Mädchen. Nur die älteren
Jahrgänge durften Mädchen einladen. Pencey war in jeder Hinsicht eine gräßliche
Schule. Ich bin lieber irgendwo, wo man wenigstens von Zeit zu Zeit ein
paar Mädchen sehen kann, auch wenn sie sich nur am Arm kratzen oder sich
die Nase putzen oder nur einfach kichern.
Selma Thurmer - die Tochter des Rektors - tauchte oft bei den Wettkämpfen
auf, aber sie war nicht ganz der Typ, in den man sich wahnsinnig hätte
verknallen können. Immerhin war sie ein ganz nettes Ding. Einmal saß sie
im Autobus neben mir, als wir von Agerstown kamen, und wir machten sozusagen
Konversation. Da gefiel sie mir. Sie hatte
eine große Nase und bis aufs Fleisch abgebissene, blutig aussehende Nägel,
nur trug sie einen von diesen blöden Schaumgummibusen, die so spitz hervorstehen.
Aber sie tat einem irgendwie leid. Es gefiel mir vor allem, daß sie einem
kein Süßholz herunterraspelte, was für ein Prachtmensch doch ihr Vater
sei. Vermutlich wußte sie, daß er ein verlogener Esel ist. - J. D.
Salinger, Der Fänger im Roggen. Reinbek bei Hamburg 1969 (rororo 851, zuerst
1951)
Mädchen (24)
Du gibst ein jämmerliches Mädchen ab, aber vielleicht
fallen Männer drauf rein. Noch eins, Kind, wenn du eine Nadel einfädeln willst,
halt nicht den Faden still und fuchtel mit der Nadel davor rum, sondern halt
die Nadel still und schieb den Faden durch — so machen's fast alle Frauen; aber
die Männer ma-chen's immer andersrum. Und wenn du nach einer Ratte oder sonst
irgendwas werfen willst, stell dich auf die Zehenspitzen und heb die Hand über
den Kopf, so ungeschickt du kannst, und wirf sechs oder sieben Fuß an deiner
Ratte vorbei. Wirf mit steifem Arm, aus der Schulter, als ob du da ein Scharnier
hättest, wo der Arm sich dran dreht - eben wie ein Mädchen, nicht aus dem Handgelenk
und Ellbogen und mit dem Arm zur Seite ausholend wie ein Junge. Und merk dir,
wenn ein Mädchen was in ihrem Schoß aurfangen will, spreizt sie die Knie auseinander;
sie preßt sie nicht zusammen wie du, als du den Bleiklumpen aufgefangen hast.
Na, ich hab' dich gleich als Jungen erkannt, wie du die Nadel einfädeln wolltest,
und die andern Sachen hab' ich mir bloß ausgedacht, um ganz sicher zu gehn.
Nun zieh ab zu deinem Onkel, Sarah Mary Williams George Alexander Peters, und
wenn du in eine Klemme gerätst, läßt du's die Mrs. Judith Loftus wissen; das
bin nämlich ich, und ich will tun, was ich kann, um dir rauszuhelfen. - Mark Twain, Huckleberry
Finn. Frankfurt am Main 1975 (zuerst 1884)
Mädchen (25)
Es fehlte nicht an Mädchen, schmachtend und anzüglich,
wie es dort ihre Art ist. Unter ihnen war mir schon längst ein junges Ding aufgefallen,
schlank und biegsam wie ein Rohr. Das Haar war kastanienbraun, eigentlich grünlich,
die Augen abgründig und dunkel, wie erstaunt und doch lebhaft; wenn sie sprach
oder wenn sie lachte, stand sie stets vor irgendeinem Licht (so habe ich sie
jedenfalls in Erinnerung), wobei ihre glänzenden Lippen immer ein wenig von
dem Gold zu bewahren schienen, das die Sonne während ihres Tageslaufs verloren
hatte. Aus ihrem Mund strömte ein heißer und doch leichter Atem, voll der wildesten
und zartesten Düfte. Ich muß sagen, daß dieses Mädchen ganz allgemein den Eindruck
machte, als sei es schier von seinem eigenen Feuer versengt; häufig war die
reine Stirn wie von einem unangenehmen Gedanken überschattet; bisweilen bewahrte
es ein langes Schweigen, wie von einem unbekannten Weh erfaßt; und es hatte
die Angewohnheit, seine Hand an die kleine Brust zu legen, als wolle es das
allzu stürmische Herzklopfen beruhigen (im übrigen geriet es leicht in Atemnot).
Es war ja noch ein Kind und mochte vierzehn Jahre alt gewesen sein. Ich selbst
war damals nicht älter als achtzehn. Wenn Sie jetzt meinen, ich hätte mich zu
lange und mit zuviel Wärme bei dieser Beschreibung aufgehalten, dann will ich
Ihnen klipp und klar sagen, daß mir dieses Mädchen sehr lieb gewesen ist. - Tommaso Landolfi,
Das Mörderspiel, nach (
land
)
Mädchen (26)
Point hatte die Augen angesichts eines großen
Spiegels geschlossen, der über dem Kanapee
hing, auf dem ersieh in seiner mexikanischen Unterkunft ausgestreckt hatte;
ihm war, als schaue er nach wie vor in den Spiegel, der freilich auf schwindelerregende
Weise größer und tiefer geworden war, bis er die Maße eines langen, hohen, mäßig
erhellten Raums angenommen hatte, wie man ihn bisweilen abends hinter einer
Ladenfensterscheibe zu erblicken vermag, durch die ein wenig Licht auf eine
dunkle Straße fällt. Unter der Decke dieses grau in grau gehaltenen Raums, die
von dünnen Eisensäulen getragen wurde, bewegte sich ein Mädchen zwischen festen
länglichen Körpern, Fischen oder kleinen Walen vergleichbar, scharfgratig und
rechtwinklig - und das waren Särge in vierfacher Reihe.
Abweichend von dem üblichen Beginn von Träumen (wenigstens derjenigen Daniel
Points, der nach dem Essen nur wenig Bereitschaft zeigte), war das Mädchen völlig
nackt. - André Pieyre de Mandiargues, Der Akt zwischen den Särgen.
In: A.P.M., Schwelende Glut. Frankfurt am Main 1995 (st 2466, Phantastische
Bibliothek 323, zuerst 1959)
Mädchen (27)
Schritte waren zu hören - auf der Treppe,
dann im Flur und vor der Tür. Diesmal erschien ein kräftig
gebautes Mädchen. Ich meine nicht dick, sondern einfach kräftig, wie Boon kräftig
war, aber doch mädchenhaft, auch jung, mit dunklem Haar und blauen Augen, und
zuerst dachte ich, ihr Gesicht wäre unschön. Doch schon während sie ins Zimmer
trat, sah sie mich an, und ich wußte, daß es gar nicht drauf ankam, wie ihr
Gesicht war. -
(spit)
Mädchen (28)
Mädchen (29) Von Peking bis Tibet herrscht die chinesische Frau; von Norden nach Süden, von Ost nach West, so weit wie die Landkarte reicht, triumphiert das keusche Emailgestirn, pervers zweifellos aus Antinomie. Aber nachdem man von Peking bis nach Tibet ganz China durchquert hat, steht man unvermittelt vor der ersten nicht chinesischen Frau: der Neissou, dem Weib-Weibchen des Lolo - die man wirklich keine Lulu nennen kann... oder aber sämtliche Wortspiele wären erlaubt. Ich gebe also der Rasse der Neissou den Namen zurück, den sie für sich beansprucht. Ich werde von den unverhofften Reizen der Neissou-Frau sprechen, die an einer Biegung des Wegs in nicht-chinesischem Gebiet auf einmal vor mir stand... Sie ist zuallererst Frau, auch wenn sie sehr alt ist, denn sie trägt Röcke und Frauenhüte. Und ist sie jung, ist sie mehr noch als eine Frau: ein Mädchen: das prostituierte Wort läßt sich durch kein anderes ersetzen. Die da an einer Biegung des Weges auftaucht, ist ein Mädchen. Jung, mager, wie eine Ziege tanzend und auf ihren Füßen auf und ab springend; dann reglos dastehend und den Fremden musternd, die großen und stillstehenden Augen ganz in die meinen getaucht (eine Chinesin würde unschuldig zur Erde blicken und hinterlistig den Rücken und die Haltung des Passanten mustern...) macht sie mit einem Mal kehrt und nimmt unter schallendem Gelächter reißaus...
Hier ist das Warten und auch die Herausforderung direkt. Die Jagd ist verlockend:
Die Flüchtige auf ihren eigenen Wegen zu verfolgen, fiebernd und keuchend und
ungeschickt... Mehr noch als seines Geistes und seines Charmes müßte man sich
seiner Beine sicher sein... Und mehr noch als seiner Beine müßte man letztlich
seiner selbst sehr sicher sein. Aber wieviele Fehltritte, wieviel Zagen, bevor
man dies erreicht... Das Ziel freilich ist prächtig, und voller Gesundheit.
Es ist das schmale, robuste Mädchen, muskulös und von bernsteinfarbener Haut,
eine Ringerin nicht weniger denn eine Liebende, der Muskel spielt unter der
feinen Haut, ohne die prunkende Last des daranklebenden Fettes, das ihn eindickt
und den lebendigen Körper abstumpft. Das Fett à la mode, - das zu reich genährte,
zu selbstsichere Weibliche... ihrer selbst zu gewiß. - Victor Segalen, Aufbruch in das Land der
Wirklichkeit.
Frankfurt am Main und Paris 1984 (zuerst 1924)
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