orn   Jene, die mit eigensinnigen Frauen umzugehen haben, mögen aus Erfahrung wissen, in welche Raserei man sie bringt, wenn man ihren Ausbrüchen nur Schweigen und Kälte entgegensetzt und es verschmäht, ihrem Zorn Nahrung zu geben.

Der Redner Caelius war von Natur ungemein zornmütig, Als er einst mit einem Manne von sanftem und umgänglichem Wesen zu Abend aß, der es, um ihn nicht zu reizen, für geraten hielt, alles zu billigen, was Caelius sagte, und ihm stets beizustimmen, hielt es dieser endlich nicht länger aus, daß seine Zanksucht so leer ausging, und fuhr ihn an: So widersprich mir doch einmal, bei allen Göttern, damit wir unser zwei sind. Desgleichen die Frauen: sie brausen nur auf, damit man wider sie aufbrause, nach dem Vorbild der Gesetze der Liebe, Als jemand den Phokion in seiner Rede unterbrach, indem er ihn unbändig beschimpfte, begnügte er sich damit, nur stillzuschweigen und dem Mann alle Zeit zu lassen, bis er seine Galle verspritzt hatte; dies getan, begann er seine Rede von neuem, ohne dieser Störung im geringsten zu erwähnen, an der Stelle, an der er sie unterbrochen hatte.

Es gibt keine schneidendere Antwort als eine solche Verachtung. - (mon)

Zorn (2) Ein Zorn, der sich nicht bemüht, auch recht zu haben, sich auch an den anderen zu richten, ihn zu betreffen, zu ihm zu sprechen, ist kein Zorn, sondern bloßes Wüten. Der richtige Zorn muß sich zugleich formulieren, für den anderen, gibt dem Formulierenden Stärke (anders als das Wüten) und ermöglicht endlich die Heiterkeit - (bleist)

Zorn (3) Der Zorn scheint teilweise auf die Vernunft zu hören, aber verkehrt zu hören, wie ein eifriger Diener, der hinausläuft, ehe er den ganzen Befehl vernommen hat, und ihn dann auch falsch ausführt, und wie die Hunde, die bellen, wenn sie nur einen Ton hören, ehe sie sich vergewissert haben, ob es sich um einen Freund handelt. So hört auch der Zorn in der Hitze und Raschheit seiner Natur zwar hin, aber nicht auf das, was befohlen wird, und stürmt gleich zur Rache. Der Verstand oder die Vorstellung haben ihm mitgeteilt, daß eine Beleidigung oder Verachtung vorliege, und er entrüstet sich sofort, wie wenn er den Schluß zöge, daß man etwas Derartiges bekämpfen müsse. Die Begierde wiederum stürmt zum Genuß, kaum daß der Verstand und die Wahrnehmung gesagt haben, daß etwas angenehm ist.

So folgt der Zorn bis zu einem gewissen Grade dem Verstand, die Begierde dagegen nicht. Sie ist also schimpflicher. Denn der im Zorne Unbeherrschte unterliegt in gewisser Weise dem Verstand, der andere aber bloß der Begierde und nicht dem Verstande.

Ferner ist es verzeihlicher, wenn man den natürlichen Strebungen folgt und so auch eher denjenigen unter den Begierden, die allen gemeinsam sind und sofern sie allen gemeinsam sind; und der Zorn und die Entrüstung sind natürlicher als jene Begierden, die nach dem Übermaß und dem nicht Notwendigen verlangen, so wie jener sich verteidigte, der seinen Vater schlug: «Er hat auch seinen Vater geschlagen und dieser den seinigen, und (indem er aufseinen Sohn zeigte) dieser da wird mich schlagen, wenn er erwachsen sein wird; denn das ist bei uns Tradition.» Und der andere, der von seinem Sohne geschleift wurde, sagte ihm, er solle ihn nicht weiter als bis zur Türe schleifen; denn auch er habe seinen Vater nur bis dorthin geschleift.

Ferner sind die Hinterlistigen die ungerechteren. Der Zornige ist aber nicht hinterlistig und der Zorn auch nicht, sondern offen. Die Begierde ist aber, wie man von Aphrodite sagt: «Die listenspinnende Tochter von Kypros», und Homer sagt von ihrem gestickten Gürtel, es sei in ihm «die Verführung, die auch den Sinn des Verständigen betrügt». Wenn also diese Art von Unbeherrschtheit ungerechter ist, so ist sie auch schimpflicher als diejenige im Zorne. Sie ist eben Unbeherrschtheit schlechthin und in gewisser Weise Schlechtigkeit.  - (eth)

Zorn (4) 

- N.N., nach Wikipedia

Zorn (5)  Wenceslaus König in Böhmen hat sich über seinen Mund-Koch dergestalten erzörnt / umb weil er ihme einen Cappauner nicht recht gebratten / daß er denselbigen hat lassen lebendig an Bratt-Spiß stecken / umbtreiben / und mit eignen Blut begiessen.

Otto Antonius Graff von Monferat, da ihne sein Knab bei unrechter Zeit auffgeweckt / hat lassen denselben in ein gepichtes / und mit Schweffel übergossenes Tuch lebendig einnähen / und anzünden / daß er also wie ein Fackel verbrunnen.

Bajazeth der Türckische Kaiser hatte in seinem Garten ein liebes Bäumlein / daran 3. Äpffel gehangen / welche einer auß dreien seiner Edel-Knaben abgerissen / worüber er sich dermassen erzörnt / daß er befohlen allen dreien den Leib auffzuschneiden / und solchen Raub zu suchen / so auch wär geschehen / woferrn man sie nicht bei dem Ersten in seinem Magen hette gefunden.

Ein grösserers Narrenstuck ist aber / wann man sich über ein Sach erzörnt / so da kein Leben noch weniger ein Vernunfft hat. Cyrus der Persianische König hat über den Welt-berühmten Fluß Ginden / weil in demselben sein lieber Schimmel ertruncken / sich dergestalten erzörnt / daß er denselben in 380. Armb hat lassen zertheilen. Der König Xerxes hat ein solchen Zorn gefast über den engen Meer-Schlund deß Aegeischen Meers / daß er demselben hat lassen 300. Streich geben / in so gar Fußeisen in denselben geworffen. Caligula hat wegen deß trüben Wetters sich gar über seinen vermeinten Gott Jupiter erzörnt / denselben gar außgefordert / und zugeschrien / aut tolle me, aut ego te, entweders must du mir / oder ich dir den Halß brechen. - Abraham a Santa Clara

Zorn (6)  Ärger höchsten Gütegrads, wie er erhabenen Charakteren und historischen Anlässen entspricht; z.B. »der Zorn Gottes«, »der Tag des Zornes« etc. In der Antike galt der Zorn eines Königs als heilig, denn zu seiner geziemenden Gestaltung konnte er gewöhnlich das Mitwirken irgendeines Gottes erheischen; so auch der Zorn eines Priesters. Vor Troja fühlten sich die Griechen derartig von Apollon belästigt, daß sie sich aus dem Regen des Zorns von Chryses in die Traufe des Zorns von Achilleus begaben ; Agamemnon, der einzige Missetäter, wurde jedoch weder hier noch dort naß. Eine ähnlich auffällige Immunität war die Davids, der sich Jahwes Zorn zuzog, indem er sein Volk zählte; siebenzigtausend von ihnen bezahlten seine Verfehlung mit ihrem Leben. Heute ist Gott die Liebe, und ein Leiter des Amts für Volkszählung verrichtet seine Arbeit ohne Angst vor einer Katastrophe. - (bi)

Zorn (7)

Kubin: Der Zorn

- Alfred Kubin ("Todsünden")

Zorn (8) DIE TAUBE Ich glaube, ich warte auf jemand, der weiß, daß alles ein Grund ist, um eine Pistole zu benutzen, sofern man nicht auf das Selbstverständliche wartet, und das Selbstverständliche ist nie ein hinreichender Grund gewesen.

VERA Es ist alles hoffnungslos, ich bin ohne Hoffnung, Amelia ist ohne Hoffnung und was dich anbelangt - sie macht eine Handbewegung.

DIE TAUBE Ich hatte nie etwas einzuwenden gegen die Hoffnungslosigkeit.

VERA Was willst du damit sagen?

DIE TAUBE Das spielt keine Rolle.

VERA nach einer langen Pause Ich wünsche mir, du würdest tanzen.

DIE TAUBE Vielleicht tanze ich.

VERA Es könnte mich glücklicher machen.

DIE TAUBE obenhin Warum werden die Leute nicht wütend aufeinander, ganz plötzlich und ohne Grund?

VERA Aber warum denn?

DIE TAUBE Ist nicht etwas Schönes, Kaltes, Distanziertes an einem grundlosen Zorn?

VERA Vermutlich ja, es kommt drauf an -

DIE TAUBE Nein, es kommt nicht drauf an, das ist es ja gerade; ein Grund entwertet den Zorn. Ich wollte, jeder Mensch wäre über seine eigene Lebensgeschichte erhaben.

VERA Was bist du eigentlich, eine Idiotin oder eine Heilige? - Djuna Barnes, Hinter dem Herzen. Berlin 1994

Zorn (9)  Mathilde liegt neben mir und schläft, schläft doch tatsächlich! Sie kann mich nicht mehr lieben, wenn sie jetzt den Mut hat zu schlafen. Das geht über meinen Verstand. Entweder sie hält mich für den blödesten aller Trottel — obwohl sie doch weiß, wie mißtrauisch ich bin —, oder aber es ist ihr alles egal, seit der andere sie eingewickelt hat. Ganz offensichtlich wird es über kurz oder lang einen Knall geben, eine Explosion, die uns beide zerreißt. Wenn ich zornig bin, bin ich nicht wiederzuerkennen. Und ich merke, wie der Zorn in mir hochsteigt. Er sitzt überall, in den Händen, im Mund, im Bauch, wo die Eingeweide sich immer mehr verkrampfen. Ich werd's euch schon zeigen, das schwöre ich!  -  Boileau / Narcejac, Die trauernden Witwer. Reinbek bei Hamburg 1970

Zorn (10)  Agamemnon sprach dem Odysseus die Waffen des toten Achilleus zu. Er und Menelaos hätten es natürlich nie gewagt, Aias auf diese Art zu beleidigen, wäre Achilleus noch am Leben gewesen: Denn Achilleus schätzte seinen tapferen Vetter über alles. Es war Zeus selbst, der den Streit provoziert hatte.

In blindem Zorn plante Aias, sich noch in der gleichen Nacht an seinen griechischen Kameraden zu rächen. Athene schlug ihn jedoch mit Wahnsinn und ließ ihn mit dem Schwert in der Hand unter dem Vieh und den Schafen los, die von den troischen Landgütern als Teil der gemeinsamen Beute geraubt worden waren. Nach einem unmäßigen Blutbad kettete er die überlebenden Tiere zusammen, zog sie zum Lager zurück und setzte dort sein Schlächterwerk fort. Er wählte zwei weißfüßige Widder aus, schlug das Haupt und die Zunge des einen ab, den er für Agamemnon oder Menelaos hielt, und band den anderen aufrecht an eine Säule, wo er ihn mit einem Pferdehalfter schlug, während er Schimpfworte ausstieß und ihn treulosen Odysseus nannte.

Endlich kam er in tiefster Verzweiflung wieder zu Sinnen, rief Eury-sakes, seinen Sohn von Tekmessa, und gab ihm den riesigen, siebenfachen Schild, nach dem er benannt worden war. «Der Rest meiner Waffen soll mit mir begraben werden, wenn ich sterbe», sagte er. Teuker, der Halbbruder des Aias, der Sohn Hesiones, der gefangenen Schwester des Priamos, war gerade in Mysien, aber Aias hinterließ eine Botschaft für ihn, die ihn zum Vormund des Eurysakes ernannte. Er sollte ihn zu seinen Großeltern Telamon und Eriboia von Salamis bringen. Mit einer Botschaft an Tekmessa, daß er dem Zorn Athenes entgehen würde, indem er in einer Meeresbucht baden und irgendeinen unbetretenen Pfad suchen sollte, wo er sein Schwert sicher begraben könnte, machte er sich entschlossen auf den Weg zu sterben.

Er stieß das Schwert — das gleiche, das Hektor gegen das purpurne Gehänge ausgetauscht hatte — aufrecht in die Erde. Nachdem er Zeus angefleht hatte, Teuker zu sagen, wo er seinen Leichnam finden könnte, den Hermes, daß er seine Seele zu den Asphodelischen Feldern führen sollte, und die Erinyen, daß sie ihn rächten, stürzte er sich in das Schwert. Aber das Schwert krümmte sich, diese Aufgabe verabscheuend, in der Form eines Bogens nach rückwärts. Die Morgendämmerung war bereits hereingebrochen, als es ihm gelang, Selbstmord zu begehen, indem er die Spitze der Waffe in seine verwundbaren Achselhöhlen trieb. - (myth)

Zorn (11) 

- Abraham a Santa Clara, Judas der Ertz-Schelm (zuerst 1686, Auswahl Darmstadt 1968)

Gefühle, unfreundliche
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Wut
Synonyme