erz
Eher würde ich meine Geschäfte den Hals brechen lassen, als
daß ich um ihretwillen mein Gewissen beugte. Denn diese neue Tugend der
Hinterlist und Verstellung, die heute so hoch in Ehren steht, ist mir auf
den Tod verhaßt; und unter allen Lastern finde ich keines, das von derartiger
Feigheit und Niedertracht des Herzens zeugt.
Es ist eine schmähliche und knechtselige Gesinnung, sich unter einer Larve
zu vermummen und zu verstecken und nicht das Herz zu haben, sich so zu
zeigen, wie man ist. Es ist eine Schule der Verräterei:
haben unsere Leute einmal gelernt, falsche Worte zu reden, so machen sie
sich auch kein Gewissen daraus, ihr Wort zu brechen.
Ein hochgesinntes Herz muß seine Gedanken nicht verleugnen; es will sich
bis in sein Innerstes zeigen. Alles darin ist gut, oder wenigstens alles
darin ist menschlich. Aristoteles betrachtet
es als die Pflicht einer großen Seele, unverhohlen
zu lieben und zu hassen,
mit völligem Freimut zu urteilen und zu sprechen und sich nichts aus dem
Beifall oder der Mißbilligung anderer zu machen, wenn es die Wahrheit gilt.
Apollonius sagte,
es stehe den Knechten an, zu lügen, und den Freien, die Wahrheit zu sagen.
Sie ist der erste und grundlegende Satz der Tugend. Man muß sie um ihrer
selbst willen lieben. Wer die Wahrheit sagt,
weil er aus andern Rücksichten gezwungen ist, oder weil es ihm frommt,
und sich nicht scheut, Lügen zu sagen, wenn es niemandem darauf ankommt,
der ist nicht wahrhaftig genug. Meine Seele ist
so geschaffen, daß sie die Lüge verabscheut und
schon ihren Gedanken haßt. Ich empfinde eine innere Scham und nagende Gewissensbisse,
wenn mir zuweilen eine Unwahrheit entfährt, wie mir mitunter eine entfährt,
wenn mich die Gelegenheit unversehens überrumpelt. - (
mon
)
Herz (2)
Dem Glauben der Azteken zufolge
würden die Götter die Welt
zerstören, wenn ihr Verlangen nicht befriedigt wurde. Menschen zu opfern
wurde deshalb zur wichtigsten Aufgabe der aztekischen Priesterschaft. Die
Mehrzahl der Geopferten waren Gefangene, die von Kriegsexpeditionen nach
Tenochtitlàn, der Hauptstadt der Azteken, zuriickgebracht wurden. Man zwang
das Opfer, die abgeflachten Pyramiden hinaufzusteigen,
die den heiligen Bezirk der Stadt überragten, und oben wurde es von vier
Priestern ergriffen, die es an Armen und Beinen packten und rückwärts mit
dem Gesicht nach oben auf einen Steinaltar drückten. Ein fünfter Priester
öffnete nun mit einem Obsidianmesser den Brustkorb
des Opfers, riß das Herz heraus und beschmierte damit, während es noch
schlug, das in der Nähe aufgestellte Standbild der Gottheit, der das Opfer
gebracht wurde. Dann wurde die Leiche von Gehilfen
die Stufen hinuntergerollt. Andere Gehilfen schnitten ihr den Kopf ab,
durchbohrten diesen in Querrichtung mit einem hölzernen Stab und deponierten
ihn neben den Köpfen früherer Opfer auf einem hohen Gittergestell oder
Schädelgerüst. - (
mensch
)
Hertz (3) Das erst im Menschen lebt und letzlich stirbt dahin. Der Gedanken Quell und Sitz. Die Werkstatt deß Geblüts/ das seinen Traurstand in trüben Augen weiset/ und vollen Freudenstand mit dem Gelächter preiset / sich ändert und verstellt. Die Zunge ist des Hertzens Pfeil die hand ist selbes Donnerkeul. Das Hertz ist hartes Aertz/ das selten sich erweichet / wann es wird Felsenschwer/ kann man es nicht bewegen; entbrannt es/ kann die Flamm kein Threnenwasser legen/ verbürgt es es seine Tücke/ kan es niemand ergründen/ entweicht und fliehet es/ so ist es nicht zu finden. Quecksilber ist das Hertz das niemand kan begreiffen / es pfleget sonder Ruh in schnellen Nu zu schweiffen. Es fasset alles und kann sich nicht erfüllen / es dichtet alles und will sich nicht enthüllen: ist tiefer als das Meer/ und höher als der Himmel/ ist dicker als der Wald den keine Sonn durchscheinet ; ist verwirrter als der Irrgarten des Dädalus gebauet / unbeständiger als der Mond / schlanker als dei Flüsse / die Drückerey der Natur in welcher allerhand Künste und Wissenschaften aufgelegt werden. Ein Spiegel der allerhand Bilder fähig ist. Das Hertz gleich dem Ufer an dem Meer / hat so viel Gedanken begriffen/ als absonderliche Sandkörnlein gehäuffet und doch unterschieden sind.
Das dreygeeckte Hertz begreifft mit dreyen Spitzen der dreyvereynten GOTT / das was unendlich ist/ kan diese Tafel fassen/ und mit Himmels Geist sich selbst beschreiben lassen/ gleich einer Tafel Schrein. Das Hertz ist ein gefäß mit Gutem und mit Bösem vermischet angefüllt. Das gepreßte/ verwunde (dessen Blut die Threnen)/ bejammerte/ beschmerzte/ durchbitterte/ durchgallte/ geplagte/ trotzig in Wolstand/ feig und verzagt im Unglücksstand/ gequälte/ erkühnte etc. Hertz
Ein Leid zerknirschtes Hertz/ ein Reu=geängster Geist. Das falschverstockte/ Weltgesinnte/ star[k]schlaffende Hertz.
Das Hertz hat in dem Gemähl die Deutung des menschlichen Willens;
wann nun ein Schloß daran/ so bedeutet es die Verschwiegenheit/ sind 2.
Hände darob geschlossen/ so bedeutet es Treue: ist ein Wurm
daran/ so bedeutet es Kümmerniß und ein böses Gewissen etc. Ein Hertz mit
Flügeln bedeutet Unbeständigkeit/ oder auch nach
den Umständen einen GOTTergebenen Menschen der trachtet, nach dem was droben
ist. - (hrs)
Herz (4) Besser wäre es gewesen, wenn ich
wie dieser verrückte Czolgosz irgendeinen braven Präsidenten
McKinley, eine sanfte, unbedeutende Seele, die nie jemandem das geringste
zuleide getan, erschossen hätte. Denn in der Tiefe meines Herzens war Mord:
ich wollte Amerika zerstört, dem Boden gleichgemacht sehen. Aus reiner
Rachsucht wollte ich, daß dies geschähe, als Sühne für die Verbrechen,
begangen an mir und all denen, die nie ihre Stimme erheben und ihrem Haß,
ihrer Auflehnung, ihrer berechtigten Blutgier Ausdruck verleihen konnten.
- (wendek)
Herz (5) Ich sah atemlos hin. Sah, wie sich der üppige, mollige, ganz entwickelte Frauenkörper langsam aus der weißen Haut herausschälte. Es war, als hätten auch die Gegenstände im Zimmer an diesem Schauspiel teil. Reckte nicht jeder Stuhl seine Lehne, um besser zu sehen? Schien die Lampe nicht plötzlich zu flackern? Atemlos und erregt saugte ich alles in mich hinein. Ich war bedrängt, aber auch entzückt. Also so sieht eine Frau aus — diese Zweiteilung!
Sie wandte sich weg von mir und zeigte mir einen prachtvollen Rücken. Mit Entzücken sah ich die rosigen breiten Kugeln ihres Popos, über dem lustige kleine Grübchen saßen. Ich sah die Speckfalten, wie sie oft bei üppigen Frauen vorhanden sind, und sah mit glücklichem Erstaunen das Dunkle, das wie ein behaartes großes Herz vorne unter ihrem leicht geschwellten Bauch war.
Sie bewegte sich nun vollkommen unbefangen, denn wie konnte sie ahnen, daß
jemand, und gar noch ich, sie beobachtete. Sie reckte sich, strich an Leib und
Schenkeln herab, stellte sich aufgerichtet, dann ein wenig herabgebeugt vor
den Spiegel, nahm die Arme nach oben und begann ihr
Haar zu lösen. Unter den Armen war dasselbe dunkle Haar. Wie kleine Oasen waren
diese Haarbüschel in einer großen, glatten, fleischlichen Dünenlandschaft -
als ob man sich, durstig, hierhin zurückziehen könne nach dem Durchwandern der
heißen, großen und kleinen Dünen. Sie nahm Haarnadeln aus ihrem Haar und behielt
ein paar davon im Munde, andere wurden auf den Tisch gelegt. Auch legte sie
eine Art Haarrolle daneben, die man trug, um die Frisur runder und höher erscheinen
zu lassen. Die Haare fielen nun in Schlangen herab und bedeckten die Hälfte
ihres Oberkörpers und Rückens. Eine größere Haarnadel, die herabgefallen war,
hob sie auf, sich dabei bückend und mir den Rücken zukehrend. Sie fand sie nicht
sofort, und ich sah wieder, wie das Dunkle, braun-rosig Herzförmige zwischen
ihren Schenkeln hervordrängte. - George Grosz, Ein kleines Ja und ein
großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek bei Hamburg 1986, zuerst
1955
Herz (6) Germanicus besiegte den König von Armenien,
machte Kappadozien zur römischen Provinz und starb nach längerer Krankheit in
seinem vierunddreißigsten Lebensjahr zu Antiochia. Es bestand der Verdacht,
daß er vergiftet worden sei. Denn seinen ganzen Körper bedeckten blaue Flecken,
und Schaum floß ihm aus dem Mund. Außerdem fand man nach Verbrennung der Leiche
auch sein Herz unter den Gebeinen ganz unversehrt. Das
Herz soll nämlich die Eigenschaft haben, daß es nicht durch Feuer verzehrt werden
kann, wenn Gift darin eingedrungen ist. - (
sue
)
Herz (7)
Der Turmsegler Turmsegler mit den zu großen Flügeln, der da kreist und schreit seine Freude rings um das Haus. So ist das Herz. Er läßt den Donner verdorren. Er sät in den heiteren Himmel. Streift er den Boden, schlitzt er sich auf. Sein Widerpart ist die Schwalbe. Er verabscheut die häusliche. Was gilt das schon: Filigran des Turms? Er rastet in dunkelster Höhlung. Niemand hat es so eng wie er. Im Sommer der langen Helle streicht er davon in die Finsternis durch die Fensterläden der Mitternacht. Kein Auge vermag ihn zu halten. Er schreit, das ist sein ganzes Dasein. Ein schmales Gewehr streckt ihn nieder. So ist das Herz. |
- René Char, nach (
mus
)
Herz (8) DAS HERZ IN DER HAND und DIE KROKODILSTRÄNEN. Angeblich kann man gleichzeitig das Herz in der Hand und das Herz auf der Zunge tragen, und das ist bereits ein Mysterium. Ebenso kann einem das Essen wie Blei im Magen liegen, und manche Leute können Krokodilstränen vergießen.
Ich erinnere mich, daß mich als Kind dieses Herz in der Hand stark beeindruckt hat und ich mir instinktiv die Hände der Leute anschaute. Darüber belehrt, das Herz sei das Zeichen einer untadeligen Wahrhaftigkeit, einer heldenhaften Reinheit und Transparenz, schloß ich aus der Abwesenheit dieses Organs in den dargebotenen Gliedmaßen auf die universelle Verstellung meiner Umgebung. Das gleiche im Falle des Herzens auf der Zunge.
Später entwickelte ich genauere Vorstellungen. Ich habe mit aller Gründlichkeit erfahren, was vom bürgerlichen Herzen zu halten war und wozu man es gebrauchen konnte. Kurzum, ich wage mir einzubilden, daß ich mehr daraus erschlossen habe als Gargantua selbst in seinem Arschwischer-Monolog. Es handelt sich hier nicht mehr um das Herz in der Hand oder auf der Zunge, sondern darum, das bürgerliche Herz in die Hand zu nehmen, wenn Sie mich verstehen.
Was die Krokodilstränen betrifft, sei hier mitgeteilt, was mir ein bekannter Reisender dazu gesagt hat, ein berühmter Advokat aus Brüssel, einer der Eroberer von Belgisch-Kongo, dem letzten Land, wo man sich noch unterhält:
»Das Krokodil ist ein Bär,
den man jemandem aufbindet, es existiert sozusagen gar nicht als Tier und kann
folglich auch keine Tränen vergießen. Es ist eine mythologische Gestalt des
Armen, von dem der leidgeprüfte Reiche, Opfer seiner abscheulichen Tränen, hartnäckig
verschlungen wird ...« - (
bloy
)
Herz (9) Wenn die Maya daheim sterben, gehen sie unter die Erde in ein Land, das Miqtanteot heißt; diejenigen aber, die im Kriege sterben und einen guten Lebenswandel geführt haben, gehen hinauf zu Tamagastad und Çipattonal, also dahin, wo die Sonne aufgeht. Wer hinabgeht, wird begraben und ist nicht mehr. Von denen, die hinaufgehen, geht nur das »Herz« zu den Göttern, nämlich das, was sie am Leben erhalten hat, während der Körper tot zurückbleibt.
Wenn jemand stirbt, kommt nämlich aus seinem Mund ein Wesen hervor, das Yulio »Herz« genannt wird. Es geht dorthin, wo Tamagastad und Çipattonal wohnen. Dort lebt es wie ein richtiger Mensch und stirbt nicht mehr. Nicht etwa das Herz, sondern das, was die Menschen auf Erden am Leben erhält, und den Atem, der ihrem Munde entströmt, nennt man Yulio.
Wer einen schlechten Lebenswandel geführt hat, dessen Yulio stirbt und vergeht
mit dem Körper, und alle Erinnerung an ihn erlischt. Wenn Leute sterben sollen,
haben sie Visionen von menschlichen Wesen, Schlangen, Eidechsen und anderen
Schreckbildern, über die sie sich sehr entsetzen, und an denen sie erkennen,
daß sie bald sterben sollen. - (
azt
)
Herz (10) Ich habe in meinen Mußestunden sorgfältig
alle menschlichen Herzen analysiert, die ich mir habe besorgen können. Zuerst
spüle ich die Substanz anständig aus, um sie freizumachen von allen Pomaden,
Salben, Parfümen, Aromaten, mit denen jeder sich einreihen und einfetten zu
müssen glaubt, um den natürlichen Geruch zu verbergen, um seine Zusammensetzung
zu verschleiern und die Chemiker auf eine falsche Spur zu führen. Wenn ich sie
mit viel heißem und kaltem Wasser gewaschen habe, mit ätherisiertem und alkoholversetztem
Wasser, dem Säure und dann Alkali beigemischt war, wenn ich alle möglichen fremden
Stoffe, die so etwas wie einen dichten Lackpanzer bildeten, weggenommen habe,
dann strömt die Substanz einen starken Verwesungsgeruch sui generis aus, eine
sehr ekelerregende Zusammensetzung von Seh . . . und Aas, die einen starken
Brechreiz hervorruft und sogar zu Erbrechen führt, wenn man so unvorsichtig
ist, seine Geruchsnerven allzu lange diesen widerlichen Ausdünstungen
auszusetzen. - (
lim
)
Herz (11) Que heure! Que heurt! Leurre-leur l'heure (Welch eine Stunde! Welch ein Schlag! Lockt sie die Uhr). Die Uhr (l'heure) gibt mit dem Schlag (le heurt) die Zeit (l'heure) an. Mit Zeit lockte (leurrait) man. Wer Zeit hatte, war heureux (glücklich): heure eux. War die heure noch nicht gekommen, fehlte einem cœur (das Herz). Le cœur ist daher: le qu'eust re, le queue re. Unter dem Namen Herz schlug der Sexus und gab die erste Stunde an. Ihm verdankt man das Herz im Leibe, den Mut. Der aufgereckte Schwanz (queue) zeigte das erhobene Herz an. Man nannte den »ohne cœur«, der nicht mit Sexus begabt war. Das cœur wurde zum Inbegriff des Zentralen, des Mittelpunkts, und so bezeichnete dieses Wort die Mitte des Reiches, wo das Blut regiert; doch im übertragenen Sinne ist cœur immer noch der Sexus. Hatte der Vorfahr ein Leiden am cœur, flößte er Ekel und Abscheu ein, ebenso, wenn er es erhob und zur Anbetung denen darbot, die davor Ekel empfanden. Dieses cceur war der Schlüssel für die Herzen, die sich öffnen konnten. Was wir heute cœur nennen, kann weder sich öffnen, noch sich zeigen, noch sich hingeben und konnte es nie. Doch der Ausdruck schien natürlich und schockierte nicht. Nur der Geist der Toren nimmt daran Anstoß, daß die Frau aus einem hohen Schwanz oder einer Rippe des Mannes (d'une queue haute ou coté de l'homme) genommen wurde.
Man nahm an sein cœur oder in sein cœur, was einem das
Kostbarste war, und heiligte es so. Ce d cœur ai, ce a creux ai
(das hab ich am Herzen, das hab ich in der Hohle). Ce d creux ai cœur (das
in der Höhle hab ich Herz) zeigt uns die Vereinigung der cœurs, wie denn
auch das Sacre-cœur von Pfeilen durchbohrt ist. Die gleiche Abscheulichkeit
gab es bei den Brahmanen, die die sexuelle Vereinigung unter dem Namen Lingam
verehrten. Die geweihten cœurs und alle Medaillen sind tabu, Bilder
des Sexus. Die Dämonen haben immer ihr cœur im Mund, ihr gutes cœur;
ihr cceur, das so zart und doch voller Festigkeit ist, ihr anbetungswürdiges
cœur und andere Schändlichkeiten. Sie beten das cœur Jesu
an und ... beleidigen damit den, der allein angebetet werden sollte: Gott. - Jean-Pierre Brisset, Das
Große Gesetz oder Der Schlüssel der Sprache. Nach
(hum)
Herz (12) Dioscorides sagt, das menschliche
Herz habe im ersten Jahr ein Gewicht von zwei Drachmen, im zweiten von
vier und so gleichmäßig fortschreitend bekomme es bis zum fünfzigsten Jahre
ein Gewicht von hundert Drachmen, von wo an es auf gleiche Weise wieder
abnehme, so daß endlich beim Verschwinden
dieses Eingeweides das Leben nicht mehr fortbestehen könne. Aus diesem
Grunde nahm er hundert Jahre als das Ziel des menschlichen Lebens an, eine
Meinung, der auch, wie Plinius bezeugt,
die Ägypter anhingen. - (nett)
Herz (13) Motti war der intelligenteste Dieb im Dreieck Mailand-Turin-Genua; für ein Parallelogramm kann man auch Bologna hinzufügen. Pacchetto war der einfältigste Dieb von Mittel- und Südeuropa. Niemand erinnerte sich mehr an seinen standesamtlichen Vor- und Nachnamen: Alle nannten ihn Pacchetto, das heißt Päckchen, seitdem er sich bei einem Diebstahl in einem Juwelierladen von den Gendarmen fassen ließ, weil er, anstatt das Weite zu suchen, stehengeblieben war, um aus dem Diebesgut ein schönes Päckchen zu machen und mit einer Silberkordel zu verschnüren. Und wieso nahm Motti immer diesen kleinen Pfuscher mit?
»Geheimnisse eines Menschenherzens«, sagte der Wachtmeister De Dominicis vom Polizeipräsidium.
»Er hängt einfach an ihm, so wie du an deiner Katze
hängst«, korrigierte ihn der Kommissar Geronimo. - Gianni Rodari, Das fabelhafte Telefon. Wahre Lügengeschichten. Berlin
1997 (Wagenbach Salto 65, zuerst 1962)
Herz (14)
Mein fucking Herz ist die meiste Zeit weg. Die Adressen dem Telefonbuch entnommen stimmen, stimmen nicht. Eine Frühjahrskollektion neuer Geschlechtsteile. Massagen. Die alte Kur. Spritzen in die Brüste. O, Madam wie ich leide, o. Immer verlieren wir uns wieder. Immer von neuem verlieren wir uns wieder. O, Madam wie ich leide, o. Das Zerbrechen das Aufrechtgehen es läuft auf dasselbe hinaus. Mit Heftklammern zusammengehalten mein fucking Herz für Sie, für Sie, für Sie, verschrumpelt und geschrumpft das Ding, schnell weggesteckt. |
- Rolf Dieter Brinkmann, nach: Dein Leib ist mein Gedicht. Deutsche erotische
Lyrik aus fünf Jahrhunderten. Hg. Heinz Ludwig Arnold. Frankfurt / M.
Berlin Wien 1973
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