erbrecher   Fantômas, der die Schauplätze seiner klassischen Delikte Mord, Raub, Erpressung und Diebstahl nicht wie bei Mèliès durch einen Filmtrick, sondern wie bei Lumière durch die Tür verläßt, verschwindet dennoch stets spurlos vom Tatort; er ist der Mann im schwarzen Trikot, ein Volksheld ohne erkennungsdienstlich verwertbare Individualmerkmale, aber mit der unverwechselbaren Handschrift eines immer erfolgreichen, an Effizienz selbst den unerhörten mit seinen Opfern in den Schatten stellenden Umganges mit den Strafverfolgungsbehörden, er taucht unter, nur um im nächsten Augenblick überall aufzutauchen, er ist der Extremfall des gewöhnlichen Verbrechers.

Während amtlicherseits vermutet wird, Fantômas, der Einzeltäter, existiere nur in den Köpfen der Massen, entsteht der allgemeine Eindruck, daß er eine Erfindung der Administration ist. Die Begeisterung des Publikums war ebenso groß wie der Zorn der Zensoren. - (net)

Verbrecher (2), Klassifikationen.  Lombroso, 1878, 1. Gelegenheitsverbrecher, 2. geborene Verbrecher, 3.  Alkoholiker. Krauß, 1884, 1. die Kraftmenschen, a) das Ungeheuer, b) der Choleriker, c) der Leidenschaftliche, 2. die Bösartigen, a) der Dämonische, b) der Intrigant, c) der Schurke, 3. die Schwächlinge, a) der Schuft, b) der Schleicher, c) der Lump, d) der Caliban. Fern, 1884, 1. Gelegenheitsverbrecher, 2. Leidenschaftsverbrecher, 3. geborene Verbrecher, 4. Gewohnheitsverbrecher, 5. geisteskranke Verbrecher. Marro, 1887, 1. Verbrecher mit atavistischen, 2. Verbrecher mit atypischen, 3. Verbrecher mit pathologischen Merkmalen. Aschaffenburg, 1923, 1. Zufallsverbrecher, 2. Affektverbrecher, 3. Gelegenheitsverbrecher, 4. Vorbedachtsverbrecher, 5. Rückfallverbrecher, 6. Gewohnheitsverbrecher, 7. Berufsverbrecher.

Nach Ausscheidung aller psychiatrisch titulierbaren Verbrecher schließlich Übergang zur einfachen Zweiteilung, Valentini, Starke, Medem, Bennecke, Aschroth, Krohne, Prins, Du Cane, Kirn, Holtzendorff, Liszt, Heindl, 1. Gelegenheitsverbrecher, 2. Berufsverbrecher. - (net)

Verbrecher (3) Im allgemeinen mag das Publikum keine Verbrecher, die am Ende straflos ausgehen, obschon: in Romanen werden sie noch eher akzeptiert als im Fernsehen und in Filmbearbeitungen. Die Zensur ist heute zwar weniger streng, aber generell hat ein Buch bessere Chancen, von Fernsehen und Film angekauft zu werden, wenn der Verbrecherheld gefaßt und bestraft wird und am Ende klein und häßlich dasteht. Es ist fast besser, ihn im Verlauf der Story umzubringen, wenn das Gesetz das nicht übernimmt. Mir geht das gegen den Strich — ich mag Verbrecher und finde sie außerordentlich interessant, wenn es sich nicht gerade um banale und dumm-brutale Täter handelt.

Verbrecher sind von dramatischem Interesse, weil sie mindestens eine Zeitlang aktiv und im Geist frei sind und sich von niemandem unterjochen lassen. Ich bin ein so gesetzestreuer Mensch, daß ich oft schon vor einem Zollbeamten zittere, obwohl ich nichts Zollpflichtiges im Koffer habe. Vielleicht lebt in mir ein strenger und streng unterdrückter verbrecherischer Trieb, sonst würde ich mich nicht so sehr für Verbrecher interessieren oder so oft über sie schreiben, Und ich glaube, viele Suspense-Autoren — ausgenommen vielleicht diejenigen, deren Helden und Heldinnen zu den Opfern gehören, denen Unrecht zugefügt wurde, und deren Bösewichte als Nebenfiguren und unattraktive oder verlorene Gestalten auftreten — müssen irgendwie Sympathie haben für ihre Verbrecher und sich mit ihnen identifizieren, sonst würden sie sich in ihren Büchern nicht emotional so weit mit ihnen einlassen. In dieser Hinsicht ist der Suspense-Roman grundverschieden vom Krimi. Der Suspense-Autor geht oft viel gründlicher auf das ein, was im Kopf des Verbrechers vor sich geht, denn den Verbrecher kennt man gewöhnlich das ganze Buch hindurch, also muß der Autor beschreiben, wie es in seinem Kopf aussieht. Das kann er aber nur, wenn er Mitgefühl aufbringt.

Die allgemeine Passion für Gerechtigkeit kommt mir langweilig und künstlich vor, denn weder das Leben noch die Natur kümmert sich im mindesten darum, ob der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Die Leser wollen, daß das Gesetz triumphiert, zumindest die meisten, auch wenn sie gleichzeitig Brutalität ganz gern mögen. Aber die Brutalität muß auf der richtigen Seite stattfinden. Detektiv-Helden können gern brutal und sexuell ganz skrupellos sein, sie können Frauen mit Füßen treten und sind doch als Helden beliebt, weil sie nach etwas auf der Jagd sind, das vermutlich noch übler ist als sie selber. - Patricia Highsmith, Suspense oder Wie man einen Thriller schreibt. Zürich 1990 (zuerst 1966)

Verbrecher (4) Im Jahre 1266 wurde zu Fontenay aux Roses, Frankreich, auf richterlichen Befehl ein Schwein lebendig verbrannt, weil es ein Kind gefressen hatte. Im Jahre 1386 wieder wurde zu Falaise ein Schwein, das ein Kind verletzt hatte, verurteilt, dass ihm vor dem Rathause Fuss und Kopf abgeschlagen werde. Dabei wurden dem Tiere vorher Kleider angezogen.

Drei Jahre später wurde zu Dijon ein Pferd, das den Tod seines Herrn verursacht hatte, zur Enthauptung verurteilt.

Chasseneux, Präsident des Parlaments der Provence, veröffentlichte 1531 ein Werk, in dem dieser hohe Justizbeamte die Frage aufwarf, ob Tiere vor das Strafgericht gezogen werden können und diese Frage bejaht. Er führt unter anderem einen Prozess gegen die Maikäfer von Beaume an, die gerichtliche Verfolgung der Schnecken zu Autin im Jahre 1487, zu Lyon 1500.

Im Jahre 1488 wurde zu Autin auch den Ratten ein Prozess gemacht, wobei der genannte Verfasser die Verteidigung der Angeschuldigten übernahm. Nach geschehener formeller Vorladung der "Verbrecher" versuchte deren Anwalt wiederholt mit Erfolg den Termin zu verschieben. Zuerst machte er den Einwand, dass eine einzelne Vorladung nicht genüge, weil seine Klienten zahlreich wären und in den Dörfern umher zerstreut lebten. Der Einwand wurde anerkannt und die Vorladung in allen zugehörigen Orten öffentlich verkündet. Dann wieder brachte er den Einwand vor, dass die Ratten unmöglich kommen könnten, weil sie wüssten, dass ihre Feinde, die Katzen, auch von der Sache erfahren hätten, und ihnen nun auf allen Wegen und Stegen auflauerten. Als dieser Einwand nicht gelten gelassen wurde, appellierte er an die Menschlichkeit und Gerechtigkeit der Richter, ohne jedoch, wie es scheint, Gnade für seine Klienten gefunden zu haben.

Das pariser Parlament verurteilte 1604 einen ihrer Ansicht nach verbrecherischen Esel zum Tode durch den Strang. - (hel)

Verbrecher (5) Der Verbrecher produziert einen Eindruck, teils moralisch, teils tragisch, je nachdem, und leistet so der Bewegung der moralischen und ästhetischen Gefühle des Publikums einen "Dienst". Er produziert nicht nur Kompendien über das Kriminalrecht, nicht nur Strafgesetzbücher und damit Strafgesetzgeber, sondern auch Kunst, schöne Literatur, Romane und sogar Tragödien, wie nicht nur Müllners "Schuld" und Schillers "Räuber", sondern selbst "Ödipus" und "Richard der Dritte" beweisen. Der Verbrecher unterbricht die Monotonie und Alltagssicherheit des bürgerlichen Lebens. Er bewahrt es damit vor Stagnation und ruft jene unruhige Spannung und Beweglichkeit hervor, ohne die selbst der Stachel der Konkurrenz abstumpfen würde. Er gibt so den produktiven Kräften einen Sporn. Während das Verbrechen einen Teil der überzähligen Bevölkerung dem Arbeitsmarkt entzieht und damit die Konkurrenz unter den Arbeitern vermindert, zu einem gewissen Punkt den Fall des Arbeitslohns unter das Minimum verhindert, absorbiert der Kampf gegen das Verbrechen einen andern Teil derselben Bevölkerung. Der Verbrecher tritt so als eine jener natürlichen "Ausgleichungen" ein, die ein richtiges Niveau herstellen und eine ganze Perspektive "nützlicher" Beschäftigungszweige auftun. - Karl Marx, Abschweifung über produktive Arbeit

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