- Ernst Jünger
Individuum (2) Dr. H. Schmidt-Schmiedebach, Datenbanken
im Dienste der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der Verwaltung: Wenn
unsere Verwaltung den technischen Fortschritt wahrnimmt, so braucht sich deswegen
niemand in seinem Individualismus bedroht zu fühlen. Individuum heißt das Unteilbare.
Es kann dem Bürger nur recht sein, wenn sich nicht laufend zahllose Behörden
seiner Daten bemächtigen und sie aufgespalten verarbeiten. Gerade als Individuum
hat der Bürger einen Anspruch darauf, von den Trägern der öffentlichen Gewalt
als unteilbares Ganzes behandelt zu werden, das heißt als Mensch. Ein überzeugender
Staat mit seiner integrierten und integeren Verwaltung gibt dem Bürger das Gefühl
der Geborgenheit. Sein Wohlverhalten als Dank für den Wohlstand wird vielleicht
dahin führen, daß die Datenbanken eines Tages eine fallende Kurve der Kriminalität
melden. - (
net
)
Individuum (3) Ein Individuum namens Willard aus Amerika, das die Bertillonsche Methode studiert hatte, stürzte die Fachwelt in eine nachhaltige Verwirrung. Willard hatte sich darauf trainiert, seine Maße durch Muskelbewegungen willkürlich und in einem Ausmaß zu verändern, daß es niemals möglich gewesen wäre, die Identität Willards mit Willard anthropometrisch festzustellen. Willard zeigte sich in der Lage, seine Halslänge um 50 mm, seine Armspannweite um 110 mm und seine Körperlänge insgesamt um 165 mm auszudehnen; sowie dazu, eine willkürlich eingenommene Länge über längere Zeit konstant zu halten.
Es wurde zweifelsfrei nachgewiesen, daß Willard mehr als acht Tage unterwegs
sein konnte, ohne auf seine Normalgröße zusammenzuschrumpfen. - (
net
)
Individuum (4) Das »fossile« Verhalten der Kugelsternhaufen
besteht nun darin, daß sie diese Rotation als einzige Sonnen des ganzen Systems
nicht mitmachen. Selbstverständlich umkreisen auch sie das galaktische Zentrum
als gemeinsamen Schwerpunkt. Sie würden sonst, von keiner Zentrifugalkraft daran
gehindert, in diesen Schwerpunkt hineinstürzen. Aber sie, und sie allein, verhalten
sich wie Individualisten, die sich der gemeinsamen Wanderung
aller anderen Sonnen entzogen haben. Nicht einmal zwischen
ihnen selbst gibt es in dieser Hinsicht irgendeine Abstimmung. Jeder der etwa
300 Kugelsternhaufen unserer Milchstraße zieht seine Kreisbahn in einer anderen
Ebene und in einer anderen Richtung als alle übrigen
Mitglieder des Systems. Insgesamt erfüllen sie dabei einen Raum, der die Scheibe
des Milchstraßensystems kugelförmig umgibt. - Hoimar von Ditfurth, Wir sind nicht nur von dieser Welt. München 1984
(zuerst 1981)
Individuum (5) Je näher die gegebene Ordnung der
Weltkörper der Gottheit, desto weniger Individuen. Je entfernter von ihr, desto
mehr. Und mit den Individuen wächst wiederum die Mannichfaltigkeit der Individualität
auf dem einzelnen Individuum. Diese mannichfache Individualität zeigt sich in
der Organisation. Auf der Sonne muß weit einfachere Organisation statt haben,
als auf der Erde; alles daselbst von und in riesenhafter Gestalt. Und so weiter
zuruck. Dies gibt Götter, — und von den Göttern herab bis zu den Menschen ....
die mannichfachsten Stufen. — Die Monde sollten eigentlich das individuellste
Organisierteste sein; — unendliche Mannichfaltigkeit, — gleichsam die gordischen
Knoten, die das Universum unmittelbar zerhauen muß, weil sie nicht mehr zu lösen
sind. Vielleicht dort nur momentanes Dasein des Individuellen; — unendliche
Ansätze zur Organisation, nichts Dauerndes: — die entfaltetste Organisation,
die es gibt, — die höchste, aber die elendeste, unglücklichste. Ewiger Geburtstod.
Auf der Sonne dagegen langes Leben, höhere Kunst, — ewige goldene Zeit. -
(
rit
)
Individuum (6) GESICHTSERKENNUNG Eine Digitalkamera nimmt das Gesicht auf. Ein Computerprogramm identifiziert das Abbild anhand von markanten Punkten. Gespeichert werden etwa die Form der Augen und ihre Lage im Gesicht, Lage der Wangenknochen, die Struktur der Haut. Bei anderen Methoden wird die Gesichtsgeometrie vermessen.
IRISERKENNUNG Eine Digitalkamera nimmt die Iris auf. Ähnlich wie bei der Gesichtserkennung erfaßt ein Programm das Muster der Iris: Speichen, Flecken, Ringe, die bei jedem Menschen einzigartig sind und für gewöhnlich über das ganze Leben gleoch bleiben.
FINGERABDRUCK Der Finger wird auf einen Scanner gelegt, der ein Bild der Abdrücke macht. Ein Computerprogramm erfasst die Linien der Fingerabdrücke mit Wirbeln, Abzweigungen, unterbrochenen Linien. Diese besonderen Punkte werden miteinander verglichen.
GERUCHSERKENNUNG Der Körpergeruch eines jeden Menschen ist von Erbanlagen bestimmt und kann analysiert werden.
GANG-IDENTIFIZIERUNG Kameras erfassen die menschliche Bewegungsmotorik, Computer setzen sie in spezifische Datenmuster um.
EINGABERHYTHMUS AN TASTATUREN Der Tipp-Rhythmus eines Menschen ist so individuell, dass er zugeordnet werden kann.
- Der Spiegel 13 / 2004
Individuum (5) Ohne ein Egoist
zu sein doch am Ich als dem Höchsten hängen. Es gehört
ein ungeheures Vertrauen zum Tode - oder da wir nicht wissen was er ist, zum
Leben - dazu, zu glauben, das Fortreißen der Individualität könne eine ebenbürtige
oder gar überlegenere Form freimachen, ermöglichen.
- Oskar Loerke, Tagebücher 1903 - 1939. Frankfurt am Main 1986 (st 1242)
Individuum (6) Das Individuum existiert nur
als solches, und wenn es sich selbst aufgibt, so ist sein Leben nur noch ein
Sterben, ein unnatürliches und unnützes Hinwelken. Der Zustand einer Individualität,
die sich einer größeren auf Gnade und Ungnade gefangen gibt, könnte den herrlichsten
Stoff zu einer Novelle abgeben. Obgleich aber das Individuum nur als solches
existiert, hat es dennoch keine heiligere Pflicht, als zu versuchen, sich von
sich selbst loszureißen, denn nur dadurch gelangt es zum Selbstbewußtsein, ja
zum Selbstgefühl. - Friedrich Hebbel, Tagebuch vom 24.
Februar 1839
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