erbrecher,
großer
In seinen besten Tagen aber (ich meine natürlich, in seinen schlimmsten)
war Flambeau eine so ragende und internationale Figur wie der Kaiser. Nahezu
jeden Morgen berichtete die Zeitung, daß er sich den Folgen des einen außerordentlichen
Verbrechens entzogen hatte, indem er ein anderes beging. Er war ein Gascogner
von riesiger Gestalt und größtem Wagemut; und die wildesten Geschichten erzählte
man sich über die Ausbrüche seines athletischen Humors; wie er den juge d'instruction
umdrehte und auf den Kopf stellte, »um ihm den Geist zu klären«; wie er die
rue de Rivoli hinabstürmte mit je einem Polizisten
unter jedem Arm. Man muß ihm freilich zugestehen, daß er seine phantastische
Körperkraft im allgemeinen bei solch unblutigen, wenngleich würdelosen Auftritten
einsetzte; seine wirklichen Verbrechen waren hauptsächlich solche der genialen
und großangelegten Räuberei. Doch jeder seiner Diebstähle war fast eine neue
Sünde und würde eine eigene Geschichte abgeben. Er war es, der die große Tiroler
Molkerei-Gesellschaft in London betrieb: ohne Molkerei, ohne Kühe, ohne Milchwagen,
ohne Milch, aber mit einigen tausend Kunden. Er bediente sie auf die einfachste
Weise dergestalt, daß er die kleinen Milchkannen vor anderer Leute Türen wegnahm
und vor die seiner Kunden stellte. Er war es, der mit einer jungen Dame eine
unerklärliche und enge Korrespondenz unterhielt, obwohl deren Posteingang überwacht
wurde, indem er sich des außerordentlichen Tricks bediente, seine Botschaften
unendlich klein auf die Plättchen eines Mikroskops zu photographieren. Viele
seiner Unternehmungen waren jedoch von umwerfender Einfachheit. So wird erzählt,
daß er einmal mitten in der Nacht alle Hausnummern einer Straße ummalte, nur
um einen bestimmten Reisenden in eine Falle zu führen. Sicher aber ist, daß
er einen tragbaren Briefkasten erfand, den er in ruhigen Vorstädten aufstellte
für den Fall, daß Ortsfremde Geldanweisungen hineinwürfen. Schließlich war er
auch als erstaunlicher Akrobat bekannt; trotz seiner
mächtigen Gestalt konnte er springen wie ein Heuschreck
und in Baumkronen verschwinden wie ein Affe.
- G.K. Chesterton, Das Blaue Kreuz. In: Ders., Father Browns Einfalt. Zürich 1991 (zuerst 1911)