erbrecherkörper
Brock fühlte sich nicht wie ein Ganeff und, was noch wichtiger war,
sah auch nicht wie einer aus. Wenn er sich, das schnurrende kleine Leben schwer
in seiner Hand, rasierte, war das, was er im Spiegel sah, der phrenologische
Beweis für eine Karriere, die so vertrauenerweckend gradlinig war, daß er seine
Ideen, seine Überzeugungen jedem, ganz gleich aufweicher Ebene, verkaufen konnte.
Und dasselbe galt für seine Figur: Vond war in jenen Jahren eine Art Naherholungs-Don-Juan,
für den zwischen Sex und Sport eine natürliche Verbindung bestand. Im Lauf der
Zeit war er dazu übergegangen, die lombrosische Analyse von Gesichtern auf Körper
auszuweiten, und hatte entdeckt, daß es so etwas wie Verbrecherkörper gab. Im
Rahmen seiner Tätigkeit begegnete er ihnen oft, und er achtete, wenn auch weniger
bewußt, auf Anzeichen von gesetzesbrecherischen Neigungen bei Frauen, die er
kennenlernte und sogar begehrte: das schuldbewußte Hängenlassen des Kopfes,
den animalischen Schwung einer Pobacke, den verstohlen zu weit durchgedrückten
Rücken. Einige dieser Frauen erwiesen sich als «Bettkanonen», wie Vond sie dann
später nannte - in erster Linie, um seinen Ruf zu wahren, denn obwohl er Sex
genoß und wie besessen davon war, hatte er insgeheim - man stelle sich vor -
auch eine Heidenangst davor. In Alpträumen mußte er mit Frauen schlafen, die
sich ihm nie auf dem Boden näherten und stets von oben, in spitzem Winkel, auf
ihn herabstießen, als kämen sie von irgendwo über der Erde, und er empfand dabei
nichts Erotisches, sondern nur jedesmal eine schreckliche Traurigkeit, eine
Verletzung... als würde ihm etwas genommen. Auf eine Art, die er nicht in sein
Bewußtsein einlassen durfte, begriff er, daß jedes Kind, das er so zeugte, daß
jede Geburt nur ein weiterer Tod für ihn sein würde. -
Thomas Pynchon, Vineland. Reinbek bei Hamburg 2015
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