sel   »Vom dreibeinigen Esel sagt man, er befinde sich in der Mitte des Ozeans, und drei sei die Zahl seiner Hufe und sechs die seiner Augen und neun die seiner Münder und zwei die seiner Ohren und eins die seines Horns. Sein Fell ist weiß, seine Nahrung ist der Geist, und er, in seiner Ganzheit, ist gerecht. Und zwei seiner sechs Augen befinden sich am Platz der Augen, und zwei oben auf dem Kopf, und zwei im Genick; mit der durchdringenden Kraft seiner sechs Augen siegt und zerstört er.

Von seinen neun Mündern sind drei im Kopf, drei im Genick und drei an der Innenseite der Flanken . . . Jeder Huf, auf den Boden gestellt, nimmt den Platz einer Herde von tausend Schafen ein, und unter dem Sporn können bis zu tausend Reiter manövrieren. Was seine Ohren betrifft, so können sie Mazanderan umfassen. Das Horn ist wie aus Gold und hohl, und tausend Sprossen sind an ihm gewachsen. Mit diesem Horn wird er alle Verderbtheit der Ruchlosen bezwingen und beseitigen.«

Vom Bernstein weiß man, daß er der Kot des dreibeinigen Esels ist. - Bundadish, nach J. L. Borges, in (bo)

Esel (2) Von Eseln zu träumen beschwört arge Plagen herauf. - (byz)

Esel (3)  Wie viele andere Tiere (Schlange, Fisch, Adler, Stier usw.) ist nach A. J. Storfer (Marias jungfräuliche Mutterschaft, Berlin, 1914) auch der E. ein phallisches Tier, aber eines, das wie der Ziegenbock oder der Affe die verpönte hetärische (mutterrechtliche) Sexualität (im Gegensatze zu den phallisch-vaterrechtlichen Adler, Stier usw.) symbolisiert.

Die männlichen Symboltiere der hetärischen Sexualität kennzeichnen sich dadurch, daß sie als verpönt (Schlange im Sündenfall) oder als lächerlich (ob ihrer Geilheit: Bock, Esel) gelten. Eselsgeschrei verkündet (verursacht) Regen (Fruchtbarkeit); auch hat der E. wie der Fisch (s. d.) in Märchen und Mythus häufig Beziehung zur Fruchtbarkeitssymbolik des Goldes (es sei an das Märchen erinnert: »Tischlein deck dich, Esel streck dich und Knüppel aus dem Sack«). Der E. spielt als hetärisch-phallisches Symboltier auch häufig in Strafzeremonien eine Rolle. Nach Plutarch führten z. B. die Cumäer das ehebrecherische Weib auf einem Esel durch die Stadt. In Frankreich mußten Ehebrecherinnen (oder Dirnen, die sich etwas zu schulden hatten kommen lassen) auf einem Esel nackt durch die Stadt reiten, und zwar mit dem Gesicht gegen das Hinterteil des Tieres gewendet (Dul.). In Darmstadt und den umliegenden Ortschaften mußte eine Frau, die ihren Mann geschlagen hatte, rückwärts auf einem Esel reitend und dessen Schwanz haltend, durch den ganzen Ort ziehen (J. Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer, 2. Ausg., Göttingen, 1854). Der Esel wurde von den Herren von Falkenstein gehalten und, wenn sich ein Fall ereignete, mit einem Boten nach Darmstadt und in die übrigen Orte gebracht. Hatte eine Frau den Mann hinterlistig geschlagen, ohne daß er sich wehren konnte, so führte der Frankensteiner Bote den Esel. War er hingegen in offener Fehde von ihr besiegt worden, mußte er den Esel selbst leiten.

Neben diesen symbolischen Eselsritten wären noch die sog. »Eselsfeste« zu erwähnen, deren Spuren sich schon im 9. Jahrhundert in Frankreich finden, und die viele Jahrhunderte überdauerten, ehe sie von der Bildfläche verschwanden. Zum Gedächtnis an die Flucht der Gottesmutter nach Aegypten wurden sie ursprünglich eingesetzt und hatten anfänglich ernsten Charakter. Allmählich aber arteten diese Eselsfeste, bei denen das schönste junge Mädchen der Stadt die Stelle Marias vertrat und mit einem Knäblein im Arme auf einem Esel reitend in feierlichem Zuge durch die Stadt in die Hauptkirche geführt wurde, zu parodistischen »Eselsmessen« aus, bei denen wie bei Narrenfesten in Masken und komischen Aufzügen in der Kirche eine parodistische Messe gehalten, gespielt und getanzt und erotische Lieder gesungen wurden (K. F. Flögel, Geschichte des Grotesk-Komischen. Neuausgabe 1914, Bd. II, wo auch der Text der Eselsmesse mitgeteilt ist).

Auch in der Sprache kommt die sexualsymbolische Bedeutung des E. zum Ausdruck. »Der Issel (Esel) het en im Galopp verloren« oder »de Issel het en ut de Wenne schlon« (aus der Wand geschlagen) bedeutet in Westfalen: »er ist unehelich geboren« (Anthropophyteia VII). Und in den Chorliedern, den Männerweiheliedern der Suaheli wird punda (= Esel) für Penis gebraucht (Storfer, a. a. O.). - (erot)

Esel (4)  Buridans Esel. Die drei Schwägerinnen des franz. Königs Philipp des Schönen, und zwar Margarete von Navarra, Blanche de la Marche und Johanna von Poitou, die ein ausschweifendes Leben führten, pflegten nach den zeitgenössischen Berichten, während ihre Gatten auf der Jagd weilten, in der Liebesfalle im Tour de Nesle, die an den Fenstern vorübergehenden jungen Männer, die ihnen gefielen, zu sich zu rufen. Sie schenkten den Jünglingen eine Liebesstunde, um sie dann aus den Fenstern in die vorüberfließende Seine werfen zu lassen.

 Nur ein einziger, ein Student namens Buridan, der sich wie der Esel mit den Heubündeln, nicht entschließen konnte, der einen der Fürstinnen vor den anderen den Vorzug zu geben, soll dem Tode entgangen sein. Seit damals hat sich der Ausdruck »Buridans Esel« eingebürgert, für einen, der sich nicht entscheiden kann.  - (erot)

Esel (5)   Die alten Esel verbergen die neugeborenen männlichen Eselfüllen und beißen ihnen ihr Geschlechtsteil ab, das sagt Solinus. Die Mütter wissen das wohl und gebären an versteckten Plätzen und verstecken das Neugeborene. Die Waldeselinnen schämen sich des Geschlechtsverkehrs, obwohl sie begierig danach sind; deshalb hassen sie die Esel. So geschieht es auch bei den Menschen, daß die Männer ihre Frauen hassen, wenn sie ihnen nicht in diesen Dingen gehorsam sind. Der Waldesel scheidet seinen Kot auf dem natürlichen Weg aus, wenn ihn die Jagdhunde jagen, denn die Hunde riechen den Kot gerne und bleiben dabei stehen, bis der Waldesel entkommen ist. Wenn er brünstig wird und kein Weibchen hat, so steigt er auf die hohen Berge und atmet die Luft ein und schreit so laut, daß andere Tiere darüber erschrecken.  - (meg)

Esel (6)   Nach dem Weltende, wenn alles tot ist, erheben sich die Gebeine aller, und es treten Mensch und Tier noch einmal zum Streitgespräch an. Der Esel wird zum Advokaten gewählt, weil sich die Tiere sagen: Gewinnt der Dümmste, haben alle andern hinauf bis zum Intelligentesten mitgesiegt. Mit Bravour stellt der Esel in seinem Plädoyer die Verdienste der Tiere den Lastern der Menschen gegenüber. Die versammelten Tiere brechen in einen Freudentaumel aus, unter Beglückwünschungen und Schulterklopfen wird der Esel zu Tode getrampelt. - (loe2)

Esel (7)  

Charles LeBrun

Esel (8)  Ein Wäscher hatte einen Esel, welcher imstande war, ganz außerordentliche Lasten zu tragen. Um ihn zu ernähren, bedeckte ihn der Wäscher mit einem Tigerfell und führte ihn dann, wenn es Nacht wurde, in anderer Leute Getreide; und der Esel ließ sich anderer Leute Getreide nach Herzenslust schmecken, denn kein Mensch wagte es, zu ihm zu gehen und ihn zu verjagen, weil jeder ihn für einen Tiger hielt. Einst aber lauerte ihm ein Feldwächter auf. Er hatte einen staubgrauen Mantel über seinen Körper geworfen und hielt seinen Bogen bereit, um das Raubtier zu töten. Als der Esel ihn von weitem sah, regte sich in ihm die Liebe, und er hielt den Mann für eine Eselin. Darum schrie er auf und lief auf ihn zu. Der Feldwächter aber erkannte den Esel als solchen an seiner Stimme und tötete ihn. - Indische Fabel, nach (cane)

Esel (9)   Ihm ist alles gleich. Allmorgendlich fahrt er mit den klappernden Trippel schritten eines Beamten den Gemeindeboten Jacquot umher, der auf den Dörfern verteilt, was er in der Stadt besorgt hat: Kolonialwaren, Brot, Fleisch vom Metzger, einige Zeitungen, einen Brief.
Ist diese Rundfahrt beendet, arbeiten Jacquot und der Esel auf eigene Rechnung. Der Wagen dient jetzt als Karren. Sie fahren zusammen in die Reben, in den Wald, auf die Kartoffeläcker. Bald bringen sie Gemüse, bald grüne Besenreiser nach Hause, oder auch andere Dinge, wie es kommt.
Jacquot ruft unaufhörlich »Hüh! Hüh!«, ohne Grund, als ob er schnarchte. Manchmal, weil er eine Distel wittert oder weil ihm etwas durch den Kopf geht, bleibt der Esel stehen. Dann legt Jacquot einen Arm um seinen Hals und schiebt. Sträubt der Esel sich, beißt Jacquot ihn ins Ohr.
Sie essen im Straßengraben, der Herr eine Brotkruste und Zwiebeln, das Tier, was es mag.
Erst bei Dunkelheit kehren sie heim. Ihre Schatten wandern langsam von einem Baum zum andern.
Plötzlich wird der See des Schweigens, in dem die Welt schon ruht und schlummert, wild aufgewühlt.
Welche Hausfrau zieht denn um diese Stunde noch an einer rostigen, kreischenden Winde die vollen Wassereimer aus ihrem Brunnen?
Nein, das ist der Esel, der heimkehrt und aus vollem Halse schreit, bis ihm die Stimme versagt: daß er sich um gar nichts, um gaar nichts schert!   - Ted Hughes, nach (arc)

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