harakter  Um die von der heutigen Welt geforderte Triebbeschränkung durchzuführen und der sich daraus ergebenden  Energiestauung Herr zu werden, muß [das Ich] sich selbst verändern;   wir drücken uns dabei zwar finalistisch aus, meinen aber einen durchaus kausalen Vorgang.

Das Ich, der exponierte Teil der Person, verhärtet sich, wie wir sagen, wenn es dauernd gleichen oder ähnlichen Konflikten zwischen Bedürfnis und angstbedingender Außenwelt ausgesetzt ist; es erwirbt dabei eine chronische, automatisch funktionierende Reaktionsweise, eben seinen »Charakter«. Es ist, als ob die affektive Persönlichkeit sich abpanzerte, als ob an ihrer herangebildeten harten Schale sich sowohl die Stöße der Außenwelt als auch die Anforderungen der inneren Bedürfnisse abflachen und abschwächen würden. Diese Panzerung macht unempfindlicher gegen Unlust, schränkt aber auch die libidinöse und aggressive Beweglichkeit der Person ein und vermindert derart die Leistungs- und Lustfähigkeit. Wir sagen, das Ich sei unbeweglicher, starrer geworden, und von dem Grade der Abpanzerung hänge dann auch die Fähigkeit, den Energiehaushalt zu ordnen, ab.  - Aus: »CHARAKTERANALYSE« VON WILHELM REICH, 1897-1957, nach  (macht)

Charakter (2) Der vorzüglichste Charakter hat keine Illusionen mehr. Hat er Geist, so ist seine Gesellschaft sehr angenehm. Niemals ist er pedantisch, denn er nimmt nichts allzu wichtig. Er ist nachsichtig, denn er weiß, daß er an Illusionen ebenso gelitten hat wie die, die noch von ihnen erfüllt sind. Seine Unbekümmertheit macht ihn sicher im Umgang, er erlaubt sich keine Wiederholungen im Gespräch, keine üble Nachrede, keine Intrige. Nimmt man sich so etwas gegen ihn heraus, so geht er verächtlich darüber hinweg. Er ist heiterer als irgendwer und stets zum Epigramm gegen den Nächsten aufgelegt. Sein Weg ist gerade, und er lacht über das Straucheln der andern. Damit gleicht er einem, der aus dem Hellen in ein finsteres Zimmer blickt und dort die lächerlichen Bewegungen derer sieht, die blind herumtaumeln, Sein Lachen zerbricht das falsche Maß, mit dem man Menschen und Dinge mißt. - (Chamfort)

Charakter (3) Jeder Mensch bildet sich eigene Begriffe, nach diesen lacht er auch, und so kann man solche, wie seinen Charakter, kennenlernen aus seinem Lachen.

Ganz entscheidend, dünkt mich, erkennt man auch freche Gesinnungen eines Weibes aus ihrem Lachen. Der Schöpfer schreibt eine leserliche Hand. - (kjw)

Charakter (4) Ich stieg beim Ziehbrunnen aus dem Wagen, von dort waren es nur noch hundert Schritte bis zum Fabriktor. Die Fabrik war von Bergen umgeben, auf den Bergen Wein, Wälder, Rodungen; durch die Rodungen zogen sich Hochspannungsleitungen.

Auf dem Land werden auch die Fabriken von Hunden bewacht, wie die Kartoffelfelder. Als er mich sah, wurde der Hund sofort wütend. Er stürzte heulend, zähnefletschend, mit Schaum vor dem Maul aus der Portierskabine. Auf halbem Wege blieb er stehen und nahm mit zur Seite geneigtem Kopf die Stelle in Augenschein, wo er mich dann beißen würde.

Ich bin schon einmal von einem Pudel gebissen worden, noch dazu vom reinrassigen Pudel meines Freundes. Ich blieb stehen und wog ab, wie wohl so ein fremder Pudel beißen würde, so ein Bastard, so eine Promenadenmischung, die nur zum kleineren Teil aus Pudel besteht; der größere Teil sind Blutdurst, Beleidigtsein, Hinterlist und Verfolgungslust. Ich sah den Pudel und trat den Rückzug an. Ich setzte mich wieder ins Auto. Als ich ausstieg, kam der Pudel. Er kam schwanzwedelnd, mit wackligen Knien. Er blickte mich schwärmerisch an. Er sah, daß ich ein Auto hatte: er streckte den Kopf hoch, damit ich ihn kraulte. Ich kraulte ihn am Ohr.

»Korrupter Wurm«, dachte ich.
»Korrupter Wurm«, dachte der Pudel. - (min)

Charakter (5) In der Apokalypse, einem der kanonischen Bücher des Neuen Testaments, spricht Johannes der Theologe von einem himmlischen Jerusalem, Swedenborg dehnt diese Idee auf andere große Städte aus. So schreibt er in Vera christiana religio (1771), daß es zwei jenseitige Londons gibt. Beim Sterben verlieren die Menschen nicht ihren Charakter. Die Engländer bewahren ihren eigentümlichen Intellekt und ihre Achtung vor der Autorität; die Holländer befleißigen sich weiter des Handels; die Deutschen schleppen Bücher mit sich, und wenn man sie etwas fragt, konsultieren sie den entsprechenden Band, bevor sie antworten. Die Moslems stellen den seltsamsten Fall von allen dar. Da in ihren Seelen die Begriffe Mohammed und Religion unauflöslich verbunden sind, stattet Gott sie mit einem Engel aus, der Mohammed zu sein vorgibt und sie den Glauben lehrt. Dieser Engel ist nicht immer derselbe. Der echte Mohammed erschien einmal vor der Gemeinschaft der Gläubigen und konnte die Wörter sagen: »Ich bin euer Mohammed.« Sofort wurde er schwarz und versank wieder in den Höllen. - (bo2)

Charakter (6) Tiberius' Charakter ist ein Schlachtfeld für Akademiker. War er  der schüchterne, genügsame, gelehrte Asket, der den Pöbel haßte und die Künste liebte und der seine griechischen Philosophenfreunde mit der Frage, welche Lieder die Sirenen sangen, verunsicherte, der glaubte, dem Regieren nur gewachsen zu sein, wenn er sich in seine luftigen Villen zurückzog, um mit seinen Gedanken und seinen Büchern allein zu sein? Oder war er - wie Suetonius ihn beschrieb - der widerliche alte Päderast, dessen linke Hand so stark war, »daß er mit einem Finger einen unverdorbenen, frisch gepflückten Apfel oder den Schädel eines Knaben oder eines jungen Mannes durchbohren konnte«?

Holte er sexuelle Athleten aus dem ganzen Reich zu sich? Schwamm er mit verderbten Kindern in den Grotten? Spielte er mit seinen Opfern seine Spielchen, bevor er sie vom Salto di Tiberio tausend Fuß tief ins Meer hinunterstoßen ließ? - Bruce Chatwin, Der Traum des Ruhelosen. Frankfurt am Main 1998 (Fischer-Tb. 13729, zuerst 1996)

Charakter (7)

Sei sanft und höhnisch!

Charakter-Cyklus

Charakter ist nur Eigensinn;
Ich bin mit mir zufrieden.
Ich geh nach allen Seiten hin;
Wir sind ja so verschieden.

 Geht mir mit der Quälerei!
Sie macht wirklich kein Vergnügen;
Mir kann nur die Wurschtigkeit
Toll und voll und ganz genügen.

 Was wie ein Schienenpaar zerfahren ist,
Das ist noch härter als der Antichrist.

 Ich möcht am liebsten meine Tinte
Dem Menschenvolk ins Blutgeäder spritzen.
Ich will mich bloß nicht so erhitzen.

Glaube mir:
Ich streichle dir
Die zarten vollen Wangen.
Glaube mir:

Ich hab nach dir
Wahrhaftig kein Verlangen.
Ich will dir immer gut sein!
Bleibe mir nur ewig fern
Wie der stille Abendstern.

Ich hab die ganze Nacht gelacht - Natürlich - nur im Traume! Jetzt bin ich endlich aufgewacht -

Natürlich - noch im Raume!
Ich kann nun nicht mehr lachen! Was soll ich also machen? Weiterwachen?

Sei klein - dann ist die Welt so groß!
Sei schwach - dann ist die Welt so stark!
Sei dumm - dann ist die Welt so klug!
Sei stumm - dann ist die Welt so laut!
Sei arm - dann ist die Welt so reich!

Reimerei und Schweinerei!
Mir ist alles einerlei!
Alte Katzen sind nicht blöde.
Aber jene Untermenschen,
Die ich täglich braten möchte,
Machen mir die Welt so öde.

Mir ist alles einerlei!

Mensch, sei frei!

Ach, nur im Dunkeln
Funkeln die Sterne.

Freche Fratze,
Deine Glatze
Ist nicht alt,
Auch nicht jung,
Bloß voll Dung,
Hast du bald
Dung genung? 

Die Eitelheit, die Eitelkeit -
Die steckt ja wohl im Narrenkleid.
Doch bei den steifen ernsten Leuten -
Da steckt sie unter allen Häuten. 

Der Nebel meiner Lebensqual
Ist dunkel, trüb und fett.

Ich liege still zu Bett.
Fahrig, lax, frivol und wischig
Ist die große Alterskunst -
Gräßlich ist der ganze Dunst.
Doch die stillen Flaggenstöcke -

Freunde, die laßt stehen,
Wenn auch die Spektakelfeste
Lichterloh vergehen. 

Die Flaggenstöcke gingen tief
In unsre alte Erde 'rein.
Wir aber gingen immer schief -
Im Sonnen- wie im Mondenschein. 

Alte böse Menschen schimpfen
Über meine Lustigkeit.
Und das ist doch weiter nichts als
Alter, dunkelgelber Neid.

Du kindische Kröte,
Dich quetsch ich zu Brei.
Ich mag doch nicht hören
Die Mopslitanei,
Die sich lustig macht
Über den, der lacht.

Ich schmiß einen Menschen zum Fenster hinaus -
Natürlich - nur im Traume!
Ich fragte höflich die Mama:
Wozu ist das Männchen da? 

Was denkt sich denn der junge Fant?
Ich liebte nie mein Vaterland.
Das tun ja schon so viel Soldaten!
So selbstgefällig bin ich nicht!

Lieber süßer Kannibale,
Liebst du meine Tante Male?
Friß sie auf - sie ist gesund -
Ihre Welt wird ihr zu bunt.

Klarheit wollt ihr?
Dicke Klarheit?
Seid ihr echte Untermenschen?
Wollt ihr nicht den kummervollen
Rausch der Ewigkeit umhalsen?
Wollt ihr nicht den götterhaften
Allempfindungsdünkel kosten?
Aber nein: ihr seid gescheidter;
Eure Sehnsucht will ins Bettchen,
Denn der liebe Sandmann kam.

Ich weiß, was ich begehrte;
Nie klar wird das Verklärte.

Mit den Ketten will ich rasseln,
Daß das Trommelfell euch platze!
Es erblüh in euern Dasseln
Alles Glück in einem Satze. 

Ach, nur im Dunkeln
Funkeln die Sterne.
Breite Nachtkapuzen,
Ich will euch nur uzen!
Keiner sticht euch tot!
Alles ist im Lot!

Überwinden, überwinden
Wollen wir die letzten Trümpfe.
Und wenn wir das Letzte finden,
Machen wir uns auf die Strümpfe. 

Charakter ist nur Eigensinn.
Es lebe die Zigeunerin!

Schluß!!

- Paul Scheerbart, Katerpoesie

Charakter (8)  Herr de Brossard ist ein Verschwender, der behauptet, aus höchstem Adel abzustammen, ich glaube, ein Nachkomme Ludwigs des Dicken, ein Großtuer und Ränkeschmied, der in den Mitteln, seine immer zerrütteten Finanzen wieder zu sanieren, wenig wählerisch ist. Alles in allem: der Charakter eines armen Edelmanns, und das ist ein häßlicher Charakter, der gewöhnlich im Verein mit vielen Schicksalsschlägen auftritt. (Ich nenne Charakter eines Mannes seine Art, mit der er gewöhnlich auf die Jagd nach dem Glück geht. In klareren, aber weniger bezeichnenden Worten: die Gesamtheit seiner geistig-seelischen Gewohnheiten.) - (brul)

Charakter (9)   Von einem Menschen schlechthin sagen zu können: »er hat einen Charakter«, heißt sehr viel von ihm nicht allein gesagt, sondern auch gerühmt; denn das ist eine Seltenheit, die Hochachtung gegen ihn und Bewunderung erregt.

Wenn man unter dieser Benennung überhaupt das versteht, wessen man sich zu ihm sicher zu versehen hat, es mag Gutes oder Schlimmes sein, so pflegt man dazu zu setzen: er hat diesen oder jenen Charakter, und dann bezeichnet der Ausdruck die Sinnesart. - Einen Charakter aber schlechthin zu haben, bedeutet diejenige Eigenschaft des Willens, nach welcher das Subjekt sich selbst an bestimmte praktische Prinzipien bindet, die er sich durch seine eigene Vernunft unabänderlich vorgeschrieben hat. Ob nun zwar diese Grundsätze auch bisweilen falsch und fehlerhaft sein dürften, so hat doch das Formelle des Wol-lens überhaupt, nach festen Grundsätzen zu handeln (nicht wie in einem Mückenschwarm bald hiehin bald dahin abzuspringen), etwas Schätzbares und Bewundernswürdiges1 in sich; wie es denn auch etwas Seltenes ist.

 Es kommt hiebei nicht auf das an, was die Natur aus dem Menschen, sondern was dieser aus sich selbst macht; denn das erstere gehört zum Temperament (wobei das Subjekt großenteils passiv ist) und nur das letztere gibt zu erkennen, daß er einen Charakter habe.  - Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (zuerst 1798/1800)

Charakter (10)  

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