uch Das Buch kann ein Weinberg sein gegossen mit Regen oder ein Weinberg gegossen mit Wein. Dieses ist von jenen letzteren, wie alle Wörterbücher. Das Wörterbuch ist ein Buch, das jeden Tag ein wenig, auf Jahre hinaus jedoch viel Zeit beansprucht.
Man sollte einen solchen Verlust nicht unterschätzen. Besonders wenn man berücksichtigt, daß das Lesen, allgemein betrachtet, eine zweifelhafte Angelegenheit ist. Während des Gebrauchs kann man das Buch bei der Lektüre heilen oder töten. Man kann es ändern, fett werden lassen oder ihm Gewalt antun. Sein Lauf kann in andere Bahnen geraten, ständig kommt aus ihm etwas abhanden, zwischen den Zeilen fallen Buchstaben heraus, Seiten zwischen den Fingern, und neue sprießen fortwährend zwischen euren Augen wie Kohlköpfe. Legt ihr es heute beiseite, kann es sein, daß ihr es morgen findet wie einen erloschenen Herd, auf dem euch nicht länger ein warmes Abendessen erwartet.
Noch dazu steht dem Menschen heutzutage nicht so viel Einsamkeit
zur Verfügung, als daß er ohne Schaden Bücher zu lesen vermöchte, nicht
einmal Wörterbücher. Aber auch damit hat's ein Ende — das Buch gleicht
einer Waage: erst schlägt sie nach rechts aus, bis sie sich nach links
neigt, für immer. Sein Gewicht geht so von der rechten in die linke Hand
über, und auch im Kopf hat sich etwas Ähnliches ereignet — aus dem Bereich
der Hoffnung haben sich die Gedanken in den Bereich der Erinnerungen verlagert,
und alles ist vorbei. Im Ohr des Lesers bleibt vielleicht ein wenig Spucke
aus dem Munde des Schriftstellers, herbeigetragen vom Wind
der Wörter mit einem Körnchen Sand am Grunde.
Um dieses Körnchen herum werden sich aufJahre hinaus, wie in einer Muschel,
Stimmen ablagern und sich eines Tages in eine Perle verwandeln, in den
Käse der schwarzen Ziege oder in eine Leere, wenn
sich die Ohren gleich einer Muschel schließen. Das jedoch hängt am wenigsten
vom Sand ab. - (
pav
)
Buch (2) Die Griechen sahen in dem Phöniker Kadmos den Bringer der Schrift. In der Tat haben sie die Schrift und die Namen der Buchstaben aus dem alten Orient übernommen. Alpha, beta, gamma, delta sind semitische Worte (vgl. hebräisch aleph, beth, gimel, daleth). Im alten Hellas fehlt aber fast jede Vorstellung von der Heiligkeit des Buches, ebenso wie ein bevorrechteter schreibender Priesterstand fehlt. Die bildliche Verwendung des Schrift- und Buchwesens liegt daher der griechischen Dichtung von Haus aus fern. Weder Homer noch Hesiod kennen sie. Erst Pindar und die Tragiker fassen das Gedächtnis als eine Schrift auf.
Echt griechisch ist die Geringschätzung des Schreibens und der Bücher
am Schluß von Platons Phaidros (274c—
276a). Sokrates erzählt, der ägyptische
Gott Teuth (d. i. Thot), der Erfinder der Schrift, habe dem König
Thamus seine Erfindung empfohlen: sie werde die Ägypter weiser und erinnerungsfähiger
machen. Der König aber habe ihn abgewiesen: «Denn Vergessenheit wird dieses
in den Seelen derer, die es kennenlernen, herbeiführen durch Vernachlässigung
des Erinnerns ... Von der Weisheit aber bietest
du den Schülern nur Schein, nicht Wahrheit dar.»
Schriftliche Aufzeichnungen sind nach Sokrates nie mehr als eine
Gedächtnishilfe für den, der schon weiß, wovon das Geschriebene handelt.
Nie können sie Weisheit vermitteln. Das kann nur die mündliche Rede, «die
mit Wissenschaft in die Seele des Lernenden geschrieben wird». - Ernst Robert
Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern und München
1948
Buch (3) Ich weiß nicht, was ein Buch ist: aber ich glaube, weise handelten jene keilförmigen Zeichen, die mit ihrer nageligen Schrift Bücher in dicke, dann gut gebrannte Ziegelsteine aus Tonerde eindrückten: jede Seite dreihundert von unseren heutigen. Durch die Buchdruckerei entstand der Schwindel, daß eine Seite nichts anderes ist als eine dünne, vorne und hinten bedruckte Schicht. Nach meiner Meinung beginnt die Seite bei jener schmalen Oberfläche in Schwarz und Weiß, aber dann wird sie länger, breiter und tiefer, taucht aus sich hervor, bekommt Beulen und schwappt über ihre Ränder hinaus. Mit anderen Worten, wenn etwas abschweift, dann diese dünne Seite selbst. Der Leser und vor allem der aufmerksame Wiederleser weiß genau, daß eine Seite, eine Zeile, ein Wort ein voller Klang in seinem Inneren ist, ein Glockenschlag, dem er seine Nerven, seine namenlosen Abgründe, seine verborgensten, finstersten Schlupfwinkel aussetzt. Gewaltsam hebt ein Wort die aquamarinfarbene Stille der Tiefen aus den Angeln und weckt darin Fischschwärme, Haifische, Schiffsgerippe, Korallen, Phosphorleuchten. Zwei oder drei untereinander verwandte Wörter bilden ein Gewirr aus Mustern und Klängen, das nichts aufzulösen imstande ist. Die Verwandtschaften der Wörter setzen sich fort in den verwandten Nerven des Lesers: trotzdem sind sie im Text nachzuprüfen und aufzuspüren. Von einer Silbe zur anderen bewegt sich, ein Pilger am Ende seiner Kräfte, der Leser; einzig er hält sie zusammen, die versprengte Familie der Wörter, die ihn verstören, in ihn eindringen, sich in ihm breitmachen und ihn verwandeln. Was aber ist eigentlich dieser »Zusammenstand« der Wörter? Wie geschieht es, daß der weiße Zwischenraum, der zwei Wörter voneinander trennt, sich überbrücken läßt, und daß sogar von Zeile zu Zeile, von Seite zu Seite ein Wort das andere ruft? Unendliche Muster zeichnet die beschriebene Seite in das Gefäß der Worte, den Leser. Nicht allein Muster, denn das Buch ist eine geographische Karte, der Plan eines Gehöftes, eines Palastes, eines Schlosses, die Landkarte einer Gegend, eines Vaterlands. Auf dieser Karte befinden sich weder unnütze Orte noch sinnlose Zeichen, und die leeren Klüfte sind nicht weniger wesentlich als die bebauten Stätten.
Der Ziegelstein im Inneren eines Buches, einer Seite begreift in sich
zahllose Seiten, unendlich viele Bücher. Ich kann eine Seite durchblättern
und ich kann ein Wort durchblättern, ebenso kann ich ein und denselben
Absatzanfang zahllose Male wieder von vorne beginnen, eine weiße Stelle
läßt sich lesen, ein Klang verschweigen, aus jedem Buchstaben ein Anfangsbuchstabe
machen. Dabei herrscht niemals Willkür, sondern Strenge, Gehorsam, Devotion.
Das Buch weitet sich aus, ist tendenziell unendlich. Trotzdem ist es nie
unecht. Ein großes Buch zeugt unendlich viele Bücher, und diese tun wiederum
desgleichen: und nie wird es ein letztes Buch geben. Von den lesbaren Worten
wird in dieser Art Kommentar nie die Rede sein, sondern von all denen,
die in diesen verborgen sind; denn jedes Wort wurde einmal geschrieben,
um zahllose andere Wörter zu verbergen. Er wird also die geheimen Wörter
suchen — und strenggenommen sind alle Wörter eines Buches geheim -, nicht
um sie öffentlich feilzuhalten, sondern weil dies Wörter sind, die andere
Wörter einschmuggeln, weil sie verkleidet sind, und ihre Verkleidung als
solche alle die unzähligen Bedeutungen hat, die man nur in einer Verkleidung
aufspüren kann. Ein als Mumie verkleideter Pfarrer ist weder ein Pfarrer
noch eine Mumie, aber er wird wohl etwas über diese beiden faszinierenden
Themen erzählen. Andauernd werden in einem Buch Gegenstände genannt, es
wird angedeutet, definiert, angespielt, beschrieben. Da das Buch durch
den Druck festgelegt und unbewegt ist, werden die Dimensionen dieser Gegenstände
unergründlich: keiner von allen ist größer als der andere. Bisweilen erscheint
ein Gegenstand blitzartig vor den Augen des Lesers - immer weniger blitzartig
vor den Augen des Wiederlesers -, aber er kann stundenlang innehalten bei
jedem beliebigen dieser Gegenstände, um so länger, je anonymer ein Gegenstand
ist und je mehr er sich entzieht. Ein kleiner belangloser und verschämter
Gegenstand kann hinunterstürzen in unergründliche Schlünde und dort auf
einmal einer betäubten Qualle eine Geschichte
erzählen. Es ist die Aufgabe des Lesers zu wissen, welche Worte in einem
Wort verborgen sind und welche in einem weißen Zwischenraum;
und umgekehrt. Die Unbewegtheit des Drucks legt zwischen die einzelnen
Zeichen unendliche Räume. Wie lange werden wir brauchen, um sie zu durchmessen?
- Giorgio Manganelli, Pinocchio. Ein Parallel-Buch. Frankfurt am
Main 1993 (it 1517, zuerst 1977)
Buch (4) Ein Buch liest man nicht;
man stürzt hinein; es ist in jedem Augenblick
um uns herum. Wenn wir nicht etwa im Zentrum,
sondern in einem der zahllosen Zentren des Buches sind, merken wir, daß
das Buch nicht nur grenzenlos, sondern auch einzig ist. Es gibt keine anderen
Bücher; alle anderen Bücher sind in diesem verborgen und werden in diesem
geoffenbart. In jedem Buch sind alle anderen enthalten;
injedem Wort alle Wörter; in jedem Buch alle Wörter;
in jedem Wort alle Bücher. Also steht dieses »Parallel-Buch« weder daneben
noch am Rand, noch als Fußnote, es ist »drin«, wie alle Bücher, denn es
gibt kein Buch, das nicht »parallel« wäre. - Giorgio Manganelli,
Pinocchio. Ein Parallel-Buch. Frankfurt am Main 1993 (it 1517, zuerst 1977)
Buch (5) Ein mühseliger und strapazierender
Unsinn ist es, dicke Bücher zu verfassen; auf fünfhundert Seiten einen
Gedanken auszuwalzen, dessen vollkommen ausreichende mündliche Darlegung
wenige Minuten beansprucht. Ein besseres Verfahren ist es, so zu tun, als
gäbe es diese Bücher bereits, und ein Resumé, einen Kommentar
vorzulegen. So machte es Carlyle in Sartor Resartus, so Butler
in The Fair Haven: Werke, behaftet mit der Unvollkommenheit, daß
sie eben auch Bücher sind, nicht minder tautologisch als die anderen. Aus
größerer Gewitztheit, größerer Unbegabtheit, größerer Faulheit habe ich
das Schreiben von Anmerkungen zu imaginären Büchern vorgezogen. -
(
bo3
)
Buch (6) Es heißt,
daß bei der Plünderung von Athen die Gothen alle Bibliotheken zusammengeschleppt
und diesen Leichenhügel griechischer Gelehrsamkeit in Brand gesteckt hätten,
wenn nicht einer der Häuptlinge, ein schärferer Politiker
als seine Brüder, sie davon durch die tiefe Bemerkung abhielt, daß die
Griechen, so lange sie sich dem Studium der Bücher hingäben, sich nie zum
Gebrauche der Waffen wenden würden. Der scharfsinnige Rathgeber (angenommen
die Thatsache wäre wahr) schloß wie ein unwissender Barbar.
Bei den gebildetsten und mächtigsten Nationen hat sich Genie jeder Art
ziemlich zur selben Zeit entfaltet, und das Zeitalter der Wissenschaften
ist gewöhnlich auch jenes der kriegerischen Tugenden und des Sieges gewesen.
- Edward Gibbon, Verfall und Untergang des Römischen Reiches. Nördlingen
1987 (Die Andere Bibliothek 29, zuerst 1776 bis 1788)
Buch () Ich könnte fast
sagen, daß ich dieses Buch mit meinem Herzblute geschrieben habe. Und doch
schwebt mir beständig vor, wie es viel besser sein sollte. Eigentlich sollte
man sagen: Der Teufel hole das Dichterleben,
man hat nur Kreuz und Qual dabei, und kann es nicht lassen wie geliebte
Sünden. - Adalbert Stifter
Buch (8) Wenn ihr den ganzen Hammett
und den ganzen Chandler gelesen
habt (oder gelesen haben werdet), könnt ihr mit Hammett von Joe Gores
(Super noire Nr. 57) eine Pause einlegen, der erzählt, wie Hammett, Ex-Privatdetektiv
(das ist wahr), die Arbeit wieder aufnimmt (das ist Fiktion, Jungs), während
er gleichzeitig an seine Werke denkt, so gegen 1927-1928. Joe Gores weiß
eine Menge über Hammett und hat fast alles verstanden,
was er weiß, was man nicht von jedem sagen kann. Obwohl Hammett von Joe
Gores ein Buch über Hammett ist, folgt daraus nicht, daß Chandler
- ein schöner illustrierter Thriller von Steranko, der, bis ihr dies
lest, zweifellos bereits in Frankreich erschienen sein wird - ein Buch über
Chandler ist. Dennoch enthält Chandler, das kein Buch
über Chandler ist, ein Vorwort von Joe Gores, dem Autor
von Hammett, das ein Buch über Hammett ist. Verstehe, wer wolle.
All das ist verdammt à la Borges. - Jean-Patrick Manchette, Chroniques. Essays
zum Roman noir. Heilbronn 2005 (DistelLiteraturVerlag, zuerst 1996)
Buch (9) Gewöhnliche Bücher sind
wie Meteore. Jedes von ihnen hat einen Augenblick,
einen Moment, da es schreiend auffliegt wie ein Phönix
und mit allen Seiten brennt. Dieses einen Augenblicks, dieses einen Moments
wegen lieben wir sie, obgleich sie dann schon Asche sind. Und mit bitterer Resignation
wandern wir manchmal spät über die erkalteten Seiten und lassen mit hölzernem
Klappern ihre toten Formeln wie einen Rosenkranz durch die Finger gleiten. Die
Exegeten des Buches behaupten, daß alle Bücher nach der Urschrift dürsten. Sie
leben nur ein geborgtes Leben, das im Augenblick des Hochfliegens zu seiner
alten Quelle zurückkehrt. Das heißt, die Bücher werden weniger, das Original
wächst. - Bruno Schulz, Das Buch.
In (
bs
)
Buch (10) Fürst Huan las eines Tages in seiner Halle, als der Wagner Pien, der unten arbeitete, Hammer und Dreheisen hinwarf, die Stufen hinanstieg und fragte: «Es sei mir erlaubt, zu fragen, welches die Worte sind, die Ihr, mein Fürst, erforschet.»
«Ich erforsche die Worte der Weisen», sagte der Fürst.
«Sind die Weisen lebendig?» fragte der Wagner.
«Nein», antwortete der Fürst, «sie sind tot.»
«Dann sind die Worte», sagte der Wagner, « die Ihr, mein Fürst, erforschet, nur der Abfall jener Männer.»
«Wie kannst du, ein Wagner», rief der Fürst, «ein Urteil sprechen über das Buch, das ich lese? Erkläre deine Rede, oder du sollst sterben.»
«Euer Diener», sagte der Wagner, «wird es an seinem eignen Gewerbe erklären.
Ich will ein Rad machen: arbeite ich zu sacht, kann ich es nicht fest genug
machen; arbeite ich zu hastig, werden die Speichen nicht passen. Wenn die
Bewegungen meiner Hand nicht zu sacht und nicht zu hastig sind, dann geschieht,
was mein Geist meint. Worte können nicht sagen, wie das zugeht: es steckt
eine heimliche Kunst darin. Ich kann sie meinen Sohn nicht lehren; er kann
sie von mir nicht lernen. So mache ich, wiewohl siebzigjährig, in meinen
alten Tagen noch immer Räder. Sind die Weisen tot und dahin, und mit ihnen
das, was sie nicht lehren konnten, so kann, was Ihr, mein Fürst, erforschet,
nur ihr Abfall sein.» - (tschu)
Buch (11) »Schreiben Sie an einem
Buch?« fragt mich der Bauer. Den ganzen Morgen hat er das Klappern der Schreibmaschine
gehört; jetzt bin ich heruntergekommen, um einen Kaffee mit ihnen zu trinken.
Sie sind zu zweit: der eine schweigsam, mit ironischem Blick, der andere gesprächig,
sentenziös, orakelnd. Ohne meine Antwort abzuwarten, macht mir der Gesprächige
diese Vorschrift: »Bei einem Buch kommt es nur aufs Ende
an. Das Ende muß schrecklich sein. Und es muß ein
König darin vorkommen.« - Leonardo Sciascia,
Schwarz auf schwarz. München 1991 (dtv 11328, zuerst 1979)
Buch (12)
- Ronald Searle
Buch (13) Die Bücherwelt ist in der
That nur die Carricatur der wircklichen Welt.
Beyde entspringen aus derselben Quelle - Jene aber erscheint in einem freyern,
beweglicheren Medio - daher sind dort alle Farben greller - weniger Mitteltinten
- die Bewegungen lebhafter - die Umrisse daher frappanter - der Ausdruck hyperbolisch.
Jene erscheint nur Fragmentarisch
- diese Ganz. Daher ist Jene poetischer - geistvoller - interressanter - mahlerischer
- aber auch unwahrer - unphilosophischer - unsittlicher. Die meisten Menschen,
die meisten Gelehrten mitgerechnet haben auch nur eine Buchansicht - eine fragmentarische
Ansicht der wircklichen Weit - und dann leidet sie unter den nemlichen Gebrechen
und genießt aber auch die nemlichen Vortheile, als die Bücherwelt. Viele Bücher
sind auch nichts als Darstellungen solcher einzelnen, fragmentarischen Ansichten
der wircklichen Welt. Mehr über das Verhältniß der Buchwelt (Litterarwelt) zur
wircklichen Welt. - Novalis, Teplitzer Fragmente (1798)
Buch (14) Vor einer Erörterung dieses
Buches sollte man noch einmal festhalten, daß jeder Schriftsteller mit einer
naiven physischen Vorstellung dessen beginnt, was Kunst ist. Ein Buch ist für
ihn kein Ausdruck, auch keine Verkettung von Expressionen, sondern ganz buchstäblich
ein Volumen, ein Prisma mit sechs rechteckigen Seiten, hergestellt aus
feinen Papierbögen, und es muß enthalten ein Vorsatzblatt, ein Titelblatt, ein
Motto in Kleinkursiv, ein Vorwort in Großkursiv, neun oder zehn mit Versalien
beginnende Kapitel, ein Inhaltsverzeichnis, ein Ex-Libris mit kleiner Sanduhr
und lateinischem Wahlspruch, eine erschöpfende Errata-Liste, einige leere Blätter,
ein halbzeiliges Impressum und die Angabe der Auflage: Elemente, die bekanntlich
die Kunst des Schreibens ausmachen. Einige Stilisten (gewöhnlich die aus der
unnachahmlichen Vergangenheit) bieten außerdem ein Vorwort des Herausgebers,
ein zweifelhaftes Porträt, eine handschriftliche Signatur, einen Text mit Varianten,
einen feisten kritischen Apparat, einige vom Herausgeber eingebrachte Verweise,
ein Literaturverzeichnis und etlichen Leerraum, aber derlei ist natürlich nicht
für die Masse... Diese Verwechslung von Büttenpapier mit Stil, von Shakespeare
mit Jacob Peuser erfreut sich unbekümmerter Verbreitung und überdauert (kaum
verhüllt) bei den Rhetorikern, für deren gedankenlos akustische Seelen ein Gedicht
ein Prunkstück aus Akzenten, Reimen, Elisionen, Diphthongierungen und sonstiger
phonetischer Fauna ist. Ich schreibe diese jammervollen Charakteristiken eines
jeden ersten Buchs nieder, um die ungewöhnlichen Tugenden des Bandes hervorzuheben,
mit dem ich mich hier befasse. - Jorge Luis Borges, Ketzermessen.
In: J.L.B., Kabbala und Tango. Essays. Frankfurt am Main 1991
Buch (15) Der Einband eines Buches ist ein
goldenes Gitter, hinter dessen Stäben tausendfarbige Kakadus gefangen sind,
ferner Schiffe, deren Segel aus Briefmarken sind, und Sultansfrauen, die ganze
Paradiese auf dem Kopf tragen, um zu zeigen, daß sie sehr reich sind. In dem
Buch selber sind Heroinen gefangen, die sehr arm sind, ferner Dampfschiffe,
die sehr schwarz sind, und arme graue Spatzen. Der Verfasser ist ein Kopf, den
eine hohe weiße Mauer gefangen halt (womit ich auf seine gestärkte Hemdbrust
anspiele). - Max Jacob, Der Würfelbecher. Frankfurt am Main 1968 (zuerst
1917/23)
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