rient Goethes »West-östlichen Divan« enthält die Denk- und Gefühlsweise des Orients, in blühenden Liedern und kernigen Sprüchen; und das duftet und glüht darin, wie ein Harem voll verliebter Odalisken mit schwarzen geschminkten Gazellenaugen und sehnsüchtig weißen Armen. Es ist dem Leser dabei so schauerlich lüstern zu Mute, wie dem glücklichen Gaspard Debureau, als er in Konstantinopel oben auf der Leiter stand, und de haut en bas dasjenige sah, was der Beherrscher der Gläubigen nur de bas en haut zu sehen pflegt.
Manchmal ist dem Leser auch zu Mute, als läge er behaglich ausgestreckt auf einem persischen Teppich, und rauche aus einer langröhrigen Wasserpfeife den gelben Tabak von Turkistan, während eine schwarze Sklavin ihm mit einem bunten Pfauenwedel Kühlung zuweht, und ein schöner Knabe ihm eine Schale mit echtem Mokka-Kaffee darreicht: — den berauschendsten Lebensgenuß hat hier Goethe in Verse gebracht, und diese sind so leicht, so glücklich, so hingehaucht, so ätherisch, daß man sich wundert wie dergleichen in deutscher Sprache möglich war. Dabei gibt er auch in Prosa die allerschönsten Erklärungen über Sitten und Treiben im Morgenlande, über das patriarchalische Leben der Araber; und da ist Goethe immer ruhig lächelnd, und harmlos wie ein Kind, und weisheitvoll wie ein Greis. Diese Prosa ist so durchsichtig wie das grüne Meer, wenn heller Sommernachmittag und Windstille, und man ganz klar hinabschauen kann in die Tiefe, wo die versunkenen Städte mit ihren verschollenen Herrlichkeiten sichtbar werden; — manchmal ist aber auch jene Prosa so magisch, so ahnungsvoll, wie der Himmel wenn die Abenddämmerung heraufgezogen: und die großen Goetheschen Gedanken treten dann hervor, rein und golden, wie die Sterne.
Unbeschreiblich ist der Zauber dieses Buches: es ist ein
Selam, den der Okzident dem Oriente geschickt hat, und es sind gar närrische
Blumen darunter: sinnlich rote Rosen, Hortensien wie weiße nackte Mädchenbusen,
spaßhaftes Löwenmaul, Purpurdigitalis wie lange Mädchenfinger,
verdrehte Krokosnasen, und in der Mitte, lauschend verborgen, stille deutsche
Veilchen. Dieser Selam aber bedeutet, daß der Okzident seines frierend
mageren Spiritualismus überdrüssig geworden
und an der gesunden Körperwelt des Orients sich wieder erlaben möchte.
- Heinrich Heine, Die romantische Schule
Orient (2) Der Orient ist gross.
Und die Geister des Orients sind auch gross. Wenn's Neumond ist, versammeln
sie sich auf dem Demawand und benehmen sich da sehr laut - sehr laut. Die
Dschinnen kreischen und quieken. Die Drachen fauchen und grunzen. Die Feeen
zischen und quarren. Die Zwerge husten und prusten.
Die bösen Gespenster braaschen und plärren.
Die starken Narren prügeln sich. Und die grossen
Götter schleudern mächtige Felsblöcke in die dunklen
Thäler hinab, dass Alles kracht. Auf dem Demawand heult's, brummt's, knistert's.
Die harten Berge knarren, knacken, bersten. Die Unsichtbaren jammern jubelnd,
zerstampfen und zerscharren die Steine, sausen sich verschnaufend vorüber
- und stöhnen wie aus weiter Ferne. Alte Graubärte halten lange lange Reden.
Und dazwischen donnert's, dass das ganze Gebirge platzt. Gleich danach
klingen von unten herauf helle feine Glocken - die guten Geister flüstern
und singen dazu. Und dann schreien plötzlich Alle durcheinander. Wüster
Lärm! Wüster Lärm! - Paul Scheerbart, Der
Tod der Barmekiden. Arabischer Haremsroman. München 1992 (zuerst 1897)
Orient (3) Allein das Alter der asiatischen
Dinge, ihrer Institutionen, Geschichten, vor allem ihrer Mythologien und
so weiter ist so beeindruckend, daß für mich das ungeheure Alter der Rasse
und des Namens das Gefühl der Jugend im Einzelwesen bezwingt. Ein junger
Chinese scheint für mich die erneuerte Wiederkehr eines vorsintflutlichen
Menschen zu sein. Selbst Engländer, die ohne jede Kenntnis solcher Institutionen
aufgewachsen sind, können vor der geheimnisvollen Erhabenheit der Kasten
nur erschauern, die seit solch undenklicher Zeit nebeneinander dahinfließen
und sich zu mischen ablehnen, und jedermann muß vor der Heiligkeit des
Ganges oder vor dem bloßen Namen des Euphrat Ehrfurcht empfinden. Zu diesen
Gefühlen trägt viel bei, daß Südasien seit Jahrtausenden der Teil der Erde
ist, in dem es am stärksten von menschlichem Leben wimmelt, die große officina
gentium. In jenen Gebieten ist der Mensch ein Unkraut. Auch die großen
Reiche, in die die ungeheure Bevölkerung Asiens schon immer eingeordnet
wurde, verleihen den Gefühlen, die sich mit allen orientalischen Namen
und Bildern verbinden, weitere Erhabenheit. In China schrecken mich über
das hinaus, was es mit dem Rest Südasiens gemein hat, der Lebensstil, die
Sitten, die Schranke äußersten Abscheus zwischen mir und ihnen, die Antipathien,
die tiefer sind, als ich sie analysieren kann. Ich könnte eher mit Wahnsinnigen,
mit Ungeziefer, mit Krokodilen oder Schlangen
leben. In alles dieses und vieles mehr, als ich sagen kann, muß sich der
Leser hineinversetzen, ehe er den unvorstellbaren Schrecken erfassen kann,
den jene Träume von orientalischer Symbolik und mythologischen Martern
auf mich ausübten. In dem Gefühl von tropischer Hitze und senkrechtem Sonnenlicht
brachte ich alle Geschöpfe, Vögel, Raubtiere und Reptilien, alle Bäume
und Pflanzen, alle Gebräuche und Erscheinungen, die sich überhaupt in tropischen
Regionen finden, zusammen und versammelte sie in China oder Hindustan.
Auf Grund verwandter Gefühle stellte ich bald Ägypten und seine Götter
unter dasselbe Gesetz. Von Affen, von Sittichen und von Kakadus wurde ich
angestarrt, verhöhnt und angeschnattert. Ich lief in Pagoden und wurde
jahrhundertelang an deren Spitze gefesselt oder in geheimen Räumen versteckt;
ich war der Götze; ich war der Priester; ich
wurde verehrt; ich wurde geopfert.
Ich floh vor Brahmas Zorn durch alle Wälder Asiens; Wischnu haßte mich;
Schiwa lauerte mir auf. Plötzlich traf ich Isis
und Osiris; sie sagten, ich hätte eine Tat begangen, bei der der Ibis und
das Krokodil zittern. Ich lebte Jahrtausende und wurde dann in steinernen
Särgen begraben, zusammen mit Mumien und Sphinxen,
in engen Kammern im Herzen ewiger Pyramiden. Ich wurde von Krokodilen geküßt,
mit krebsartigen Küssen, und wurde zusammen mit
allen unaussprechlichen Mißgeburten zwischen
Schilf und Nilschlamm gelegt. - Thomas de Quincey, Bekenntnisse eines
englischen Opiumessers. Leipzig 1981 (Gustav Kiepenheuer Bücherei 32, zuerst
1822)
Orient (4) Der Orient widersetzt sich
nicht, beleidigt nicht, fordert nicht heraus; er ist da und ist unerträglich.
Aber was ist dies schreckliche und milde Dasein, diese sperrangelweit offenstehende
Tür eines Hauses, das man weder betreten noch bewohnen
kann? Dies Willkommen im Nichts, im Dschungel, in der Erde, im verderblichen
und unsterblichen Fleisch? Madras ist eine weiche Stadt,
aber gespickt mit seltsamen Zeichen. Hier ist der schöne, feine Sitz der Theosophischen
Gesellschaft, die in Indien ein dramatisches Durcheinander aus Orient und Okzident
bedeutete, in dem beide gleichermaßen verarmten und jeder auf seine Weise scheiterte.
Hier lebte die kuriose Annie Besant, die Schülerin von Madame Blavatsky,
der Großen Mutter der europäischen Esoterik: die Besant war eine knallharte
Positivistin und »wußte« augenblicklich, daß sie schon zahllose Male Inderin
gewesen war, und sie machte sich zur Inderin und brachte es zu so großem Ansehen,
daß sie zur höchsten Exponentin des damals noch unausgegorenen Indischen Kongresses
wurde; nun hat sie ihre Statue auf der Strandpromenade; ebenfalls eine Statue
hat dort ein katholischer Priester, der sich hinter einem einheimischen Namen
verbirgt. Und hierher nach Madras zog sich Vivekananda auf seiner Reise durch
Indien zum Meditieren zurück, bevor er sich nach Cape Comorin begab; hier ist
der mysteriöse heilige Thomas begraben, der Südindien zum Christentum bekehrte;
immer noch kennt man seine Höhle: die Beschreibung, die uns Bartoli davon
liefert, stimmt genau und ist sogar pedantisch. Der heilige Thomas, so hatte
Marco Polo geschrieben, ist in einer Gegend begraben, die für ihre Pfauen berühmt
ist: Das Viertel von Madras, wo seine Kirche einen Leichnam beherbergt, der
seinen Namen trägt, heißt »Haus der Pfauen«. Madras liegt nicht weit entfernt
von Mahabalipuram: ein Ort, der auf einen Abendländer einen bizarren Zauber
ausübt; denn er bekommt den Eindruck, der Geburt eines Tempels
als eines organischen, körperhaften Wesens, nicht eines Gebäudes, in allen ihren
Phasen beizuwohnen: von den Reliefs in dem Felsen bis zu den ausgehöhlten Felsen,
die einen Pronaos vortäuschen, zu Tempelchen, welche die Wagen der Götter nachahmen
und, ohne Innereien, wie heilige Gebäude in Miniaturformat aussehen, bis zu
dem einzigen Tempel, dessen Überreste in der Nähe des großen Meers verweilen.
Der ganze Landstrich treibt Tempel, Reliquien, Visionen, Bekehrungen, Wiedergeburten
hervor: aber alles ohne Raserei, ein pflanzenhaftes Sprießen und Wachsen, endlos
ruhig. - Giorgio Manganelli,
Das indische Experiment. Berlin 2004 (zuerst 1992)
Orient (5) Was ich am Orient liebe,
ist diese Größe, die nichts von sich weiß, und die Harmonie disparater Dinge.
Ich erinnere mich an einen badenden Mann, der an einem Arm ein silbernes Armband
trug und an dem andern ein Blasenpflaster. Das ist der wahre Orient und infolgedessen
der poetische: Kerle in tressenverzierten Lumpen und ganz mit Ungeziefer bedeckt.
Laßt doch das Ungeziefer, es ergibt in der Sonne
goldene Arabesken. Du sagst mir, daß Ruschiuk Hânems Wanzen
sie in Deinen Augen herabsetzen, mich entzückte das gerade. Ihr ekelerregender
Geruch vermischte sich mit dem Duft ihrer von Sandelöl überrieselten Haut. Ich
will in allem eine Bitterkeit, einen immer wiederkehrenden
scharfen Pfiff mitten in unseren Triumphen, und selbst
in der Begeisterung soll die Verzweiflung
stecken. - (
flb
)
Orient (6) Ich verbringe meine Abende in maurischen Kneipen, um die Juden singen zu hören und die Obszönitäten der Karagöz zu sehen.
Vor ein paar Tagen habe ich (auf dem Weg nach Utica) in einem Beduinenduar
übernachtet, zwischen zwei Wänden aus Kuhmist, mitten unter Hunden und Geflügel;
ich habe die ganze Nacht die Schakale heulen hören. Am Morgen war ich auf Skorpionenjagd
mit einem Gentleman, der sich dieser Art Sport hingibt. Ich habe mit Peitschenhieben
eine Schlange getötet (von ungefähr einem Meter Länge), die sich um die Beine
meines Pferdes wand. Das sind alle meine Heldentaten. -
Flaubert an Ernest Feydeaux, nach (
flb
)
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