eichheit
Es ist Nachmittag, Gewölk und Hitze; auf einem harten Trottoir, einem Trottoir
aus Stein, an der Kreuzung von zwei Straßen schläft verlassen, ihrer eigenen
inneren Weichheit anvertraut, ein Mädchen von ungewöhnlicher Schönheit; aber
nichts ist so verführerisch und so hohnsprechend wie die körperliche Gelassenheit
und Sanftheit dieses Mädchens, das sich, mit einem schmutzigen Lappen zugedeckt,
der Freundschaft des Trottoirs anvertraut. Ganz anders als die gequälte schlafende
Gorgo, die ein griechischer Bildhauer mit dem Schweißtuch der Verzweiflung schmückte
und sie in sich selbst versinken ließ wie in einen Alptraum, wohnt dieses Mädchen
in einer fernen anonymen Mythologie; schwankend zwischen Geburt und Tod, hat
sie ihren Schlaf bei sich, immer leicht aufrollbar, kauert sich in seinem Schoß
zusammen, knabbert vielleicht an ein paar rasch vorübereilenden Träumen und
liegt inzwischen reglos da; macht es sich unter ihrem Körper nicht die Härte
der Straße bequem, welche Art des Zusammenspiels besteht überhaupt zwischen
diesem Körper und diesem Straßenpflaster? - Giorgio Manganelli,
Das indische Experiment. Berlin 2004 (zuerst 1992)