bfall   Der einzige Abfall, der sich nicht wieder aufbereiten läßt, scheint der menschliche Geist zu sein. Hier an den Ufern schaukelten Barken, in denen der Müll der Stadt aufgehäuft war, im öligen, dunklen Wasser ächzten die gewaltigen Abfallberge einer Stadt in der Sonne, wie ein dösender Vielfraß nach einer Orgie. Man hatte das Gefühl, wenn man scharf genug hinhörte, würde man seinen schweratmenden Schlund hören können; die Berge schienen sich zu bewegen, sich langsam zu heben und zu senken, ein mächtiger Bauch auf einer Couch. Ach, unsere modernen >Seerosenmädchen von Astolat< sind die namenlosen Toten aus dem Leichenschauhaus, die auf den Armenfriedhöfen hinter den Krankenhäusern aufgereiht liegen, und diese gewaltige, nimmerendende tägliche Geburt der toten Nahrung der Stadt. Mir war vorher noch nie in den Sinn gekommen, daß es schrecklichere Orte gibt als Friedhöfe. Das sind die Müllkippen, und wie aasfressende Vögel, die über einem Schlachtfeld kreisen, so machen sich Menschen über diesen Schmutz und diese Verwesung her und suchen nach Anmachholz, Papier für die Papiermühlen und Lumpen für die Papierfabriken und weiß der Himmel wonach noch, und irgendjemand verdient an dieser schrecklichen Auferstehung eine Million.

Vom Saum des Wassers kamen wir gekrochen und begannen den langsamen Anstieg ins Menschenleben, und zum Saum des Wassers werden wir am Ende zurückgeführt, zum großen, nassen Grab, das alle Tränen trocknet, das den Rohstoff liefert und das vollendete Werkzeug wieder an sich nimmt und weder Freude noch Schmerz kennt; denn dies »ist das Ende aller menschlichen Lieder«.

Und wie schon gesagt: »Der Mensch ist das einzige, das sich nicht weiterverwenden läßt, wenn etwas nicht mehr in Ordnung ist«. Jeder kann sich selbst ein Bild davon machen. Genau gegenüber diesem Saum von Müll, diesen schwerbeladenen Barken, gibt es ein Heim für Geisteskranke. Keine Hand tastet in diesen armen, verwirrten Hirnen nach irgendeinem Gedanken, der noch verwendbar wäre. Da gibt es keinen, der der Stadt etwas für das Privileg bezahlte, aus diesem traurigen Abfall das eine oder andere verloren gegangene Schöne zu bergen; keiner empfängt Lohn dafür, daß er die Finger krumm macht, um einen kleinen Kienspan aus diesem zerrütteten Haus zu retten, und da läßt sich auch aus dem Niedergang des Gartens nichts Einträgliches mehr herausholen. - Djuna Barnes, New York. Berlin 1987 (zuerst 1917)

Abfall (2)    »Die Frau ist die Verzweiflung des Gerechten.« Das ist ein Wort Proudhons. Ich bewundere diesen Herrn sehr wenig, doch dieser Aphorismus ist ganz einfach der Gedanke eines Genies.

Man darf Frauen (in Sachen der Literatur) nur bei Dingen des Taktes und der Empfindlichkeit vertrauen. Doch alles, was wirklich hoch und erhaben ist, entgeht ihnen. Unsere Willfährigkeit ihnen gegenüber ist einer der Gründe der geistigen Erniedrigung, in der wir verkümmern. Wir alle sind unseren Müttern, Schwestern, Töchtern, Frauen und Geliebten gegenüber von einer unbegreiflichen Feigheit. Niemals hat der Busen mehr Niedrigkeit hervorgerufen! Und die Kirche (katholische, apostolische und römische) hat in höchstem Maße ihren Geist bewiesen, indem sie das Dogma von der Unbeflekten Empfängnis festlegte. Es faßt das Gefühlsleben des 19. Jahrhunderts zusammen. Dieses armseligen Jahrhunderts der Skrofeln und Ohnmächten, das eine entsetzliche Angst vor allen starken Dingen, aller kräftigen Nahrung hat und das sich wie ein krankes Kind auf den Knien der Frauen gefällt.

»Weib, was habe ich mit dir zu schaffen?« ist ein Wort, das ich schöner finde als alle in den Geschichtsbüchern gerühmten Worte. Es ist der Schrei des reinen Denkens, der Protest des Gehirns gegen die Gebärmutter. Und es hat für sich, daß es schon immer die Idioten gegen sich aufgebracht hat.

Der Kult der Mutter wird eines der Dinge sein, über das die zukünftigen Generationen in Gelächter ausbrechen werden. Ebenso wie unser Respekt vor der Liebe. Das wird in den gleichen Abfalleimer kommen wie die Empfindsamkeit und die Natur des vorigen Jahrhunderts. - (flb)

 

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