Es gibt wohl keinen mitfühlenden Menschen, der nicht stehenbliebe und schauderte bei dem Anblick, wie sie Schlangenlinien beschreiben in zwei Fuß Entfernung von den Wagenrädern.
Die Besitzer der rollenden Wagen sollten, wenn sie menschlich fühlen, vor allem sonntags und an Feiertagen ihre Equipagen nicht benutzen oder ihren Kutschern großere Umsicht ans Herz legen, denn diese Tage sind erwiesenermaßen am unfalltrachtigsten.
Daß man sich mit gutem Wein betrinkt, wie dies in einigen Ländern geschieht, ist bis zu einem gewissen Grad verzeihlich. Der Unmäßige kommt mit leichten Kopfschmerzen davon und schläft sich aus; daß sich aber der Pariser mit säuerlichem, hartem und abscheulichem Wein betrinkt, der ihm von den Schankwirten zu überhöhten Preisen ausgeschenkt Wird, das ist kaum zu begreifen.
Das Bier, das in England und Holland getrunken wird, ist ein gesundheitsförderndes Volksgetränk. Hier bei uns gibt es nichts Verderblicheres als den Wein, mit dem sich das Volk vollaufen läßt. Es gibt für mich in der ganzen Hauptstadt nichts Erstaunlicheres als diese Gier des Volkes auf den sauren Wein, von dem auch nur ein Löffel zu trinken für eine ein wenig feinere Zunge unmöglich ist.
Die Trunkenheit ist anderswo eine vorübergehende Unannehmlichkeit, die Trunkenheit der Pariser ist scheußlich und erregt Abscheu, und warum? Weil der Wein, den sie trinken, rascher zur Trunkenheit führt; dazu kommen immer noch einige Verschnitte. die um so mehr die Organe schädigen; ich getraue mir zu sagen, daß der Mißstand, der mich zutiefst grämt und den ich vor allen anderen gern beseitigt sähe, und zwar durch die strengsten Strafen, die Panscherei des Weines ist, der dem Volk verkauft wird.
Seine Trunksucht ist die Quelle eines unendlichen Unfriedens. Wenn sich der Arbeiter dem Trunk ergibt, trinkt er für dreißig bis vierzig Sons Wein, und diese dreißig bis vierzig Sols berauben seinen Haushalt um drei oder vier Brote zu vier Pfund, die seine Kinder die Woche über gegessen hätten.
Ich wäre dafür, das in England verbreitete leichte Bier in Frankreich heimisch zu machen; dies stärkende, nährende Getränk könnte aufs glücklichste den herben Wein ersetzen, den das arme Volk immer trinkt.
Der Genuß von Wein besudelt den Körper einer Nation verleiht ihm Heftigkeit, erregt ihn grundlos, führt ihn zu Verrücktheiten, bringt ihn um Gleichmut, Gelassenheit und die vernünftige Ruhe, die man in allen Ländern des Nordens feststellen kann.
Der Wein hat in Paris zu sehr das Bier verdrängt. War es weise, alles — die
Wälder und Getreidefelder — dem Weinanbau zu opfern?
Wie viele Sklaven werden zur Ernte für dieses Getränk eingesetzt! Der Genuß
gut gebrauten Bieres wäre von Nutzen für den Pariser, der damit jederzeit ein
verläßliches, stärkendes und viel gesünderes Getränk zur Verfügung hätte als
den herben Wein, den er schluckt und der ihn zu all den Rasereien
führt, die die Polizeikommissare im Anschluß daran
bestrafen müssen. Wozu aber! Gäbe es ein solches Getränk für das Volk, setzte
sich doch alsbald das Steuerpachtamt mit an den Tisch, wo die Ökonomie zur Gesundheit
des Armen ausschenkt, und er bezahlte ein Glas Bier ebenso teuer wie ein Glas
Burgunder. Haben die Brauer denn den Bierpreis nicht schon auf die Höhe des
Weinpreises angehoben? - (merc
)
Wein (2) Nun waren wir noch achtundzwanzig, und nur fünfzehn unter diesen schienen ihr Leben noch einige Tage fristen zu können. Alle anderen, mit tiefen Wunden bedeckt, hatten fast keine Besinnung mehr. Indes bekamen sie doch ihren Teil von den Lebensmitteln und konnten, nach unserer Berechnung, vor ihrem Tode noch dreißig bis vierzig Flaschen Wein aufzehren, die für uns von großem Wert waren.
Man ging zu Rate: die Kranken auf halbe Ration zu setzen, hieße, sie einem gewissen Tode hingeben. Nach einer Beratschlagung, wobei die gräßlichste Verzweiflung die Stimme führte, ward beschlossen, sie ins Meer zu werfen. Dieser Ausweg, so sehr er uns auch empörte, verschaffte den Uberlebenden auf sechs Tage Wein, und zwar täglich für jeden eine halbe Flasche gerechnet.
Allein, wer sollte die Ausführung übernehmen? Die Gewohnheit, den Tod immer
über uns schweben zu sehen, die Gewißheit eines unvermeidlichen Verderbens,
wenn wir nicht dieses heillose Mittel einschlügen, alles das hatte uns so hartherzig
gemacht, daß jeder ohne Rücksicht auf andere nur noch auf seine eigene Erhaltung
bedacht war. Drei Matrosen und ein Soldat übernahmen diese Greueltat; wir wendeten
unsere Blicke ab und weinten blutige Tränen über das
Los dieser Unglücklichen. - Savigny, Corréard: Der
Schiffbruch
der Fregatte
Medusa
.
Nördlingen 1987 (zuerst 1818)
Wein (3) Welcher Unterschied! Tausende trinken an
Tafeln hohe Weine und gehen stumpfer nach Hause und erwachen noch stumpf — kein
Einfall, nur Lachen, kein anderer Glanz als der des Gesichts, bezeichnet das
Dasein des Weines. Hingegen der am Schreibtisch getrunkne Wein hebt den, der
ihn trinkt, und die Welt, die ihn hört; und wird hundertjähriger Wein in anderm
Sinn. - Jean Paul
Wein (4) Kann man dem Wein, wenn gleich nicht als Panegyrist,
doch wenigstens als Apologet, einen Gebrauch verstatten, der bis nahe an die
Berauschung reicht; weil er doch die Gesellschaft zur Gesprächigkeit belebt,
und damit Offenherzigkeit verbindet? — Oder kann man ihm wohl gar das Verdienst
zugestehen, das zu befördern, was Seneca vom Cato rühmt: virtus
eius incaluit mero? Der Gebrauch des Opium und Branntweins sind, als Genießmittel,
der Niederträchtigkeit näher, weil sie, bei dem geträumten Wohlbefinden, stumm,
zurückhaltend und unmitteilbar machen, daher auch nur als Arzneimittel erlaubt
sind. — Wer kann aber das Maß für einen bestimmen, der in den Zustand, wo er
zum Messen keine klare Augen mehr hat, überzugehen eben in Bereitschaft ist?
Der Mohammedanism, welcher den Wein ganz verbietet,
hat also sehr schlecht gewählt, dafür das Opium zu erlauben. - Immanuel
Kant, Metaphysik der Sitten (1797)
Wein (5)
Endlich, warum nur folgt, wenn die Wirkung des Weines das Innre
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- (
luk
)
Wein (6)
LE VIN DE L'ASSASSIN |
DER WEIN DES MÖRDERS |
Ma femme est morte, je suis libre ! |
Mein Weib ist tot, jetzt bin ich frei! Nun kann ich mich nach Herzenslust besaufen. Wenn ich ohne einen Groschen heimkam, brachte ihr Geschrei mich schier um den Verstand. |
Autant qu'un roi je suis heureux ; |
Ich bin so glücklich wie ein König; die Luft ist rein, der Himmel wunderbar ... So war der Sommer, als ich mich in sie verliebte! |
L'horrible soif qui me déchire |
Den Durst, den gräßlichen, der mich zerfrißt, zu stillen, brauchte es soviel Wein, als in ihr Grab hineingeht; — und das will was heißen. |
Je l'ai jetée au fond d'un puits, |
Ich hab sie in ein Brunnenloch geschmissen und alle Steine der Brunnenmauer noch auf sie hinabgestoßen. — Ich will sie vergessen, wenn ich kann! |
Au nom des serments de tendresse, |
Im Namen der zärtlichen Schwüre, die uns unauflöslich binden, und um uns wieder zu versöhnen wie einst, als wir in holdem Rausche schwelgten, |
J'implorai d'elle un rendez-vous, |
Bat ich sie um ein Stelldichein, zur Abendstunde und auf dunkler Straße. Sie kam! — das närrische Geschöpf! Wir sind alle mehr oder minder närrisch! |
Elle etait encore jolie, |
Sie war noch immer hübsch, wenn auch nicht mehr die Frischeste! und ich, ich liebte sie zu sehr! Drum sprach ich: Fort mit dir aus diesem Leben! |
Nul ne peut me comprendre. Un seul |
Niemand kann mich verstehn. Kam jemals einem von diesen dummen Säufern in seinen ungesunden Nächten der Gedanke, sich aus dem Wein ein Bahrtuch zu bereiten? |
Cette crapule invulnérable |
Dies Geschmeiß, wie eiserne Maschinen unverwundbar, hat niemals, sommers nicht noch winters, die wahre Liebe je gekannt, |
Avec ses noirs enchantements, |
Mit ihren schwarzen Hexenkünsten, ihrem höllischen Gefolge von Ängsten, ihren Giften, ihren Tränen, ihrem Rasseln von Ketten und Gebein! |
— Me voilà libre et solitaire ! |
— Nun endlich bin ich frei und einsam ! Heut abend will ich stockbesoffen sein; dann, ohne Furcht und ohne Reue, will ich mich auf die Erde strecken |
Et je dormirai comme un chien! |
Und schlafen will ich wie ein Hund! Der Karren mit den schweren Rädern und seiner Fracht von Schmutz und Steinen, der rasende Waggon |
Écraser ma tête coupable |
Mag mir das schuldige Haupt zermalmen oder mich in zwei Stücke schneiden — ich pfeif drauf, wie auf Gott, den Teufel oder das heiige Abendmahl! |
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Wein (7) Deß milden Rebens süss besaffte Kraft . Das erfreute KelterBlut / Sorgenstiller / Schmertzenwender / Muhtbringer / Hertzentröster / Freuderwecker / der Freyheit Zunderglut / der Lust und Leben regt / der Alten Milch und Krafft / der Dichter Prob und Wetzstein der ihre Geister schleifft / des Herbstes reiche Gaben / die wir vom Traubenmann mit voller Gnüge haben.
H. Flemming sagt dem Wein dieses Lob nach:
Der Wein begeistert mich ein gutes Lied zu machen
Wer
kaltes Wasser trinkt / der schreibet kahle Sachen.
Der Lustfreund / Hertzenstrost / Geistreger / Sinnendringer / Freyheitbringer
/ Liedersinger.
Der Wein und Weintraube hat die Deutung der Frölichkeit.
- (
hrs
)
Wein (der Liebenden)
Wein (9)
Wein (10)
Endlich, warum nur folgt, wenn die Wirkung des Weines das Innre |
- (
luk
)
Wein (11) Die Schwester der Leda
oder vielmehr diejenige, die in Aitolien am würdigsten als eine Schwester der
Urfrau gelten durfte, Althaia, hatte ihren Namen von der in den Sümpfen wachsenden
Malve. Ihr Mann war Oineus, der König von Kalydon, der nach dem Wein, ainos,
so hieß. Könige mit ähnlichen Namen trugen auch sehr unterweltliche
Züge: besonders Omomaos, der seinen Palast mit den abgeschlagenen
Köpfen der Freier der Hippodameia schmückte. Von
Oinopion, dem König von Chios, der den Jäger Orion sich betrinken ließ und ihn
dann blendete, wurde erzählt, daß er sich unter der Erde in einer ehernen Kammer
verbarg. Er galt zudem als Sohn des Dionysos oder
eines berühmten Zechers mit Namen Omomaos. Oineus hatte keinen dieser grausamen
Züge, doch besaß er einen Bruder mit Namen Agrios, der »Wilde«, von dem behauptet
wurde, er hätte später Oineus vertrieben. Und von Oineus selbst erzählte man,
er hätte seinen Sohn Toxeus, den »Schützen«, erschlagen, weil er den Weingarten
seines Vaters nicht achtete und über dessen Graben sprang. - (kere)
Wein (12) Hier, auf
einer breiten, von Orangenbäumen beschatteten Terrasse mit dem Ausblick
auf die Weingärten, das Meer und die Inseln, schlössen wir unsere
innigste Bekanntschaft mit diesem herrlichen Lumbarda-Wein und befanden
uns bald in jenem Zustand der unbegrenzten Sympathie, in dem man der Wahrheit der Menschen und Dinge am nächsten ist. In ihm verbrüderten
wir uns mit einem kroatischen Oberlehrer, der plötzlich an unserem
Tisch auftauchte und dessen Erscheinung sich sehr von unserer mit dem
Titel verknüpften Vorstellung unterschied, denn seine Kleidung bestand
nur aus einer Hose und einem zerrissenen Hemd. Der alte Knabe war feurig
genug, und es war eine Lust, ihm zuzuhören, obwohl uns von seinen Reden
nur ein Wort, und zwar der Name eines erschossenen kroatischen
Bauernführers, verständlich war. Aber auch ohne diesen uns wohl
bekannten Namen hätten wir rein aus seinem Mienenspiel, seinen Gesten
und dem Klang seiner Stimme erraten, daß die Freiheit sein Gegenstand
war. Der Wein ist das Symbol des Blutes, das den Geist der gefallenen
Helden beschwört. Unklar entsann ich mich, daß ich in der Nacht, bevor
sie am Waterlooplatze putschten, in einer kleinen hannoverschen
Weinstube auch einen Oberlehrer in ähnlicher Weise von Stein und
Scharnhorst hatte sprechen hören, und dunkel floß das vergangene
Erlebnis in das gegenwärtige ein. Wir besitzen ein zweites, feineres und
tieferes Gedächtnis, das sich über die Stunden des Rausches wie über eine glühende Kette fortpflanzt und während des gewöhnlichen Lebens versinkt. - Ernst Jünger, Aus der Goldenen Muschel. Gänge am Mittelmeer. Stuttgart 1984 (entst. 1929 ff.)
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