iege
Unverständlich scheint es, daß ausgerechnet
die genügsame, aber doch so viele Lebensgüter liefernde Ziege dazu herhalten
muß, mit ihren angeblich negativen Eigenschaften angeblich dumme, dürre,
unzufriedene und ungefährliche Frauen zu beschimpfen (wie es uns Heinz
Küpper in seinem Wörterbuch der deutschen Alltagssprache zeigt).
Der Ausdruck «ausgemolkene Ziege» für eine Fernsehsprecherin ist übrigens
nicht nur «hämisch» (so Küpper) und strafbar, sondern männlich-infam
und nicht nur das: Er beleidigt auch die nahrungsspendenden Kulturleistungen
der Ziege. - (
schen
)
Ziege (2) Ein 1916 geborener italienischsprachiger
Bündner erzählte dem Sagenforscher Arnold Büchli: «Zwei Burschen;
die jeden Abend zwei Mädel besuchen gingen, mußten bei der Heimkehr über
eine Weide laufen. Jeden Abend begegneten sie dabei, immer an derselben
Stelle, zwei Ziegen, die wollten sie nicht vorbei lassen, und sie wußten
nicht, was das bedeuten sollte.» Der Pfarrer rät den jungen Männern, sie
sollten die Ziegen einfangen und bis zum Avemarialäuten festhalten. Das
gelingt ihnen unter den größten Anstrengungen. «Als es zu läuten aufhörte,
stellten die Burschen mit Verwunderung fest, daß sie die beiden Mädchen
an den Zöpfen hielten; anstelle der beiden Ziegen hatten sie die Mädchen
vor sich, die sie immer besucht hatten. Sie verwandelten
sich in Ziegen. Sie waren Hexen.» - (
schen
)
Ziege (3) Ziegen und Schafe grasen in Dürers biblischen und klassischen Szenen des öfteren. Die munteren, aber übelriechenden Böcke standen in der christlichen Symbolik für die Herdenmitglieder, die zur Hölle fahren müssen. Ihre gelehrigen Weidegefährten, die Schafe, verband man dagegen mit dem Himmel.
Dürers erste bemerkenswerte Ziegenstudie findet sich auf einem um 1500 entstandenen Kupferstich. Das Tier springt dort mit einer nackten Hexe auf dem Rücken durch die Lüfte, und vier Putten vernügen sich im Vordergrund. Rocken und Spindel in der Hand, führt die Hexe sicher nichts Gutes im Schilde, denn sie reitet verkehrt herum und lenkt ihr Reittier mit der freien Hand am Horn.
Meist standen Ziegentiere für Widerspenstigkeit und/oder Manneskraft. Nach Horus Apollon war die Hieroglyphe für das Geschlechtsorgan eines reifen Mannes der Ziegenbock, nicht der Stier; Dürer hat dieses Wesen widderähnlich gezeichnet, und zwar nach verlorenen Studien. Auf einem Original für dasselbe Projekt ist eine nach links stapfende Ziege zu sehen.
In Ägypten zeichnete man aber auch für einen
Menschen mit scharfem Gehör eine Ziege, weil
es hieß, sie atme durch Nüstern und
Ohren. Auf Maximilians Ehrenpforte stehen sich wachsame Ziegen
als »Positiv« und »Negativ«, Weiß auf Schwarz und Schwarz auf Weiß gegenüber,
eine Umkehrung, die Arbeit ersparte. Dürer hat sie zudem als heidnisches
Idol auf Säulen gesetzt. - Colin Eisler, Dürers Arche Noah.
Tiere und Fabelwesen im Werk von Albrecht Dürer. München 1996 (zuerst 1991)
Ziege (4) Caligula war hochgewachsen, seine Gesichtsfarbe
sehr blaß, sein Körper unnormal dick; Hals und Schenkel dagegen waren sehr dünn,
Augen und Schläfe tief eingefallen, die Stirn breit und finster, das Haar dünn
mit einer Glatze auf dem Scheitel, der übrige Körper aber stark behaart. Damals
galt es als Verbrechen und mit Lebensgefahr verbunden, wenn er vorüberging,
von oben her auf ihn herabzusehen oder selbst aus irgendeiner Veranlassung in
seiner Nähe auch nur das Wort „Ziege" auszusprechen. Seinem schon von Natur
abschreckend häßlichen Gesicht suchte er absichtlich noch einen wilderen Ausdruck
zu geben, indem er vor dem Spiegel sich alle möglichen schrecklichen Grimassen
und Fratzen einstudierte. Gesund war er weder an Leib noch Seele. - (
sue
)
Ziege (5) Giovancarlo
spürte hinter sich einen leichten und doch recht klangvollen Schritt; er wandte sich
um und erkannte zuerst nur verschwommen einen weißlichen Fleck, von dem eine
warme, säuerliche Ausdünstung ausging. Guru streckte eine Hand vor und sagte:
»Eine Ziege, siehst du nicht? Magst du Ziegen nicht?« Sie fuhr dem Tier liebkosend
über die Ohren und kraulte es am Kopf. »Wieso bist du mit uns gekommen? Was
willst du? Geh jetzt«, fügte sie hinzu. Die Ziege stemmte ihre Beine in die
Erde und hob wie stutzig geworden den Kopf; während sie die zwei verschwinden
sah, rührte sie sich nicht vom Platz, vielmehr schien sie ihnen einen schrägen
Blick durchs Dunkel nachzusenden; schließlich löste sie sich auf in der Nacht.
-
Tommaso Landolfi, Der Mondstein. Zürich 1995 (zuerst 1972)
Ziege (6) Diese Schönen mit den langen Augen, die
behaart sind wie Tiere, diese Schönen und Dickköpfchen - oder besser gesagt:
diese Belzebübischen -, wenn sie meckern, worüber, über welche Qual, über welchen
Ärger beklagen sie sich dann? Wie alte Junggesellen lieben sie Zeitungspapier,
Tabak. Und zweifellos muß man, wenn man von Ziegen spricht, vom Strick sprechen
und sogar - was für ein Zerren! was für eine sanfte, ruckartige Verbohrtheit!
- von gebrauchtem Strick bis zum Strick und vielleicht von der Peitschenschnur.
Dieses Bärtchen, dieser Akzent gravis . .. Sie belästigen die Felsen.
- (
frp
)
Ziege (7) Die Ziegen in Kephallenia trinken nicht, so scheint es, wie die übrigen Vierfüßler,
sondern richten täglich einmal das Gesicht zum Meer hin, sperren das Maul auf
und ziehen die Luft ein. Es soll in Syrien von den wilden Eseln einer die Herde
anführen. Wenn nun ein junger Hengst eine Stute bespringe, so gerate der Anführer
in Wut, und er verfolge den Hengst so lange, bis er ihn eingeholt habe; dann
bücke er sich unter dessen Hinterbeine und reiße ihm mit dem Maul die Rute ab.
Die Schildkröten würden, so wird berichtet, wenn sie eine Schlange gefressen
haben, hinterher Origanum fressen, wenn sie es aber nicht ziemlich schnell finden,
verenden.
- Aristoteles, Mirabilia, nach
(eco)
Ziege (8) Die Ziege
"Und wenn die Hölle Fabel ist im Mittelpunkt der Erde,
In meinem Herzen ist sie wahr.« Malherbe
Für Odette
Unsere Rührung beim Gedanken an die Ziege ist unmittelbar, trägt sie
doch zwischen ihren dünnen Beinen - den Dudelsack mit herabhängenden
Daumen blähend, den das Bettelweib, unter dem als Schal benutzten groben
Wollteppich über ihrem stets schiefen Rückgrat, nur schlecht versteckt -
die ganze Milch, die mittels einiger abgegraster, seltener Halme oder
Reben von aromatischer Würze aus den allerhärtesten Steinen gewonnen
wird.
Nichts als Halme, wie Sie selbst gesagt haben, wird man uns sagen.
Gewiß; aber eigentlich doch recht zähe.
Dann das Glöckchen, das nie aufhört.
Sie ist so glücklich, zu Gnaden, und meint, dies ganze GebimmeJ sei
für ihr Kleines, das heißt für die Aufzucht dieses kleinen Hockers aus
Holz, der mit allen Vieren auf der Stelle Luftsprünge macht und
Tanzschritte übt, bis er sich nach dem Vorbild der Mutter eher wie ein
Schemel benimmt, der seine beiden Vorderfuße auf die erste beste
Naturstufe setzt, die ihm in die Quere kommt, um immer ein wenig höher
zu grasen als das, was sich in seiner unmittelbaren Reichweite befindet.
Und wunderlich bei alledem, starrköpfig!
So klein seine Hörner auch sind, er bietet die Stirn.
Ach, sie werden uns zu Ziegen machen, murmeln sie - fleißige Ammen und ferne Prinzessinnen nach dem Bilde der Milchstraße - und knien nieder, um sich auszuruhen. Mit geradem Kopf übrigens und einem märchenhaft bestirnten Blick unter den schweren Lidern. Doch mit einem jähen Ruck entkreuzigen sie ihre steifen Glieder und erheben sich sogleich wieder, denn sie sind sich ihrer Pflicht bewußt.
Diese Schönen mit den langen Augen, die behaart sind wie Tiere, diese
Schönen und Dickköpfchen - oder besser gesagt: diese Belzebübischcn -,
wenn sie meckern, worüber, über welche Qual, über welchen Ärger beklagen
sie sich dann?
Wie alte Junggesellen lieben sie Zeitungspapier, Tabak.
Und zweifellos muß man, wenn man von Ziegen spricht, vom Strick sprechen
und sogar - was für ein Zerren! was für eine sanfte, ruckartige
Verbohrtheit! - von gebrauchtem Strick bis zum Strick und vielleicht von
der Peitschenschnur.
Dieses Bärtchen, dieser Akzent gravis . . .
Sie belästigen die Felsen. - Francis Ponge,
nach
(arc)