olitiker Der Charakter von Captain Bud Dieser bedeutende Politiker ist nun fünfundvierzig Jahre alt. Er ist hochgewachsen, knochig und muskulös. Seine Miene ist schroff und abweisend. Seine Augen liegen tief und haben einen glitzernden, durchdringenden Blick. Er bewegt sich ziemlich langsam und schleppend. Sein Gang ist unbeholfen. Eine seiner Schultern ragt weiter vor als die andere, kurz gesagt, seine ganze Erscheinung bietet nicht den angenehmsten Anblick. Gleichwohl ist er der fähigste politische Schriftsteller der Gegenwart, und seine Werke offenbaren eine Fülle von Gedanken und Kenntnissen, die selten erreicht und nie übertroffen wird. Indes sind seine Schriften zuweilen zu lang und trocken, wie es bei großer Gelehrsamkeit oft der Fall ist. Stilistisch brillante Passagen sind überaus selten, doch sind seine Argumente vernünftig und schlüssig. Einige seiner Redewendungen sind prächtig und beinahe erhaben, andere jedoch lächerlich und übertrieben. Er läßt sich niemals dazu herab, einen Scherz zu machen, sondern behält einen gleichmäßigen Fluß ermüdender Ernsthaftigkeit bei — in einem solchen Maße, daß ich über seinen besten Werken oft eingeschlafen bin, und mich ebenso oft deswegen geschämt habe.
In seinem Wesen ist er reizbar, griesgrämig und nervös, doch seine Rechtschaffenheit steht gleichwohl außer Zweifel. Man sagt, er sei ein Hypochonder, der zuzeiten glaubt, er sei eine feurige Flamme, ein Stein, eine Auster und ein Flußkrebs, ja daß er sich sogar zuweilen für ein Pflänzchen Glockenheide hält, das der geringste Windstoß fortwehen kann; aber seine Freunde sollen bei solchen Anlässen dafür Sorge tragen, daß ihn niemand zu Gesicht bekommt. Ich weiß nicht, wieviel Glauben man diesen Behauptungen schenken darf, doch ich glaube, daß sie auf Tatsachen beruhen.
Captain Tree C. Brontë
17. Dezember 1829 -
Aus: Charlotte Branwell Emily Anne Brontë: Angria & Gondal. Frankfurt am
Main 1987 (zuerst 1829 ff.)
Politiker (2) Wie manche, die zu Hause keinen rechten Pflichtenkreis haben, die meiste Zeit überflüssigerweise auf dem Markt verbringen, so gibt es auch Leute, die aus Mangel an ernsthafter Beschäftigung sich den öffentlichen Angelegenheiten widmen und aus der Politik einen Zeitvertreib machen. Viele sind auch aus Zufall in die Politik geraten und können nun, wenn sie auch genug bekommen haben, nicht leicht mehr herauskommen. Ihnen geht es wie Leuten, die in einen Kahn stiegen, weil sie schaukeln wollten, und nun vom Ufer aufs Meer getrieben werden. Seekrank und hin und her geworfen, schauen sie zum Lande zurück, aber sie müssen ausharren und sich in ihr Schicksal fügen.
Über die schimmernde Helle des Meeres
Gleiten
an ihnen vorbei die heiteren Wünsche;
Denn die Götter spotten des meerdurchschneidenden
Steuers.
- (
plu
)
Politiker (3) Beleibt
und jovial lächelte der Bundespräsident. Er ließ sich von Sympathie tragen und
redete, als hätte er das Heidelberger Faß als Schallverstärker vor dem Mund.
Eugen stand eine Weile in einer Loge, wo ihn niemand bemerkte, und trat dann
wieder auf den Korridor hinaus. Dort sah er einen Mann, der zuvor eine besonders
gute Platzkarte verlangt hatte, die ihm Eugen gern gegeben hätte, wäre Doktor
Lässing um den Weg gewesen; denn Lässing hatte Eugen eingeschärft, nur in Übereinstimmung
mit ihm etwas von dem kostbaren Schatz abzugeben. Nun hielt ihm Eugen eine Karte
hin, doch wollte sie der andere jetzt nicht mehr haben. Wahrscheinlich war der
tief erzürnt. Im Theater aber sagte der Herr Bundespräsident: »Qualität ist
das Anständige.« - Hermann Lenz, Ein Fremdling. Frankfurt am
Main 1988 (st 1491, zuerst 1983)
Politiker (4) Wie so mancher andere ließ Degas sich von der Historie und den Historikern übertölpeln, die die Politik für eine Kunst und eine Wissenschaft ausgeben — wofür sie höchstens in den Büchern gelten kann — unter Zuhilfenahme von perspektivischen Täuschungen, willkürlichen Scheidungen und einer Menge von Spielregeln, die zum Teil denjenigen des Theaters, zum Teil denen des Schachspiels ähneln. Es läßt sich indessen nicht leugnen, daß diese Illusion auf den tatsächlichen Verlauf der Dinge einwirkt und hier fühlbare Ergebnisse zeitigt — in der Regel verheerende.
Degas vermochte sich also einen idealen Staatsmann von leidenschaftlicher Lauterkeit der Gesinnung vorzustellen, der in der Ausübung seiner Pflicht Menschen und Verhältnissen gegenüber die gleiche ingrimmige Unvoreingenommenheit und Prinzipienstrenge walten läßt, die er selber in seiner Kunst beobachtete.
Eines Abends, im Foyer de la Danse, als er zufällig mit Clémenceau auf dieselbe Bank zu sitzen kam, nahm er diesen vor ... Er hat mir, rund fünfzehn Jahre später, diese Unterredung oder vielmehr: diesen Monolog geschildert.
Er setzte ihm also seine hochherzige und kindische Auffassung auseinander: Wie die Größe seiner Aufgabe, wenn er an der Macht wäre, in seinen Augen alles beherrschte, wie er ein asketisches Leben führen, mit der einfachsten Wohnung vorlieb nehmen, jeden Abend zeitig seinen fünften Stock aufsuchen würde . . . usf. "Und Clemenceau", fragte ich, „was gab er Ihnen zur Antwort?"
— "Einen Blick, voll von einer namenlosen .
. . Verachtung! ..." - Paul Valéry, Tanz
Zeichnung und Degas. Frankfurt am Main 1962 (BS 6, zuerst ca. 1930)
Politiker (5) Während die Böswilligkeit des religiösen
Eifers die wilde Grausamkeit seines Kollegen Maximian anklagte, suchte sie über
den persönlichen Muth des Kaisers Diokletian Zweifel zu verbreiten. Es
ist aber kaum möglich, uns die Feigheit eines Soldaten des Glückes einzureden,
welcher sowohl die Achtung der Legionen als die Gunst so vieler kriegerischen
Fürsten erwarb und bewahrte. Aber die Verläumdung ist scharfsichtig genug, um
die verwundbarste Stelle zu entdecken und anzugreifen. Die Tapferkeit Diokletians
blieb nie hinter seiner Pflicht oder der Gelegenheit zurück; aber den kühnen
und hochherzigen Geist eines Helden, welcher Gefahr und Ruhm aufsucht, List
verschmäht und Huldigung von seines Gleichen offen fordert, scheint er nicht
besessen zu haben. Seine Eigenschaften waren mehr nützlich als glänzend: ein
kräftiger durch Erfahrung und Studium der Menschen gereifter Verstand, Geschäftsfleiß
und Gewandtheit; eine kluge Mischung von Freigebigkeit und Sparsamkeit, von
Milde und Strenge; tiefe Verstellung unter dem Deckmantel militairischer Geradheit,
Stätigkeit in Verfolgung seiner Zwecke, Biegsamkeit in Anwendung der Mittel,
und vor Allem die große Kunst, seine eigenen so wie die Leidenschaften Anderer
dem Interesse seiner Herrschsucht unterzuordnen und dieser Herrschsucht den
blendensten Anstrich der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls zu geben. Gleich
Augustus, kann man Diokletian als den Gründer eines neuen Reiches ansehen. Gleich
dem Adoptivsohne Cäsars, zeichnete er sich mehr als Staatsmann denn als Krieger
aus, und keiner dieser beiden Fürsten schritt je zur Gewalt, wenn ihr Zweck
durch Politik erreicht werden konnte.
- Edward Gibbon, Verfall und Untergang des Römischen Reiches.
Nördlingen 1987 (Die Andere Bibliothek 29, zuerst 1776 bis 1788)
Politiker (6) Der von der Politik lebende Berufspolitiker
kann sein: reiner "Pfründner" oder besoldeter "Beamter".
Entweder bezieht er dann Einnahmen aus Gebühren für bestimmte Leistungen - Trinkgelder
und Bestechungssummen sind nur eine regellose und formell illegale Abart dieser
Kategorie von Einkünften - oder er bezieht ein festes Naturaliendeputat oder
Geldgehalt, oder beides nebeneinander. In der Vergangenheit waren Lehen, Bodenschenkungen,
Pfründen aller Art der typische Entgelt von Fürsten, siegreichen Eroberern;
heute sind es Ämter aller Art in Parteien, Zeitungen, Genossenschaften, Gemeinden
und Staaten, welche von den Parteiführern für treue Dienste vergeben werden.
Alle Parteikämpfe sind nicht nur Kämpfe um sachliche
Ziele, sondern vor allem auch: um Ämterpatronage. Manche Parteien, so namentlich
die in Amerika, sind seit dem Schwinden der alten Gegensätze über die Auslegung
der Verfassung reine Stellenjägerparteien, welche ihr sachliches Programm je
nach den Chancen des Stimmenfanges abändern. - Max Weber, Politik
als Beruf. 1919 (Nach: Berliner Zeitung 15./16. 01. 05)
Politiker (7) Bei
meiner Ankunft
gab ich ihnen
meine Wesensart
getreulich
und gewissenhaft
so zu erkennen,
wie ich zu
sein glaube:
ein Mann ohne
Gedächtnis,
ohne Umsichtigkeit,
ohne Erfahrung
und ohne Tatkraft;
auch ohne Gehässigkeit,
ohne Ehrgeiz,
ohne Habsucht
und ohne Gewalttätigkeit;
auf daß sie
gewarnt und
unterrichtet
seien, was
sie von meiner
Amtsführung
zu erwarten
hätten. Und
weil allein
die Erinnerung
an meinen seligen
Vater und die
Ehrung seines
Andenkens sie
zu diesem Schritt
bewogen hatte,
fügte ich klipp
und klar hinzu,
daß es mir
sehr leid täte,
wenn irgend
etwas so viel
Macht über
meinen Willen
gewinnen sollte,
wie es einst
ihre Angelegenheiten
und ihre Stadt
über den seinigen
gewonnen hatten,
als er ihr
in diesem gleichen
Amt vorstand,
zu dem sie
mich beriefen.
Ich erinnerte
mich, ihn in
meiner Kindheit
als alten Mann
gesehen zu
haben, wie
sein Geist
von diesen
öffentlichen
Plackereien
grausam mitgenommen
ward, wie er
die milde Luft
seines Landsitzes,
den ihm die
Gebrechlichkeit
seines Alters
schon seit
langem zu verlassen
verbot, seine
Haushaltung
und seine Gesundheit
vergaß, und
wie er sein
Leben für nichts
achtete und
auf langen
und beschwerlichen
Reisen aufs
Spiel setzte,
die er für
sie unternahm.
So war er;
und diese Gesinnung
entsprang bei
ihm aus einer
großen natürlichen
Güte: nie hat
es eine liebreichere
und leutseligere
Seele gegeben.
Diese Handlungsweise,
ich lobe sie
an andern;
doch ich folge
ihr nicht gerne
nach, und ich
bin deswegen
nicht unentschuldbar.
Er hatte sich
sagen lassen,
daß man dem
Nächsten zuliebe
seiner selbst
vergessen müsse,
und daß dem
eigenen Wohl
gegenüber dem
allgemeinen
keinerlei Gewicht
zukomme. -
(
mon
)
Politiker (8) Dschi Kang-dse fragte, ob sich Dse-lu für ein Amt im Staate eigne.
Der Meister sprach: Dse-lu ist fest in seinen Entschlüssen. Was stünde da seiner Übernahme eines Amtes im Wege?
Auf die Frage, ob Dse-gung geeignet sei, sprach der Meister: Dse-gung hat einen klaren Blick für den Gang der Dinge. Was stünde da seiner Übernahme eines Amtes im Wege?
Auf die Frage, ob sich auch Ran Tschju für ein Amt eigne, sprach der Meister:
Ran Tschju ist ein in allen Künsten bewanderter Mann. Was stünde da seiner Übernahme
eines Amtes im Wege? - (kung)
Politiker (9) In jungen Jahren hielt sich Perikles
dem Volke vorsichtig fern. Seine äußere Erscheinung gemahnte nämlich an den
Tyrannen Peisistratos, und alte Leute bemerkten mit Entsetzen eine weitere Ähnlichkeit:
die wohllautende Stimme und die Fähigkeit, rasch und gewandt zu sprechen. Da
er überdies reich war, einem vornehmen Geschlecht entstammte und einflußreiche
Freunde besaß, fürchtete er die Verbannung durch das Scherbengericht. So mied
er die Politik, im Felde hingegen bewährte er sich als tapferer, wagemutiger
Soldat. Als aber Aristeides gestorben, Themistokles verbannt und Kimon fast
immer durch auswärtige Kriege von Griechenland ferngehalten war, tat er endlich
den Schritt ins öffentliche Leben. Er verschrieb sich aber nicht der Sache der
reichen Aristokraten, sondern schlug sich auf die Seite des armen Volkes, allerdings
wider seine eigene Natur, die ihn keineswegs zum Volksmann geschaffen hatte.
Allein er hegte offenbar die Befürchtung, man werde ihn des Strebens nach der
Tyrannis verdächtigen, und da er zudem bemerkte, wie beliebt sich Kimon als
guter Aristokrat bei den Vornehmen gemacht hatte, suchte er Rückendeckung bei
der Masse. Er gewann dadurch persönliche Sicherheit und eine starke Position
gegen Kimon. - (
plut
)
Politiker (10) Der Politiker sei nichts anderes
als eine Art dritte Ware, eine Art Geld im Warenaustausch der Meinungen. Der
Kapitalist könne mit dem Revolutionär keine Meinungen austauschen, das ginge
einfach nicht, das widerspreche dem jeweiligen Berufsethos. Aber austauschen
wollten sie dringend etwas, ganz dringend. Das sehe man schon an den Entführungen,
da gehe es auch immer um einen Austausch. Und so was nenne sich dann revolutionär.
Eine Revolution planen und dann doch nur auf eine neue Form des Tausches zu
kommen, das sei armselig bis ins Mark und auch nicht damit zu entschuldigen,
daß man es eben erst einmal so machen müsse, um es dann später, wenn das System
ausgehebelt sei, anders zu machen, denn das sei, wie schon gesagt, nur wieder
Wertsteigerung durch Entfernung. Weil also Kapitalist und Revolutionär beide
dasselbe System im Kopf hätten und eben nur in Formen des Tausches denken könnten,
brauchte man die Politiker, die, so wie das Geld unvereinbare Waren tauschbar
mache, Meinungen tauschbar machten. Die Erfindung des Politikers gehe deshalb
mit der Industrialisierung einher, denn beide bedingten sich. Der Politiker
mache nämlich alles tauschbar, alles verhandelbar, weshalb es einfach nicht
zutreffe, wenn man den Politikern vorwerfe, sie seien nur Marionetten des Kapitals.
Mit solchen Pauschalierungen mache man es sich zu einfach, denn genausogut könne
man Politiker als Marionetten der Revolution bezeichnen, denn Politiker existierten
allein, weil das Denken des Kapitalisten und das des Revolutionärs sich nur
in Nuancen und Anschauungsweisen unterscheide, jedoch in sich dasselbe ausdrücke.
Man solle einmal an ihn denken, wenn man sich wieder die entsprechenden Figuren
vor Augen führen müsse in entsprechenden Sendungen und wenn es einem dann nicht
gelinge, grundlegende Widersprüche aufzulösen. Genau dann solle man noch einmal
an ihn denken und an seine Theorie von der Erfindung des Politikers als dritte
Ware, und plötzlich und mit einem Mal werde man meinen etwas zu verstehen, was
natürlich Unsinn und nur Zeichen eines beginnenden Irrsinns sei, aber immerhin.
- (rev)
Politiker (11) Die Assistenten warteten schon zweieinhalb Stunden auf ihre Herren.
- Ich habe so etwas eigentlich nie bemerkt.
- Was nicht?
- Eine Instinkt-Reaktion eines Politikers.
- Na, na! Er duckt sich, weil ein Schuß fällt.
- Da war ich nicht dabei.
- Sie nehmen das Wort Instinkt vielleicht zu genau? Man sagt doch auch »VOLLBLUTPOLITIKER«, obwohl das nichts mit der Abstammung von einem arabischen Pferd zu tun hat. Ich jedenfalls halte für unwahrscheinlich, daß ein Politiker ein höheres Quantum oder eine andere Qualität von Blut hat und daß ihn das als Politiker auszeichnet. Vollblut macht krank.
- Ich meine Instinkt im Sinne von reaktionssicher. Und das wäre eine ganz und gar zivilisatorische Eigenschaft.
- Ehemals instinktsicher?
- Es gibt in Her Natur keinen solchen Instinkt. Kein Naturmensch ist von sich aus politisch.
- Und die Tiere?
- Nie.
- Aber das Ergebnis ihrer Aktionen oder »Pläne« ? So etwas gibt es in der Natur.
- Umgekehrt: Aus der Natur bleibt etwas übrig, das solche »Pläne« stiftet. Im nachhinein könnte man der Natur Politik unterstellen.
- Woraus besteht dann aber das, was ich bei einem Politiker beachtlichen Kalibers spüre, schon wenn er zur Tür hereinkommt, und bisher als »politischen Instinkt« bezeichnet habe?
- Es ist eine Mischung. Jedes Element für sich wäre politisch katastrophal.
Alles zusammen macht den Mann schnell und zielsicher. Für einen Ernteeinsatz
oder im Dschungelkrieg wäre es untauglich. - (klu)
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