chreiben Wenn der Mann auf dem Bett liegt und dieses ins Zittern gebracht ist, wird die Egge auf den Körper gesenkt. Sie stellt sich von selbst so ein, daß sie nur knapp mit den Spitzen den Körper berührt; ist die Einstellung vollzogen, strafft sich sofort dieses Stahlseil zu einer Stange. Und nun beginnt das Spiel. Ein Nichteingeweihter merkt äußerlich keinen Unterschied in den Strafen. Die Egge scheint gleichförmig zu arbeiten. Zitternd sticht sie ihre Spitzen in den Körper ein, der überdies vom Bett aus zittert. Um es nun jedem zu ermöglichen, die Ausführung des Urteils zu überprüfen, wurde die Egge aus Glas gemacht. Es hat einige technische Schwierigkeiten verursacht, die Nadeln darin zu befestigen, es ist aber nach vielen Versuchen gelungen. Wir haben eben keine Mühe gescheut. Und nun kann jeder durch das Glas sehen, wie sich die Inschrift im Körper vollzieht. Wollen Sie nicht näher kommen und sich die Nadeln ansehen?«
Der Reisende erhob sich langsam, ging hin und beugte sich
über die Egge. »Sie sehen,« sagte der Offizier,
»zweierlei Nadeln in vielfacher Anordnung. Jede lange hat eine
kurze neben sich. Die lange schreibt nämlich, und die kurze spritzt
Wasser aus, um das Blut abzuwaschen und
die Schrift immer klar zu erhalten. Das Blutwasser wird dann
hier in kleine Rinnen geleitet und fließt endlich in diese Hauptrinne,
deren Abflußrohr in die Grube führt.« Der Offizier zeigte mit
dem Finger genau den Weg, den das Blutwasser nehmen mußte. -
Franz
Kafka
,
In der Strafkolonie. Nach (
kaf
)
Schreiben (2) Ich sitze auch
deswegen nicht an meinem Schreibtisch, daß ich mit absonderlichen
Red-Arten die Welt erfüllen sollte, sondern, was ich schreib,
schreib ich zur Lust. Denn es juckt mich immerzu eine lustige
Caprizzen zwischen den Ohren, daß ich also ohne Unterlaß mit
diesen Frettereien zu tun kriege. - Johann Beer (ca. 1680)
Schreiben (3) Ich schreibe nicht für eine auserwählte Minderheit, an der mir nichts gelegen ist, noch für jene umschmeichelte platonische Wesenheit, deren Name »die Massen« lautet. Ich mißtraue beiden dem Demagogen so teuren Abstraktionen.
Ich schreibe für mich selber, für die Freunde und um das Verrinnen
der Zeit weniger schmerzhaft zu verspüren.
- Jorge Luis Borges, Spiegel und Maske. Erzählungen 1970 bis
1983. Frankfurt am Main 2000.
Schreiben (4) .. . Was ich so von Tag zu Tag mit mir anfange? Ich schreibe, wenn ich kann, und ich schreibe nicht, wenn ich nicht kann; immer am Morgen oder früh am Tag. Abends hat man wohl sehr fidele Einfälle, aber sie halten nicht stand. Das habe ich schon vor langer Zeit festgestellt. Es dürfte Ihnen nicht entgangen sein, daß ich meine Sachen selber tippe. Als wir hierher gezogen sind, habe ich mir ein Diktaphon zugelegt und Filmskripte hineindiktiert, aber für meine Bücher verwende ich es nie. Fast alle Schriftsteller, die diktieren, leiden an Logorrhöe. Wenn man sich dazu aufraffen muß, alle seine Worte selber hinzuschreiben, ist man eher bereit, darauf zu sehen, da sie auch Gewicht haben.
Ich bekomme dauernd Aufsätze zu Gesicht, in denen Schriftsteller sich darüber auslassen, daß sie grundsätzlich nie auf Inspiration warten; sie setzen sich einfach jeden Morgen um acht an ihren kleinen Schreibtisch, ob's regnet oder ob die Sonne scheint, ob sie einen Kater haben oder einen gebrochenen Arm oder was weiß ich sonst, und knallen ihr bißchen Pensum hin. Wie leer ihr Kopf auch sein mag und wie öde alles, was ihnen durch die Gedanken trudelt, mit solchem Quatsch wie Inspiration haben sie nichts im Sinn. Ich entbiete ihnen meine Bewunderung und gehe ihren Büchern sorgfältig aus dem Wege.
Ich hingegen, ich warte auf Inspiration,
obwohl ich sie nicht unbedingt bei diesem Namen nenne. Ich glaube,
daß alles Schreiben, das auch nur etwas Leben in sich hat, aus
dem Solarplexus kommt. Es ist harte Arbeit
insofern, als man hinterher todmüde sein kann, sogar total erschöpft.
Im Sinne bewußter Bemühung freilich ist es überhaupt keine Arbeit.
Wichtig ist dabei vor allem eins: der Berufsschriftsteller sollte
einen bestimmten Zeitraum haben, sagen wir mindestens vier Stunden
am Tag, wo er nichts anderes tut als schreiben. Er muß nicht
unbedingt schreiben, und wenn ihm nicht danach ist, dann sollte
er's auch nicht versuchen. Er kann aus dem Fenster schauen oder
einen Kopfstand machen oder sich auf dem Fußboden schlängeln,
aber er soll nichts vollkommen anderes tun, soll nicht lesen,
Briefe schreiben, in Zeitschriften blättern
oder Schecks ausfüllen. Entweder schreiben oder gar nichts. Es
ist das dieselbe Disziplin wie das Ordnunghalten in der Schule.
Wenn man die Schüler so weit bringt, daß sie sich benehmen, werden
sie auch was lernen, einfach schon um nicht der Langeweile
zu verfallen. Ich finde, das funktioniert. Zwei ganz einfache
Regeln: 1) Man muß nicht schreiben. 2)
Man kann nichts anderes tun. Der Rest kommt von selbst.
- (
cha
)
Schreiben (5) Welchem Leser ist noch nicht die eigenartige Poesie aufgefallen, die ihm in seinen Träumen begegnet? Wer hat im Schlaf nicht schon ein- oder mehrmals ein fieberhaftes, bewegtes Leben kennengelernt, das viel wirklicher und fesselnder war als das erbärmliche Alltagsleben? Und haben Sie sich vor dem Einschlafen und Träumen, wenn Sie in eine Art Dämmerzustand versunken waren, nicht manchmal über die Vorstellungen, die Bilder, die Sätze gewundert, die Ihnen da in den Sinn kamen und die Sie mit Gedankengängen bekannt machten, von denen Sie im wachen Zustand nie erfähren hatten, daß sie in Ihnen schlummern? Ferner haben Sie feststellen können, daß das gleiche Phänomen auftritt, sobald Sie Ihren Geist sozusagen ins Blaue hinein umherschweifen lassen. Das geschieht, weil hier das Bewußtsein außer Kraft gesetzt ist - oder doch beinahe. Die Vernunft hat sich in ihre Hundehütte zurückgezogen und nagt an ihrem ewigen Knochen.
Man braucht also nur diese Hündin Vernunft zu verscheuchen und loszuschreiben, in einem fort zu schreiben, ohne sich um das Durcheinander der Vorstellungen zu kümmern. Überflüssig zu wissen, was ein Alexandriner oder eine Litotes ist. Nehmen Sie eine Hand, Papier, Tinte und einen Federhalter mit einer neuen Feder und setzen Sie sich bequem an Ihren Tisch. Dann vergessen Sie alles, was Sie gewöhnlich in Atem hält, vergessen Sie, daß Sie verheiratet sind, daß Ihr Kind den Keuchhusten hat, vergessen Sie, daß Sie Katholik sind, daß Sie Geschäftsmann sind und unmittelbar vor dem Bankrott stehen, vergessen Sie, daß Sie Senatsabgeordneter, daß Sie ein Anhänger Auguste Comtes oder Schopenhauers sind, vergessen Sie die Antike, die Literatur aller Länder und Zeiten. Sie wollen nicht mehr wissen, was logisch ist und was nicht, wollen nichts anderes mehr wissen, als was Ihnen da eingeflüstert wird. Schreiben Sie so schnell wie möglich, damit Sie keine von den intimen Mitteilungen verpassen, die Ihnen hier über Sie selber gemacht werden, und vor allem: Lesen Sie das Geschriebene nicht durch. Sie werden bald feststellen, daß Ihnen die Sätze, je länger Sie schreiben, immer schneller, immer kraftvoller, immer lebendiger in die Feder fließen. Und wenn Sie durch irgendeinen Zufall plötzlich ins Stocken geraten, dann zögern Sie nicht, brechen Sie die Tür zum Unbewußten gewaltsam auf und schreiben Sie - beispielsweise - den ersten Buchstaben des Alphabets. Das A ist so gut wie jeder andere Buchstabe. Der Ariadnefaden wird sich ganz von selbst wieder einfinden. So, und jetzt fange ich an:
Ein Bund Spargel, das nicht ganz sieben Meilen lang ist, sägt
bis zur Erschöpfung aus einer Schuhcremedose einen Regenbogen
aus. Der Regenbogen rennt auf der Suche nach einer Schaumpfeife
den Strand entlang. Er hört in seiner hohlen Hand das Meer rauschen
und wird nach jahrelanger Ausbildung auf einer Treibsandinsel
Kapitän zur See. Da schenkt ihm der König irgendeines Landes
eine Suppenterrine. In die legt er einige Schildkröteneier, und
beim Mondwechsel fliegt die Schüssel davon wie der letzte Seufzer
eines Schwindsüchtigen. Dabei war es eine sehr schöne Nacht,
und die Sterne waren, nachdem sie beim Bakkarat viel Geld verloren
hatten, losgezogen, um im Lichte von Autoscheinwerfern Forellen
zu fangen. Das alles wäre auch gutgegangen, wenn die Großherzogin
Anastasia an diesem Tag nicht einen großen Bogen Sandpapier gegessen
hätte. Im Nu verlor sie, nachdem sie die Bank genommen hatte,
den Kopf. Der übrige Körper folgte rasch nach, und bald waren
nur noch die Zehennägel übrig, die wegliefen ... - Benjamin
Péret, Das automatische Schreiben. Nach
(per)
Schreiben (6) Zunächst, und
daran glaube ich fest, geht alles wirksame Schreiben vom Körper
aus, oder es bleibt bloße Literatur, das sogenannte »Thematische
Schreiben« über dieses und jenes. Wirksames Schreiben ist dagegen
das Schreiben aus einer Grundspannung heraus, in der alle physiologischen
Eigenschaften enthalten sind. Insofern muß jede Kritik, wenn
sie nicht platte vergleichende Willkür bleiben will, sich bis
zu den anthropologischen facts durchkämpfen, um überhaupt etwas
Sinnvolles auszusagen. Stimme, Körperbau, Wahrnehmungsweisen,
alles was nicht nur mit den Inhalten oder Erlebnissen selbst,
sondern mit den Organen und ihrer Synästhesie zu tun hat, gehört
hierher, weil es längst vorher da war. In Abwandlung einer bekannten
These könnte man sagen: Es ist nichts im wirksamen Schreiben,
was nicht vorher in den Sinnen war. - (
gr
)
Schreiben (7) Eine sonderbare
Sache, das Schreiben. Ich begann es nie eher, bis die Einfälle
einen bestimmten Reifegrad erreicht hatten, und das war dann
der Fall, wenn sie im Gewande der Sprache erschienen. Hatte ich
dieses Bild, so wagte ich mich mit ihm, mit meinem Pilotenboot,
aus dem Hafen heraus, und da bemerkte ich draußen bald ein Schiff,
einen großen Ozeandampfer, und ihn betrat ich und fuhr aus und
war in meinem Element, reiste und machte Entdeckungen, und erst
nach Monaten kehrte ich von solcher großen Fahrt heim, gesättigt,
und konnte wieder das Land betreten. Meine Fahrten bei geschlossener
Tür fühlten mich nach China, Indien, Grönland, in andere Epochen,
auch aus der Zeit heraus.Was für ein Leben.» Im Epilog von 1948
zu einer Auswahl aus seinen Werken vergleicht er die Entstehung
dieser Bücher mit einer Steinbildung, die sich aus seiner Substanz
gelöst habe und die er nachher nur mit leichtem Ekel habe ansehen
können. Eigentümlich war die Befangenheit, die »Aura« in solcher
Periode. Sie verlieh mir ein eigentümliches Wissen, eine Hellsichtigkeit.
Was wußte ich von China oder vom 30-jährigen Krieg? Ich lebte
in dieser Atmosphäre nur während der kurzen Spanne des Schreibens.
Aufdringlich, prall stellten sich dann plastische Szenen vor
mich hin. Ich griff sie auf, schrieb sie auf und schüttelte sie
von mir ab. Da standen sie dann schwarz auf weiß. Ich war froh,
nichts mehr mit ihnen zu tun zu haben. - Alfred
Döblin
Schreiben (8) »Öffne
dein Herz dem Schreiben. So kannst du dich vor jeder Art von
Arbeit schützen« - Ägyptischer Schriftgelehrter zu seinem
Sohn, um 2400 vor Christus, nach: Bruce Chatwin, Der Traum des
Ruhelosen. Frankfurt am Main 1998 (Fischer-Tb. 13729, zuerst
1996)
Schreiben (9) Genau betrachtet,
ist es nicht wahr, daß jeder schreiben kann; im Gegenteil, niemand kann
es, jeder schreibt bloß mit und ab. Es ist unmöglich, daß ein Gedicht von Goethe
heute auf die Welt käme; und schriebe es durch ein Wunder Goethe
selbst, so wäre es ein anachronistisches und vielfach zweifelhaftes neues Gedicht,
obgleich es doch auch das herrliche alte wäre! Gibt es eine andere Erklärung
für dieses Mysterium, als daß dieses Gedicht von keinem zeitgenössischen Gedicht
abgeschrieben erschiene, es sei denn von solchen, die von ihm selbst abgeschrieben
sind? Gleichzeitigkeit bedeutet immer Abschreiben. Unsere Ahnen schrieben Prosa
in langen, schönen wie Locken gedrehten Sätzen; wir — obgleich auch wir es noch
in der Schule so gelernt haben — tun es in kürzeren, die Sache rascher zu Boden
setzenden; und niemand in aller Welt kann seine Gedanken von der Art befrein,
in der seine Zeit das Sprachkleid trägt. Kein Mensch weiß darum, wieviel er
von dem, was er schreibt, auch genauso meint, und beim Schreiben verdrehn die
Menschen bei weitem nicht so die Worte wie die Worte den Menschen. - (
nach
)
Schreiben (10)
Durch
allzugroße Hast das Material verdorben zu haben, aus dem (so scheint uns) ein
Diamant gebrannt werden konnte, oder aber nichts verdorben zu haben, weil auch
nichts auf dem Spiel stand, das irgendeine Vorsicht verdiente, aber dennoch
in eine billige Virtuosität verfallen zu sein, indem ich aus diesem Nichts einen
Funken zu schlagen gedachte, oder aber - eine noch schlimmere Verirrung - sich
mit aller Macht in ein nichtiges Hirngespinst geworfen zu haben und gewissermaßen
daran verblödet zu sein, ein Übel, das man um so schwerer wieder los wird, als
es leicht zu bekommen war - kurz: Pfuscherei, Geziere, Tölpelei, die nicht nur,
wie vieles andere, Formen des Versagens sind, sondern viel eher als Vergehen
empfunden werden denn als Versehen, sogar dann, wenn man sich bei weitem nicht
mit dem Privileg einer Mission höchsten Ranges betraut sieht, sondern vielmehr
der Ansicht ist, daß die literarische Tätigkeit wirklich nur ein Spiel darstellt,
dessen einziger Anführer man selbst ist. Denn es wäre bei diesem Spiel wie bei
so manchem anderen, das nicht nur deshalb eine moralische Dimension hat, weil
das Mogeln daraus verbannt ist: zu verlieren, weil man als zu leicht oder zu
stumpf befunden wurde, bedeutet vielmehr, große Schande auf sich zu laden, sich
in die Lage des Angeklagten zu begeben, selbst wenn man auf der Stelle das Belastungsmaterial
unterdrückt, und sich den Gewissensbissen auszusetzen genau wie der Sportler,
dem - wegen ungenügenden Trainings, verfehlter Taktik oder einfach weil seine
Nerven nicht durchhielten - seine Übung mißglückt ist. - (
leiris2
)
Schreiben (11)
Ich habe nur gelebt, um zu schreiben. Dinge, Gefühle,
Menschen habe ich nur gespürt, gesehen, gehört, um zu schreiben. Das ist mir
lieber gewesen als äußeres Glück, als wohlfeile Ehrungen. Oft sogar habe ich
das Vergnügen der Stunde, habe ich meine geheimsten Glücksempfindungen und Zuneigungen,
ja selbst das Glück einiger Menschen, denen Kummer zu bereiten mich nicht abgeschreckt
hat, geopfert, um zu schreiben, was mir Vergnügen machte. All das hinterläßt
in mir ein tiefes Glücksgefühl. - (
leau
)
Schreiben (12)
Valéry hat mir von den verschiedenen Arbeiten
erzählt: «Sie sehen, was ich für einen angenehmen Zeitvertreib habe. Dabei habe
ich vorm Schreiben einen solchen Horror. Sie kennen mich ja. Sich Notizen über
Themen zu machen, schön. Aber schreiben? Es sind eben alles Auftragsarbeiten...»
Als ich ihn ansah, wiederholte er: «Alles, was ich mache, ist Auftragsarbeit...»
Dann kam er auf seinen Horror vorm Schreiben zurück und sagte: «Zum Glück gibt
es die Maschine.» Darauf ich: «Wie denn, Sie schreiben mit der Maschine?» Er
bejaht und legt sich zurück wie jemand, der auf dem Klavier klimpert; dabei
sagt er: «Ich tue es auch des Magens wegen. Vorgebeugt dazusitzen strengt meinen
Magen an... Während ich so...» (Und er nimmt wieder dieselbe Haltung ein.) - (
leau
)
Schreiben (13)
Meine gekrümmte Haltung vor der Maschine ich sitze vor meiner Maschine
so tief daß die Knie beinahe den Boden berühren, ja ich knie vor meiner Maschine,
der platonische Text vielleicht das einzige was ich anbete. Meine Schreibarbeit
kommt durch mich zustande : meine Schreibarbeit kommt durch mich, aber nicht
von mir - ich knie vor meiner Maschine ich knie vor meiner Schreibarbeit es
ist so ein Tränenstrom, der mich davon schwemmt - Reißzwecken und Wäscheklammern
halten mein Leben mein Schreiben zusammen, wer kann das verstehen. - Friederike Mayröcker, Magische Blätter IV.
Frankfurt am Main 1995 (es 1954)
Schreiben (14)
Ich arbeite wie ein Pferd am Saint
Antoine. Die Hitze regt mich an, und ich bin
lange Zeit nicht mehr so munter gewesen. Meine Nachmittage
verbringe ich bei geschlossenen Fensterläden, zugezogenen Vorhängen, ohne Hemd,
im Zimmermannskostüm. Ich brülle! ich schwitze! es ist großartig. Es gibt Augenblicke,
in denen es ganz entschieden noch mehr als Delirium ist! - (
flb
)
Schreiben (15) Ich
mach mir jetzt ein Wurstbrot; die dicke Wurst erinnert mich an das männliche
Glied. Ich trinke ein Glas Schnaps: mich schüttelts wie nach dem Orgasmus. Ich
seh das Glas an und das ist blau wie der Ozean, blau wie die Erde von weit weg
gesehen. Das ist Handschrift. Vielleicht macht mich diese Beschäftigung des
Totmachens krank? Wer ins Schreiben kommt ist ausranschiert, ist auf dem toten
Gleis gelandet. Endgültig aufgegeben, abgeschrieben und für hoffnungslos erklärt,
gehört er jetzt zum Bodensatz der Gesellschaft. An die Schreibmaschine kommt
keine Besichtigungsgruppe, denn hier gibt es nichts vorzuzeigen. Ein Besucher
wirkt hier wie ein verirrtes Wesen aus einer anderen Welt, schon deshalb, weil
von den Schreibern kaum noch einer draußen Angehörige hat, die sich um ihn Summern.
In den chronisch Schreibenden, die, sich selbst überlassen, ihre Tage absitzen,
glimmt nur noch ein schwacher Lebensfunke; der Drang nach draußen ist längst
abgestorben. Werde ich bald entlassen, ist keine ernstgemeinte Frage mehr, dahinter
steht kein spürbarer Impuls, eher die jäh aufsteigende Erinnerung an eine Zeit,
als diese Frage noch Hoffnung bedeutete. Eine bloße Formel, die dann und wann
aus der Stummheit hervorbricht. Worte wie Zukunft, bald, in 2 Monaten, sind
mir leer und fremd, sie gehören einer Welt an, die sich weiterentwickelt, die
Pläne macht und mit dem Morgen rechnen muß. Das Leben des Schreibers heißt Zeitlosigkeit,
Stillstand, Wiederkehr des Immergleichen. An die Stelle von Erwartungen und
Hoffnungen sind Ergebenheit und dumpfes Nicken getreten; Nicken zu allem, was
der Verleger sagt. Die Bedürfnisse reduzieren sich auf Essen, Trinken und Schlafen.
Wenn der Fernseher auch noch wegfiele, würde ich nicht danach fragen. Wer in
diese Gesellschaft kommt, steht in der Spannung zu der lebensfremden ja lebensfeindlichen
Ordnung, wird sich aufbäumen gegen die zudiktierten Normen und mit letzter Energie
beharrlich immer wieder versuchen, seine Persönlichkeit zu behaupten. Doch das
kann auf die Dauer niemand aushalten. - (
acht
)
Schreiben (16) Wie
unser Onkel zu sagen pflegte, sein Leben damit verbringen, Papier zu bekritzeln,
Blut und Wasser schwitzen um seine Gedanken zu sammeln, Seiten numerieren, wiederlesen,
neu schreiben, verbessern, wegstreichen und schließlich über das Ergebnis deprimiert
sein ist keine Freude, der arme Mann hat das sein ganzes Leben lang getan und
fragte sich am Ende was ihn auf die verrückte Idee gebracht hätte, man spricht
von der edlen Muse, besser sollte es heißen das Elend der Muse. - (
apok
)
Schreiben (17) Die
Backen waren geschwollen, im Hals staute sich das Blut, Flaubert saß
mit geröteter Stirn und spannte seine Muskeln wie ein Athlet, und er schlug
sich verzweifelt mit dem Gedanken und mit dem Wort, ergriff sie, jagte sie gewaltsam
aneinander und hielt sie unlöslich durch die Macht seines Willens zusammen.
Er umklammerte den Gedanken und besiegte ihn, langsam, in übermenschlichen Anläufen
und Kraftproben, und sperrte ihn in eine starke und bestimmte Form wie ein Raubtier
in seinen Käfig. -
Guy de
Maupassant
, Gustave
Flaubert. Nach: G. F., Madame Bovary. Zürich 1967
Schreiben (18) Während
des Schreibens Pißdrang, eingeschlafene linke Hand, die den Kopf stützt,
während ich im Bett notiere, liege links, spüre das Pochen meines Herzens. Möchte
kein Wort mehr -verlieren wieso eigentlich verlieren ? würde ich denn mein Wort
unterwegs verloren haben? oder würde ich es irgendwo liegen gelassen haben wie
meine Woh-nungs-Schlüssel? Ich merke, daß für mich alles komplett und in Ordnung
ist, abgekürzt: i. O. oder OK, also nichts, worüber man reden müßte, worüber
man, siehe oben - 1 Wort verlieren müßte, nur Schweigen. Was für 1 Qual, wenn
jemand über etwas das auf der Hand liegt, LANGMÄCHTIG zu sprechen beginnt, ich
kann solche Suaden nur abwehren, indem ich ununterbrochen kopfnickend ja-ja-ja-ja
rufe, dem Sprechenden also ununterbrochen beipflichte, usw. Die Adern der rechten
Hand schwellen während des Schreibens stark an, ich stelle mir vor, wie i englische
Handschrift aussieht, anscheinend gibt es keine individuellen Handschriften
in England, umso ergötzlicher, als die meisten Engländer und -!NNEN Linkshänder
sind (»die linkshändige Frau« usw.). Mein Leintuch mit Kugelschreiberschriften
bekritzelt, als sei es 1 große schöne weiße Leinwand zu Füßen. Wenn ich am Morgen
die 1. Aufstehversuche mache, bricht mir der Rücken in der Mitte auseinander,
und ich taumele heulend durch die Wohnung, erst nach reichhaltiger Bewegung,
Hin-und Her-Laufen, Arme hochstemmend, Beine ausschüttelnd, wird der Schmerz
erträglich. Auf meiner Tuchent Sterne, 1 ganzer Sternen-Regen, Sternen-Gestöber,
darüber die schwarzgelb-rot gewürfelte Wolldecke (Couvert) - Friederike Mayröcker, Die kommunizierenden
Gefäße. Frankfurt am Main 2003 (es 2444)
Schreiben (19) Der Mond wird in vier Tagen voll, und ein rechteckiger Fleck Mondlicht ist auf der Wand, und er sieht mich an wie ein großes, blindes, milchiges Auge, ein Wandauge. Blöder Witz. Verdammt alberner Vergleich. Schriftsteller. Immer muß alles ›wie‹ sein. Mein Kopf ist so schlapp und weich wie Schlagsahne, aber nicht so süß. Schon wieder Vergleiche. Ich könnte kotzen, wenn ich bloß denke an den ganzen lausigen Schmu. Ich könnte sowieso kotzen. Wahrscheinlich werde ich's auch. Drängt mich nicht. Laßt mir Zeit. Die Würmer in meinem Solarplexus krabbeln und krabbeln und krabbeln. Im Bett wäre ich besser aufgehoben jetzt, aber unten drunter wäre dann wieder das dunkle Tier, und das dunkle Tier würde ebenfalls herumkrabbeln und rascheln und einen Buckel machen und von unten gegen das Bett bumsen, und dann würde ich einen Schrei loslassen, der für niemanden hörbar wäre als für mich allein. Einen Traumschrei, einen Schrei in einem Alptraum. Es ist nichts da, wovor man Angst haben müßte, und ich habe auch keine Angst, weil ja nichts da ist, wovor man Angst haben müßte, aber trotzdem habe ich einmal so dagelegen im Bett, und das dunkle Tier hat es gemacht mit mir, hat immerfort von unten gegen das Bett gebumst, und ich hatte einen Orgasmus. Das hat mich mehr angewidert als all die andern widerlichen Dinge, die ich gemacht habe.
Ich bin dreckig. Ich muß mich dringend
rasieren. Meine Hände zittern. Ich schwitze. Ein fauliger
Geruch umgibt mich, ich rieche es. Das Hemd ist naß unter den Armen und auf
Brust und Rücken. Die Ärmel sind naß in den Ellbogenbeugen. Das Glas auf dem
Tisch ist leer. Ich würde jetzt beide Hände brauchen, um mir das Zeug einzugießen.
Vielleicht könnte ich direkt einen Zug aus der Flasche nehmen, um mich zu stärken.
- Raymond Chandler, Der lange Abschied. Zürich
1975
Schreiben (20)
Schreiben (21) VON DEN GRÜNDEN ZUM SCHREIBEN Man überzeuge sich davon: wir brauchten wohl einige unabweis-liche Gründe, um Dichter zu werden oder zu bleiben. Unser erster Beweggrund war zweifellos der Abscheu vor dem, was man uns zu denken und zu sagen verpflichtet, vor dem, woran uns die menschliche Natur teilzunehmen zwingt.
Beschämt über die Ordnung der Dinge, so wie sie ist, beschämt über alle diese groben Lastwagen, die in uns fahren, über diese Fabriken, Werkstätten, Läden, Theater, öffentlichen Denkmäler, die sehr viel mehr als den Dekor unseres Lebens darstellen, beschämt über jene schmutzige Geschäftigkeit nicht nur der Menschen um uns herum, haben wir beobachtet, daß die Natur, die doch viel mächtiger ist als der Mensch, zehnmal weniger Lärm macht und daß die Natur im Menschen, will sagen die Vernunft, überhaupt keinen macht.
Nun gut! Wir wollen der Stimme eines Menschen Gehör verschaffen, und wäre es auch nur für uns selbst. In der Stille hören wir sie, gewiß, aber in den Worten suchen wir nach ihr: dies ist nichts mehr. Dies sind Worte. Nicht einmal: Worte sind Worte.
O Menschen! Formlose Mollusken, Menge, die
in den Straßen herumläuft, Millionen von Ameisen, die der Fuß der Zeit
zertritt! Ihr habt als Bleibe nur den Dunst, der eurem wahren Blut gemeinsam
ist: die Worte. Euer Wiederkäuen ekelt euch, euer Atmen läßt euch ersticken.
Eure Persönlichkeit und eure Ausdrucksformen fressen einander auf. Solche
Worte, solche Sitten, o Gesellschaft! Alles nur Worte. -
(lyr)
Schreiben (22) Bei allen schweren und
kitzligen Untersuchungen (deren, wie der Himmel
weiß, nur zu viele in meinem Buch vorkommen), wo ich finde, daß ich keinen
Schritt tun kann, ohne Gefahr zu laufen, entweder Ihro Hochwohlgeboren
oder Ihro Hochwürden auf den Hals zu bekommen, schreibe ich die eine Hälfte
mit vollem Magen und die andere fastend, oder ich schreibe alles mit vollem
Magen und korrigiere es fastend, oder ich schreibe es fastend und korrigiere
es mit vollem Magen, denn alles das läuft auf eins hinaus. - (
shan
)
Schreiben (23) Seltsamerweise
erzeugten die Tatsache, daß er die Dinge, die er sah, aufzuschreiben hatte,
und das Kopfzerbrechen, der Widerwille fast, die daraus resultierten, in seinem
Kopf eine Fähigkeit zu abstrahieren, das Wesentliche zu erkennen und zu beachten,
die alles, was schließlich im Netz des Geschriebenen hängenblieb, klar und deutlich
machte. So geht es wahrscheinlich allen italienischen Autoren des Südens und
besonders den Sizilianern: Trotz Gymnasium, Universität
und vieler Lektüre. - Leonardo Sciascia: Der Ritter und der Tod.
Ein einfacher Fall. Zwei Kriminalromane. Berlin 1996
Schreiben (24) Schreiben wird gern mit Musik verglichen. In der Absicht, so scheint es, Dichtung zu einer reinen Kunst zu machen, wie Musik. Malerei auch. Schreiben würde dann, wie ich es bei gewissen modernen Russen gesehen habe, ungerichtete Laute anstelle hergebrachter Wörter verwenden. Das Gedicht würde dann völlig befreit sein, sobald die Übereinstimmung der Laute mit etwas anderem gegeben ist - etwa der Empfindung.
Ich glaube nicht, daß Schreiben Musik ist. Ich glaube nicht, daß das Schreiben an Qualität oder Kraft gewinnen würde, indem es nach den Merkmalen der Musik trachtete.
Die Merkmale der Musik sind, denke ich, Gegenstände der tätigen Imagination des Schriftstellers wie ein Tisch oder —
Der Schriftsteller der Imagination - um bei meinem Thema zu bleiben - würde den Merkmalen der Musik nicht dann am nächsten kommen, wenn seine Wörter von den natürlichen Gegenständen getrennt und ihrer festen Bedeutung entkleidet würden, sondern wenn sie von der üblichen Art dieser Bedeutung befreit sind durch die Verlagerung in ein anderes Medium, in die Imagination.
Manchmal spreche ich von der Imagination als einer Kraft, einem elektrischen Strom oder einem Medium, einem Ort. Es kommt nicht darauf an, was es ist: denn ob sie die Merkmale eines Ortes hat oder einer dynamischen Verwandlung, die Wirkung ist dieselbe: die Welt der Tatsachen von dem Schwindel der ›Kunst‹ zu befreien und es dem Menschen freizustellen, seinem Handeln die Richtung zu geben, in die ihn seine Veranlagung führt.
Das Wort ist nicht befreit, darum nicht in der Lage, Erlösung aus der Erstarrung
zu vermitteln, die es zerstört, solange es nicht genau auf die Tatsache eingestellt
ist, die, indem sie ihm Wirklichkeit verleiht, durch ihre eigene Wirklichkeit
die eigene Freiheit von der Notwendigkeit eines Worts herbeiführt und es solcherart
zugleich freisetzt und dynamisch verwandelt. - William Carlos Williams,
Frühling und Alles. Nach
(wcw)
Schreiben (25) Schreiben, so überlegte ich, muß ein vom Willen unabhängiger Vorgang sein. Das Wort muß wie eine tiefe Meeresströmung aus eigenem Impuls zur Oberfläche aufsteigen. Ein Kind hat nicht das Bedürfnis zu schreiben, es ist unschuldig. Ein Mann schreibt, um das Gift loszuwerden, das sich bei ihm auf Grund seiner verfehlten Lebensweise angestaut hat. Er versucht seine Unschuld wiederzugewinnen, aber er erreicht (mit seinem Schreiben) nur, daß er die Welt mit dem Virus seiner Desillusion infiziert. Kein Mensch brachte ein Wort zu Papier, wenn er den Mut hatte, seiner Überzeugung entsprechend zu leben. Seine Inspiration wird schon an der Quelle abgelenkt. Wenn er das Verlangen hat, eine wahre, schöne und magische Welt zu schaffen, warum legt er dann Millionen Worte zwischen sich und die Realität einer solchen Weh? Warum zögert er zu handeln - es sei denn, er strebe wie andere Menschen auch nur nach Macht, Ruhm und Erfolg. «Bücher sind tote menschliche Handlungen», sagte Balzac. Doch ob-sqhon er die Wahrheit erkannte, opferte er bewußt den Engel dem Dämon, von dem er besessen war.
Ein Schriftsteller buhlt auf ebenso schmähliche Weise wie ein Politiker
oder sonst ein Scharlatan um sein Publikum.
Er liebt es, genau wie der Arzt die Hand am Puls zu haben, Rezepte zu verschreiben,
er möchte eine Position einnehmen, anerkannt werden, den vollen Becher billiger
Bewunderung bis zur Neige leeren, selbst wenn er tausend Jahre darauf warten
muß. Er will keine neue Welt, die sofort errichtet werden könnte, denn er weiß,
daß er sich in ihr nicht wohl fühlen würde. Er will eine unmögliche Welt, in
der er ein ungekrönter Marionettenkönig ist, beherrscht von Kräften, die jenseits
seiner Kontrolle liegen. Er ist es zufrieden, im verborgenen - in der fiktiven
Welt der Symbole - zu herrschen, denn schon der bloße Gedanke einer Berührung
mit der schroffen und brutalen Wirklichkeit erschreckt ihn. Wohl erfaßt er die
Wirklichkeit besser als andere Menschen, aber er macht keine Anstrengung, der
Welt diese höhere Wirklichkeit kraft eigenen Beispiels aufzuzwingen. Er begnügt
sich damit zu predigen, sich im Strudel von Desastern und Katastrophen weiterzuschleppen,
ein krächzend den Tod verkündender Prophet, stets ohne Ehre, stets gesteinigt,
stets gemieden von denen, die - wie ungeeignet sie für ihre Aufgabe auch sein
mögen - immer bereit und willens sind, die Verantwortung für die Angelegenheiten
der Welt zu übernehmen. Der wahrhaft große Schriftsteller will im Grunde nicht
schreiben: Für ihn soll die Welt ein Ort sein, wo er seinen Phantasien leben
kann. Das erste bebende Wort, das er zu Papier bringt, ist das Wort des verwundeten
Engels: Schmerz. Der Prozeß des Schreibens kommt dem Einnehmen von Rauschgift
gleich. Wenn er beobachtet, wie das Werk unter seinen Händen wächst, überfällt
ihn der Größenwahn. «Auch ich bin ein Eroberer - vielleicht der größte von allen!
Mein Tag wird kommen. Ich werde mir die Welt untertan machen. - Henry Miller, Sexus. Reinbek bei Hamburg 1980 (zuerst 1947)
Schreiben (26) Heißt es auf dem Kopf
zu stehen, zu glauben, daß die Sonne um die Erde kreist und sich für die Achse
einer zu meinem Gebrauch geschaffenen Welt zu halten, wenn es mir wie die Auswirkung
einer besonderen Güte der Dinge und der Wörter erscheinen will - die sich einmal
willfährig zeigen und bereit, auf das Spiel sich einzulassen -, jene Fähigkeit
zu verspüren, die man einen Augenblick lang hat (wo man doch jederzeit darüber
verfügen möchte), auf eine solche Weise zu schreiben, daß es uns, momentan zumindest,
scheint, wir hätten etwas gesagt, das gesagt zu werden verdiente, und wir hätten
es auch so gesagt, wie es gesagt werden mußte? Nichts zu wollen, wenn die Dinge
und die Wörter einem so feindlich gesinnt scheinen, daß man sie nicht von der
Stelle zu rücken vermag und sie so ver-schlössen bleiben wie Steine. Unmöglich,
auch nur einen bündigen Satz zu schreiben, wenn jedes Ding oder jede Idee wie
ein stachliger Igel sich sträubt und zusammenrollt und sich nicht streicheln
lassen will. Scheinbar geht die Initiative nicht von mir aus, sondern von der
Welt, wie sie aus Wahrnehmungen und Empfindungen, in die ich eingetaucht bin,
um mich her entsteht: an ihr ist es, eine Aufforderung
an mich ergehen zu lassen, und an mir, darauf zu antworten
-falls auch die Worte ihre Einwilligung
erteilen. Will das Glück es, daß die adäquate Antwort sich artikuliert, so sprechen
manche bei solchen Glücksfällen von Inspiration. - (
leiris2
)
Schreiben (27)
Schreiben (28) Was das Schreiben selbst betrifft, so beansprucht es so gut wie keine Zeit. Wir schreiben täglich viel zuviel. Das erdrückt uns. Doch wenn wir gelegentlich das Chaos dieses ziellosen oder eigennützigen Gefasels durchschauen, wenn wir zufällig zu irgendeinem bewegenden Detail eines Lebens vordringen, findet sich immer die Zeit, ein paar Seiten herunterzuhämmern. Das Problem ist nicht, die Zeit dafür zu finden - täglich vergeuden wir etliche Stunden mit Nichtstun -, schwierig ist nur, das flüchtige Leben der Sache festzuhalten, die Worte so zu set/en, daß Klischees einer kurzen Einsicht weichen. Da liegt die Schwierigkeit. Wir können uns glücklich preisen, wenn dieser unterirdische Strom sich anzapfen läßt, wenn die geheime Quelle unseres Lebens ihr reines Wasser emporsendet. Das geschieht nur selten. Tausend Banalitäten drängen sich nach vorn, ihnen voran unsere verlogenen Sprach gebrauche und Denkgewohnheiten, die uns sagen, genau das sei es, was »die Leute« hören wollen. Erzähl ihnen was anderes. Du willst doch ein erfolgreicher Schriftsteller sein. Solchem Geschwätz vermag die tägliche Arbeit als Arzt drastisch abzuhelfen.
Das Schreiben kann man vergessen, es ist banal. Aber wenn tagein, tagaus
Patienten mit schwerer Zunge mühsam versuchen, einem ihr Innerstes zu offenbaren,
oder wenn jemand, der bloß ein Furunkel am Rücken hat, so aus der Fassung gerät,
daß er irgendein Geheimnis aus der mitleiderregenden Gedankenwelt einer ganzen
Gesellschaftsschicht preisgibt, dann packt einen plötzlich wieder das Verlangen,
von dem unterirdischen Strom zu sprechen, der da für einen Augenblick an die
Oberfläche gekommen ist. Was da so flüchtig zutage tritt, ist ein bloßer Bruchteil
von all dem, was die Tagespresse übersieht oder vorsätzlich unterschlägt, aber
es ist so erregend, daß man einfach wieder schreiben muß. Das ständige Tasten
nach dem Sinn dieses rohen Materials, das uns am Telephon oder in der Praxis
dargeboten wird, bringt uns zu der Erkenntnis, daß es keine bessere Methode
gibt, eine Ahnung von dem zu bekommen, was sich in der Welt abspielt. -
(wcwa)
Schreiben (29) Wenn im Zustand imaginativer Spannung nur das Schreiben Realität haben wird, wie zum Teil im Voranstehenden entwickelt - Nicht dabei versuchen, auf das nach bestimmten im voraus bestehenden Regeln verwendete Wort Wert zu legen, sondern das niederzuschreiben, was in genau diesem Augenblick geschieht -
Die Fähigkeit vervollkommnen, es in genau dem Augenblick festzuhalten, in dem das Bewußtsein durch sympathische Impulse und jene Einheit des Verstehens erweitert ist, ; welche die Imagination verleiht, sich darin üben, die bewe-\ gende Kraft festzuhalten und sie in ihren Ausmaßen zu erkennen -
Es ist die Gegenwart eines
Dies ist keine >Anwandlung<, sondern eine Vereinigung von Erfahrung
Das heißt, die Imagination ist eine wirkliche Kraft, vergleichbar der Elektrizität oder dem Dampf, kein Spielzeug, sondern eine Macht, die von Anfang an gebraucht wurde, um ein innigeres Verständnis von - dabei ist es nicht nötig, auf mystische Erfahrungen zurückzugreifen. In Wahrheit ist es das, was mir das Wissen, nach dem ich suche, vorenthalten hat —
Die Bedeutung der Imagination besteht für den Schreibenden in der Fähigkeit, Wörter zu machen. Sie hat die -einzigartige Kraft, geschaffenen Formen Realität zu verleihen, wirkliche Existenz
Das scheidet
Schreiben ist nicht ein Herumsuchen im täglichen Le•ben nach passenden Vergleichen und hübschen Gedanken oder Bildern. Das habe ich zu meinem Unglück erfahren müssen. Es ist nicht das bewußte Festhalten der Erlebnisse des Tages - »frisch und mit dem Anschein des Wirklichen-:. Derlei gefährdet ernstlich die Entwicklung der Fähigkeiten eines jeden Menschen, hält ihn nieder und macht aus ihm - Es ist zerstörerisch, macht aus der Natur ein bloßes Beiwerk zu der besonderen Theorie, der er gerade folgt, macht ihn blind für seine Welt -
Der Schriftsteller der Imagination wird davon befreit sein, Dinge mit dem Ziel zu beobachten, sie anschließend niederzuschreiben. Er wird da sein, die weite Welt zu genießen, zu kosten, zu umschlingen - keine Welt, die er wie einen Sack voll Essen ängstlich herumschleppt, damit nur ja nichts zu Boden fällt oder ein anderer mehr kriegt als er,
Eine Welt, befreit von der Notwendigkeit, sie festzuhalten, sich selbst genügend und ihm entzogen (ganz gewiß ist es so), zu der er schmerzliche und köstliche Beziehungen unterhält, ohne abhängig zu sein - seine Schritte lenkend, wohin er will - wie es ihm gerade gefällt, ungebunden -vollkommen
und der einzige Beweis dafür ist das Werk der Imagination, das nicht >wie<
irgend etwas ist, sondern durchströmt wird von den Kräften, die auch die Erde
durchströmen -oder mindestens einem kleinen Teil davon. - William Carlos
Williams, Frühling und Alles, nach
(
wcw
)
Schreiben (30) Die Zeitschrift Littérature
verfiel eines Tages darauf, einige der angeblichen Prominenzen der literarischen
Welt zu fragen: Warum schreiben Sie? Und die befriedigendste Antwort entnahm
Littérature etwas später dem Notizbuch des Leutnants Glahn, in Pan: »Ich
schreibe«, sagte Glahn, »um die Zeit zu verkürzen.« Das ist die einzige Antwort,
die ich gelten lassen kann, mit dem Vorbehalt, daß ich auch zu schreiben glaube,
um die Zeit zu verlängern. Jedenfalls bin ich bestrebt, auf sie einzuwirken,
und zitiere dazu meine Weiterführung des Pascalschen Gedankens: »Jene,
die ein Werk nach einer Regel beurteilen, sind
wie die, die eine Uhr haben, im Vergleich zu denen, die keine haben.« Ich schreibe
weiter: »Der eine sagt, indem er auf die Uhr schaut: Wir sind schon seit zwei
Stunden hier. Der andere sagt, indem er auf die Uhr schaut: Es ist erst eine
Dreiviertelstunde. Ich habe keine Uhr und sage zum ersten: Sie langweilen sich;
und zum zweiten: Die Zeit wird Ihnen nicht lang; denn für mich sind es eineinhalb
Stunden; und ich pfeife auf die, die sagen daß mir die Zeit lang werde und ich
nach meiner Uhr urteilen solle: sie wissen nicht, daß ich nach meiner Phantasie
urteile.« - André Breton,
Verächtliche Beichte. In: Der Pfahl VII. München 1993 (zuerst 1924)
Schreiben (31)
Schreiben (32) - Erinnern Sie sich an eine besondere Schwierigkeit, an etwas, das Ihnen besondere Mühe bereitet hat?
- Ich sage Ihnen doch, es war das Problem der Tage oder meiner Gedanken ...
Eines Tages merkte ich, daß ich eine bestimmte Sache schon gesagt hatte, oder
ich fragte mich vielmehr, ob ich sie nicht schon aufgeschrieben hätte, und ich
las alles wieder durch und stellte fest, daß ich sie schon beschrieben hatte,
aber anders ... Ich wußte nicht, welche Fassung die richtige war, ich verbesserte
eine von ihnen und am nächsten Tag dann die andere, und was übriggeblieben war,
stimmte dann meistens am wenigsten mit der Wahrheit über-ein und paßte nicht
mehr zu dem ändern... Ich schrieb dann das erste noch einmal ab, so wie es war,
ohne Verbesserungen, und traute mich nicht, die ändern Seiten zu zerreißen für
den Fall, daß sie mir später richtiger erscheinen würden ... Pause. Ich
hob alles auf, und schließlich fand ich mich überhaupt nicht mehr zurecht, es
war, als erzählte ich von drei oder vier verschiedenen Leuten... Dann sagte
ich mir auch, daß in Träumen oft Wahrheit steckt, und ich versuchte, mich an
sie zu erinnern, ich schrieb welche auf, die ich damals gehabt hatte, und plötzlich
während des Schreibens sagte ich mir, das sind gar keine Träume, das ist wirklich
passiert ... Manchmal wußte ich überhaupt nicht mehr weiter und mußte aufhören,
und wenn ich dann weiterschrieb, merkte ich, daß es wohl eher Gedanken von mir
waren, in denen aber mehr Wahrheit steckte als in dem, was wirklich geschehen
war . , . doch wenn ich das Geschriebene wieder durchlas, fragte ich mich, ob
ich nicht überhaupt alles erfunden hatte, ich konnte nicht mehr schlafen ..
. Pause. Ich ging wieder hin und schlich um sein Haus herum, die Nichte
war da, ich konnte in die Küche sehen, ich erkannte ihn sogar hinter dem Fenster,
er saß und schrieb ... Pause. Einmal hätte ich beinahe laut geschrien,
weil ich plötzlich das Gefühl hatte, neben ihm zu stehen, ich unterhielt mich
mit ihm und wollte gerade wieder in die Küche zurück, um etwas zu tun, das ich
vergessen hatte... Als ich plötzlich merkte, daß ich auf der Straße stand und
das alles nur gedacht hatte, wurde mir schwindlig und ich fiel hin. -
Robert Pinget, Monsieur Mortin. Frankfurt am Main 1966
Schreiben (33) Es wäre noch zu den 3
Gläsern zu sagen, daß ich mich keine Sekunde bereitfand, sie zu
zerstören; sie nicht etwa wie die Zunge abzuschneiden oder das Bein
abzuhacken, wenn es einem zum Ärgernis wird; denn ich liebte sie
wahrlich. Und wenn ich auch aus ihnen den Schnaps trank und mich der
aufsteigende Nebel in jene klaren Höhen trug, mir meinen Groll
zurückgab, diesen drallen Groll, und ich war doch nur glücklich zu
schreiben, irgend ein Wort zu setzen, das sofort Angaben sucht, schon
den Zusammenbruch vor einer Gaststätte weiß. Wer hat ihn am Samstag wo,
wann, mit wem in welchem Zustand gesehen? ausgibt, um Hinweise wie ein
Kriminalkommissariat entgegenzunehmen, das Ergebnis der Obduktion schon
vorliegt: starb an Schädelbruch, dann wird man verstehen, daß ich auf
dieses blaue Glas bezogen war, der Garant meiner Leistung, um deren
Willen ich böse war und sanftmütig, Irrtum und Lüge liebte, mir
Vermessenheit und Verzweiflung unterstellte, sie allein belohnte mich
mit Freude; sie öffnet oder begrenzt die Lebensbahnen von Individuen,
schichtet soziale Klassen um, verursacht den Auf und Abstieg von
Nationen. Darum lebe das individualistische Ethos! Und während die Erde
schon klein ist wie eine Erbse, verliert sich der Druck von meinen
Schläfen und ich richte nur noch dieses Wort Schläfe auf, Schlaf -(ich
verspreche, mich nicht mehr gegen die Sprache zu wenden, sondern
meinetwegen gegen Ingrid, die Cangaceiros nimmt sie in Mexiko an, die
Peron-Anhänger in Brasilien, und das mit Abitur!). Und der Geist weigert
sich wie der Körper zu seiner ursprünglichen Nacktheit zurückzukehren,
nachdem er sich m den glitzernden Schmuck einfallsreicher Kunst gehüllt
hat. Unter den besonderen Umstanden des Lebens beim Schreiben erwachen
Energien und Kräfte, die unter den wohlgeordneten Bedingungen der
Zivilisation kaum zutage treten. Es sind Beispiele des Überlebens in
aussichtsloser Lage überliefert, die unwahrscheinlich klingen. Nicht
umsonst herrscht die Meinung, ein Buch schreiben ist das beste Mittel,
eine Krankheit zu kurieren. Von zahlreichen Autoren ist das Exempel
eines Mannes belegt, der sich unterwegs mit einem unglücklichen Schuß
den Arm zerschmetterte. Nachdem der Wundbrand so weit fortgeschritten
war, daß er nicht weiterschreiben konnte und niemand mehr an ein
Überleben glaubte, entschloß man sich zur Amputation. Einige Freiwillige
riskierten den verzweifelten Eingriff mit so regelwidrigen Instrumenten
wie Handsäge und Fleischmesser. Zum Abschluß versengte Frau Ingrid den
Armstumpf mit einem glühenden Eisen. Die Operation war nach allen
Zeugnissen ein chirurgisches Meisterwerk. Das Opfer, Sepp Achternbusch,
traf leidlich gesund und zufrieden in Santa Fé ein. Was wäre mir
eingefallen, wenn ich statt die süße Rohrnudel gegessen zu haben, auf
die ich keinen Schnaps vertrage, einen Schnaps getrunken hatte? Mit der
Amputation meines Arms hat die Susn-Geschichte ein Ende. Unzählige
Gedanken suchten nach meinem erfolgreichen Kampf um einen Verlag ihr
Glück in meinem Kopf. Sie waren überzeugt von ihrer grenzenlosen
Möglichkeit und vom unerschöpflichen Reichtum, der im Unterbeßten liegt. - (
acht
)
Schreiben (34) Ja im Gegensatz zu Rom
habe ich die Geschichte an einem Tag gebaut, und wenn ich in dieser
Sache ganz korrekt sein will, so muß ich sagen, daß die Geschichte an
einem Nachmittag errichtet wurde. Orkanartige Gefühle trieben die
Absätze auseiander, warfen die Sätze um und verdarben den Inhalt;
Gedanken brachen durch die Kolonnen und trieben Wort und Silbe in
regellose Flucht, Immerhin schätzte ich mich glücklich, wenn der
gewaltige Gedanke in der Nähe der Karawane auftauchte, denn sein
Erscheinen war zum vornherein vorgesehen. Ich jagte ihn bei jeder sich
bietenden Gelegenheit, um die bescheidenen Vorräte zu ergänzen. Man kann
sich nicht vorstellen, welch nicht zu sättigender Appetit von dem
Schreiber hervorgebracht wird. Noch größer sind die Mengen an Schnaps,
die täglich getrunken werden. Das immer vorhandene und unentbehrliche
Getränk wird zu jedem Abschnitt aufgetischt - auch unter der brütenden
Einfallslosigkeit verzichtete ich kaum darauf, ein zweitesmal
einzuschenken. - (
acht
)
Schreiben (35) Serow, der Maler, ging zum
Obwodny-Kanal. Wozu er dorthin ging? Um Gummi zu kaufen. Wozu er Gummi
brauchte? Um sich ein Gummiband zu machen. Wozu er ein Gummiband
brauchte? Um es in die Länge zu ziehen. So. Was noch? Ach ja, das: der
Maler Serow hatte seine Uhr zerschlagen. Die Uhr war gut gegangen, aber
er hatte sie einfach zerschlagen. Was weiter? Nichts weiter. Nichts, und
basta. Und steck deine dumme Nase nicht immer in Sachen, die dich
nichts angehen! Herrgott noch mal!
Es lebte einmal eine alte Frau. Sie lebte und lebte und verbrannte im
Ofen. Geschieht ihr recht. Jedenfalls sagt das Serow, der Maler.
Ach! Ich würde weiterschreiben, aber das Tintenfaß ist plötzlich verschwunden. -
(charms)