lättern
Noch ehe Kafka sich ganz in die Apparatur
versenkt, nimmt er einen Vorgang wahr, der das jetzt einsetzende Spiel
der Mechanik auf sonderbare Weise präludiert:
Ein alter Mann, der Wärter des Panoramas, liest in der «Illustrierten Welt».
Diese Form des reinen Zeitvertreibs, des Lesens,
Abschweifens und langsamen Blätterns hat er selbst einmal in einem Brief
an seine Verlobte als einen ungeheuren, widerspruchsvollen Genuß
geschildert. Die blätternde Hand dirigiert die Zerstreuung,
sie schafft eine Bewegung, eine Welle,
in die der Blick eintauchen
und woraus er wieder auftauchen kann: «les mains
feuillolent», sagt Apollinaire*.
- Hanns Zischler, Kafka geht ins Kino.
Reinbek bei Hamburg 1996
* In
diesem französischen Neologismus
werden feuille (Blatt) und feuilleter (blättern) mit voletter
(flattern) kontaminiert. (Vgl. Gilles Deleuze, Das Zeit-Bild. Kino
2. Ubersetzt von Klaus Englert, Frankfurt a. M. 1991, S. 398, Anm. d. Ü.)
Blättern (2) Trouvaillen
im Lexikon. Auf der Suche nach dem Geburtsdatum des Dichters Hermann Kurz
(29. November 1813, Reutlingen) stoße ich beim Blättern auf »Kukurbitation«
und ordne das Wort der Botanik zu.
Weit gefehlt. Es ist »eine Art der Felonie, welche der Vasall durch
den Beischlaf mit seines Lehnsherrn Frau, Braut oder Tochter begangen hat.
Sie kostete nach lombardischem Recht das Lehen.
Derartiges weckt den etymologischen Instinkt, zu dessen Befriedigung
ich gut gerüstet bin. Ich suchte lange vergebens, bis ich im Du Cange,
der mich selten im Stich läßt, fast eine ganze Spalte mit vielen Zitierungen
fand.
Das Wort hat in der Tat einen botanischen Ursprung insofern, als der
Leib der Betroffenen wie ein Kürbis (instar cucurbitae) schwillt. Ich hatte
zunächst an »cucullus«, den Kuckuck, in seiner
Bedeutung als »Hahnrei« gedacht.
Was dem Lehnsherrn begegnet, der sich in ähnlicher Weise vergeht, wird
im Du Cange nicht erwähnt. - Ernst Jünger, 17. November 1985.
Siebzig verweht III, Stuttgart 1993
Blättern (3)
- N. N.
