achmittag    Wir verbringen den ganzen Nachmittag damit, längs des Pharaonenaquädukts auf Raubvögel zu schießen. Weißliche Hunde, Wolfsgestalten mit spitzen Ohren, treiben sich in diesen stinkenden Gegenden herum; sie machen Löcher in den Sand, Nester, in denen sie schlafen. - Gerippe von Kamelen, Pferden und Eseln. - Bei manchen war die Schnauze violett von geronnenem Blut, das in der Sonne hart gebacken ist; trächtige Muttertiere laufen mit ihrem dicken Bauch herum; je nach individuellem Charakter bellen sie gellend oder aber machen uns Platz, um uns vorbeizulassen. Kommt ein Hund von einem andern Stamm, wird er sehr schlecht in dem fremden Rudel empfangen. - Wiedehopfe mit Tigerstreifen und langen Schnäbeln picken zwischen den Kadaverkörpern nach kleinen Würmern. - Die flachen, kräftigen Kamelrippen ähneln entlaubten und gekrümmten Palmwedeln. - Während ich den Aasgeiern auflauere, zieht eine Karawane von vierzehn Kamelen an den Aquäduktbögen vorbei. Die Kadaver stinken unter der starken Sonne; die Hunde pennen, wenn sie verdauen, oder sie reißen in aller Ruhe das Fleisch in Stücke.

Nach der Jagd auf Adler und Milane haben wir auf die Hunde geschossen: wenn eine Kugel in ihre Nähe fiel, machten sie sich, ohne zu laufen, langsam davon. Wir standen auf einer Kuppe, sie auf einer anderen; das kleine Tal zwischen uns und ihnen lag vollständig im Dunkeln. Ein weißer Hund, in der Sonne aufgepflanzt, mit aufgerichteten Ohren. - Der, den Maxime an der Schulter verletzt hat, krümmte sich wie ein Halbmond, rollte zuckend am Boden und trollte dann weiter . . . sicher um in seinem Loch zu verrecken. An der Stelle, wo er getroffen worden war, sahen wir eine Blutlache, und eine Spur kleiner Tropfen führte in Richtung Schlachthaus. Es handelt sich um ein Gehege von mittelmäßigem Umfang, 300 Schritt von dort entfernt; außerhalb liegen aber hundertmal mehr Kadaver als drinnen, wo man kaum etwas anderes als Eingeweide und Berge von Unrat sieht. Dahinter, zwischen der Mauer und dem daran anschließenden Hügel, kann man für gewöhnlich die meisten umherkreisenden Vögel sehen. Das ganze Gelände dieses Viertels besteht nur aus Aschehaufen und Tonscherben. Auf einem Stück Ton Blutstropfen.   - (orient)

Nachmittag (2) Sobald ich wieder bei Atem war, rannte ich über die Straße. Sie war ganz vereist, und ich wäre beinah hingefallen. Ich weiß nicht, warum ich so rannte - wahrscheinlich einfach, weil es mir Vergnügen machte. Als die Straße hinter mir lag, hatte ich ein Gefühl, als ob ich unsichtbar würde. Es war so ein verrückter Nachmittag, furchtbar kalt, keine Sonne, und jedesmal wenn man eine Straße kreuzte, hätte man ein Gefühl, als ob man verschwände.  - J. D. Salinger, Der Fänger im Roggen. Reinbek bei Hamburg 1969 (rororo 851, zuerst 1951)

Nachmittag (3)

Nachmittags nehme ich ein Buch in die Hand
nachmittags lege ich ein Buch aus der Hand
nachmittags fällt mir ein es gibt Krieg
nachmittags vergesse ich jedweden Krieg
nachmittags mahle ich Kaffee
nachmittags setze ich den zermahlnen Kaffee
rückwärts zusammen schöne
schwarze Bohnen
nachmittags zieh ich mich aus mich an
erst schminke dann wasche ich mich
singe bin stumm

- Sarah Kirsch, in: Tintenfisch 1. Jahrbuch für Literatur. Berlin 1968

Nachmittag (4)  Toussaint Lanouvelle stand in dem engen Vorraum, keuchte wie ein Ochse, jammerte aber nicht. Mit beiden Händen hielt er sich den Bauch. Wie in einem schrecklichen Alptraum machte der tödlich getroffene Hüne einen Schritt nach vorn, dann noch einen, wie die Statue des Komturs, genauso unerbittlich.

Der frühlingshafte Nachmittag war still, friedlich und mild. Das Tageslicht fiel durch die offenstehende Zimmertür in den Vorraum. Der Schwarze sah mich an, falls er überhaupt noch irgendwas erkennen konnte, so weit, wie er war. Weit weg. Sehr weit sogar. Jetzt ließ er seinen Bauch los. Ich meinte, das Blut brodeln zu hören, aus seinen Eingeweiden spritzen und die Beine runterlaufen zu sehen. Er streckte mir seine fürchterlich langen Arme entgegen.

Ich stand wie versteinert da, erkannte die Gefahr erst, als es zu spät war. Angewidert sah ich, wie sich seine blutverklebten Hände auf mein Gesicht zubewegten, auf meinen Hals. Der Hüne bäumte sich zum letzten Mal auf, glaubte, alle fünf Sinne beieinander zu haben - so ein Unsinn! - und vermutete in mir einen Komplizen seines Mörders. Ich wollte der furchtbaren Umklammerung ausweichen, aber zu spät. Seine Hände rutschten auf meine Schultern, seine stählernen Finger krallten sich fest, wild entschlossen, nicht mehr loszulassen.

Und in diesem Moment muß er wohl gestorben sein. Aufrecht, wie Emily Brontë. Nur war er verdammt viel schwerer als die zierliche Engländerin. Ein Schluchzen schüttelte ihn. Er fiel wie ein Klotz zu Boden und riß mich mit sich. Jetzt lag ich unter ihm.

Der Lebende beerbt den Toten. Das ist ein Rechtsprinzip, Yolande! Und da ich beim Zitieren bin: Haben Sie schon mal einen Toten geohrfeigt?, fragte Louis Aragon. Haben Sie sich schon mal mit einer Leiche herumgeschlagen?, frage ich. - Léo Malet, Bambule am Boul' Mich'. Reinbek bei Hamburg 1990 (zuerst 1982)

Nachmittag (5)  Hortense war entzückt, in seinen Einbrecherarmen zu liegen, und sie ließ sich von dem Einbrecher auf alle vorstellbaren Weisen penetrieren. Es war so etwas wie der Altweibersommer ihrer Liebe. Sie verbrachten köstliche und unzüchtige Nachmittage miteinander. Sie aßen Spaghetti mit Ei oder von Hortense mit Liebe aufgewärmte Pizzas, dazu Mandelkuchen, die Madame Groichant ihr zusammen mit anderen Näschereien zukommen ließ, damit sie nicht vom Fleisch fiele. Gegen Abend brach Morgan zu seinen Einbrüchen auf und kam am frühen Morgen zum Schlafen zurück. - Jacques Roubaud, Die schöne Hortense. München 1992 (dtv 11602, zuerst 1985)

Nachmittag (6)  Die Fliegen sitzen auf einem Stück Muskel, das die Hunde verschleppt haben. Die Sonne röstet es mit der Inbrunst einer aufmerksamen Köchin und macht es für die Fliegen pikant. Man kann in dieser augenblicklichen Schweigsamkeit eines verschüchterten Nachmittags überall tief hineinhorchen, auch dort, wo die Gasse ganz dunkel ist. Würde man Menschen begegnen in ihr, man könnte den Takt ihres Herzschlages beobachten, man könnte vielleicht die Wisser und Nichtwisser unterscheiden. Nur der schmutzige Fluß, der jenseits der Häusermauern faul und übelriechend vorbeikriecht und die Stadt belästigt, scheint jetzt laut geworden zu sein und gesprächige Wellen klatschen an die weißen Quader der Kais. Der hungrige Pudel bellt in die Sonne hinauf und sucht dann die schmalen Schatten zwischen verlassenen Türbänken. Ein eifriger Obstler ordnet seine kümmerliche Ware und scheucht das Insekt von seinem Besitztum. Ab und zu klatscht ein verdorbener Apfel auf die großen Rieselkoppen. Das indiskrete Lächeln des Obstlers geht an die Fensterreihen entlang, als stände jeder Gardine der Verräter bereit. Gedankenlos klappt der Stiefel der Polizei vorüber, auf und ab, zurück und wieder her, ein Rundgang wie ein Wirbel im schmutzigen Fluß.   - Victor Hadwiger, Il Pantegan. Abraham Abt. Prosa. München  1984 (zuerst 1912/1919)

Nachmittag (7)  

Nachmittag (8)  Der sonnige, langsam lullende Nachmittag geht gähnend durch die nickende Stadt. Die See leckt und läppert und flutet träge, mit schlafenden Fischen in ihrem Schoß. Die Weiden sind still wie Sonntag; die Stiere mit geschlossenen Augen und Troddeln, die Waldtäler mit Ziegen und Gänseblümchen halten wohlig und ruhig ihr träges Schläfchen. Die stummen Ententeiche dösen. Wolken senken sich als weiche Kissen auf den Llareggub-Berg. Schweine grunzen im nassen Suhlebad und lächeln im nuschelnden Traum. Sie träumen vom Eichelfreßtrog der Welt, vom Wurzelwühlen nach Schweineobst, von den Dudelsackzitzen der Muttersau und dem Quieken und Schnüffeln der jasagenden Schweineweibchen zur Brunstzeit. Sie suhlen sich und schnauzen in der schweineliebenden Sonne; ihre Schwänze ringeln sich, sie rollen und seibern und schnarchen sich ein, in den tiefen behaglichen Schlaf nach dem Fraß. Und Esel auf der Eselweide nicken wie Engel ein.    - Dylan Thomas, Unter dem Milchwald. Ein Spiel für Stimmen. Nachdichtung von Erich Fried. Heidelberg 1954

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