(
Chamfort
)
Verachtung (2) Haß ist Sache des Herzens; Verachtung des Kopfs. Das Ich hat keines von Beiden in seiner Gewalt: denn sein Herz ist unveränderlich und wird durch Motive bewegt, und sein Kopf urtheilt nach unwandelbaren Regeln und objektiven Datis. Das Ich ist bloß die Verknüpfung dieses Herzens mit diesem Kopfe, das zeugma [Verbindung].
Haß und Verachtung stehn in entschiedenem Antagonismus und schließen einander aus. Sogar hat mancher Haß keine andere Quelle, als die Hochachtung, welche fremde Vorzüge erzwingen. Und andererseits, wenn man alle erbärmlichen Wichte hassen wollte, da hätte man viel zu thun: verachten kann man sie mit größter Bequemlichkeit sammt und sonders. Die wahre, ächte Verachtung, welche die Kehrseite des wahren, ächten Stolzes ist, bleibt ganz heimlich und läßt nichts von sich merken. Denn wer die Verachtung merken läßt, giebt schon dadurch ein Zeichen einiger Achtung, sofern er den Andern wissen lassen will, wie wenig er ihn schätze; wodurch er Haß verräth, der die Verachtung ausschließt und nur affektirt.
Die ächte Verachtung hingegen ist reine Ueberzeugung vom Unwerth des Andern und mit Nachsicht und Schonung vereinbar, mittelst welcher man, eigener Ruhe und Sicherheit halber, den Verachteten zu reizen vermeidet, da Jeder schaden kann.
Kommt dennoch ein Mal diese reine, kalte, aufrichtige
Verachtung zum Vorschein; so wird sie durch den blutigsten
Haß erwidert; weil sie mit Gleichem zu erwidern nicht
in der Macht des Verachteten steht. - (schop
)
Verachtung (3) Die gewöhnlichste Methode, Verachtung auszudrücken, ist die durch gewisse Bewegungen um die Nase und um den Mund. Aber die letzteren Bewegungen zeigen, wenn sie stark ausgeprägt sind, Abscheu an. Die Nase kann leicht in die Höhe gewendet sein, was allem Anscheine nach Folge des Aufwerfens der Oberlippe ist, oder die Bewegung kann in ein bloßes Runzeln der Nase abgekürzt sein. Die Nase ist häufig unbedeutend zusammengezogen, so daß der Nasengang zum Teil geschlossen wird, und dies ist häufig von einem unbedeutenden Schnaufen oder einer Exspiration begleitet. Alle diese Tätigkeiten sind dieselben, welche wir anwenden, wenn wir einen widrigen Geruch wahrnehmen, welchen wir von uns abzuhalten oder auszutreiben suchen. In äußersten Fällen strecken wir, wie Dr. Piderit bemerkt, beide Lippen vor und erheben sie oder auch nur die Oberlippe allein, gewissermaßen um die Nasenlöcher wie mit einer Klappe zu schließen, wobei natürlich die Nase nach oben gewendet wird. Wir scheinen hierdurch der verachteten Person sagen zu wollen, daß sie widerwärtig riecht, in nahezu derselben Art und Weise, wie wir ihr durch unsre halbgeschlossenen Augenlider oder durch das Wegwenden unsres Gesichts ausdrücken, daß sie nicht wert ist, angesehen zu werden. Man darf indessen nicht etwa annehmen, daß derartige Ideen wirklich durch die Seele ziehen, wenn wir unsre Verachtung ausdrücken. Da wir aber, sooft wir nur einen unangenehmen Geruch oder einen unangenehmen Anblick wahrgenommen haben, Bewegungen dieser Art ausgeführt haben, so sind sie konventionell oder fixiert worden und werden nun unter jedem analogen Seelenzustande angewendet.
[Unsere Forschungen ergaben einen anderen universalen Ausdruck der Verachtung, bei dem ein Mundwinkel angespannt und schräg gestellt wird. Das Zurückwerfen des Kopfes und der Blick nach unten können zu diesem Ausdruck hinzukommen, müssen es aber nicht. Bemerkenswerterweise ist dies der einzige physiognomische Gefühlsausdruck, der asymmetrisch ist. Deswegen und weil er spät in der Entwicklung auftritt, hatte ich nicht damit gerechnet, daß er sich als universal herausstellen würde, aber die Empirie spricht dafür. Das Anheben der Oberlippe, das Darwin beschreibt, ist typischer für Abscheu als für Verachtung, kann aber, wenn es nur auf einer Gesichtshälfte auftritt, ebenfalls Verachtung ausdrücken.
Der Hals-Nasen-Ohren-Spezialist Roger Crumley hält Darwins Darstellung unseres Verhaltens, wenn wir versuchen, einen widerwärtigen Geruch abzuwehren, für falsch. Das Zusammenziehen der Nasenlöcher wird durch den Dilator alae nasalis-Muskel erreicht, der »den seitlichen Rand des Nasenlochs (ala) zur Seite zieht und auf diese Weise die Nasenhöhle öffnet«. Das Runzeln der Nase ist Crumley zufolge »keine Atmungsbewegung ... Es stimmt, daß wir durch Anheben der Lippen dazu beitragen, ›die Nasenlöcher wie mit einer Klappe zu schließen‹.«]
Verschiedene merkwürdige kleine Gebärden deuten gleicherweise Verachtung
an, zum Beispiel das Fingerschnippen. - (dar
)
Verachtung (4) Zu glauben, daß man den andern verächtlich
sein werde, wenn man seinen Feinden nicht auf jede Weise Schaden zufügt — das
ist das Zeichen eines unedlen und törichten Menschen. Freilich wird jemand auch,
insofern er nicht imstande ist, einem zu schaden, für verächtlich gehalten.
Aber weit mehr hält man einen deshalb für verächtlich, weil er nicht imstande
ist, zu nützen. - Epiktet
Verachtung (5)
- Egon Schiele
Verachtung (6) Um die Sachen
zu erlangen, ist ein schlauer Kunstgriff, daß man sie gering schätze: gewöhnlich
wird man ihrer nicht habhaft, wann man sie sucht, und nachher, wann man nicht
darauf achtet, fallen sie uns von selbst in die Hand. Da alle Dinge dieser Welt
ein Schatten der ewigen Dinge sind; so haben sie mit dem Schatten auch diese
Eigenschaft gemein, daß sie den fliehen, der ihnen folgt, und dem folgen, der
vor ihnen flieht. Die Verachtung ist ferner auch die klügste Rache: es ist feste
Maxime der Weisen, sich nicht mit der Feder zu vertheidigen: denn solche Vertheidigung
läßt eine Spur nach und schlägt mehr in Verherrlichung der Widersacher, als
in Züchtigung ihrer Verwegenheit aus. Es ist ein Kniff der Unwürdigen, als Gegner
großer Männer aufzutreten, um auf indirektem Wege zu der Berühmtheit zu
gelangen, welcher sie auf dem direkten, durch Verdienste, nie theilhaft geworden
wären: und von Vielen würden wir nie Kunde erhalten haben, hätten ihre ausgezeichneten
Gegner sich nicht um sie gekümmert. Keine Rache thut es dem Vergessen gleich,
durch welches sie im Staube ihres Nichts begraben werden. Solche Verwegne wähnen
sich dadurch unsterblich zu machen, daß sie an die Wunder der Welt und der Jahrhunderte
Feuer anlegen. Die Kunst die Verläumdung zu beschwichtigen ist sie unbeachtet
zu lassen; gegen sie ankämpfen, bringt Nachtheil: und eine Herstellung unsers
Ansehns, die es schmälert, ist den Gegnern wohlgefällig: denn selbst jener Schatten
eines Makels benimmt unserm Ruhm seinen Glanz, wenn er ihn auch nicht ganz verdunkeln
kann. - (
ora
)
Verachtung (7) Es träumte jemand,
seine Frau ziehe ihr Kleid hoch und zeige ihm ihr Geschlechtsteil.
Die Frau beschwor ihm viel Unheil herauf; denn sie hatte vor ihm zum Zeichen
ihrer Verachtung das Kleid in die Höhe gezogen. Es träumte jemand, er ziehe
in einem Verein und einer Bruderschaft im Beisein der Vereinsgenossen sein Gewand
hoch und pisse jeden einzelnen an. Er wurde wie ein
Ehrloser aus der Bruderschaft ausgestoßen. Denn es ist nur recht, daß Leute,
die sich wie Betrunkene aufführen, gehaßt und vor die Tür gesetzt werden. Es
träumte einem, er pisse mitten im Theater und inmitten der Volksmenge. Natürlich
verstieß er gegen Sitte und Ordnung; denn er brachte gegenüber den herrschenden
Gesetzen wie auch gegenüber den Zuschauern seine Geringschätzung zum Ausdruck.
Für die Herrschenden dagegen ist es nicht schlimm, wenn sie träumen, daß sie
ihre Untergebenen gering schätzen. -
(
art
)
Verachtung (8) Nichts spricht
mehr für das geringe Maß an Achtung der Menschen füreinander als die unwillkürliche
Verachtung, die sie nicht nur den Schauspielern bezeugen, sondern allen, die
sie unterhalten und für ihr Vergnügen tätig sind. So liegt auch bei den meisten
Männern der Grund, aus dem sie eine Frau verachten, darin, daß sie sie gehabt
haben. - Rivarol, nach (
riv
)
Verachtung (9) Verachte alles,
doch so, daß Verachten dir nicht zum Nachteil gereicht. Halte dich nicht für
überlegen, weil du verachtest. Darin liegt die Kunst
der erhabenen Verachtung. - Fernando Pessoa, Das Buch
der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Zürich 2003
Verachtung (10) Andere verachten
(contemnere), d. i. ihnen die dem Menschen überhaupt schuldige Achtung weigern,
ist auf alle Fälle pflichtwidrig; denn es sind Menschen. Sie vergleichungsweise
mit anderen innerlich geringschätzen (despicatui
habere) ist zwar bisweilen unvermeidlich, aber die äußere Bezeigung der Geringschätzung
ist doch Beleidigung. - Kant, Metaphysik der Sitten
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