(se)
Haß (2) Der Haß haßt sich recht eigentlich selbst, und der größte Haß ist stille, so stille wie beglückte Liebe, die größten Tugenden und die schlimmsten Hunde.
Haß und Rache laufen schnurstracks gegen die erhabenen, wohltätigen Lehren Jesu. Wer hätte glauben sollen, daß aus der Religion der Liebe gerade die lächerlichste Art des Hasses hervorgehen würde - Religionshaß? Der Theologenhaß allein wäre vermögend, den Menschenfreund selbst mit Haß zu erfüllen gegen das ganze Geschlecht der Menschlein. Unser Haß ist leider wahrer als unsere Liebe, und die bekannte Antithese: "Wer im vierzigsten Jahr die Menschen nicht haßt, hat sie nie geliebt", ist leider auf Erfahrungen gegründet. Je näher einander, desto größer ist der Haß unter den philosophischen Sekten des Altertums wie unter den neueren, unter den Mönchsorden wie unter Religionssekten und selbst unter Anverwandten. Die Bibel befiehlt auch bloß, Feinden zu verzeihen, sagt aber nichts von Freunden, die sich auch am besten kennen müssen.
Wir hassen manchen, dem wir im stillen unsere Achtung nicht versagen können, verlieren aber oft unseren Haß, wenn unsere Verachtung zunimmt, denn Verachtung verhält sich leidend, Haß aber ist tätig, angreifend, verfolgend, der eigenen Schaden nicht achtet, wenn nur dem Gehaßten dadurch noch größerer zuwächst, so wie Bienen und Wespen stechen, wenn sie auch darüber Stachel und Leben verlieren sollten. Leider ist es ein wahres Wort: "Traue keinem versöhnten Feinde." Der Beleidigte verzeiht von Herzen siebenmal siebenzigmal, der Beleidiger ungleich seltener.
"Warum verzeihen die Korsen nie?" fragte ein Genueser. "Weil
sie nie durch Kleinigkeiten beleidigt werden", erwiderte der Korse.
Ich bin überzeugt, daß recht lebendiger Haß des Schlechten das wahre Lebenselement
kräftiger Männer war und noch ist und bleiben wird, wie bei Luther.
Es gibt einen sehr tugendhaften Haß, aber zuletzt artet er doch aus wie
jede Leidenschaft und geht über die Grenze. "Der Person Freund, der
Sache Feind", ist bald gesagt, aber in der Ausführung schwer. Widerstand
ohne Haß halte ich für das größte Meisterstück der Moralität. - (
kjw
)
Haß (3) Eines Tages ging ein Student an der Tür eines großen Hotels in den Bergen vorbei und sah eine etwas ältliche Frau herauskommen, vielmehr hörte er, wie sie herauskam, weil seine Aufmerksamkeit nämlich von einem tierischen Laut gefesselt wurde, dem Quaken eines Frosches. Er schaute sich um und sah in der Tat eine kleine rundliche Frau, die in einen weißen Nerz mit dunklem Nerzfutter gehüllt war. Auf dem Kopf hatte sie eine spitze Pelzmütze, ebenfalls aus weißem und dunklem Nerz. Auch die Stiefeletten, die sie an den Füßen trug, waren in Fischgrätmuster aus weißem und dunklem Nerz gearbeitet.
Er sah ihr ins Gesicht: Es war ein infolge häufiger und langer Sonnenbäder verbranntes Gesicht, braun, eingeölt und glänzend, hatte die Form eines Kuhfladens, als bestünde es aus konzentrischen Kreisen; gleichzeitig schien es das plattgedrückte Maul einer Kröte zu sein, mit zwei dunklen vorspringenden Bällen an den Seiten, überragt von schnurartigen, mit einem schwarzen Stift gezogenen Augenbrauen und einem überbreiten, an den Winkeln herabhängenden Mund, lippenlos und dennoch voller Lippenstift. Sie öffnete den Mund, der ohne Zähne schien, und stieß eben jenes Quaken einer Kröte hervor, wobei sie genau wie eine Kröte die Kehle und die Adern am Hals aufblies.
Der Student, der ganz nahe war, begriff die Bedeutung dieses Quakens nicht, es mußte jedoch eine Aufforderung an einen Kellner sein, der sogleich zu einem Liegestuhl eilte, diesen auseinanderklappte und der Frau dienstbeflissen zuwinkte: Diese setzte sich breitbeinig hin, zog aus einer weißlichen krokodilledernen Handtasche mit einer Hand von ganz dunkler, pergamentartiger Haut und mit lackierten Nägeln wie schon bereitgelegt, zehntausend Lire hervor und gab sie dem Kellner.
Dieser Anblick sowie der Ton, der aus dem feuchten roten Einschnitt
des Mundes ganz glückselig und befriedigt herauskam, trafen den Studenten
heftig, und er fühlte, wie er erbleichte und, von einem mächtigen Haßgefühl
übermannt, gleich darauf errötete. Er hatte oftmals Haß verspürt, aber
das war verglichen mit allem, was er in diesem Moment verspürte, vielleicht
kein Haß: Jetzt nämlich hätte er die Frau vom Liegestuhl zerren, auf die
Straße schleifen, schlagen, zertrampeln und mit seinen Skistiefeln töten
können. - Goffredo Parise,
Alphabet
der Gefühle. Berlin 1997 (zuerst 1972, 1982)
Haß (4) Mein Haß ist eine Realität,
die ich nicht verleugnen kann; ohne ihn kann ich zu keiner anderen Realität
kommen. - (
bleist
)
Haß (5) Aus Barmherzigkeit wurde hinten in einem Pferdestall ein ganz alter Schimmel gehalten, den die Bäuerin bis zu seinem natürlichen Tod füttern wollte, weil sie selbst ihn aufgezogen und immer gehegt hatte und weil sich Erinnerungen an ihn banden.
Ein fünfzehnjähriger Stallknecht namens Isidore Duval, Sidore gerufen, hatte den Invaliden zu versorgen, teilte ihm winters sein Maß Hafer und Heu aus und mußte ihn sommers viermal am Tag auf dem Wiesenhang umsetzen, damit er stets reichlich frisches Gras habe.
Das nahezu gelähmte Tier konnte die schweren, über den Hufen geschwollenen Füße mit den dicken Knien kaum mehr heben. Sein Fell, das nicht mehr gestriegelt wurde, mutete wie weißes Haar an, und sehr lange Wimpern gaben seinen Augen ein trauriges Aussehen.
Wenn Sidore es hinausführte, mußte er an der Leine zerren, so langsam ging das Tier; und gekrümmt und keuchend, verfluchte es der Junge, verwünschte sich selber, daß er die alte Schindmähre zu hüten hatte.
Die Leute vom Hof, die den Zorn des Stallburschen gegen Coco kannten, machten sich lustig und redeten dauernd von Sidores Liebling, um den Jungen zu ärgern. Seine Kameraden witzelten über ihn. Im Dorf wurde er Coco-Sidore genannt.Der Junge wütete, und sein Wunsch, sich an dem Pferd zu rächen, wurde immer heftiger. Es war ein magerer Knabe, staksig, sehr unsauber, mit einem dichten Schöpf struppiger roter Haare. Er wirkte blöde, redete stottrig, unter unsäglichen Mühen, als könnten sich in seinem beschränkten Kopf keine Ideen bilden.
Längst schon wunderte er sich, daß man Coco am Leben ließ, entrüstete
sich, daß für das unnütze Vieh gutes Futter vergeudet wurde. Da es zu keiner
Arbeit mehr taugte, dünkte es ihn ungerecht, das Tier zu ernähren; es erschien
ihm empörend, an den gliederlahmen Klepper noch Hafer zu verschwenden,
guten Hafer, der so teuer war. Und oft sparte er, entgegen den Weisungen
von Meister Lucas, am Futter für das Pferd, schüttete ihm nur das halbe
Maß ein, geizte mit seiner Streu und seinem Heu. Und Haß wuchs in seinem
verworrenen kindlichen Sinn, der Haß des habsüchtigen, des tückischen Bauern,
wild, roh und feige. - (
nov
)
Haß (6) Wenn mir einer der Haßausbrüche
auf die Vertreter dieser oder jener Gattung der Menschheit unterläuft,
merke ich doch immer bald, daß ich damit die Lieblosen erst in Schwung
bringe: sie könnten nun endlos mit meinem Stafettenholz weiterlaufen -
und da möchte ich sie sofort zum Schweigen bringen (worauf sie sehr über
mich staunen, denn schließlich habe ich ja angefangen). (Spiel dieses Spiel)
- (
bleist
)
Haß (7) Gegen Mittag tobte eine grell gelb und braun
geflammte Hornisse durchs Gitterfenster, schwang sich bogig wild und sinnlos
: kleinfingerlang war das Unwesen ! (Hab sie bald totgeschlagen; hinter
ihr her gegangen, kalt und lauernd wie ein Schicksal.) Ich hasse Insekten
mit einem Urhaß; als Kind hat es mich manchmal vor Wut
geschüttelt, wenn ich junis im Hain ging, still stand, und oben in den
duldenden Baumkronen das flüsternde Gefräß von Chiliaden Wurmkiefern hörte,
es schlich, bohrte, sägte, saugte; Wespen stießen
biegsame Klingen in bäumende Raupenleiber : dann schmatzte Wurm
in Wurm. Als Knaben zogen wir tief aus den Riffen vorm Hafen Lakydon einen
schwarzen Fisch, der war nur ein schwimmendes Raffmaul, zahnumstarrt. Seitdem
weiß ich : Güte ist ein Widernatürliches, Widergöttliches (auch Widermenschliches
wohl : ein ligurischer Söldner erzählte mir mal, oben, im Norden, wären
Völker, die schnitten gefangenen Feinden beiderseits am Rückgrat herunter
die Rippenspangen durch und rissen dann den noch Lebenden die Lungenflügel
raus; ‹den Blutaar ritzen› nennen sie das ! - Und denkt ja nicht, das wäre
nur im Norden so. Menschen und Götter
können sich die Hand reichen; sind einander würdig.). - Arno Schmidt,
Gadir oder Erkenne dich selbst
Haß (8) Wenn ich gerade Bilanz machen müßte: - keine
Person, die ich im Augenblick hasse; nur etliche, denen ich nicht begegnen
möchte, da es sein könnte, daß es nochmals zum Haß kommt. Ich hasse nicht
selten, aber kurzatmig. Vielleicht ist es meistens nur Zorn.
Kein Fall von lebenslänglichem Haß. Vor allem meine ich sicher zu sein,
daß mein Haß mich mehr geschädigt hat als sie, die ich haßte. Haß als Stichflamme,
die plötzlich erhellt; aber dann verdummt er mich. Vielleicht kommt es
daher, daß dem Hassenden eher an Versöhnung gelegen ist als dem Gehaßten.
Wenn ich feststelle, daß jemand mich haßt, kann ich mich leichter entziehen;
ich halte mich eben an andere, die mich nicht hassen. Trotz einer natürlichen
Dosis von Selbsthaß bin ich vorerst irritiert, wenn ich mich von jemand
(ohne daß ich ihm ein Bein gestellt hätte) gehaßt finde. Habe ich mit Sympathie
gerechnet? Eigentlich nicht. Was irritiert, ist die unerwartete Intensität
einer einseitigen Beziehung; der Reflex ist nicht Gegen-Haß, vielleicht
Verwirrung, vor allem aber Wachheit. Ich habe das Gefühl, er fördere mich
(zu einem gewissen Grad) durch Wachheit, oder ich kann den Hassenden vergessen.
Umgekehrt nicht; als der Hassende halte ich mich an den Gehaßten, und es
hilft mir nichts, daß er sich entzieht, im Gegenteil. Je seltener ich ihn
sehe oder von ihm höre, umso gründlicher mein Haß, d. h. meine Selbstschädigung.
Ferner stelle ich fest: Haß auf eine Person nötigt mich zu einem Grad von
Gerechtigkeit, den ich nie erreiche, und überanstrengt mich. Meistens braucht
es nicht einmal eine Versöhnung; mein Haß wird mit der Zeit zu kostspielig,
das ist alles, mit der Zeit steht er in keinem Verhältnis zu der betreffenden
Person, die mir eigentlich, was immer sie getan haben soll, gleichgültig
geworden ist... Anders ist es mit dem Haß, der sich nicht auf eine Person
bezieht, sondern auf ein Kollektiv oder insofern auf eine Person, als sie
ein Kollektiv repräsentiert. Mein einziger lebenslänglicher Haß: Haß auf
bestimmte Institutionen. Da wird der Haß selbst eine Institution. Auch
da schädigt der Haß vorallem mich selbst, aber ich bleibe meiner Selbstschädigung
treu, weil dieser Haß sich als Gesinnung versteht und Gleichgültigkeit
wie Versöhnung ausschließt - - Max Frisch,
Tagebuch 1966 - 1971. Frankfurt am Main 1972
Haß (9) Dse-gung fragte: Kennt auch der edle Mensch Haß?
Der Meister sprach: Auch er kennt Haß. Er haßt Menschen, die häßlich von anderen sprechen. Er haßt Untergebene, die ihre Vorgesetzten verleumden. Er haßt Waghalsige, die alle Normen der Riten außer acht lassen. Und auch jene kühn entschlossenen Kämpen haßt er, wenn sie engherzig und boshaft sind.
Gibt es auch für dich Dinge, die du haßt? sprach sodann der Meister zu Dse-gung.
Dse-gung erwiderte: Ich hasse es, wenn Leute die Gedanken anderer stehlen
und sie als eigene Erkenntnisse ausgeben. Ich hasse es, wenn Leute ihre Unverschämtheiten
für Mut halten. Ich hasse es, wenn man den Verrat am Vertrauen
anderer als Offenherzigkeit und Geradheit ausgibt. - (
kung
)
Haß (10) Das Leben ist kurz, und der Zwang zum
Hassen verkürzt es auf verhängnisvolle Weise. Darauf haben einige Dichter hingewiesen.
Francesco Zappulla drückte sich mit großer Eindringlichkeit aus, wenn er über
sein Lieblingsthema sprach. »Seht ihn euch an!« sagte er. »Ihm ist ein Wanst
gewachsen! Er hat mich Jahre meines Lebens gekostet! Wenn er stirbt, schwillt
sein Leichnam so stark an, daß der Sarg explodiert und er die Kathedrale füllt!«
- Vitaliano Brancati, Feinde. Nach (
branc
)
Haß (11) Everbe zerrte mich fast weiter,
damit ich zwischen ihr und Butch hlieb. Aber es half nichts; er holte mich einfach
ein; jetzt konnte ich ihn bereits riechen - den Schweiß und den Whisky -, und
jetzt sah ich in seiner andern Hosentasche den Hals einer Literflasche; wieder
nahm er [Butch] ihren Ellbogen, und plötzlich bekam ich Angst, weil ich nicht
wußte, ob ich Everbe schon so gut kannte, und ich war auch nicht sicher, ob's
Boon tat. Nein, Angst nicht, das war nicht das richtige Wort; Angst nicht, denn
wir - Boon allein — hätten ihm die Pistole wegnehmen und ihn dann verprügeln
können, jedoch Angst um Everbe und Onkel Parsham und Onkel Parshams Heim und
Familie, falls es dazu kam. Aber ich hatte nicht nur Angst. Ich schämte mich,
daß es überhaupt einen solchen Grund gab, sich um Onkel Parsham, der hier leben
mußte, zu ängstigen; es alles hassend [nicht Onkel Parsham war's, der haßte,
sondern ich], uns alle hassend, weil wir die armen schwachen Opfer des Am-Leben-Seins
waren, weil wir am Leben sein mußten - Everbe hassend, weil sie das verwundbare,
hilflose Muster-Opfer war; und Boon, weil er der Verwundbare, hilflos Geopferte
war; und Onkel Parsham und Lycurgus, weil sie dort waren, wo sie sein mußten
und es nicht hindern konnten, mit anzusehen, daß die Weißen sich genauso benahmen,
wie die Weißen immer vorgaben, daß nur Neger sich benähmen - gerade wie ich
Otis gehaßt hatte, weil er mir von Everbe in Arkansas erzählt hatte, und wie
ich Everbe gehaßt hatte, weil sie das hilflose Musterbeispiel menschlicher Erniedrigung
war, über die er mir erzählt hatte, und wie ich mich selbst gehaßt hatte, weil
ich zuhörte, weil ich es mit anhören mußte, es erfahren mußte, darum wissen
mußte; es hassend, daß es nicht nur so war, sondern sein mußte und nötig war,
wenn das Leben fortbestehen und die Menschheit eine Rolle dabei spielen sollte.
-
(spit)
Haß (12) Nach Denis Mortfort, einem jener Beobachter, die die hohe Gabe der intuitiven Erkenntnis bis zur Magie hinab- und hinaufführt, besitzt der Krake fast menschliche Leidenschaften: er haßt. In der Tat heißt „häßlich sein" ebensogut hassen wie gehaßt werden.
Das Mißgestaltete wird notwendigerweise ausgestoßen und verhält sich daher
feindlich. - Victor Hugo, Die Arbeiter des Meeres, Leipzig
1954 (zuerst 1866)
Haß (13)