Wenn der Geist diese Bedrohung verspürt, faßt ihn ein
Augenblick der Schwäche an, dem unter Tausenden kaum einer widersteht.
Aber in der Überwindung dieses Anfalles vollzieht sich ein seltener
Akt - die Ausrichtung des Menschen auf das Unmögliche. Es ist hier kein
noch so ferner Erfolg, an den das Auge sich heften könnte; der Blickpunkt
fällt, gleich dem Schnittpunkt von Parallelen, in das Unendliche. Mit
diesem Akt tritt der Kampf in eine andere Ordnung ein. Der Mensch gewinnt
neue Kräfte, weil er der Schwere nicht mehr in so hohem Maße
unterliegt. Dieser Zustrom gleicht einer Flut, die auf die tiefste Ebbe folgt
wie durch ein aufgezogenes Wehr ... -
(ej2)
Mut (2)
Date: Thu, 4 Mar 1999 17:26:21 +0100
To: "Tina_29"
<Tina_29@gmx.de>
From: Tina Schmidt <Tina_29@gmx.de>
Subject: Entschuldige, wenn ich störe
X-Mailer: PostMe 2.0
Hallo,
ich nehme an, du wunderst dich sehr über diesen Brief, weil du mich
nicht kennst.Aber ich hoffe, ich kann dir erklären, warum ich einem
ganz Fremden schreibe. Der Grund ist meine Einsamkeit. Naja, ich habe eine
Menge Freunde und Bekannte, aber mir fehlt eben der richtige Mann. Es
müßte nicht mal unbedingt gleich fürs ganze Leben sein.
Ich bin an sich hübsch, soweit man das selbst sagen darf, daran liegt es nicht, mein Problem ist meine Schüchternheit.
Für mich wäre ein Mann toll, mit dem auch das Intime und der Sex aufregend und prickelnd ist, der gerne mal etwas unternimmt und mit dem man Spaß haben kann.
Naja, und ich rede eben nicht gerne über Sex und wenn ich einen Mann richtig mag, kann ich es gar nicht mehr. Und da derjenige dann auch nicht weiß, was ich mir wünsche, und ich eher brav wirke, geht es natürlich schief und ich bin enttäuscht, und der Mann auch.
Also habe ich mir überlegt, ich versuche es einfach mal anders herum, wir kennen uns ja (noch?) nicht, also ist es ja auch noch nicht peinlich, wenn ich so ein Geständnis mache.
Ich komme mir echt komisch dabei vor, aber irgendwie ist so ein Brief auch aufregend. Sich vorzustellen, vielleicht bist du der Mann der mich endlich glücklich macht, mit aufregender Liebe.
Vieleicht haben meine Worte ja irgendwas in dir gerührt und du hast Lust bekommen mich kennenzulernen, das fänd ich echt klasse.
Allerdings habe ich ein kleines Problem. wenn ich meine Mails abrufe stürzt mein Rechner oft ab, und wenn ich dann wieder gucke, sind sie weg.
Falls du also nichts mehr von mir hörst, sei so lieb und melde dich im *Albion# im T-Online bei mir, dort bin ich ab und zu. Ich würde mich wirklich freuen, wenn das ein guter und langer Kontakt wird, und wenn er über das schreiben hinausgeht, es sollte keine reine Brieffreundschaft werden.
Ich hoffe Du bist nicht böse, wegen meinem schriftlichen Überfall. Aber das Jahrhundert ist bald zu Ende und ich bin alleine. Achja, ich finde Äußerlichkeiten nicht so wichtig, du mußt also optisch nicht unbedingt ein Traumprinz sein.
Hm, schreib mir doch besser gleich im Albion, dann brauche ich nicht so lange warten. So, nun bleibt mir nichts, als dir einen schönen Tag zu wünschen und zu hoffen, bald von dir zu hören.
bis bald
Tina
P.S.: Ich glaube, du weißt gar nicht, wieviel Mut mich dieser [anonyme] Brief gekostet hat. -
Mut (3) Vollkommene Tapferkeit und erklärte Feigheit sind zwei Extreme, zu denen man selten gelangt. Der Abstand zwischen beiden ist groß und umfaßt alle übrigen Arten des Mutes, die unter sich so ungleich sind wie die Gesichter und Gemütsarten.
Es gibt Menschen, die am Anfang eines Treffens Gefahr suchen und nur infolge seiner Dauer nachlassen und des Kampfes überdrüssig werden. Es gibt andere, die zufrieden sind, wenn sie der allgemeinen Ehre genuggetan haben, und die wenig über diese hinaus tun, wieder andere, die nicht immer gleichmäßig ihre Furcht beherrschen können. Es gibt auch solche, die sich manchmal von einer allgemeinen Panik fortreißen lassen, andere stürzen sich in Gefahr, weil sie nicht wagen, auf ihrem Posten auszuharren. Manche sind, durch kleinere Gefahren ermutigt, an größere gewöhnt, dann gibt es auch welche, die dem Säbel, aber nicht den Kugeln, oder den Kugeln, aber nicht dem Säbel standhalten. Alle diese verschiedenen Arten von Mut treffen darin zusammen, daß die Nacht, die die Furcht steigert und große wie kleine Taten zudeckt, Freiheit läßt, sich zu schonen. Noch allgemeiner ist ein anderer Grund, sich zu schonen: Niemand tut, was er tun würde, hätte er die Sicherheit, lebend davonzukommen.
So ist es klar, daß die Furcht vor dem Tode der Tapferkeit etwas nimmt. -
(
lar
)
Mut (4) Das ist der Ring von Gefühlen, der Kampf, der in der Brust des Kämpfers tobt, wenn er die Flammenwüste der riesigen Schlachten durchirrt: Das Grauen, die Angst, die Ahnung der Vernichtung und das Lechzen, sich im Kampfe völlig zu entfesseln. Hat er, eine durch das Ungeheure rasende kleine Welt in sich, die bis zum Platzen gestaute Wildheit in jäher Explosion, dem klaren Gedächtnis für immer verlorenen Augenblicken entladen, ist Blut geflossen, sei es eigener Wunde entströmend oder das des anderen, so sinken die Nebel vor seinen Augen. Er starrt um sich, ein Nachtwandler, aus drückenden Träumen erwacht.
Der ungeheuerliche Traum, den die Tierheit in ihm geträumt in Erinnerung an Zeiten, wo sich der Mensch in stets bedrohten Horden durch wüste Steppen kämpfte, verraucht und läßt ihn zurück, entsetzt, geblendet von dem Ungeahnten in der eigenen Brust, erschöpft durch riesenhafte Verschwendung von Willen und brutaler Kraft.
Dann erst erkennt er den Ort, an den ihn der stürmende Schritt verschlagen,
erkennt das Heer von Gefahren, denen er entronnen, und erbleicht. Hinter dieser
Grenze beginnt erst der Mut. - Ernst Jünger, Der
Kampf
als inneres Erlebnis (1926)
Mut (5) Wer bewunderte nicht
die zwei neueren Schweizer Henzi und Fuetter,
die als Häupter einer Verschwörung 1749 zu Bern
hingerichtet wurden: der Scharfrichter hieb letzterem in die Schulter, und ersterer
rief: "C'est fort ça!", er fehlte zum zweiten Male, und dieser
rief wieder: "Tout ne vaut rien dans cette république jusqu'au bourreau!"
Nun kam die Reihe an Henzi, der sich mit unverbundenen Augen niedersetzte,
gleiches Schicksal hatte und mit Verachtung rief: "Tu juges comme ton
magistrat!" Das war doch gewiß Mut. - (
kjw
)
Mut (6) Ich habe gesagt, daß
es nur einem philosophischen Jahrhundert zustand, eine Enzyklopädie
zu wagen, und ich habe dies behauptet, weil dieses Werk durchwegs mehr geistigen
Mut erfordert, als man in den kleinmütigen Jahrhunderten des feinen Geschmackes
zu haben pflegt. Man muß dabei alles prüfen, alles ausnahmslos und schonungslos
in Frage stellen; man muß, wie wir uns jetzt zu überzeugen beginnen, den Mut
haben einzusehen, daß es mit den Literaturgattungen beinahe ebenso geht wie
mit den allgemeinen Gesetzessammlungen und mit der Gründung der Städte: daß
sie einem seltsamen Zufall, einem sonderbaren Umstand,
manchmal auch einem genialen Aufschwung ihre Entstehung zu verdanken haben;
daß diejenigen, die nach den ersten Erfindern kamen,
größtenteils nur ihre Sklaven waren; daß Erzeugnisse, die man als erste Stufe
zum Erfolg hätte betrachten sollen, aber blindlings für die letzte Stufe hielt,
eine Kunst nicht ihrer Vollendung entgegenführten, sondern nur dazu beitrugen,
sie aufzuhalten, weil sie andere Menschen in die inferiore Lage von Nachahmern
brachten. Sobald nämlich einer Schöpfung von besonderem Charakter ein Name gegeben
war, mußten alle darauffolgenden Werke genau nach diesem Muster geschaffen werden.
Wenn aber von Zeit zu Zeit ein Mann von kühnem und originellem Genie
auftrat, der das übernommene Joch abzuschütteln wagte, weil er seiner überdrüssig
war, und der sich von der ausgetretenen Straße entfernte und irgendein Werk
hervorbrachte, auf das der gegebene Name und die vorgeschriebenen Gesetze -
streng genommen - nicht anwendbar waren, so geriet er in Vergessenheit und blieb
auch lange Zeit vergessen. Man muß diesen ganzen alten Unfug ausrotten, die
Schranken umstoßen, die nicht die Vernunft gesetzt hat, den Wissenschaften und
Künsten eine Freiheit wiedergeben, die für sie so unersetzlich ist.
- Nach (
enz
)
Mut (7) Eine der schwersten Künste
für den Menschen ist wohl die sich Mut zu geben. Diejenigen, denen er fehlt,
finden ihn am ersten unter dem mächtigen Schutz eines der ihn besitzt, und der
uns dann helfen kann, wenn alles fehlt. Da es nun so viele Leiden in der Welt
gibt, denen mit Mut entgegen zu gehen kein menschliches Wesen einem schwachen
Trost genug geben kann, so ist die Religion
vortrefflich. Sie ist eigentlich die Kunst sich durch Gedanken an Gott ohne
weiter andere Mittel Trost und Mut im Leiden zu verschaffen und Kraft demselben
entgegen zu arbeiten. Ich habe Menschen gekannt, denen ihr Glück ihr Gott war.
Sie glaubten an ein Glück und der Glaube gab ihnen Mut. Mut gab ihnen Glück
und Glück Mut. Es ist ein großer Verlust für den Menschen, wenn er die Überzeugung
von einem weisen die Welt lenkenden Wesen verloren hat. Ich glaube, es ist dieses
eine notwendige Folge alles Studiums der Philosophie und der Natur. Man verliert
zwar den Glauben an einen Gott nicht, aber es ist nicht
mehr der hilfreiche Gott unsrer Kindheit; es ist ein Wesen, dessen Wege nicht
unsere Wege und dessen Gedanken nicht unsere Gedanken sind, und damit ist dem
Hilflosen nicht sonderlich viel gedient. - (
licht
)
Mut (8) An persönlichem Mut gab Johnson
niemand etwas nach. Zwar machte ihm die Todesfurcht
schwer zu schaffen, oder vielmehr die «Furcht vor etwas nach dem Tod». Diese
seine Furcht kam vom Grübeln, der Mut aber gehörte zu seinem ganzen Wesen. Er
fürchtete sich vor dem Tode, aber sonst vor nichts, nicht einmal vor dem, was
den Tod herbeiführen konnte. Seine Unerschrockenheit kann durch viele Beispiele
erhärtet werden. Als einst auf dem Landsitz Topham Beauclerks zwei große Hunde
sich balgten, trat Johnson herzu und schlug auf die beiden ein, bis sie voneinander
abließen; und ein andermal, als man ihm sagte, es sei gefährlich, ein Gewehr
mit vielen Kugeln zu laden, es könnte zerbersten, da rammte er sechs oder sieben
Kugeln hinein und feuerte es gegen eine Mauer ab. Wie Bennet Langton mir erzählte,
warnte er Johnson einst beim Baden in der Nähe von Oxford vor einer tiefen Stelle,
die als besonders tückisch galt, worauf Johnson stracks hinschwamm. Er selber
hat mir erzählt, wie er einst des Nachts von vier Kerlen angefallen wurde und
sich ihrer erwehrte, bis die Wache herbeikam und sowohl ihn als auch die vier
andern abführte. Im Schauspielhaus zu Lichfield hatte Johnson einst, wie David
Garrick mir mitteilte, einen Stuhl, den man ihm zwischen die Kulissen
gestellt hatte, vorübergehend verlassen, und als er zurückkam, fand er ihn von
jemand besetzt, der sich auf Johnsons höfliche Aufforderung hin schlankweg weigerte,
ihm den Platz wieder abzutreten, worauf Johnson zupackte und den Stuhl mitsamt
dem darauf Sitzenden ins Parkett hinunterbeförderte. - (
johns
)
Mut (9) Ein Mut, der an den
Seinen zum Verräter wird, ist gut fürs Höllenfeuer und ist ein Hagelschlag für
allen hohen Wert und Adel. Seine Treue hat einen allzu kurzen Schwanz:
So konnte sie nicht einmal jeden dritten von den Stichen rächen, als sie ins
Holz fuhr mit den Schnaken. - Wolfram von Eschenbach,
Parzival. Frankfurt am Main 1993 (zuerst ca. 1200, Übs. Peter Knecht. Die Andere
Bibliothek 100)
Mut (10) ist der Wind, der zu fernen
Küsten treibt, der Schlüssel zu allen Schätzen, der Hammer, der große Reiche
schmiedete, der Schild, ohne den keine Kultur besteht. Mut ist der Einsatz der
eigenen Person bis zur eisernsten Konsequenz, der Ansprung der Idee gegen die
Materie, ohne Rücksicht, was daraus werden mag. Mut heißt, sich als einzelner
ans Kreuz schlagen lassen für seine Sache, Mut heißt, im letzten Nervenzucken
mit verlöschendem Atem noch den Gedanken bekennen, für den man stand und fiel.
Zum Teufel mit einer Zeit, die uns den Mut und die Männer nehmen will! - Ernst Jünger, Der Kampf
als inneres Erlebnis (1926)
Mut (11) Marquis: Sie glauben, die Frauen wären nicht zum Kriegsdienst tauglich? Ich glaube, sie würden sich gut schlagen.
Chevalier: Das glaube ich auch; aber sie würden nicht biwakieren. Sie haben den Mut, der Gefahr die Stirn zu bieten; sie haben nicht die Kraft, die Strapazen zu ertragen.
Marquis: Das wäre wohl möglich; das Menschentöten ist ein anstrengender Beruf. Als ich ihn ausübte, kam es mir immer vor, als kostete es viel Mühe, seinen Feind zu töten. Wenn Sie aber den Frauen Mut zubilligen, so werden Sie auch einräumen müssen, daß sie Kraft haben.
Chevalier: Keineswegs; ein Sterbender kann wohl Mut haben, ohne die geringste Kraft zu besitzen. Wissen Sie, was der Mut ist ?
Marquis: Nun?
Chevalier: Die Wirkung einer ganz großen Furcht. - (
gale
)
Mut (12)
Mut (13) Wir haben uns bereits mit dem Duell und eingehender mit der Armee befaßt. Unsere Absicht war, daraus eine Definition des Mutes abzuleiten. Indes, wir haben ständig den Faden unserer Gedankengespinste verloren, was wohl glaubwürdig beweist, daß kein wesentlicher Zusammenhang zwischen den eingangs erwähnten Begriffen und dem Mut bestand, mit dem sie gemeinhin in Verbindung gebracht werden.
Mut ist ein Zustand der Ruhe und Gelassenheit im Angesicht der Gefahr, ein Zustand, der sich nicht im geringsten von dem unterscheidet, in dem man sich befindet, wenn keine Gefahr droht. Aus dieser zumindest einstweiligen Definition läßt sich folgern: Mut wird auf zweierlei Art erworben: 1. indem die Gefahr abgewendet wird; 2. indem der Blick von der Gefahr abgewendet wird.
Die primäre Mutgebärde sieht so aus, daß sich der Mensch, vermöge seiner
ihm von der Natur verliehenen Kraft, am allerhäufigsten allerdings kraft Waffen,
die er sich besorgt hat, und deren Handhabung er beherrscht, außer Gefahr bringt.
Man fürchtet den Regen unter einem Dach oder Regenschirm, den Blitz unter einem
Blitzableiter, von dem man annimmt, er funktioniere, weniger; auch ist es außerordentlich
selten, daß einem bis an die Zähne bewaffneten Bombenkerl vor einem offenkundig
schwachen, waffenlosen Gegner bange wird. Folgendes Mutmuster scheint uns der
Wahrheit am nächsten zu kommen: Herkules,
die Keule über einem Kleinkind schwingend, welches gerade so gut läuft, daß
es Lust verspürt, wegzulaufen. - Alfred Jarry, Die grüne Kerze.
Spekulationen. Frankfurt am Main 1993
Mut (14) Durch
Bewahrung des ursprünglichen Muts kann das Gefühl der Furcht so völlig
ausgeschaltet werden, daß ein einzelner es über sich vermag, einem Heer
entgegenzutreten. Wenn solch eine Tat im Suchen nach Ruhm erlangt werden
kann, wieviel mehr muß einer erlangen, der seine Macht über Himmel und
Erde streckt und alle Dinge umfängt; der, in den Schranken dieses Menschenleibes
mit seinen zwei Zuflußrinnen, Gesicht und Gehör, verweilend, seine Erkenntnis
bewegt, zu erkennen, daß alle Dinge eines sind und daß der Geist ewig dauert.
- (tschu)
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