nsel Während wir auf dem Meere dahinsegelten, kamen wir eines Tages zu einer Insel, die so schön war, daß sie einem Paradiesesgarten glich. Der Kapitän machte dort mit uns halt; und nachdem er die Anker ausgeworfen hatte, legte er die Landungsplanke an, und alle, die sich auf dem Schiffe befanden, gingen auf der Insel an Land.
Nachdem sie sich dort Herde errichtet hatten, zündeten sie Feuer darin an und machten sich an Arbeiten mancherlei Art. Die einen kochten, die anderen wuschen, wieder andere schauten sich um. Ich gehörte ze denen, die auf der Insel umhergingen. Als dann alle Reisenden bei Essen und Trinken, Kurzweil und Spiel versammelt waren, rief plötzlich der Kapitän, der an Bord des Schiffes stand, uns Ahnungslosen mit lauter Stimme zu: ,Ihr Leute, rettet euer Leben! Lauft, kommt an Bord und beeilt euch mit dem Kommen! Laßt eure Sachen im Stich! Flieht, solang ihr noch lebt, rettet euch vor dem Verderben! Die Insel da, auf der ihr seid, ist keine Insel; sie ist ein großer Fisch, der mitten im Meere feststeht. Sand hat sich auf ihm abgelagert, so daß er nun wie eine Insel aussieht und Bäume auf ihm gewachsen sind. Als ihr das Feuer auf ihm anzündetet, da merkte er die Hitze und bewegte sich. In diesem Augenblick wird er mit euch in die Tiefe versinken, und dann werdet ihr alle ertrinken. Drum bringt euch in Sicherheit, ehe das Verderben über euch kommt!‘ ——
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die Fünfhundertundneununddreißigste Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kapitän des Schiffes den Reisenden zurief: ,Bringt euch in Sicherheit, ehe das Verderben über euch kommt! Laßt die Sachen im Stich!‘ und daß die Leute, als sie seine Worte hörten, fortliefen und eilends auf das Schiff kletterten; ihre Sachen, Kleider, Kessel und Feuerherde ließen sie liegen. Einige erreichten das Schiff noch, andere kamen zu spät; denn schon hatte jene Insel sich bewegt, und bald verschwand sie in der Tiefe mit allem, was darauf war, und darüber schloß sich das tosende Meer mit den brandenden Wogen ringsumher. Ich war einer von denen, die auf der Insel zurückbleiben mußten, und ich versank mit ihnen im Wasser; doch Allah der Erhabene behütete mich und rettete mich vom Tode des Ertrinkens; denn er sandte mir einen großen hölzernen Zuber, eins der Geräte, in denen die Leute vorher gewaschen hatten. Besorgt um das süße Leben, hielt ich den Zuber mit der Hand fest und setzte mich rittlings darauf, und dann ruderte ich mit meinen Beinen im Wasser wie mit Riemen, während das Spiel der Wogen mich bald nach rechts und bald nach links trieb. Der Kapitän aber hatte inzwischen die Segel des Schiffes gespannt und war mit denen, die an Bord hatten kommen können, davongefahren, ohne sich um die Ertrinkenden zu kümmern. Ich schaute sehnsüchtig jenem Schiffe nach, bis es meinen Blicken entschwand; da war ich des Todes gewiß. Und dann brach die Nacht über mich herein, während ich in solcher Not war. Die ganze Nacht und den nächsten Tag hindurch blieb ich in der gleichen Lage; dann aber trieben günstige Winde und Wogen mich an den Fuß einer hohen Insel, deren Bäume mit ihren Ästen über das Wasser hinausragten. Ich konnte den Zweig eines hohen Baumes ergreifen und mich daran festhalten, nachdem ich schon den Tod vor Augen gesehen hatte. An jenem Zweige kletterte ich entlang, bis ich auf die Insel springen konnte. Da sah ich, daß meine Füße geschwollen und starr geworden waren und daß an ihren Sohlen Spuren von Bissen der Fische waren. Das hatte ich vorher in meiner großen Angst und Verzweiflung gar nicht bemerkt. Ich warf mich auf den Boden der Insel nieder, wie tot, verlor die Besinnung und versank in einen bleiernen Schlaf. So blieb ich bis zum andern Morgen liegen, und als die Sonne über mir aufging, erwachte ich. Da aber meine Füße geschwollen waren, bewegte ich mich weiter, so gut ich konnte; bald rutschte ich wie ein Kind, bald kroch ich auf den Knien. Nun waren auf der Insel viele Früchte und Quellen süßen Wassers; und so begann ich mich von jenen Früchten zu nähren. Aber noch eine Reihe von Tagen und Nächten blieb ich in derselben Verfassung; dann erst regte sich in mir neue Kraft, meine Lebensgeister kehrten zurück, und ich konnte mich besser bewegen. Da entschloß ich mich, am Strande der Insel entlang zu gehen, und sah mich zwischen den Bäumen um, was Allah der Erhabene dort wohl erschaffen haben möchte. Auch machte ich mir einen Stab aus einem Aste der Bäume und stützte mich auf ihn beim Gehen. So blieb es noch eine Weile, bis ich eines Tages bei meiner Wanderung am Strande der Insel in der Ferne eine Gestalt erblickte. Ich dachte, das wäre ein wildes Tier oder ein Ungeheuer des Meeres; doch als ich mich näherte und immer genauer binschaute, sah ich, daß es ein edles Roß war, das dort am Strande nahe dein Meeresufer angebunden stand. Wie ich aber ganz nahe herankam, stieß es einen gewaltigen Schrei aus, so daß ich erschrak und zurücklaufen wollte. Da kam plötzlich ein Mann aus der Erde heraus, rief mich an und lief mir nach. Er sagte :,Wer bist du? Woher kommst du? Was führt dich an diese Stätte?‘ ,Lieber Herr,‘ erwiderte ich, 'ach, ich bin ein Fremdling, ich war auf einem Schiffe, und ich fiel mit mehreren anderen, die auf ihm fuhren, ins Wasser. Da sandte mir Allah einen Zuber aus Holz, und ich setzte mich darauf, und er schwamm mit mir dahin, bis mich die Wellen an diese Insel trieben.‘ Als der Mann meine Worte gehört hatte, ergriff er mich bei der Hand und sprach zu mir: ,Geh mit mir!‘ Dann führte er mich in einen unterirdischen Gang und ließ mich in eine große Halle unter der Erde eintreten. Dort setzte er mich an den Ehrenplatz, der Tür gegenüber, und brachte mir etwas zu essen; und da mich hungerte, aß ich, bis ich ganz satt war und mich gestärkt hatte.
Dann fragte er mich von neuem, wer ich sei und was ich alles erlebt
hätte; und ich berichtete ihm alles, was mir widerfahren war, von Anfang
bis zu Ende. Er hörte meiner Erzählung mit wachsendem Erstaunen zu, und
so sagte ich zu ihm, als ich meinen Bericht beendet hatte: ,Bei Allah,
ich beschwöre dich, lieber Herr, zürne mir nicht! Ich habe dir die volle
Wahrheit über mich und meine Erlebnisse kundgetan; und nun bitte ich dich,
daß du mir sagest, wer du bist, und weshalb du hier in dieser Halle unter
der Erde wohnst, und warum du jene Stute an der Meeresküste angebunden
hast.‘ Da gab er mir zur Antwort: ,Wisse, wir sind eine ganze Schar von
Leuten, die über diese Insel verteilt sind. Wir sind nämlich die Stallmeister
des Königs Mihrdschân, und unter unserer Aufsicht stehen alle Rosse. In
jedem Monate bringen wir, wenn der Neumond aufgeht, die edlen Stuten hierher,
die noch nicht gedeckt sind und binden sie auf dieser Insel fest. Dann
verstecken wir uns in einer solchen Halle unter der Erde, damit keiner
uns sieht. Darauf kommt ein Seehengst,
wenn er die Stute wittert, und steigt ans Land. Er wendet sich nach allen
Seiten um, und wenn er niemanden sieht, so springt er auf und stillt sein
Begehr an der Stute. Nachdem er wieder abgesprungen ist, will er jene mit
sich nehmen, aber die Stute kann nicht mitgehen, weil sie ja angebunden
ist. Dann fängt der Hengst an zu schreien und stößt mit dem Kopfe und schlägt
mit den Hufen wider die Stute und wiehert immerzu. Wenn wir den Lärm hören,
so wissen wir, daß er abgesprungen ist, und wir eilen ihm mit lautem Geschrei
entgegen; der Hengst fürchtet sich dann vor uns und steigt wieder ins Meer
hinab. Die Stute aber wird trächtig und bringt ein Hengstfohlen oder ein
Stutfohlen zur Welt, das einen Schatz Goldes wert ist und auf Erden nicht
seinesgleichen hat. - (
1001
)
Insel
(2)
Hätte Swift Fire Island
erfinden können? Diese Insel ist ein sandiger Pfeil ohne jede Vegetation,
die vor Long Island liegt. Sie ist achtzig Kilometer lang, aber nur dreihundert
Meter breit. Auf der Seite des Ozeans ist die
See so wild, daß man nicht darin zu baden wagt; zum Festland hin dagegen
ist sie immer ruhig, aber so seicht, daß man kaum naß wird. So verbringt
man seine Zeit damit, nicht eßbare Fische zu fangen; und um zu verhindern,
daß diese verfaulen, sind am Strand entlang in regelmäßigen Abständen Schrifttafeln
aufgestellt, welche die Fischer anhalten, sie im Sand zu vergraben, sobald
sie sie aus dem Wasser gezogen haben. Die Dünen auf Fire Island sind so
schwankend und ihr Widerstand gegen das Wasser so gering, daß weitere Schrifttafeln
verbieten, auf ihnen zu laufen, weil sie in die Fluten stürzen könnten.
Anders als in Venedig fließt hier die Erde, während die Kanäle fest sind:
um sich bewegen zu können, müssen die Bewohner von Cherry Grove, einem
Weiler auf dem mittleren Teil der Insel, hölzerne Stege benutzen, die auf
Pfählen befestigt sind. Um das Bild zu vervollständigen, müssen wir hinzufügen,
daß Cherry Grove hauptsächlich von männlichen Liebespaaren bewohnt wird,
die sich zweifellos von der allgemeinen Umkehrung aller Begriffe angezogen
fühlen. Da im Sand nichts anderes wächst als giftiger Efeu, versorgen sie
sich einmal am Tag in dem einzigen Laden neben dem Landungssteg. In den
höher gelegenen Gassen, die fester sind als die Dünen, sieht man unfruchtbare
Paare in ihre Hütte zurückkehren und Kinderwagen vor sich herschieben (die
einzigen Fahrzeuge, für die in den engen Gassen Platz ist), in denen nur
die Milchflaschen fürs Wochenende liegen, die freilich kein Säugling trinken
wird. - (
str2
)
Insel (3)
Sobald wir aus der wohlriechenden
Luft der glückseligen Insel heraus waren, kam uns
ein stinkender Dunst, wie von zusammenbrennendem Asphalt, Schwefel und
Pech, und ein noch schlimmerer, ganz unleidlicher Geruch, wie von gebratnen
Menschen, entgegen; die Luft war finster und dumpficht, und ließ beständig
einen pechartigen Thau herabfallen; auch hörten wir das Klatschen der Geiseln,
und das Geheul einer Menge Menschen, die hier gepeinigt wurden.
Wir stiegen nur auf einer dieser Inseln aus, und ich kann also auch nur von dieser einige Nachricht geben. Die ganze Insel ist ringsum ein einziger schrofer ausgewitterter, von Steinen und Klippen starrender Felsen, auf dem kein Baum und keine Quelle zu sehen ist. Mit äusserster Mühe krochen wir an dem steilen Ufer hinauf, und kamen, nachdem wir eine Zeitlang auf einem mit Wegdornen und Stacheln übersäten schmalen Fußweg fortgegangen, durch eine Gegend, die mit jedem Schritte scheußlicher wurde, endlich zu den Gefängnissen, und dem Platze wo die Verdammten gepeiniget wurden. Hier ficngen wir erst an, die Natur dieses Ortes zu bewundern; denn wir sahen überall statt der Blumen Schwerdter und Dolche aus dem Boden hervorwachsen. Ringsum ist er von drey Flüssen umgeben, wovon der äusserste Koth, der zweyte Blut, und der dritte Feuer führt. Dieser letzte ist sehr breit und das Feuer strömt darin wie Wasser, und strudelt und treibt so große Wellen wie ein Meer; er hat auch eine Menge Fische, wovon einige wie große Feuerbrände, andere kleinere aber wie glühende Kohlen aussehen.
Es geht nur ein einziger sehr schmaler Weg über alle diese Flüsse, an
dessen Eingang Timon der Thürhüter ist. Da wir aber den Nauplius zum Führer
hatten, so durften wir uns schon weiter wagen, und sahen eine große Menge
Könige und gemeine Leute, die hier ihre Strafe
empfiengen, und von denen wir verschiedene erkannten. Unter andern sahen
wir auch den armen Cinyrus, der, am Geschlechtsgliede über einem Feuer
aufgehangen, geräuchert wurde. Diejenigen, die uns herumführten, erzählten
uns die Geschichte dieser Unglückseligen, und die Verbrechen, um derentwillen
sie gestraft wurden. Am schärfsten unter allen werden die Lügner gezüchtiget
besonders die Geschichtschreiber die nicht die Wahrheit geschrieben haben,
unter denen ich den Ktesias und Herodot,
und noch viele andere bemerkte. Der Anblick dieser Leute machte mir gute
Hoffnung für mein eignes künftiges Schicksal, da ich mir Gottlob! nicht
bewußt bin eine einzige Lüge gesagt zu haben. - (
luege
)
Insel
(4)
Da
fragte der mächtige Held und Doch, wie du selber siehst, weit, weit dort etwas beiseite
Und die Nymphe erschrak, schwamm weiter jedoch; ich berührte
|
- (
ov
)
Insel
(5)
Çanghibar ist eine
große schöne Insel von ungefähr zweitausend Meilen Umfang. Die heidnischen
Bewohner werden von einem König regiert; Tribut zahlen sie niemandem. Die
Menschen sind groß und stämmig; ihre Größe entspricht eigentlich nicht
ihrer Breitschultrigkeit; doch wegen der kräftigen Glieder erwecken sie
den Eindruck von Riesen. Sie sind außerordentlich stark, ein Mann allein
trägt eine Last, für die es sonst vier Männer braucht. Man muß sich nicht
wundern, denn dort ißt der einzelne fünfmal mehr als unsereins. Die Menschen
sind schwarz und nackt, nur ein Lendenschurz bedeckt ihr Geschlecht.
Ihr dichtes Haar ist kraus, sogar mit Wasser ist es kaum glatt zu kämmen.
Sie haben einen großen Mund, eine Sattelnase und gewaltige Lippen und Augen
- sie sind gräßlich anzuschauen. Würde man ihnen in irgendeinem andern
Land begegnen, hielte man sie für Teufel.
- (
polo
)
Insel (6)
Jetzt, da wir von Grettir
schreiben, sitzt er auf einer Insel an der Küste Dalmatiens. Er hat ein
kleines, verfallenes Haus. Ein paar Fischer wohnen gleichfalls auf der
Insel, und mit ihnen kann er hin und wieder an Land fahren. Das Meer ist
selten sehr wild, und dieser Grettir hat sogar ein wenig Furcht vor der
Gewalt des Meeres. Er läßt sich hinüberfahren, er greift nicht selbst zum
Ruder, wenn er auch hin und wieder eine Strecke weit das Hauptsegel hält.
Es könnte sein, daß, wenn er früher angefangen hätte, diese Segel zu bedienen,
er mit dem Meer enger vertraut geworden wäre, aber auch diese Frage, ob
Grettir ein mutiger Mann ist, - wen geht sie etwas an, und wie soll man
sie entscheiden?
Das, worüber man sich klar sein kann, ist die Tatsache, daß ihm diese
kleine Insel vor Ragusa gefällt, sie ist in seiner Natur schon bestimmt,
diese Insel hat Grettir, solange, wie er lebt, immer bei sich getragen.
Sie hätte ihn durch alle Städte und durch alle Stockwerke begleitet, sie
faltete sich vielleicht einmal im Raum ganz eng zusammen, und wenn er irgendwo
in die freie Natur kam, so dehnte sie sich aus, wurde gleich umschritten
und dann bekam sie eine feste Gestalt. Ja, man kann sagen, daß, wohin Grettir
auch kam, er versuchte, den größten Umfang des Gebietes, das er erreichen
konnte, zu umschreiten, und dann entdeckte er seine Insel, - vorher gab
es bei ihm keine Ruhe, - und doch ließ er allerlei Falten von Gebirgen
und Ländern unberührt, wenn er sie nur im Ganzen umkreist hatte und wußte,
daß sie zu seiner Insel gehörten. Er wollte und mußte immer noch etwas
Unentdecktes in seiner Umgebung lassen, aber er wußte auch, daß es noch
große Weiten gab. - Ernst Fuhrmann, Der Geächtete. Berlin 1983 (zuerst
1930)
Insel
(7)
Es gibt eine Insel
in weiter Ferne; um sie herum die prächtigen Rosse des Meeres; herrlicher
Lauf gegen die schäumenden Wogen; eine Verzückung
dem Auge, dehnt sich glorreich die Ebene, auf der Heere sich regen im Spiel.
Anmutige Erde, gespannt über die Jahrhunderte der Welt, über die sich Blumen
breiten ohne Zahl. Drauf steht ein alter Baum in Blüten, in seinen Wipfeln
rufen die Vögel die Stunden. Unbekannt die Klage oder der Verrat, der so
bekannt ist auf der kultivierten Erde, nicht Schnödes oder Schroffes gibt
es hier, statt dessen dringt sanfte Musik ans Ohr. Weder Leid noch Trauer,
weder Tod noch Krankheit oder Siechtum - daran erkennt man die Insel; selten
wurde ein solches Wunder geschaut. Schönheit einer Erde voller Zauber,
unvergleichlich sind ihre Nebel, Reichtümer, Schätze
aller Art wirkt dies stille Land, frische Pracht, die von sanfter Musik
widerhallt bei herrlichstem Wein. - Hans-Jürg
Braun, Das Jenseits - Die Vorstellungen der Menschheit über das Leben nach
dem Tod. Frankfurt am Main 2000 (it 2616, zuerst 1996)
Insel (9)
Ich verstehe jetzt, was
man mir gesagt hat, daß es unmöglich ist, eine Karte vom Sumpf
zu zeichnen, wenn ich nach dem Erforschen des Himmels die Augen senke, sehe
ich einen Sumpf, der mir gänzlich neu, unverständlich, fremd erscheint. Die
Inseln sind verschwunden, und eine große dunkle Sandbank bedeckt jetzt den Abschnitt
des Sumpfs, der vor mir hegt, und ich bestaune ihn fast wie einen aus dem Wasser
aufgetauchten Kontinent, das was ich Sandbank genannt habe, ist in Wirklichkeit
eine Insel, und auf dieser Insel sehe ich ein Gewimmel von Eintagstieren, ich
glaube zu sehen, wie verwesende Schmetterlinge sich zum Flug erheben und sofort
zerfallen, und vor mir im Wasser schwimmen Wurm- und Insektenfetzchen, die sich
in Grasfaden zersetzen, angstvoll begierig, quirlige Atome eines überstürzten
Lebens zu werden, dort wo die kurzen Strudel waren, öffnet sich jetzt ein riesiger
schweigender Schlund, etwas, das vielleicht suggerieren
mochte, daß der Sumpf zu einer eigenen Großartigkeit fähig ist, und wirklich
grüße ich nun das Königreich des Sumpfs und bewerbe mich als Untertan und Höfling.
Und so dringe ich denn, als Bruder dieser Insekten, dieses frommen Gewürms,
dieser schweigsamen Nattern und fast flussigen Schlangen, dieses schneckigen
Wassers, silbern und tot, dieser verfaulten und lebensvollen Fläche, dieses
Königreichs ohne Monarch - so dringe ich denn, mein Sumpf, in dich ein, geschehe
was geschehen muß, denn ich bin nicht anders als die winzigen Eintagstierchen,
die aus diesem wunderbaren und schrecklichen Raum einen Friedhof und ein Nest
machen, einen zeugenden Schluß. - Giorgio Manganelli,
Der endgültige Sumpf. Berlin 1993 (zuerst 1991)
Insel
(10)
Ruggiero macht sich an
die Durchquerung der allegorischen Insel. Eine Schar monströser Figuren kommt
ihm entgegen, es ist klar, daß es sich um die Haupt- oder Todsünden handelt;
er zögert nicht, sie anzugreifen und auseinanderzujagen. Dann kommt eine Riesin
mit langen Zähnen, das muß die Habgier sein; Ruggiero besiegt auch sie. Schließlich
erhebt sich vor ihm das prächtige Schloß Alcinas. Das muß eine Allegorie der
Lust sein, denkt Ruggiero, und sein Kampfgeist weicht einer milderen Stimmung.
- (
rol
)
Insel (11)
›Er entzieht sich in entsetzlicher
Weise dem Guten‹, sagte mir der Abbé, ›aber er entzieht sich glücklicherweise
dem Bösen . . . In ihm ist, ich weiß nicht welch eine erschreckende Reinheit,
welche Losgelöstheit, welch unbestreitbare Kraft und
Erleuchtung. Ich habe niemals ein derartiges Fehlen
von Unruhe und Zweifeln in einer sehr tief durchgearbeiteten Geistigkeit beobachtet.
Er ist furchtbar ruhig! Man kann ihm kein seelisches Ungemach zuschreiben, keine
inwendigen Schatten — und übrigens nichts, was von Instinkten der Furcht oder
Begehrlichkeit herrührte ... Aber auch nichts, was auf Nächstenliebe gerichtet
wäre.‹ ›Sein Herz ist eine unbewohnte Insel. .. Die ganze Größe, die ganze Kraft
seines Geistes umgeben und verteidigen ihn; seine Tiefen sondern ihn ab und
bewahren ihn vor der Wahrheit. Er schmeichelt sich, dort allein zu sein. ..
Geduld, liebe Frau. Vielleicht wird er eines Tages irgendeine Fußspur im Sande
finden .. . Welch glückliches und heiliges Erschrecken, welch heilsames Entsetzen,
wenn er an dieser reinen Spur der Gnade erkennen wird, daß seine Insel geheimnisvoll
bewohnt ist!.. .‹ Darauf habe ich zum Herrn Abbé gesagt, daß mein Mann mich
oft an einen gottlosen Mystiker denken
lasse...
- ›Welche Erleuchtung!‹ hat der Abbé gesagt, ›welche Erleuchtungen gewinnen die Frauen bisweilen aus der Einfalt ihrer Eindrücke und den Unsicherheiten ihrer Sprache‹... Doch sogleich erwiderte er, und zwar sich selber:
- ›Gottloser Mystiker!... Lichtvoller Unsinn! Das ist bald gesagt!... Falsche Klarheit... Ein gottloser Mystiker, gnädige Frau, doch es ist keine Bewegung denkbar, die nicht ihre Richtung und Sinn hätte und die nicht schließlich irgendwohin führte!... Gottloser Mystiker!. . . Warum nicht ein Hippogryph, ein Kentaur!‹
- ›Warum keine Sphinx, Herr Abbé?‹ - Paul
Valéry, Herr Teste. Frankfurt am Main 1965 (BS 162, zuerst 1895)
Insel
(12)
Sie fuhren über das Meer
und gelangten zu jener Erde, aber da das Wasser an manchen Stellen sehr seicht
war und es an anderen große Felsen gab, landeten sie auf einer Insel, die ihnen
ungefährlich schien, und sie machten ein Feuer, um ihr Abendessen zu kochen,
aber der heilige Brendan blieb auf dem Schiff. Und als das Feuer heiß war und
das Fleisch eben zu braten anfing, begann die Insel sich zu bewegen, und die
Mönche erschraken zutiefst und flohen zum Schiff und ließen das Feuer und das
Fleisch im Stich und staunten über die Bewegung. Und der heilige Brendan tröstete
sie und sagte ihnen, es sei dies ein großer Fisch, Jasconye genannt,
der Tag und Nacht versuche, sich in den Schwanz zu beißen, aber so lang sei,
daß er es nicht könne. - Meerfahrt des Heiligen Brendan, nach
(bo)
Insel
(13)
Mein
Land, mein Sizilien, eine Insel innerhalb der Insel, wie jeder sizilianische
Ort an der Küste oder in den Bergen, in einer öden Ebene oder auf einem lieblichen
Hügel, ist Racalmuto in der Provinz Agrigent. Man kann lange Erörterungen anstellen
über dieses System von Inseln innerhalb der Insel, das Tal (die drei Täler,
in die sie die Araber unterteilten) als Insel innerhalb der Insel Sizilien,
die Provinz als Insel innerhalb der Insel Tal, das Dorf als Insel innerhalb
der Insel Provinz, die Familie als Insel innerhalb der Insel Dorf, das Individuum
als Insel innerhalb der Insel Familie. - Leonardo Sciascia, Mein Sizilien. Berlin 1995 (Wagenbach,
53. Salto)
Insel (14) »Zehn Tote auf einer Insel und weit und breit keine lebende Seele. Das ergibt doch keinen Sinn!«
»Trotzdem, Sir, so ist es!« erklärte Inspektor Maine, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen.
»Verdammt, Maine, jemand muß sie schließlich umgebracht haben!«
»Genau das ist unser Problem, Sir.«
»Der Bericht des Arztes hilft uns auch nicht weiter?«
»Nein, Sir. Wargrave und Lombard wurden erschossen, Wargrave traf die Kugel in den Kopf, Lombard ins Herz. Miss Brent und Marston starben an Zyankalivergiftung, Mrs.Rogers an einer Überdosis Chloral. Rogers wurde der Kopf buchstäblich gespalten. Blore hat einen zertrümmerten Schädel, Armstrong ertrank. Macarthur traf ein schwerer Gegenstand am Hinterkopf, und Vera Claythorne erhängte sich.«
Sir Thomas stöhnte. »Unerfreuliche Sache, das alles.« - Agatha Christie, Zehn kleine Negerlein.
München u.a. 1996 (zuerst 1951)
Insel
(14)
Nach einer Weile
kam in der Ferne Land in Sicht, und als sie näher segelten, entdeckten sie,
daß es eine Insel aus lauter Wasser war, die ringsum von Erde umgeben war. Übrigens
grenzte diese Insel an eine Kette von schummrigen Isthmussen, die ein gewaltiger
Golfstrom benetzte; es war, alles in allem, eine wunderschöne Insel, wenn auch
nur ein einziger Baum daraufwuchs; der aber war dafür ziemlich hoch, nämlich
genau 503 Fuß.
Als sie an Land gegangen waren, liefen sie kreuz und quer herum; und zu ihrer
großen Überraschung stellte sich heraus, daß das ganze Eiland von Kalbsschnitzeln
und Schokoladendrops wimmelte. Ansonsten aber leibte und lebte dort überhaupt
nichts. Da kletterten die Kinder auf den einzigen Baum und hielten Ausschau
nach den Bewohnern der Insel. Als sie aber eine ganze Woche lang auf dem Wipfel
des Baumes zugebracht und niemanden gesehen hatten kamen sie ganz von selber
zu dem Schluß, daß die ganze Gegend menschenleer war. Also kletterten sie wieder
herunter und beluden ihr Schiff mit zweitausend Schnitzeln und eine Million
Schokoladendrops, von denen sie einen ganzen Monat lang in Saus und Braus lebten,
und während dieser Zeit setzten sie ihre Reise mit dem größten Vergnügen und
Stumpfsinn fort. - Edward Lear, Die Geschichte von den vier Kindern,
die eine Weltreise machten, nach (
lea
)
Insel
(14)
Die
Neurologische Klinik 101A beherbergt etwa sechzig sonderbare
Käuze. Neben Souriceau, dem Soldaten, der sein Regiment verloren hat, und
dem armen Teufel, der sich immer noch im Schützenloch glaubt und im Bett die
vorschriftsmäßige Haltung des liegenden Schützen einnimmt, begegnet man hier
allen psychischen Affektionen, die auf die Strapazen des Krieges, auf Angst,
Not und Erschöpfung, auf Krankheiten und Verwundungen zurückgehen. Man kann
sicher sein, daß die hier eingesperrten Irren weder Simulanten noch Lebensmüde
oder gewöhnliche Neurastheniker sind; sie alle haben sich die Sporen des Irrsinns
in den verschiedenen neurologischen Kliniken der Armee verdient, wo sie unter
Beobachtung standen und von zahlreichen Expertenkommissionen verhört, gemustert
und ausgesucht wurden, bevor man sie etappenweise in die Klinik 101A abschob,
auf die Insel ohne Wiederkehr. Der Leiter der Anstalt, Dr. Montalti, ein korsischer
Oberstleutnant, hat also leicht lachen, denn unter seinen Leuten ist kein Schwindler,
kein einziger Drückeberger, aus seinem Gefängnis kann man nicht einen einzigen
Soldaten wieder herausholen. Sein Gewissen ist rein. - (
mora
)
Insel
(15)
Eine wunderschöne
Insel kam in Sicht, auf der sie in einiger Entfernung eine Menge großer
Tiere erblickten, die aussahen wie Pferde. Die
Reisenden beobachteten sie genau, während sie näher heranfuhren. Da sahen
sie, daß eines der Tiere zuschnappte und einen großen Fetzen Fleisch aus
dem Leib jenes Tieres herausbiß, das neben ihm stand. Gleich darauf beobachteten
sie noch ein weiteres Tier bei solch wildem Beißen. Gierig fraßen sie alle
vom Fleisch des anderen, und der Boden der Insel war über und über mit
Blut bedeckt, das über den Küstenabhang ins Meer rann.
-
(anders)
Insel
(16)
Insel
(17)
Perrudja aber scherzte:
»Ich bin ohne Mühe vom Erinnern an Vater und Mutter verlassen. Und Norge ist
meine Heimat nur zufällig.« »Sehr gut«, sagte Pujol, »man kann es symbolisch
nehmen.« »Ich bin der Ansicht, mein Rat sollte nicht verworfen werden«, sagte
Hein.
Da wurde der Frankenwein hereingetragen. Und eine dampfende Schüssel. Auf
der Schüssel lagen gekochte Lachsscheiben, der Fisch zuvor ein wenig geräuchert
in den Schwaden verglimmender, frischgrüner Wacholderzweige. Mit Peterlein bestreut.
Perrudjas Lieblingsspeise. Man setzte sich zum Mahle. Und es gab keine Worte
mehr. Außer denen, die die Höflichkeit forderte. Der Frankenwein war stark im
Geschmack wie ein Bündel Kraut. Und erdig. Man hätte denken können, daß er durch
Wüstensand gefiltert. Perrudja trank ihn mit Sodawasser vermischt. Als flaches
Brot, Butter und brauner Ziegenkäse gereicht wurden, lockerte sich dem Franzosen
die Zunge abermals. Er begann von den Ozeanen zu sprechen, die sich zwischen
Asien, Amerika und Afrika ausbreiteten, in denen Australien nur eine große Insel.
Neben den zehntausend anderen, die sich vorfanden. Es kam die Erklärung, jeder
Ort dieser Erde, jedes Insetchen trägt einen Namen, nichts, dem Menschen bekannt,
ist unbezeichnet und namenlos. Die Sprache des Menschen erträgt nicht die Leere
der Lautlosigkeit. Die Karten und Pläne der Welt sind die Namenstafeln der Wirklichkeit,
Schlagworte für sonnebeschienenen Boden. Auf dem sich, je nach Fügung, Menschen,
Tiere, Pflanzen breit machen. Eine Insel aber, eine Klippe schon ist dazu ausersehen,
mehr zu bedeuten als selbst eine große menschliche Siedlung. Sie ist eine Einsamkeit.
Eine Frucht auf dem Wasser. Ein Geschenk aus großen Tiefen. Fr sagte sehr viel
Schmeichelhaftes von den Meerumspülten. Am meisten aber schien ihm ihre Einsamkeit,
ihre Abgeschlossenheit zu gefallen. Er hob es hervor. Sie allein könnten der
Zufluchtsort für die Trümmer einer scheiternden Menschheit sein. Offener: Die
Zuflucht für die Armeen der Auserwählten. Berge im Meer, die leicht von Krankheit
und Sünden der Vergangenheit zu reinigen seien. Auf denen die Bereitschaft zur
Liebe locker im Menschen würde. Sprach von der Farbenpracht was-serüberspülter
KoralleninseSn. Die in ihrer Schönheit nicht zu beschreiben. Die das Wasser
in den Augen der Menschen lösten vor Ohnmacht und Glück, ein Geschöpf inmitten
des Geschaffenen zu sein. - Hans Henny Jahnn, Perrudja. Frankfurt am Main
1966 (zuerst 1929)