umpf     Nicht ganz still; aber das fällt mir auf: daß es kein Wasserrauschen ist, sondern ein Geräusch von Tieren, die sich bewegen: ein Kriechen, ein Schleichen, ein Flitzen, aber auch andere Laute, vielleicht Rufe und Schreie verletzter, getöteter, von anderen Tieren verschlungener Tiere; ein Zirpen unsichtbarer Insekten, ein Schnalzen verliebter Skorpione. Ich stehe auf und stelle mich ans Fenster im oberen Stock, ein großes, hermetisch geschlossenes Fenster. Ich schaue hinaus, und das, was ich sehe — zum ersten Mal von einem richtigen Observatorium aus - verblüfft mich. Jetzt erscheint mir der Sumpf nicht mehr als Ausbreitung vielfach gekreuzter Gewässer - Lagunen, Tümpel, Moore, Gräben, Schlamm -, sondern als eine, so scheint mir, unendliche Weite aus winzigen Tieren, so daß ich sie im einzelnen nicht unterscheiden kann. Wohl aber sehe ich die Weite, die Masse des unendlichen Gewimmels, ein Wuseln unzähliger Lebensformen, eine abstoßende und winzige Großartigkeit, wo alles kriecht, zischt, zerfleischt, stirbt, sich paart, geboren wird, sich entleert. - Giorgio Manganelli, Der endgültige Sumpf. Berlin 1993(zuerst 1991)

Sumpf  (2)  In der Stadt Samosata in Commagene ist ein Sumpf, der einen brennenden Schlamm, Maltha genannt, auswirft. Wenn er an einen festen Körper kommt, so hängt er sich daran fest; berührt man ihn, so folgt er nach, auch wenn man flieht. So verteidigten die dortigen Einwohner ihre Stadt, welche von Lucullus belagert wurde, und die Soldaten verbrannten mit ihren Waffen. Auch im Wasser brennt er fort. - (plin)

Sumpf   (3)  Wie Münchhausen im Sumpf steht derjenige, der nach letzten Begründungen oder letzten Wahrheiten sucht, vor schier unlösbaren Problemen: Entweder

    * versinkt er wie Münchhausen immer tiefer bei der Suche nach immer weiteren Begründungen für Begründungen. Da jede Begründung eines zu erklärenden Phänomens als nicht letztgültig angezweifelt werden kann und von daher ihrerseits begründungsbedürftig ist, landet er in einem „unendlichen Regress“.

    * oder er verstrickt sich in einen „logischen Zirkel“ (Zirkelschluss). Wenn die Begründung eines Phänomens schon im Phänomen enthalten ist, dreht er sich argumentativ im Kreis.

    * oder aber er bricht den Begründungsprozess ab und beruft sich auf Dogmen und zieht sich so, wie Münchhausen am eigenen Schopf, argumentativ selbst aus dem Sumpf. - Wikipedia

Sumpf   (4)  Er durchquerte die Sümpfe, diese Gegenden von Uranus, die zu den halluzinierendsten des Sonnensystems zählen, die weder Wasser sind noch Eis, noch eine Flüssigkeit, noch Gel. Sie sind nicht einmal Miasma, nicht einmal die Vegetation eines Alptraums, sondern nur Zähflüssigkeit und Verwesung ohne Keime, Krankhaftigkeit ohne Mikroben, zerfließende Farben. Ihr Boden flutet vor und zurück in einem dumpfen Flutwechsel, der durch innere Kräfte hervorgerufen wird. Riesige Gasblasen explodieren, sobald sie die aufgeworfene Oberfläche der Sümpfe ganz leicht berühren: Eintönigkeit eines mineralischen Planeten. - Gérard Klein, Der Reiter auf dem Hundertfüßler. In: Polaris 4, Hg. Franz Rottensteiner. Frankfurt am Main 1978

Sumpf   (5)  Sie kamen mit schrillem Geschrei. Sie drängten sich um sie her, höhnten und  schnappten und schlugen. Sie kreischten vor Wut und Bosheit und fluchten und knurrten, denn sie kannten sie als ihren alten Feind, der sie in die Winkel zurücktrieb und davon abhielt, ihre üblen Werke zu tun.

»Fürchte dich!« gellte es von den Hexenwichten, »wieder hast du uns in diesem Jahr unsere Hexereien verdorben!«

»Und uns hast du in den Winkeln brüten lassen!« heulten die Sumpfgeister.

Und alle Wesen stimmten ein mit lautem »Ho ho!«, so daß selbst die Grasbüschel erzitterten und die Wasser gurgelten. Und von neuem fingen sie an.

»Wir  wollen  sie  vergiften -  sie  vergiften!«  kreischten  die Hexen. Und »Ho ho!« heulten die Wesen wieder. »Wir wollen sie ersticken - sie ersticken!« zischelten die kriechenden Scheusale und wanden sich um ihre Knie. Und »Ho ho!« höhnten alle anderen.

Und wieder brüllten sie alle vor Haß und Bosheit. Und die arme Frau Mond duckte sich und wünschte, sie wäre tot und es wäre alles vorbei.

Und sie stritten und zankten sich darüber, was sie mit ihr tun sollten, bis ein fahles grünes Licht am Himmel aufstieg, und es nahte die Dämmerung. Und als sie das sahen, bekamen sie Angst, sie hätten nicht mehr genug Zeit, ihre böse Absicht auszuführen, und sie ergriffen sie mit gräßlichen knochigen Fingern und legten sie tief ins Wasser am Fuß des Baumstumpfes. Und die Sumpfgeister holten einen sonderbaren großen Stein und wälzten ihn über sie, um sie am Aufstehen zu hindern. Und sie befahlen zwei Irrlichtern, sie sollten abwechselnd Wache halten auf dem schwarzen Stumpf und darauf achten, daß sie sicher und still liegenbleibe und nicht hervorkommen könne, um ihr Treiben zu stören.

Und da lag die arme Frau Mond tot und begraben im Sumpf, bis irgend jemand sie befreien würde. - (engl)

Sumpf   (6)

- N.N.

Sumpf (7)  In Immerien wird das Geschlecht der Frau kultisch verehrt, ganz ohne Rücksicht auf ihre Person oder ihren Charakter. Und niemals bringen sie das eine mit dem anderen in Verbindung.

Die Leute sind dort sehr weich, und ihre Lust, ja selbst ihre Wollust dauert länger, ist jedoch nicht so intensiv. Sumpfiges Land, heißes Klima, das einen auslaugt. Am meisten lieben sie Massenorgien in tiefer Dunkelheit. Dabei wird ein Mann geopfert, manchmal mehrere. Genau im Moment des Liebesgenusses wird er von seiner Gefährtin und ihren Freundinnen erdrosselt. Er versinkt fast im selben Augenblick im Tod und in der Wollust.  - (mich2)

Sumpf (8)  Während des Tages herrschte im Sumpf Totenstille - bis auf das Rascheln eines Iguanas oder irgendeines anderen Reptils, oder das Rauschen von Flügelschlägen, wenn ein Schwarm Wildvögel über uns hinwegstrich. Nachts war es anders: dann begannen die Ochsenfrösche ihr unaufhörliches Gequake, und die großen Sumpfeulen und andere Nachtvögel stießen ihre unheimlichen Schreie aus. Außerdem gab es da ständig seltsame glucksende Geräusche, die zweifellos von versinkenden Pflanzenteilen herrührten, und das Platzen mit fauligem Gas gefüllter Blasen. Seltsame Lichterscheinungen ebenfalls. Irrwische werden sie, glaube ich, genannt, die die Zulus in Angst versetzten, da sie sie für die Geister von Toten hielten. Vielleicht hat dieser Aberglaube etwas mit ihrer Stammeslegende zu tun, nach der der Mensch bei seiner Erschaffung ‹aus dem Schilf gerissen› wurde. Wenn dem so war, mochten sie sich vorgestellt haben, daß die Geister der Menschen nach ihrem Tod zum Schilf zurückgingen, wovon hier ja eine solche Menge vorhanden war, daß man gewiß alle Geister des Zulu-Volkes hätte darin unterbringen können. Auf jeden Fall hatten sie alle Angst; selbst der stolze Medizinmann Goroko wühlte in dem kleinen Medizinbeutel, den er mit sich führte, um ein Schutzmittel für sich und seine Gefährten zu finden. Ich vermute sogar, daß selbst der eiserne Umslopogaas sich nicht sehr wohl fühlte, obwohl er mich informierte, daß er hergekommen sei, um zu kämpfen, ob gegen Menschen, Hexen oder Geister.  - Henry Rider Haggard, Sie und Allan. München 1985 (zuerst ca. 1910)

Sumpf (9) Man dachte sich den Sumpf durchsetzt von Neugeborenen, die von Müttern, welche ihrer Fruchtbarkeit nicht Herr zu werden vermochten, dort noch warm versenkt wurden. So sah man etwa im roten Stängel des Sumpfquendel die abgetrennte und erstarrte Nabelschnur. Kam bei einer Frau, die den Sumpflehm eingenommen oder sich mit ihm die Scheide eingerieben hatte, um eine Empfängnis herbeizuführen, dennoch der Monatsfluss, so hatte sie die gesamte Woche über am Rand des Sumpfes niederzukauern, um dem Morast das Blut wiederzugeben, das sie ihm angeblich entnommen hatte.  - (raf)

Sumpf (10) Am Bahnhofe fraß der Sumpf. Das Gebäude hatte sich geneigt, der Perron war mit Schlamm und Schilf überdeckt, durch die verfaulten Türen kroch der Morast in die Wartesäle,, von den Bänken und Polstern ertönten Wehmutslieder der Unken. Über die Büfetts krabbelten Molche und kleine Käferlarven. Die unzahligen Geschöpfe, welche Perle durchwandert, die Gärten verwüstet und die Menschen geängstigt hatten, alle stammten sie aus dem Sumpfe, der sich viele Meilen ins graue Dunkel erstreckte.

Aber er gab nicht nur, er nahm auch Leben. Unzählige Träumer, Bauern, Fischer, schlummerten in seiner nassen Erde. - Der Trügerische1 Wie harmlos vermochte er auszusehen, während unter der Moosdecke sich die Schlangen knäulten. Er konnte auch geräuschlos gespenstische haushohe Flammen aufsteigen lassen und die nistenden Wasservögel erschrecken. Am eigenen Leibe vermochte er sich reichlich zu nähren — seine Tiger fraßen seine Schweine — seine Füchse jagten seine Rehe.

Diese Wildnis galt im Traumlande für heilig. An gewissen Plätzen befanden sich uralte, bemooste Steine, in denen unverständliche, verwitterte Zeichen eingegraben waren. Hierher pflegten die Jäger die Eingeweide des erlegten Wildbrets zu tragen, die Fischer opferten da die Lebern der Hechte und Welse, Landleute brachten einen Bund Getreide dar oder schichteten Äpfel und Weintrauben zu kleinen Pyramiden. Der Sumpf nahm allezeit diese Gaben gnädig an und verzehrte sie. Patera kam in früheren Jahren oft hierher und wagte sich allem bei Nacht diesen heiligen Orten zu nähern. Wie ich erfahren habe, opferte er im Namen des Traumvolkes »der Sumpfmutter« — und verband sich aufs neue mit ihr — in Mysterien, in denen Blut und Geschlecht besonders bedeutsam waren. - - Alfred Kubin, Die Andere Seite. München 1975 (zuerst 1909)

 

Versinken Landschaft Sog

 

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