- Giorgio Manganelli,
Der endgültige Sumpf. Berlin 1993(zuerst 1991)
Sumpf (2) In der Stadt Samosata in Commagene ist
ein Sumpf, der einen brennenden Schlamm, Maltha genannt, auswirft. Wenn er an
einen festen Körper kommt, so hängt er sich daran fest; berührt man ihn, so
folgt er nach, auch wenn man flieht. So verteidigten die dortigen Einwohner
ihre Stadt, welche von Lucullus belagert wurde, und die Soldaten verbrannten
mit ihren Waffen. Auch im Wasser brennt er fort. - (
plin
)
Sumpf (3) Wie Münchhausen im Sumpf steht derjenige, der nach letzten Begründungen oder letzten Wahrheiten sucht, vor schier unlösbaren Problemen: Entweder
* versinkt er wie Münchhausen immer tiefer bei der Suche nach immer weiteren Begründungen für Begründungen. Da jede Begründung eines zu erklärenden Phänomens als nicht letztgültig angezweifelt werden kann und von daher ihrerseits begründungsbedürftig ist, landet er in einem „unendlichen Regress“.
* oder er verstrickt sich in einen „logischen Zirkel“ (Zirkelschluss). Wenn die Begründung eines Phänomens schon im Phänomen enthalten ist, dreht er sich argumentativ im Kreis.
* oder aber er bricht den Begründungsprozess ab und
beruft sich auf Dogmen und zieht sich so, wie Münchhausen am eigenen Schopf,
argumentativ selbst aus dem Sumpf. -
Wikipedia
Sumpf (4) Er durchquerte die Sümpfe,
diese Gegenden von Uranus, die zu den halluzinierendsten des Sonnensystems zählen,
die weder Wasser sind noch Eis, noch eine Flüssigkeit, noch Gel. Sie sind nicht
einmal Miasma, nicht einmal die Vegetation eines Alptraums, sondern nur Zähflüssigkeit
und Verwesung ohne Keime, Krankhaftigkeit ohne Mikroben, zerfließende Farben.
Ihr Boden flutet vor und zurück in einem dumpfen Flutwechsel, der durch innere
Kräfte hervorgerufen wird. Riesige Gasblasen explodieren, sobald sie die aufgeworfene
Oberfläche der Sümpfe ganz leicht berühren: Eintönigkeit eines mineralischen
Planeten. - Gérard Klein, Der Reiter auf dem Hundertfüßler. In: Polaris
4, Hg. Franz Rottensteiner. Frankfurt am Main 1978
Sumpf (5) Sie kamen mit schrillem Geschrei. Sie drängten sich um sie her, höhnten und schnappten und schlugen. Sie kreischten vor Wut und Bosheit und fluchten und knurrten, denn sie kannten sie als ihren alten Feind, der sie in die Winkel zurücktrieb und davon abhielt, ihre üblen Werke zu tun.
»Fürchte dich!« gellte es von den Hexenwichten, »wieder hast du uns in diesem Jahr unsere Hexereien verdorben!«
»Und uns hast du in den Winkeln brüten lassen!« heulten die Sumpfgeister.
Und alle Wesen stimmten ein mit lautem »Ho ho!«, so daß selbst die Grasbüschel erzitterten und die Wasser gurgelten. Und von neuem fingen sie an.
»Wir wollen sie vergiften - sie vergiften!« kreischten die Hexen. Und »Ho ho!« heulten die Wesen wieder. »Wir wollen sie ersticken - sie ersticken!« zischelten die kriechenden Scheusale und wanden sich um ihre Knie. Und »Ho ho!« höhnten alle anderen.
Und wieder brüllten sie alle vor Haß und Bosheit. Und die arme Frau Mond duckte sich und wünschte, sie wäre tot und es wäre alles vorbei.
Und sie stritten und zankten sich darüber, was sie mit ihr tun sollten, bis ein fahles grünes Licht am Himmel aufstieg, und es nahte die Dämmerung. Und als sie das sahen, bekamen sie Angst, sie hätten nicht mehr genug Zeit, ihre böse Absicht auszuführen, und sie ergriffen sie mit gräßlichen knochigen Fingern und legten sie tief ins Wasser am Fuß des Baumstumpfes. Und die Sumpfgeister holten einen sonderbaren großen Stein und wälzten ihn über sie, um sie am Aufstehen zu hindern. Und sie befahlen zwei Irrlichtern, sie sollten abwechselnd Wache halten auf dem schwarzen Stumpf und darauf achten, daß sie sicher und still liegenbleibe und nicht hervorkommen könne, um ihr Treiben zu stören.
Und da lag die arme Frau Mond tot und begraben im Sumpf, bis irgend jemand
sie befreien würde. - (
engl
)
Sumpf (6)
- N.N.
Sumpf (7) In Immerien wird das Geschlecht der Frau kultisch verehrt, ganz ohne Rücksicht auf ihre Person oder ihren Charakter. Und niemals bringen sie das eine mit dem anderen in Verbindung.
Die Leute sind dort sehr weich, und ihre Lust, ja selbst ihre Wollust dauert
länger, ist jedoch nicht so intensiv. Sumpfiges Land, heißes Klima, das einen
auslaugt. Am meisten lieben sie Massenorgien in tiefer Dunkelheit. Dabei wird
ein Mann geopfert, manchmal mehrere. Genau im Moment des Liebesgenusses wird
er von seiner Gefährtin und ihren Freundinnen erdrosselt.
Er versinkt fast im selben Augenblick im Tod
und in der Wollust. -
(mich2)
Sumpf (8) Während des Tages herrschte im Sumpf
Totenstille - bis auf das Rascheln eines Iguanas oder irgendeines anderen Reptils,
oder das Rauschen von Flügelschlägen, wenn ein Schwarm Wildvögel über uns hinwegstrich.
Nachts war es anders: dann begannen die Ochsenfrösche ihr unaufhörliches Gequake,
und die großen Sumpfeulen und andere Nachtvögel stießen ihre unheimlichen Schreie
aus. Außerdem gab es da ständig seltsame glucksende
Geräusche, die zweifellos von versinkenden Pflanzenteilen herrührten, und das
Platzen mit fauligem Gas gefüllter Blasen. Seltsame
Lichterscheinungen ebenfalls. Irrwische werden sie,
glaube ich, genannt, die die Zulus in Angst versetzten, da sie sie für die Geister
von Toten hielten. Vielleicht hat dieser Aberglaube etwas mit ihrer Stammeslegende
zu tun, nach der der Mensch bei seiner Erschaffung ‹aus dem Schilf
gerissen› wurde. Wenn dem so war, mochten sie sich vorgestellt haben, daß die
Geister der Menschen nach ihrem Tod zum Schilf zurückgingen, wovon hier ja eine
solche Menge vorhanden war, daß man gewiß alle Geister des Zulu-Volkes hätte
darin unterbringen können. Auf jeden Fall hatten sie alle Angst; selbst der
stolze Medizinmann Goroko wühlte in dem kleinen Medizinbeutel, den er mit sich
führte, um ein Schutzmittel für sich und seine Gefährten zu finden. Ich vermute
sogar, daß selbst der eiserne Umslopogaas sich
nicht sehr wohl fühlte, obwohl er mich informierte, daß er hergekommen sei,
um zu kämpfen, ob gegen Menschen, Hexen oder Geister. -
Henry Rider Haggard, Sie und Allan. München 1985 (zuerst ca. 1910)
Sumpf (9) Man dachte sich den Sumpf durchsetzt von Neugeborenen,
die von Müttern, welche ihrer Fruchtbarkeit nicht Herr zu werden vermochten,
dort noch warm versenkt wurden. So sah man etwa im roten Stängel des Sumpfquendel
die abgetrennte und erstarrte Nabelschnur. Kam bei einer Frau, die den Sumpflehm
eingenommen oder sich mit ihm die Scheide eingerieben hatte, um eine Empfängnis
herbeizuführen, dennoch der Monatsfluss, so hatte sie die gesamte Woche über
am Rand des Sumpfes niederzukauern, um dem Morast das Blut wiederzugeben, das
sie ihm angeblich entnommen hatte. - (raf)
Sumpf (10) Am Bahnhofe fraß der Sumpf. Das Gebäude hatte sich geneigt, der Perron war mit Schlamm und Schilf überdeckt, durch die verfaulten Türen kroch der Morast in die Wartesäle,, von den Bänken und Polstern ertönten Wehmutslieder der Unken. Über die Büfetts krabbelten Molche und kleine Käferlarven. Die unzahligen Geschöpfe, welche Perle durchwandert, die Gärten verwüstet und die Menschen geängstigt hatten, alle stammten sie aus dem Sumpfe, der sich viele Meilen ins graue Dunkel erstreckte.
Aber er gab nicht nur, er nahm auch Leben. Unzählige Träumer, Bauern, Fischer, schlummerten in seiner nassen Erde. - Der Trügerische1 Wie harmlos vermochte er auszusehen, während unter der Moosdecke sich die Schlangen knäulten. Er konnte auch geräuschlos gespenstische haushohe Flammen aufsteigen lassen und die nistenden Wasservögel erschrecken. Am eigenen Leibe vermochte er sich reichlich zu nähren — seine Tiger fraßen seine Schweine — seine Füchse jagten seine Rehe.
Diese Wildnis galt im Traumlande für heilig. An gewissen Plätzen befanden
sich uralte, bemooste Steine, in denen unverständliche, verwitterte Zeichen
eingegraben waren. Hierher pflegten die Jäger die Eingeweide des erlegten Wildbrets
zu tragen, die Fischer opferten da die Lebern der Hechte und Welse, Landleute
brachten einen Bund Getreide dar oder schichteten Äpfel und Weintrauben zu kleinen
Pyramiden. Der Sumpf nahm allezeit diese Gaben gnädig an und verzehrte sie.
Patera kam in früheren Jahren oft hierher und wagte sich allem bei Nacht diesen
heiligen Orten zu nähern. Wie ich erfahren habe, opferte er im Namen des Traumvolkes
»der Sumpfmutter« — und verband sich aufs neue mit ihr — in Mysterien, in denen
Blut und Geschlecht besonders bedeutsam waren. - - Alfred Kubin, Die Andere Seite. München 1975 (zuerst 1909)
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