ebel
Auf
einigen Bergen und Thälern und anderen Gegenden erhebt sich manchmal nach
dem Gericht Gottes ein dunkler Nebel, der sich dann stürmisch verbreitet
und schlechten und schädlichen Schmutz in sich birgt. Wenn er sich über
die Lande hebt, bringt er Krankheiten, Seuchen und Tod für Menschen und
Vieh. Bisweilen steigt auch aus Wasser Nebel auf, streift Alles auf dem
Lande und verbreitet sich. Auch er bringt zum Theil Menschen und Vieh Krankheiten
und Seuchen, doch tödtet er nicht, knickt aber die keimenden Baumblüthen
und schadet den Früchten, so dass Bäume und Pflanzen ihre Blätter zusammenziehen
und verdorren, als ob sie mit heissem Wasser begossen sind. -
Hildegard von Bingen
Nebel
(2)
In einem Jahr waren die Nebel
so dicht, daß man darauf verfiel, stundenweise Blinde aus dem Hospiz der
Quinze-Vingts zu mieten, die einen am hellen Tage in alle Viertel führten.
Sie bekamen bis zu fünf Louisdor täglich, und diese Blinden kannten die
Topographie von Paris besser als diejenigen, die den Stadtplan gestochen
oder gezeichnet hatten.
Folgendermaßen war man in diesen Nebelschwaden, die Straßen und Kreuzungen
den Blicken verbargen, unterwegs: Man faßte den Blinden an einem Rockschoß,
und sichereren Schritts als ein Sehender führte einen der Blinde in die
Stadtteile, in denen man zu tun hatte. Die Hospiz-Blinden finden sich in
allen Kirchen und verschaffen sich Platz, indem sie einem mit ihrem Stock
die Beine examinieren. Sie naseln ein eintöniges Gebet; man macht für sie
Platz und legt ihnen einen Liard in ihre Sammeltasse; sie stoßen auch ohne
Erbarmen an, weil sie wissen, daß man gegen ihre Aufdringlichkeit höchstens
etwas murrt. - (
merc
)
Nebel (3) Kein Lufthauch bewegte den dichten Nebel über dem Strom. Es war, als liege eine trübe Watteschicht auf dem Wasser. Sogar die Ufersäume blieben undeutlich, versunken unter den bizarr wie Bergketten geränderten Schwaden. Aber da bald der Tag anbrechen würde, begann der Uferhang sich abzuzeichnen. Zu seinen Füßen tauchten im ersten Schimmer des Frühlichts die großen weißen Flecke kalkgeschlämmter Häuser auf. Hähne krähten in den Hühnerställen.
Drüben, auf der anderen Seite des Flusses, die eingehüllt unterm Nebel lag, genau dem Dorf La Frette gegenüber, störten für Augenblicke leichte Geräusche das große Schweigen des windlosen Himmels. Bald war es ein leises Plätschern wie das vorsichtige Treiben eines Kahns, bald ein trockener Laut wie der Stoß an eine Bordwand, bald, als falle ein weicher Gegenstand ins Wasser. Dann nichts mehr.
Und manchmal irrten halblaute Worte, wer weiß
woher gekommen, vielleicht sehr weit, vielleicht nah, an Land oder auf
dem Wasser geboren, durch die undurchsichtigen Nebel, glitten vorüber,
strichen fort, ebenso scheu wie die wilden Vögel, die im Ried schlafen
und bei der ersten Blässe des Himmels aufsteigen, um weiter zu fliehen,
immer weiter, und die man eine Sekunde wahrnimmt, wie sie pfeilgeschwind
aus dem Nebel brechen, einen weichen, furchtsamen Schrei
ausstoßend, der ihre Brüder längs dem ganzen Fluß weckt. - (
nov
)
Nebel
(4)
Ich verlor bald jeden Sinn
für die Richtung, in welcher ich wanderte. Derweilen tat das Morphium seine
gewohnheitsmäßige Wirkung - die nämlich, der gesamten Außenwelt ein hochgespanntes
Interessant-Sein zu verleihen. Im leisen Zitterrascheln eines Blatts -
im Farbschatten eines Grashalms - im Formgebild des Kleeblatts - im Summen
einer Biene - im Schimmern eines Tautropfens - im Hauch des Winds - in
den linden Düften, die vom Walde herüberstrichen - in all diesem tat sich
eine ganze Welt von Suggestionen auf - all diesem entstieg ein lustiger
und buntscheckiger Zug von rhapsodischen und unmethodischen Gedanken.
Diesen hingegeben, wanderte ich wohl stundenlang dahin, derweil die Nebel um mich her sich in einem Maße verdichteten, daß ich am Ende gezwungen war, mir meinen Weg regelrecht zu ertasten. Und da auf einmal befiel mich ein unbeschreibliches Mißbehagen - eine Art nervösen Zauderns und Schauderns. Kaum wagt' ich noch einen Fuß vor den andern zu setzen, aus Furcht, ich könnte jählich in einen Abgrund stürzen. Auch entsann ich mich wunderlicher Geschichten, die man sich von diesen Rauhen Hügeln erzählte und von der ungeschlachten und grausam wilden Menschenrasse, welche in ihren Hainen und Höhlen hause. Wohl tausend vage Einbildungen bedrängten und bedrückten mich - Einbildungen, die, weil sie vage, nur um so verstörender waren. Da plötzlich ward meine Aufmerksamkeit von lautem Trommelschlag gefesselt.
Dies verwirrte mich natürlich über die Maßen. Eine Trommel in diesen
Bergen - davon hatte man doch noch nie vernommen! Wäre die Posaune des
Erzengels erschollen, ich hätte darob nicht mehr erstaunen können. Doch
ein neues und schier noch bestürzenderes Phänomen schuf mir alsbald Interesse
und Verwirrung. Ein wilder Rassel- oder Klirrlaut, als wie von einem Bunde
großer Schlüssel, drang an mein Ohr, und im Augenblick stürzte mit einem
Gellschrei ein dunkelgesichtiger und halbnackter Mann an mir vorüber. Er
kam mir dabei so nahe, daß ich seinen heißen Atem auf meinem Gesichte spürte.
Er trug in einer Hand ein Instrument, bestehend aus einer Reihe von Stahlringen,
welche er im Laufen heftig schüttelte. Kaum war er im Nebel verschwunden,
als mit offenem Maul und glühenden Augen ein riesenhaftes Tier heranstürmte
und ihm nachlechzte. Über seine Gattung konnte ich nicht lange im Ungewissen
sein. Es war eine Hyäne. - Edgar Allan Poe,
Eine Geschichte aus den Rauhen Bergen, in (
poe
)
Nebel
(5)
Ich
lasse mich treiben, bin ganz sinnliche Aufmerksamkeit, ohne Gedanken und
ohne Gefühl. Ich bin früh aufgewacht; ich bin ohne Vorurteile auf die Straße
getreten. Ich schaue alles prüfend an wie ein Grübler. Ich sehe wie einer,
der nachdenkt. und ein leichter Gefühlsnebel erhebt sich absurd in mir;
der Nebel, der draußen emporsteigt, scheint langsam in mich einzudringen.
Ohne es zu wollen fühle ich, daß ich soeben über mein Leben nachgedacht
habe. Ich habe es selbst nicht bemerkt, aber so ist es gewesen. Ich meinte,
ich sähe und hörte nur, ich wäre während meines ganzen müßigen Umherschlenderns
nur ein Reflektor von vorgegebenen Bildern gewesen, eine weiße spanische
Wand, auf welche die Wirklichkeit Farben und Licht anstelle von Schatten
projeziert. Aber es war mehr, ohne dass ich es selber gewusst hätte. Es
war die sich verleugnende Seele mit im Spiel, und sogar mein abstraktes
Beobachten war noch eine Verneinung. - Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe
des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Zürich 2003
Nebel
(6)
Es ähnelte dem Brüllen einer
Kuh, klang aber trostloser und verzweifelter.
»Dummkopf«, brummte er vor sich hin. »Das ist nichts weiter als das Nebelhorn.«
Er fand nur schwer seinen Weg. Unmittelbar unter seinen Füßen sah er Wasser, das zu dampfen schien. Er stand auf der Mauer der Schleuse und hörte irgendwo das Knirschen von Kurbeln. Er erinnerte sich nicht mehr an die Stelle, an der er im Auto das Wasser überquert hatte, und als er einen schmalen Steg erblickte, betrat er ihn.
»Vorsicht!«
Es war unheimlich, denn die Stimme kam aus nächster Nähe. Obwohl ringsum alles still war, war drei Meter von ihm entfernt ein Mensch, von dem er kaum, selbst wenn er genau hinblickte, die Umrisse sah.
Er verstand die Warnung sofort. Der Steg, den er schon mit einem Fuß betreten hatte, schwankte. Es war das Schleusentor, das man öffnete. Das Schauspiel wurde noch unheimlicher, denn ganz in der Nähe tauchte kein Mensch auf, sondern eine Mauer, hoch wie ein Haus. über dieser Mauer sah man vom Nebel gedämpfte Lichter.
Ein Schiff fuhr dicht an dem Kommissar vorüber. Eine Trosse fiel neben ihm an Land, und jemand ergriff sie, trug sie zu einem Pflock, an dem er sie festmachte.
»Zurückt Vorsicht!« rief eine Stimme oben auf der Kommandobrücke.
Noch vor einigen Sekunden hatte alles tot und verlassen gewirkt, aber jetzt, als Maigret an der Schleuse entlangging, bemerkte er viele menschliche Gestalten im Nebel. Jemand drehte eine Kurbel. Ein anderer kam mit einer zweiten Trosse angelaufen. Zöllner warteten darauf, daß der Steg ausgelegt wurde, damit sie an Bord gehen konnten.
»Wollen Sie hinüber?«
Ganz in der Nähe Maigrets fragte das jemand.
Ein weiteres Schleusentor.
»Machen Sie schnell, sonst müssen Sie eine Viertelstunde warten.«
Er hielt sich an dem Geländer fest, ging hinüber, hörte das Wasser unter
seinen Füßen brodeln und in der Ferne immer noch das Heulen des Nebelhorns.
- Georges Simenon, Maigret und der geheimnisvolle Kapitän. München
1971 (Heyne Simenon-Kriminalromane 97, zuerst 1931)
Nebel
(7)
In der Nacht
kam Nebel, und wir steuerten eine kleine Insel an, um
dort anzulegen, denn es hatte keinen Sinn, im Nebel weiterzufahren; aber als
ich im Boot voranruderte, mit der Leine zum Festmachen, fand ich nichts als
kleine Bäumchen. Ich schlang die Leine um eins von ihnen, gerade am äußersten
Rand des abschüssigen Ufers, aber dort ging eine starke Strömung, und das Floß
kam so rasch herabgeschossen, daß es das Bäumchen mitsamt den Wurzeln ausriß
und davonschwamm. Ich sah noch, wie der Nebel sich dar-überlegte, und das fuhr
mir so in die Glieder, daß ich mich wohl fast eine halbe Minute lang nicht rühren
konnte — und dann war das Floß spurlos verschwunden; man konnte keine zwanzig
Schritt weit sehn. Ich sprang ins Boot, stürzte ins Heck, ergriff das Ruder
und tat einen Schlag rückwärts. Aber es rührte sich nicht. Ich hatte es in der
Eile nicht losgebunden. Ich sprang auf und versuchte die Leine zu lösen, aber
ich war so aufgeregt und meine Hände zitterten so, daß ich kaum was damit anfangen
konnte.
Sobald ich flott war, setzte ich hitzig dem Floß nach, immer das Inselchen entlang. Das ging ganz schön, so weit dieses reichte, aber es war keine sechzig Schritt lang, und sobald es zu Ende war, schoß ich hinaus in den dichten weißen Nebel und hatte nicht die geringste Ahnung, wo ich hintrieb, nicht mehr als ein Toter.
Ich dachte, rudern nützt mir doch nichts; eh' ich mich's versehe, sitze ich am Ufer oder auf einer Sandbank oder sonstwo fest; ich saß also still und ließ mich treiben, aber es ist schon eine verdammt beklemmende Sache, wenn man in solcher Lage die Hände in den Schoß legen muß. Ich rief nur immer und horchte. Irgendwo weiter unten hörte ich eine dünne Antwort, und meine Lebensgeister erwachten wieder. Ich fuhr der Stimme nach und horchte scharf, ob ich sie wiederhörte. Als es das nächste Mal rief, merkte ich, daß ich nicht darauf zusteuerte, sondern nach rechts abtrieb. Und das nächste Mal kam ich zu weit nach links ab — und viel näher kam ich auch nicht, denn ich wirbelte bloß immerzu herum, hierin und dorthin und kreuz und quer, während das Roß die ganze Zeit schnurstracks gradeaustrieb.
Ich wünschte, der Dummkopf wär' auf die Idee gekommen, eine Blechpfanne zu nehmen und die ganze Zeit darauf rumzutrommeln, aber das tat er nicht, und eben die Pausen zwischen den Rufen verwirrten mich so. Na, ich schlug mich weiter durch, und plötzlich hörte ich das Rufen hinter mir. Nun war ich vollends irregemacht.
Entweder rief da noch jemand anders, oder ich hatte mich um mich selber gedreht.
Ich warf das Ruder hin. Ich hörte das Rufen wieder, immer noch hinter mir, aber an einer andern Stelle; es kam immer näher und wechselte doch dauernd die Richtung, und ich antwortete immer wieder, bis es schließlich wieder vor mir war, und da wußte ich, daß die Strömung die Spitze meines Bootes wieder flußabwärts gedreht hatte und daß nun alles in Ordnung war, wenn es wirklich Jim war, der da rief, und nicht irgendein andrer Flößer. Im Nebel ließen sich die Stimmen einfach nicht unterscheiden, denn nichts sieht bei Nebel natürlich aus oder klingt natürlich.
Das Rufen hielt an, und nach einer Minute etwa sauste ich an einem schroffen Ufer mit dampfenden gespenstischen Baumriesen vorbei; die Strömung schleuderte mich nach links und schoß weiter, zwischen lauter treibenden Baumstämmen hindurch, die ordentlich krachten, so reißend war hier die Strömung.
Ein oder zwei Sekunden später war's wieder undurchdringlich weiß und still. Ich saß ganz ruhig, horchte nur, wie mein Herz hämmerte, und ich glaube, ich holte kaum ein einziges Mal Atem, während es hundert Schläge tat.
Ich gab es nun auf. Und ich wußte jetzt auch, was los war. Das schroffe Ufer war eine Insel, und Jim war die andere Seite hinuntergefahren. Es war keine Sandbank, an der man in zehn Minuten vorbeitreiben konnte. Sie war dicht bewaldet wie eine richtige Insel und mochte fünf oder sechs Meilen lang und über eine halbe Meile breit sein.
An die fünfzehn Minuten hielt ich mich ganz ruhig und spitzte die Ohren.
Ich trieb sicher ziemlich schnell, mit vier bis fünf Meilen die Stunde; aber
davon merkt man nichts. Im Gegenteil, es kommt einem dann so vor, als läge man
totenstill auf dem Wasser, und wenn man flüchtig einen Baumstamm vorbeihuschen
sieht, denkt man nicht, wie schnell man selber vorbeischießt, sondern man hält
den Atem an und denkt: du meine Güte, wie der Stamm saust!
Wenn ihr meint, es sei etwa nicht unheimlich und graulich, nachts so allein
im Nebel zu stecken, dann probiert's nur mal aus — ihr werdet schon sehn. In
der nächsten halben Stunde rief ich wieder ab und zu; schließlich hörte ich
weit weg eine Antwort und versuchte, ihr zu folgen;
aber es gelang mir nicht, und plötzlich kam mir's so vor, als sei ich in ein
ganzes Nest kleiner Inseln geraten, denn zu beiden Seiten sah ich sie schattenhaft
vorübergleiten, manchmal war bloß ein schmaler Kanal zwischen ihnen; und es
mußten noch mehr da sein, die ich nur nicht sehen konnte, denn ich hörte die
Strömung gegen das alte abgestorbene Buschwerk und Gezweig branden, das über
die Ufer hing. Na, es dauerte nicht lange und die Rufe verloren sich da unten
zwischen den Inselchen, und ich versuchte ohnehin nur kurze Zeit, ihnen zu folgen,
denn es war schlimmer, als wenn man ein Irrlicht verfolgt. Kaum zu glauben,
wie so ein Ton herumsprang und wie schnell er den Ort
wechselte. - Mark Twain, Huckleberry
Finn. Frankfurt am Main 1975 (zuerst 1884)
Nebel (8)
In der Talsenke lag ein
Dorf. Als man die mysteriöse dichte Masse herankommen sah, setzten sich viele
der Bewohner schnellstens in ihre mechanischen Wagen und entflohen, aber andere
warteten voller Neugier, was geschehen würde. Sie waren bald von einem trüben
olivbraunen Nebel aufgesogen, der mit seltsam rötlich schimmernden Farbfermen
mal hierhin und mal dorthin schoß. Plötzlich war alles um sie herum stockfinster.
Das Licht von Lampen und Taschenlampen wurde schon auf Armeslänge von der Finsternis
verschluckt. Das Atmen
wurde ihnen schwer. Kehle und Lungen wurden so stark gereizt, daß jeder von
ihnen durch heftige Husten- und Niesanfälle
geschüttelt wurde. Die Wolke glitt durch das Dorf hindurch und schien dabei,
unabhängig von ihrer allgemeinen Bewegungsrichtung, einen wechselnden Druck
nach verschiedenen Seiten auszuüben.
Nach wenigen Minuten wurde der Nebel wieder durchsichtiger, und schließlich
verließ er das Dorf. Zurück blieben nur einige Fasern und Teile seiner rauchartigen
Substanz, die in Seitenstraßen stecken geblieben und jetzt isoliert waren. Sehr
bald schienen diese Teile sich aber wieder zurechtzufinden. Sie bewegten sich
schnell fort, um die Hauptgruppe einzuholen. - Olaf Stapledon, Die letzten und
die ersten Menschen. München 1983 (Heyne 06/21, zuerst 1930)
Nebel (9)
- Manfred Schmidt, Nick Knatterton
Gedenkausgabe, Oldenburg u. Hamburg 1971 (Stalling, zuerst 195*)
Nebel (10) Die stürmischen Nebel
reihen sich zu Gebilden aneinander. Dämpfe verschiedener Art und von verschiedenem
spezifischem Gewicht verbinden sich mit dem Wasserdampf und ordnen sich wie
eine Gesteinsschicht in Formationen: unten Jod, darüber Schwefel, über diesem
Brom und darüber Phosphor. In einem gewissen Ausmaß entstehen dadurch elektrische
und magnetische Spannungen, aus denen sich Phänomene erklären wie das Sankt-Elms-Feuer
von Kolumbus und Magellan,- die über die Schiffe fliegenden Sterne, von denen
Seneka erzählt; die zwei Flammen Kastor und Pollux des Plutarch; die römischen
Wurfspieße, die Cäsar brennen zu sehen glaubte; die Spitze des Schlosses Duino
in Friaul, die Funken sprühte, als ein Wachsoldat sie mit seiner eisernen Lanze
berührte, und vielleicht auch die Lichtbildungen von unten herauf, die die Alten
„die Erdenblitze des Saturn" nannten. Am Äquator erscheint ein ungeheurer
immerwährender Nebel, wie um den Erdkreis geschlungen,- das ist der „Cloud-ring",
der Wolkenring. Der „Cloud-ring" kühlt die Tropen ab, wie der Golfstrom
die Polargegend erwärmt. Nebel unter dem „Cloud-ring" sind verhängnisvoll.
Dort sind die sogenannten Pferdebreiten, „horse latitudes" auf englisch;
die Seefahrer vergangener Jahrhunderte warfen dort bei Sturm die Pferde ins
Meer, um das Schiff zu erleichtern, bei Windstille aber, um Trinkwasser zu sparen.
Kolumbus sagte: „Nube abaxo es muerte." Niedrige Wolken sind der Tod. Die
Etrusker, in der Meteorologie so bedeutend wie die Chaldäer in der Astronomie,
hatten zwei Priester, den einen für den Donner, den anderen für die Wolken.
Die Gewitterdeuter beobachteten die Blitze, die Wasserdeuter den Nebel. Die
Priester-Auguren des Tarquinuis wurden von den Tyrenern,
Phöniziern, Pelasgern und allen frühen Seefahrern des Mittelmeeres in der Antike
um Rat gefragt, Man kam damals der Entstehung der Gewitter, die eng verbunden
ist mit der Entstehung der Nebel, auf die Spur; es handelt sich ja eigentlich
um ein und dasselbe Phänomen. Es gibt auf dem Ozean drei Nebelregionen: die
des Äquators und die der beiden Pole. Der Seemann hat für sie einen einzigen
Namen: der schwarze Topf. - Victor Hugo, Die Arbeiter des Meeres, Leipzig
1954 (zuerst 1866)
Nebel (11) Der Fluß war an dieser Stelle schmal, schnurgerade, von hohen Ufern gesäumt wie ein Eisenbahndurchstich. Schon lange vor Sonnenuntergang schob sich hier die Abenddämmerung vor. Der Strom lief glatt und schnell, doch an den Ufern herrschte eine stumme Reglosigkeit. Die lebendigen, durch Schlinggewächse miteinander verknüpften Bäume und jeder lebendige Busch des Unterholzes — sie alle hätten bis in ihre schlanksten Zweige, ihr zartestes Blatt zu Stein verwandelt sein können. Es war nicht Schlaf - es wirkte unnatürlich wie ein Trancezustand. Nicht das leiseste Geräusch war zu hören. Man blickte sich staunend um und begann den Verdacht zu hegen, taub zu sein - dann brach unversehens die Nacht herein und machte einen obendrein noch blind. Gegen drei Uhr morgens sprang ein großer Fisch aus dem Wasser, und das laute Klatschen ließ mich auffahren, als wäre ein Kanonenschuß abgefeuert worden. Als die Sonne aufging, lag ein weißer Nebel über dem Wasser, sehr warm und klamm und noch undurchdringlicher als die Nacht. Er verschob oder verzog sich nicht; er war einfach da, umgab einen von allen Seiten wie etwas Festes. Gegen acht oder neun Uhr hob er sich, wie sich ein Rolladen hebt. Wir taten einen flüchtigen Blick auf die himmelragenden Baummassen, auf den riesigen, verfilzten Dschungel und den glühenden kleinen Sonnenball darüber - alles vollkommen still -, und dann senkte sich der weiße Rolladen wieder, sanft, als gleite er gefettete Kehlen hinab. Ich ordnete an, daß die Kette, die wir gerade einhievten, wieder weggefiert werde. Ehe noch die Kette mit dumpfem Rasseln ausgelaufen war, stieg ein Schrei, ein sehr lauter Schrei, wie unendlicher Trostlosigkeit sich entringend, langsam in die undurchdringliche Luft.
Er verhallte. Ein in wilden Dissonanzen sich bewegendes Jammergeschrei
schlug sodann ans Ohr. Allein schon das Unerwartete dieses Geschreis ließ
mir unter meiner Mütze die Haare zu Berge steigen. Ich weiß nicht, wie
die anderen davon berührt wurden: mir jedoch kam es vor, als habe der Nebel
selber geschrien, so plötzlich und anscheinend von allen Seiten auf einmal
hatte sich dieser tumultuöse und klägliche Lärm erhoben. Er gipfelte im
kurzen Ausbruch eines fast unerträglich schrillen Kreischens, welches unvermittelt
verstummte und uns erstarrt in allerlei albernen Stellungen dastehen und
hartnäckig in die fast ebenso gräßliche und unmäßige Stille horchen ließ.
>Gütiger Gott! Was hat das zu be-deuten?< stammelte einer der Pilger
neben mir, ein kleiner feister Mann, mit rotem Haar und Backenbart, der
seitlich zugeknöpfte Stiefel trug, dazu einen rosafarbenen Pyjama, dessen
Hosenbeine er in seine Socken gestopft hatte. Zwei andere standen minutenlang
mit offenen Mündern da, dann rannten sie in die kleine Kajüte, preschten
ungestüm wieder heraus, blieben stehen und sandten verängstigte Blicke
in die Runde, ihre Winchester-Flinten ›schußbereit‹ in der Hand. Zu sehen
war nur der Dampfer, auf dem wir standen und dessen Umrisse verschwommen
waren, als wäre er in Auflösung begriffen, sowie ein dunstiger, vielleicht
drei Fuß breiter Streifen Wasser rings um das Schiff - das war alles. Der
Rest der Welt — soweit unser Auge und Ohr daran Teil hatten — war nirgendwo.
Einfach nirgendwo. Fort, verschwunden; davongefegt, ohne ein Flüstern oder
einen Schatten hinter sich zurückzulassen. - Joseph
Conrad, Herz der Finsternis. Frankfurt am Main 1968
Nebel (12)
Nebel (13) Andauernd rutschte mein
rechter Riemen über Schlick oder Tang, und der Rückwärtssog des seichten Wassers
hemmte unser Vorankommen. Einmal standen wir beide im Schlamm und zerrten an
den Seiten des Dingis, dann wieder hinein und blindlings weiter. Der Nebe! brachte
mich durcheinander, ich verlor jedes Gefühl für Zeit und Raum und fühlte mich
wie eine empfindungslose Marionette, die nach einer verrückten Musik ohne Melodie
und Takt stampft und zuckt. Die verschwommene Gestalt von Davies, wie er so
dasaß, den rechten Arm nach vorn und nach hinten schwang, war ein Uhrwerk, verrückt
wie ich, aber belehrend und schwatzhaft in seiner Verrücktheit. Der Bootshaken,
den er mit kreisendem Schwung handhabte, begann in meiner erhitzten Phantasie
groteske Formen anzunehmen: bald war er der Fühler eines tastenden Insekts,
bald einer der beiden Handantriebshebel am Rollstuhl eines Beingelähmten, jetzt
der Bergstock eines wahnsinnigen Alpinisten, der auf einem Stuhl sitzt und auf
eine Phantom-Wasserscheide klettert und klettert. In einem Winkel des mir noch
verbliebenen Verstandes wohnten zwei beharrliche Gedanken: »Wir müssen weitereilen«
und »wir verirren uns«. Was das letztere betrifft, so nehme man sich im Londoner
Nebel einen jener Fackelträger, und man wird die gleiche Erfahrung machen: er
führt einen immer den Weg, den man für falsch hält. - Erskine Childers, Das Rätsel der Sandbank. Zürich 1975 (zuerst
1903)
Nebel (14) - Sind Sie schon mal im dichten Nebel Auto gefahren?
- Ja. Selbstverständlich, Was...
- Dann wissen Sie also, was das für ein
anstrengendes Geschäft ist. Stundenlang muß man in die milchige Brühe
vor der Windschutzscheibe hineinstarren. Manche öffnen die Tür und
schauen seitlich auf die Straße, aber auch das hilft nichts. Die Breite
der Straße kann man nur intuitiv erfassen, durch den Nebel wird das
Scheinwerferlicht diffus, schließlich weiß man nicht mehr, ob man
vorwärts, seitwärts oder bergauf fährt, der Nebel wabert und brodelt vor
den Augen, die vor lauter Anstrengung zu tränen beginnen. Nach einiger
Zeit verfällt man in einen Zustand, in dem man die merkwürdigsten Dinge
zu sehen glaubt... Umzüge von Schatten, geheimnisvolle Zeichen, die
irgend jemand aus dem Nebel gibt, man kann nichts mehr in der dunklen
Kabine erkennen, verliert das Gefühl für den eigenen Körper, man weiß
nicht mehr, ob die Hände überhaupt noch am Lenkrad sind, eine
eigentümliche Starre erfaßt den Menschen, aus der ihn nur noch die Angst
herausreißen kann. Und so fährt man weiter, schweißgebadet, unter dem
gleichförmigen Motorengeräusch bald einschlafend, bald wieder
hochschreckend, wie von spastischen Krämpfen geschüttelt. Das ist wie
ein Albtraum. Stellen Sie sich vor, daß in Ihnen schon seit vielen
Jahren, seit sehr langer Zeit, bestimmte merkwürdige Vorstellungen
aufkeimen, merkwürdige Gedanken von der Art, daß Sie nicht wagen würden,
sie irgend jemandem zu erzählen, sie niemand anvertrauen würden ...
vielleicht sind es Gedanken über die Welt, darüber, wie unglaublich sie
ist, vielleicht darüber, was man mit anderen Menschen machen müßte, zu
ihren Lebzeiten ... oder nach ihrem Tode. In wachem Zustand, tagsüber,
bei der Arbeit, machen Sie sich klar, daß das Hirngespinste sind,
Phantasmagorien, verbieten sich, daran zu denken, wie das jeder normale
Mensch tut. Aber diese Gedanken leben in Ihnen, schlummern in Ihnen,
werden immer zudringlicher. Sie lernen, sie zu verbergen, achten darauf,
daß niemand sie kennenlernt, damit keiner der dummen Menschen von ihnen
erfährt, denn das könnte Ihnen schaden. Sie dürfen sich ja nicht von
den anderen Menschen unterscheiden. - Stanislaw Lem,
Die Untersuchung. Frankfurt am Main 1978 (zuerst 1959)
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