art  Was auch immer die bewußten oder unbewußten Gründe jedes einzelnen Bartträgers sein mögen, fest steht - abgesehen von einer gewissen Gruppe reaktionärer Bärte -, daß der Bart als kollektives Phänomen ein Zeichen des Protestes sein soll. Wie immer, übrigens. Eine Revolution kann man auch ohne Bart machen, und, wie die Französische Revolution nahelegt, mit gar nicht so schlechten Ergebnissen; Protestbewegungen hingegen finden mit Bart statt. Man denke nur an die große Protestbewegung des Christentums: traditionsgemäß mit Bart.

Dazu gibt es eine erzählenswerte Volkslegende, die im vorigen Jahrhundert von Serafino Amabile Guastella in Modica aufgezeichnet wurde und der zu entnehmen ist, welche bedeutende Rolle der Bart in der Praxis der Protestbewegung spielt. Der Held dieser Legende ist der heilige Paulus: In Rom hatte die Christenverfolgung ihren Höhepunkt erreicht; allerdings war es schwierig, die Christen zu identifizieren, und die Häscher wußten nicht, wie sie ihrer habhaft werden sollten. Schließlich wurde ihnen hinterbracht, die Christen trügen ganz bestimmte Bärte. Und damit begannen die Razzien.

Zwei Christen, die erfuhren, daß die Häscher im Bild waren, liefen sogleich zum heiligen Paulus, um ihn zu warnen und ihn zu bitten, ihnen schleunigst den Bart abzunehmen, da sie verfolgt würden. Paulus holte das Rasiermesser, seifte sich ein und begann sich zu rasieren. Die beiden Flüchtlinge schrien auf: »Allmächtiger Gott! Dich selbst rasierst du? Wir werden doch verfolgt! Vielleicht hat man uns in dein Haus treten sehen. Du bist ein Freund des Königs und hast nichts zu befürchten, uns aber wird man vierteilen. Kennst du denn kein Erbarmen?« Gelassen entgegnete der heilige Paulus:

»Das wahre Erbarmen beginnt bei uns selbst. Wahrhaftig, ich bin ein Freund des Königs, doch wer weiß? Ich bringe mich lieber in Sicherheit. Wenn dann noch Zeit bleibt und ihr nicht zerfleischt worden seid, werde ich euch rasieren-  Leonardo Sciascia, Schwarz auf schwarz. München 1991 (dtv 11328, zuerst 1979)

Bart (2) Daß der Mensch nicht behaart ist, das kommt von seiner Vernunft; denn seine Vernunft dient ihm an Stelle der Haare und der Federn, weil er sich durch sie bedeckt und hinfliegt, wohin er will. Daß aber der Mann einen Bart und an seinem Körper mehr Haare hat als das Weib, das kommt davon, daß der Mann aus der Erde gebildet ist und größere Stärke und Hitze in sich hat und sich allenthalben mehr herumbewegt als das Weib. Es bringt ja auch die Erde, die vom Regen und der Sonnenhitze übergossen wird, Krauter und Gras hervor und ernährt auf sich behaarte und gefiederte Tiere. Das Weib aber ist ohne Bart, weil es vom Fleische des Mannes gebildet und dem Manne unterworfen ist und in größerer Ruhe bleibt, wie auch jene Reptilien, die aus der Erde geboren werden, keine Haare haben, sondern in der Erde liegen und den Regen und die Sonne weniger als die übrigen Tiere auf der Erde fühlen.  - (bin)

Bart (3)  Nicht zu reden von anderen Beispielen, die man erwähnen könnte, braucht man nur an die Wut der Sachsen zur Zeit Wilhelms des Eroberers zu erinnern, als dieser Despot befahl, das Haar von ihrer Oberlippe abzurasieren, den herkömmlichen Schnurrbart, der seit Generationen getragen wurde. Die große Masse der entmutigten Besiegten wurde gezwungen, sich zu fügen, aber viele sächsische Freisassen und mutige Herren wollten lieber ihre Schlösser als ihre Schnurrbärte verlieren und verließen freiwillig ihren Herd, um in die Verbannung zu gehen. All das wird voller Entrüstung von dem stolzen sächsischen Mönch Matthäus Paris in seiner „Historia maior" berichtet, die mit der normannischen Eroberung begann.

Und daß unsere Kriegsschiffmänner im Recht waren, wenn sie wünschten, ihre Bärte als kriegerisches Zubehör zu behalten, muß man einsehen, wenn man bedenkt, daß der Bart als Zeichen der Männlichkeit in der einen oder anderen Form stets als wahres Attribut eines Kriegers gegolten hat. Bonapartes Grenadiere waren stolze Bartmänner, und vielleicht flößten ihre wilden Bärte dem Feind ebensoviel Entsetzen ein wie das Blitzen ihrer Bajonette. Fast alle kämpfenden Geschöpfe tragen Schnurrbärte oder Vollbärte. Das scheint ein Gesetz der Mutter Natur zu sein. Zeugen sind der Eber, der Tiger, der Puma, der Mensch, der Leopard, der Widder, die Katze, alles Kämpfer und alles Bartträger, wohingegen die friedfertigen Rassen meist glatte Kinne haben. - (weiss)

Bart (4)   Nahe bei uns in der Straße wohnten zwei Frauen, von denen die eine einen Mann, die andere aber einen bartlosen Jüngling zum Geliebten hatte. Eines Nachts kamen die beiden auf dem Dache der einen von ihnen, das sich neben meinem Hause befand, zusammen, ohne zu ahnen, daß ich dort war. Da sprach die Geliebte des Jünglings zu der anderen Frau: »Schwester, wie kannst du seinen stacheligen Bart ertragen, wenn er dich küßt und wenn dann sein Kinnbart dir auf die Brust fällt, sein Schnauzbart aber dir in Lippen und Wangen dringt?« »O du Törin,« erwiderte die andere, »ist nicht der Baum nur dann schön, wenn er Laub trägt, und die Gurke nur dann, wenn sie Stachelflaum hat? Hast du je etwas Häßlicheres in der Welt gesehen als einen Kahlkopf, dem der Bart ausfällt? Weißt du nicht, daß der Bart für den Mann das gleiche ist, was die. Schläfenlocken für die Frau sind? Was für ein Unterschied besteht denn zwischen Schläfe und Kinn? Weißt du nicht, daß Allah, der Hochgepriesene und Erhabene, im Himmel einen Engel erschaffen hat, der da spricht: Preis sei Ihm, der die Männer mit Barten geschmückt hat und die Frauen mit Schläfenlocken? Wären die Bärte den Locken an Schönheit nicht gleich, so hätte er sie nicht zusammen genannt! Du Törin, wie könnte ich daran denken, mich unter einen Knaben zu betten, der eilig sein Werk tut und schnell erschlafft? Und von einem Manne zu lassen, der, wenn er Atem holt, mich umfaßt; wenn er eindringt, gemach handelt; wenn er fertig ist, wiederkehrt; wenn er sich bewegt, vortrefflich ist; und sooft er sein Werk beendet hat, wieder von neuem beginnt?« Ihre Worte waren eine Mahnung für die Geliebte des Knaben, und so sprach sie:  »Ich schwöre meinem Geliebten ab, beim Herrn der Kaaba!« - (1001) 

Bart (5)

Was ist bey schönem Mund ein starck gewachsner Bart /
Der Liebe Wespen-Nest / ein Dornstrauch um die Rosen /
Ein Stoppel süsser Frucht / ein scharffer Distel-Zaun /
Ein Schrancken / welchen wir den Hafen sperren schaun /
Ein spitzer Schifer-Felß in stiller Venus-Fahrt?
Wer preist die Käste / so die Stachel-Schale deckt.
Die Perle / welche noch in rauher Muschel steckt?
Mit was für Anmutt ist dem Barte liebzukosen?

Spotte wer da will den Bart:
Knaben bleiben unvollkommen /
Biß der Bart hat zugenommen:
Kahle Jugend muß sich schämen /
Glattes Mauls ein Weib zu nehmen./
Biß sich Bart und Witz gepaart.

Wenn der Bart den Mund schattirt /
Und die linden Haare stechen /
Muß der Mädgen Hertze brechen:
Kömmt Cupido auffgezogen /
Pfeile / Schlingen / Sähn und Bogen
Sind von Bärten die er führt.

Barte sind der Helden Pracht:
Wer nicht viel ums Maul kan leiden
Läst ihm nicht leicht Ehr abschneiden /
Simsons Stärcke wohnt' in Haaren /
Weil kein Stahl sein Haubt befahren /
Der ihn blind und schwach gemacht.

Hertzog Heinrichs Bart und Mutt
Macht ihn weit berühmt in Polen;
Soll man weiter Zeugnis holen /
Friedrich Rothbarts Helden-Siege
Kennt der Welsche zur Genüge /
Zeugt der Saracenen Blutt.

Den geförchten Janitschar
Zieret der beraste Knebel /
Wenn bey dem geschärfften Säbel
Die gekrümmten Haar auffsteigen /
Sich als Ygel-Stacheln zeigen /
Steht sein Gegner in Gefahr.

Haare sind der Weißheit Nest /
Socraten und viel Gesellen
Will ich dir zu Zeugen stellen /
Daß im klugen Grichen-Lande
Langer Bart beym Weisen-Stande
Sey der beste Schmuck gewest.

Sieht man nicht gantz Morgenland
Nur die Hutt der blöden Frauen
Glatt-bemäulter Wacht vertrauen /
Bärte / Land und Haar regieren /
Weil /die keine Barte führen /
Nicht verdienen bessern Stand?

Nichts zeugt die Natur umsonst /
Bärte können manche Flecken /
Manches Mahl und Runtzel decken.
Fehlten Bärte den Balbiren
Würden sie viel Brod verlieren /
Lieber tragt den Bärten Gunst.

 - Hans Assmann von Abschatz (Lyrik des Barock II, Hg. Marian Szyrocki. rk 539, Reinbek bei Hamburg 1971)

Bart (6)   Die Würde des Mannes hatte bis vor wenigen Jahren ihren Sitz im Bart und, bevor es die geschlossene Kleidung gab, auch in der Behaarung der anderen Körperteile. Höchster Ehrgeiz des Mannes war es, dem Löwen zu ähneln (das Paris des 19. Jahrhunderts taufte seine Elegants lions, also gewissermaßen »Könige des Pariser Waldes«), und die Türkin, die zumindest bis zur reformierten Türkei von Kemal Atatürk mehr die physischen als die moralischen Qualitäten schätzte, konnte ihrem Mann kein schöneres Kompliment machen, als ihn aslanùm, »mein Löwe«, zu nennen. Spuren der ›totalitären‹ Behaarung findet man heute noch beim heranwachsenden Jugendlichen, der stolz ist, auf Brust und Beinen eine reichere Behaarung vorweisen zu können als seine Altersgenossen. Wen wundert's? Viele halten noch immer Behaarung für ein Zeugnis von Männlichkeit, und Männlichkeit ist eine der größten Ambitionen des Mannes. Imposante Bärte haben meine Kindheit geschmückt: Mosesbärte und Satyrbärte, Prahlhansbärte und Mazzinibärte, diplomatische Fräsen und militärische Quadratbärte, gehorsame Bärte in Weidenrutenform und stolze, auseinanderstrebende Bürsten. Ich erinnere mich an die ausdauernde, liebevolle Pflege (mit Ausnahme der ungepflegten Bärte, die Aufschluß gaben über die heute verzehrten Eier und die gestern genossenen Soßen), die der Mann seinem Bart durch Waschen, Massieren, Bürsten angedeihen ließ, durch Besprühen mit duftenden Lotionen, Kämmen und dem abschließenden Sonnenbad am Fenster, um ihn von oben, von unten und von den Seiten zu trocknen. Ich erinnere mich an die Handbewegungen, die den zerzausten Bart ordneten, die weichen Fluß in seine Wirrnis brachten.

Ich erinnere mich an das Geflatter der beweglichen Hand um den Bart, an das Spiel der Finger mit den Locken, an das röhrengleiche Herabgleiten der Hand am Bart, an das lustvolle Kratzen unterm Kinn, an das Bartwischen mit der Serviette nach der Suppe und den soßenreichen Gerichten; ich erinnere mich an das Taschenkämmchen, das der bärtige Mann ab und zu aus der Hülle zog (in seinem Etui ruhte das Kämmchen in der oberen Westentasche, zusammen mit dem goldenen Zahnstocher und einem kleinen löffelförmigen Werkzeug zum Reinigen der Ohren), um den Bart entweder auf der Brust nach innen zu kämmen (wie Raffaels Gottvater, der die Erde von den Wassern scheidet) oder ihn auseinanderzuziehen (wie der Baron von Münchhausen) oder ihm, vom Adamsapfel zum Kinn hinaufstreichend, Schwung zu verleihen. - Alberto Savinio, Neue Enzyklopädie. Frankfurt am Main  1986

Bart (7)   »Der Betagte der Betagten, der Unbekannte der Unbekannten hat eine Form und hat doch keine Form«, lesen wir in einem kabbalistischen Text der mittelalterlichen Juden. »Er hat eine Form, durch die die Welt erhalten wird, und hat doch keine Form, weil er nicht begriffen werden kann.«18 Dieser Betagte der Betagten wird immer als ein Antlitz im Profil dargestellt; im Profil, weil die verborgene Seite niemals erkannt werden kann. Dieses Halbantlitz wird Makroprosopos, »Das große Antlitz« genannt. Aus den Fransen seines weißen Bartes geht die ganze Welt hervor. »Jener Bart, die Wahrheit aller Wahrheiten, geht vom Orte der Ohren aus und wallt um den Mund des Heiligen herab; und wallt herab und wallt herauf, die Wangen bedeckend, die die Orte des üppigen Duftes heißen; er ist weiß von Zierden: und er wallt herab im Gleichgewicht ausgeglichener Kraft, und bildet eine Decke noch bis zur Mitte der Brust. Dies ist der Bart der Würde, wahr und vollkommen, von dem dreizehn Quellen niederfließen, den köstlichsten Balsam der Größe verstreuend. Dies tut sich in dreizehn Formen dar . . . Und gewisse Offenbarungen sind im All zu finden, die jenen dreizehn Offenbarungen entsprechen, die von jenem verehrungsswürdigen Bart ausgehen, und sie eröffnen sich in die dreizehn Pforten der Gnaden.«  - Kabbala, nach: Joseph Campbell, Der Heros in tausend Gestalten.  Frankfurt am Main 1978 (st 424, zuerst 1949)

Bart (8)  

Bart (9)  Seht nur um euch! Sogar als äußerliches Symptom der überhand nehmenden Rohheit erblickt ihr den konstanten Begleiter derselben, - den langen Bart, dieses Geschlechtsabzeichen, mitten im Gesicht, welches besagt, daß man die Maskulinität, die man mit den Thieren gemein hat, der Humanität vorzieht, indem man vor Allem ein Mann, mas und erst nächstdem ein Mensch seyn will. Das Abscheeren der Bärte, in allen hochgebildeten Zeitaltern und Ländern, ist aus dem richtigen Gefühl des Gegentbeils entstanden, vermöge dessen man vor Allem ein Mensch, gewissermaaßen ein Mensch in abstracto, mit Hintansetzung des thierischen Geschlechtsunterschiedes, seyn möchte. Hingegen hat die Bartlänge stets mit der Barbarei, an die schon ihr Name erinnert, gleichen Schritt gehalten. Daher florirten die Bärte im Mittelalter, diesem Millennium [Tausendjährigen Reich] der Rohheit und Unwissenheit, dessen Tracht und Bauart nachzuahmen unsere edelen Jetztzeitler bemüht sind. -  Der Bart, sagt man, sei dem Menschen natürlich: allerdings, und darum ist er dem Menschen im Naturzustände ganz angemessen; eben so aber dem Menschen im civilisirten Zustande die Rasur; indem sie anzeigt, daß hier die thierische, rohe Gewalt, deren Jedem sogleich fühlbares Abzeichen jener dem männlichen Geschlecht eigenthüm-lidie Auswuchs ist, dem Gesetz, der Ordnung und Gesittung hat weichen müssen.

Der Bart vergrößert den thierischen Theil des Gesichts und hebt ihn hervor: dadurch giebt er ihm das so auffallend brutale Ansehn: man betrachte nur so einen Bartmenschen, im Profil, während er ißt!

Für eine Zierde möchten sie den Bart ausgeben. Diese Zierde war man seit 200 Jahren nur an Juden, Kosaken, Kapuzinern, Gefangenen und Straßenräubern zu sehn gewohnt. -

Die Ferocität und Atrocität [Wildheit und Grausamkeit], welche der Bart der Physiognomie verleiht, beruht darauf, daß eine respektiv leblose Masse die Hälfte des Gesichts einnimmt, und zwar die das Moralische ausdrückende Hälfte. Zudem ist alles Behaartseyn thierisch. Die Rasur ist das Symbol (Feldzeichen, Abzeichen) der höheren Civilisation. Die Polizei ist überdies schon deshalb befugt, die Bärte zu verbieten, weil sie halbe Masken sind, unter denen es schwer ist, seinen Mann wieder zu erkennen: daher sie jeden Unfug begünstigen.   - Schopenhauer, Ueber die Universitäts-Philosophie. Nach (schop)

Bart (10)

Bart (11)

Bart (12) »Frauen sind schrecklich, sie merken alles«, sagte Palmira, »und eine verliebte Frau ist noch viel schrecklicher.«

Cosimo Rolando drückte sie an sich, um sie zum Schweigen zu bringen.

»Auch der Bart verbirgt meiner Ansicht nach die Gedanken«, sagte Palmira, während der Kardinal sie noch im Arm hielt. »Schon als ich dich kennenlernte, ist es mir schwergefallen, deine Gedanken hinter diesem ganzen Fell zu erraten. Worte und Haare geraten mir durcheinander.«

»Und wenn ich dir sage, daß auch ich manchmal Mühe habe zu verstehen, was ich denke? Ich muß mich konzentrieren, um zu begreifen, in welche Richtung meine Gedanken gehen.«

Palmira befreite sich aus der Umarmung. »Weißt du, daß ich dich von dieser Seite aus fast nicht wiedererkenne?«

»Und von der anderen Seite?«

»Von der anderen Seite gefällst du mir, und da hab ich dich lieb.«

»Dann hast du mich also nur zur Hälfte lieb. Auch du bist ein wenig gut und ein wenig böse.«

»Ja, aber man sieht es nicht.«  - Luigi Malerba, Die nackten Masken. Berlin 1995

 

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