Dazu gibt es eine erzählenswerte Volkslegende, die im vorigen Jahrhundert von Serafino Amabile Guastella in Modica aufgezeichnet wurde und der zu entnehmen ist, welche bedeutende Rolle der Bart in der Praxis der Protestbewegung spielt. Der Held dieser Legende ist der heilige Paulus: In Rom hatte die Christenverfolgung ihren Höhepunkt erreicht; allerdings war es schwierig, die Christen zu identifizieren, und die Häscher wußten nicht, wie sie ihrer habhaft werden sollten. Schließlich wurde ihnen hinterbracht, die Christen trügen ganz bestimmte Bärte. Und damit begannen die Razzien.
Zwei Christen, die erfuhren, daß die Häscher im Bild waren, liefen sogleich zum heiligen Paulus, um ihn zu warnen und ihn zu bitten, ihnen schleunigst den Bart abzunehmen, da sie verfolgt würden. Paulus holte das Rasiermesser, seifte sich ein und begann sich zu rasieren. Die beiden Flüchtlinge schrien auf: »Allmächtiger Gott! Dich selbst rasierst du? Wir werden doch verfolgt! Vielleicht hat man uns in dein Haus treten sehen. Du bist ein Freund des Königs und hast nichts zu befürchten, uns aber wird man vierteilen. Kennst du denn kein Erbarmen?« Gelassen entgegnete der heilige Paulus:
»Das wahre Erbarmen beginnt bei uns selbst. Wahrhaftig, ich bin ein
Freund des Königs, doch wer weiß? Ich bringe mich lieber in Sicherheit.
Wenn dann noch Zeit bleibt und ihr nicht zerfleischt
worden seid, werde ich euch rasieren.«
- Leonardo Sciascia,
Schwarz auf schwarz. München 1991 (dtv 11328, zuerst 1979)
- (
bin
)
Bart (3) Nicht zu reden von anderen Beispielen, die man erwähnen könnte, braucht man nur an die Wut der Sachsen zur Zeit Wilhelms des Eroberers zu erinnern, als dieser Despot befahl, das Haar von ihrer Oberlippe abzurasieren, den herkömmlichen Schnurrbart, der seit Generationen getragen wurde. Die große Masse der entmutigten Besiegten wurde gezwungen, sich zu fügen, aber viele sächsische Freisassen und mutige Herren wollten lieber ihre Schlösser als ihre Schnurrbärte verlieren und verließen freiwillig ihren Herd, um in die Verbannung zu gehen. All das wird voller Entrüstung von dem stolzen sächsischen Mönch Matthäus Paris in seiner „Historia maior" berichtet, die mit der normannischen Eroberung begann.
Und daß unsere Kriegsschiffmänner im Recht waren, wenn sie wünschten,
ihre Bärte als kriegerisches Zubehör zu behalten, muß man einsehen, wenn
man bedenkt, daß der Bart als Zeichen der Männlichkeit in der einen oder
anderen Form stets als wahres Attribut eines Kriegers gegolten hat. Bonapartes
Grenadiere waren stolze Bartmänner, und vielleicht flößten ihre wilden
Bärte dem Feind ebensoviel Entsetzen ein wie das Blitzen ihrer Bajonette.
Fast alle kämpfenden Geschöpfe tragen Schnurrbärte oder Vollbärte. Das
scheint ein Gesetz der Mutter Natur zu sein. Zeugen sind der Eber, der
Tiger, der Puma, der Mensch,
der Leopard, der Widder, die Katze,
alles Kämpfer und alles Bartträger, wohingegen die friedfertigen Rassen
meist glatte Kinne haben.
- (weiss)
Bart (4) Nahe bei uns in der Straße
wohnten zwei Frauen, von denen die eine einen Mann, die andere aber einen
bartlosen Jüngling zum Geliebten hatte. Eines Nachts kamen die beiden auf
dem Dache der einen von ihnen, das sich neben meinem Hause befand, zusammen,
ohne zu ahnen, daß ich dort war. Da sprach die Geliebte des Jünglings zu
der anderen Frau: »Schwester, wie kannst du seinen stacheligen Bart ertragen,
wenn er dich küßt und wenn dann sein Kinnbart dir auf die Brust fällt,
sein Schnauzbart aber dir in Lippen und Wangen
dringt?« »O du Törin,« erwiderte die andere, »ist nicht der Baum
nur dann schön, wenn er Laub trägt, und die Gurke nur dann, wenn sie Stachelflaum
hat? Hast du je etwas Häßlicheres in der Welt gesehen als einen Kahlkopf,
dem der Bart ausfällt? Weißt du nicht, daß der Bart für den Mann das gleiche
ist, was die. Schläfenlocken für die Frau sind? Was für ein Unterschied
besteht denn zwischen Schläfe und Kinn? Weißt du nicht, daß Allah, der
Hochgepriesene und Erhabene, im Himmel einen Engel
erschaffen hat, der da spricht: Preis sei Ihm, der die Männer mit Barten
geschmückt hat und die Frauen mit Schläfenlocken? Wären die Bärte den Locken
an Schönheit nicht gleich, so hätte er sie nicht zusammen genannt! Du Törin,
wie könnte ich daran denken, mich unter einen Knaben zu betten, der eilig
sein Werk tut und schnell erschlafft? Und von einem Manne zu lassen, der,
wenn er Atem holt, mich umfaßt; wenn er eindringt,
gemach handelt; wenn er fertig ist, wiederkehrt; wenn er sich bewegt, vortrefflich
ist; und sooft er sein Werk beendet hat, wieder von neuem beginnt?« Ihre
Worte waren eine Mahnung für die Geliebte des Knaben, und so sprach sie:
»Ich schwöre meinem Geliebten ab, beim Herrn der Kaaba!« -
(
1001
)
Bart (5)
Was ist bey schönem Mund ein starck gewachsner Bart / Spotte wer da will den Bart: Wenn der Bart den Mund schattirt / Barte sind der Helden Pracht: Hertzog Heinrichs Bart und Mutt Den geförchten Janitschar Haare sind der Weißheit Nest / Sieht man nicht gantz Morgenland Nichts zeugt die Natur umsonst / |
- Hans Assmann von Abschatz (Lyrik des
Barock II, Hg. Marian Szyrocki. rk 539, Reinbek bei Hamburg 1971)
Bart (6) Die Würde des Mannes hatte bis vor wenigen Jahren ihren Sitz im Bart und, bevor es die geschlossene Kleidung gab, auch in der Behaarung der anderen Körperteile. Höchster Ehrgeiz des Mannes war es, dem Löwen zu ähneln (das Paris des 19. Jahrhunderts taufte seine Elegants lions, also gewissermaßen »Könige des Pariser Waldes«), und die Türkin, die zumindest bis zur reformierten Türkei von Kemal Atatürk mehr die physischen als die moralischen Qualitäten schätzte, konnte ihrem Mann kein schöneres Kompliment machen, als ihn aslanùm, »mein Löwe«, zu nennen. Spuren der ›totalitären‹ Behaarung findet man heute noch beim heranwachsenden Jugendlichen, der stolz ist, auf Brust und Beinen eine reichere Behaarung vorweisen zu können als seine Altersgenossen. Wen wundert's? Viele halten noch immer Behaarung für ein Zeugnis von Männlichkeit, und Männlichkeit ist eine der größten Ambitionen des Mannes. Imposante Bärte haben meine Kindheit geschmückt: Mosesbärte und Satyrbärte, Prahlhansbärte und Mazzinibärte, diplomatische Fräsen und militärische Quadratbärte, gehorsame Bärte in Weidenrutenform und stolze, auseinanderstrebende Bürsten. Ich erinnere mich an die ausdauernde, liebevolle Pflege (mit Ausnahme der ungepflegten Bärte, die Aufschluß gaben über die heute verzehrten Eier und die gestern genossenen Soßen), die der Mann seinem Bart durch Waschen, Massieren, Bürsten angedeihen ließ, durch Besprühen mit duftenden Lotionen, Kämmen und dem abschließenden Sonnenbad am Fenster, um ihn von oben, von unten und von den Seiten zu trocknen. Ich erinnere mich an die Handbewegungen, die den zerzausten Bart ordneten, die weichen Fluß in seine Wirrnis brachten.
Ich erinnere mich an das Geflatter der
beweglichen Hand um den Bart, an das Spiel der Finger mit den Locken, an das
röhrengleiche Herabgleiten der Hand am Bart, an das lustvolle Kratzen unterm
Kinn, an das Bartwischen mit der Serviette nach der Suppe und den soßenreichen
Gerichten; ich erinnere mich an das Taschenkämmchen, das der bärtige Mann ab
und zu aus der Hülle zog (in seinem Etui ruhte das Kämmchen
in der oberen Westentasche, zusammen mit dem goldenen Zahnstocher und einem
kleinen löffelförmigen Werkzeug zum Reinigen der Ohren), um den Bart entweder
auf der Brust nach innen zu kämmen (wie Raffaels Gottvater, der die Erde von
den Wassern scheidet) oder ihn auseinanderzuziehen (wie der Baron von Münchhausen)
oder ihm, vom Adamsapfel zum Kinn hinaufstreichend, Schwung zu verleihen. -
Alberto Savinio, Neue Enzyklopädie. Frankfurt am Main 1986
Bart (7) »Der Betagte der Betagten,
der Unbekannte der Unbekannten hat eine Form und hat doch keine Form«, lesen
wir in einem kabbalistischen Text der mittelalterlichen Juden. »Er hat eine
Form, durch die die Welt erhalten wird, und hat doch keine Form, weil er nicht
begriffen werden kann.«18 Dieser Betagte der Betagten wird immer als ein Antlitz
im Profil dargestellt; im Profil, weil die verborgene Seite niemals erkannt
werden kann. Dieses Halbantlitz wird Makroprosopos, »Das große Antlitz«
genannt. Aus den Fransen seines weißen Bartes geht die ganze Welt hervor. »Jener
Bart, die Wahrheit aller Wahrheiten, geht vom Orte der Ohren aus und wallt um
den Mund des Heiligen herab; und wallt herab und wallt herauf, die Wangen bedeckend,
die die Orte des üppigen Duftes heißen; er ist weiß von Zierden: und er wallt
herab im Gleichgewicht ausgeglichener Kraft, und bildet eine Decke noch bis
zur Mitte der Brust. Dies ist der Bart der Würde, wahr und vollkommen, von dem
dreizehn Quellen niederfließen, den köstlichsten Balsam der Größe verstreuend.
Dies tut sich in dreizehn Formen dar . . . Und gewisse Offenbarungen sind im
All zu finden, die jenen dreizehn Offenbarungen entsprechen, die von jenem verehrungsswürdigen
Bart ausgehen, und sie eröffnen sich in die dreizehn Pforten der Gnaden.« - Kabbala, nach: Joseph Campbell, Der Heros in tausend Gestalten.
Frankfurt am Main 1978 (st 424, zuerst 1949)
Bart (8)
Bart (9) Seht nur um euch! Sogar als äußerliches Symptom der überhand nehmenden Rohheit erblickt ihr den konstanten Begleiter derselben, - den langen Bart, dieses Geschlechtsabzeichen, mitten im Gesicht, welches besagt, daß man die Maskulinität, die man mit den Thieren gemein hat, der Humanität vorzieht, indem man vor Allem ein Mann, mas und erst nächstdem ein Mensch seyn will. Das Abscheeren der Bärte, in allen hochgebildeten Zeitaltern und Ländern, ist aus dem richtigen Gefühl des Gegentbeils entstanden, vermöge dessen man vor Allem ein Mensch, gewissermaaßen ein Mensch in abstracto, mit Hintansetzung des thierischen Geschlechtsunterschiedes, seyn möchte. Hingegen hat die Bartlänge stets mit der Barbarei, an die schon ihr Name erinnert, gleichen Schritt gehalten. Daher florirten die Bärte im Mittelalter, diesem Millennium [Tausendjährigen Reich] der Rohheit und Unwissenheit, dessen Tracht und Bauart nachzuahmen unsere edelen Jetztzeitler bemüht sind. - Der Bart, sagt man, sei dem Menschen natürlich: allerdings, und darum ist er dem Menschen im Naturzustände ganz angemessen; eben so aber dem Menschen im civilisirten Zustande die Rasur; indem sie anzeigt, daß hier die thierische, rohe Gewalt, deren Jedem sogleich fühlbares Abzeichen jener dem männlichen Geschlecht eigenthüm-lidie Auswuchs ist, dem Gesetz, der Ordnung und Gesittung hat weichen müssen.
Der Bart vergrößert den thierischen Theil des Gesichts und hebt ihn hervor: dadurch giebt er ihm das so auffallend brutale Ansehn: man betrachte nur so einen Bartmenschen, im Profil, während er ißt!
Für eine Zierde möchten sie den Bart ausgeben. Diese Zierde war man seit 200 Jahren nur an Juden, Kosaken, Kapuzinern, Gefangenen und Straßenräubern zu sehn gewohnt. -
Die Ferocität und Atrocität [Wildheit und Grausamkeit], welche der Bart der
Physiognomie verleiht, beruht darauf, daß eine respektiv leblose Masse
die Hälfte des Gesichts einnimmt, und zwar die das Moralische ausdrückende Hälfte.
Zudem ist alles Behaartseyn thierisch. Die Rasur ist das Symbol (Feldzeichen,
Abzeichen) der höheren Civilisation. Die Polizei ist überdies schon deshalb
befugt, die Bärte zu verbieten, weil sie halbe Masken sind, unter denen es schwer
ist, seinen Mann wieder zu erkennen: daher sie jeden Unfug begünstigen. - Schopenhauer, Ueber
die Universitäts-Philosophie. Nach (
schop
)
Bart (10)
Bart (11)
Bart (12) »Frauen sind schrecklich, sie merken alles«, sagte Palmira, »und eine verliebte Frau ist noch viel schrecklicher.«
Cosimo Rolando drückte sie an sich, um sie zum Schweigen zu bringen.
»Auch der Bart verbirgt meiner Ansicht nach die Gedanken«, sagte Palmira, während der Kardinal sie noch im Arm hielt. »Schon als ich dich kennenlernte, ist es mir schwergefallen, deine Gedanken hinter diesem ganzen Fell zu erraten. Worte und Haare geraten mir durcheinander.«
»Und wenn ich dir sage, daß auch ich manchmal Mühe habe zu verstehen, was ich denke? Ich muß mich konzentrieren, um zu begreifen, in welche Richtung meine Gedanken gehen.«
Palmira befreite sich aus der Umarmung. »Weißt du, daß ich dich von dieser Seite aus fast nicht wiedererkenne?«
»Und von der anderen Seite?«
»Von der anderen Seite gefällst du mir, und da hab ich dich lieb.«
»Dann hast du mich also nur zur Hälfte lieb. Auch du bist ein wenig gut und ein wenig böse.«
»Ja, aber man sieht es nicht.« - Luigi Malerba, Die nackten Masken. Berlin 1995
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