(pli)
Trunkenheit (2) Die dolle / raßende / fröliche / närrische / thörigte / schändliche kranke / freie / kühne / frevle / unbesonnene / Sinn= und Verstandlose / lasterhafte / unkeusche / säuische lächerliche / Fraß / Gesäuff Schlamm und Damm.
Der Teutschen angenehme Pest / die keinen
unvergifftet läßt / hat manchen Trunckenbold gefällt / der in dem Laster
war ein Held ... Das übermachte Zechen / kann sich zu morgens rächen /
mit Haubt= und Därmer=Gicht. Die Witz geht aus /
der der Wein geht ein / und muß der Schlauch gefüllet
sein. -
(hrs)
Trunkenheit (3) In der Trunkenheit wird der eine verliebt, spricht von nichts als Mädchen und küßt alles, was ihm vorkommt, der andere wird großsprecherisch, der dritte zänkisch, der vierte andächtig, der fünfte weint, der sechste lacht, der siebente wird stumm und glotzt auf einen Fleck, der achte wird redselig und verplaudert alles, was er weiß, der neunte tanzt und singt, der zehnte macht mit allen Bruderschaft, der elfte kannegießert und reimt, der zwölfte philosophiert und wirft gelehrte Fragen auf, der dreizehnte schläft ein und so weiter.
Der Betrunkene weint über das Unglück eines andern, weil er dieser andere
zu sein glaubt, er fällt die Treppe hinab und bedauert den, der ihm aufhilft,
jene beiden Bibuli, Herr und Diener, die betrunken auf einem Bette liegen,
dialogieren endlich: "Johann, es liegt jemand bei mir." "Bei
mir auch, Ihr Gnaden." "Schmeiß den Kerl hinaus!" - und
Johann wirft seinen Herrn
vom Bette - (kjw)
Trunkenheit (4)
Trunken müssen wir alle sein! |
- Goethe, West-Östlicher Divan
Trunkenheit (5) Wie bei dem Prozeß gegen Bartholomew Roberts‘ Mannschaft in Cape Coast Castle ans Licht kam, waren viele Männer fast den ganzen Tag so betrunken, daß sie nicht arbeiten konnten. Ein gewisser Robert Devins war nach Aussage eines Zeugen niemals nüchtern anzutreffen, und sein Kamerad Robert Johnson war so hoffnungslos betrunken, daß er mit einem Flaschenzug von Bord gehievt werden mußte. Vor Gericht stellten Piraten ihre Untaten gern als Folgen ihrer Trunksucht dar. So gestand John Archer vor seiner Hinrichtung im Mai 1724: »Ein Laster, das mich mehr als jedes ändere leitete, war meine zügellose Trunksucht. Durch Schnaps geriet ich in Wallung und ließ mich zu Verbrechen hinreißen, die ich jetzt mehr bedauere als den Tod.«
Das Problem beschränkte sich nicht auf Piratenschiffe. Alle Seeleute
waren für ihre Trinkgewohnheiten berüchtigt. Marcus Rediker führte
dafür verschiedene Gründe an: Ein guter Schluck war auf einem Schiff leichter
zu bekommen als ein schmackhaftes Essen, schützte den Seemann
gegen Kälte und Nässe und ließ ihn für eine Weile das beschwerliche Bordleben
vergessen. Überdies hatte das Trinken eine wichtige soziale Funktion.23
Seeleute tranken zusammen, um sich zu entspannen, zu feiern, zu schwatzen
und einander besser kennenzulernen. Bei den Mahlzeiten tranken sie auf
ihre Frauen und Geliebten, auf den König, auf eine erfolgreiche Fahrt.
Die Piraten waren despektierlicher und brachten
Toasts auf den Teufel oder den britischen Thronprätendenten
aus. Edward North, der 1718 Charles Vane in die Hände fiel, sagte, daß
unter den Piraten »Ausdrücke wie ›Zum Teufel mit dem König und allen höheren
Mächten!‹ und ›Zur Hölle mit dem Gouverneur!‹ allgemein üblich waren, und
beim Trinken rief man: ›Der Teufel hole König George.«‹ - Nach: David
Cordingly, Unter schwarzer Flagge. Legende und Wirklichkeit des Piratenlebens.
München 2001 (dtv 30817, zuerst 1995)
Trunkenheit (6) Mittlerweile
dröhnte das ganze Ufer von dem Trompeten der Ochsenfrösche, den Geistern
hartgesottener alter Weintrinker und Schlemmer,
die noch immer ohne Reue in ihrem stygischen See einen Kanon zu singen
versuchen. Die Waldnymphe möge mir den Vergleich
verzeihen, denn wenn auch fast keine Wasserpflanzen hier wachsen, so sind
doch Frösche da. — Gerne möchten sie ihre heiteren
Bräuche beim festlichen Mahle aufrechterhalten, obgleich ihre Stimmen rauh
und feierlich tief geworden sind - eine Ironie
auf ihre Lustigkeit -, der Wein seine Blume verloren hat und nur noch eine
Flüssigkeit ist, die ihren Wanst auftreibt, und der holde Rausch,
der die Erinnerung an die Vergangenheit
auslöscht, nie mehr kommt, sondern statt seiner nur Übersättigung und Volle.
Der Senior, mit dem Kinn auf einem Herzblatt, das seinem schlabbrigen Maul
als Serviette dient, tut einen tiefen Zug des einst verschmähten Wassers
und gibt den Becher weiter mit dem Rufe: »Tr-r-runk, Tr-r-runk!«, und sofort
kommt über das Wasser aus einer fernen Bucht die gleiche Losung herüber,
wo der nächste an Alter und Umfang bis zu seinem Strich hinunter trinkt;
und wenn diese Zeremonie ihre Runde am Ufer gemacht hat, dann ruft der
Zeremonienmeister voll Befriedigung: »Tr-r-runk!«, und jeder wiederholt
es der Reihe nach bis hinunter zum aufgeschwollensten,
schlotterigsten Dickwanst, damit nur ja die Regel
nicht verletzt wird. Der Becher kreist fort in der Runde, bis die Sonne
den Morgennebel zerstreut; da verschwinden die Schlemmer; nur der Patriarch
ist noch nicht unter dem Wasser, sondern heult von Zeit zu Zeit sein »Tr-r-runk«
und wartet vergebens auf Antwort. - Henry David Thoreau, Walden oder
Leben in den
Wäld
ern.
Zürich 1979 (zuerst 1854)
Trunkenheit (7) Greuel der Trunkenheit nach Hogarth.
»Wo heulet man? wo schreyet man? wo ist Gezanke? wo ist Klage? wo Wunden und rothe Augen? Bey denen, die sich bey dem Wein aufhalten, und kommen dem, was eingeschenkt ist, nachzufragen. Beschau den Wein nicht, wie er roth sey, und seine Farbe in dem Becher spiele: Er gehet "wohl glatt hinein; aber sein Letztes wird beißen, wie eine Schlange, und stechen, wie ein Basilisk. Alsdann werden deine Augen nach fremden Weibern sehen, und dein Herz wird verkehrte Dinge reden; und du wirst seyn, als wenn du mitten auf dem Meere schliefest, und oben auf dem Mastbaum lägest.«
Roußeau führt seinen Aemil, - und der vorige König in Preußen seinen Kronprinzen in ein Siechenhaus, um durch die sichtbaren Folgen der Unzucht vor Unzucht zu warnen - Ein Staat, wo man alle Jahre einmal die vertrunkenen Mißgestalten von Menschen in Proceßion mit einem Gemälde nach Hogarth, wie das nachstehende ist, herumführte - sollte dieß nicht mehr als alle Predigten gegen die Trunkenheit wirken?
Nichts verunstaltet den Menschen so sehr, als das Laster! Feste, donnernde Wahrheit! Nichts verschönert den Menschen so sehr, als die Tugend! Feste, herrliche Wahrheit! - Der Hauptinnhalt, die Seele meines Werks! wenn dieß nicht empfunden wird, diese Empfindung nichts wirkt, so wünscht' ich, keine physiognomische Zeile geschrieben zu haben.
Siehe das Blatt an - und laß deiner Empfindung den Lauf! - wie tief sinkt der Mensch unter die Menschen, der ein Held ist, Wein zu saufen! wie erniedrigt er sich zum Thoren! zum Bösewicht, zum Hunde! wie schief, wie ekelhaft, wie lächerlich und abscheulich, wie leichtsinnig und frech! wie rasend und ohnmächtig wird er zugleich! welche allgemeine Erschlaffung und Nervenlosigkeit! welcher seichte Spott und Schwindelgeist! welche allgenugsame Leerheit bemächtiget sich seiner! - welche Hölle von Gesellschaft erblickst du hier - Siehe! empfind! urtheile! -wie, wie könnten solche Gestalten Bürger des Reichs Gottes seyn! - wie unerträglich müßten sie einem Menschen, wie unerträglich ihnen ein Mensch seyn, der auch nur wie der Wernersche Christus in der Vignette eines vorgehenden Blattes aussähe!
Wie hat der fette Tabaksschmaucher oben an der Tafel alle seinen Geist in Fleisch verwandelt! welches Sattseyn ohne Genuß! welch unbewegliche Trägheit! und der, der neben ihm das Glas in die Höhe hält - wie erniedrigt ihn kleingeistiger Spott! Tolles Geschrey! Bosheit ohne Kraft! Und der sich mit der Tabakspfeife anlehnt, in welcher stierigen gedankenlosen Genügsamkeit! Er schaut hin, ohne was zu sehen! Er horcht, ohne zu hören! - Wie niedrig der neben und unter ihm mit der schiefen Parucke, mit dem schiefen liebäugelnden Gesichte! und der neben diesem mit der Pfeife in der einen, mit der andern Hand auf sich deutend, mit dem eingekerbten Kinn, dem etwas über sich schauenden Auge, unvermögend, einen Menschen zu intereßiren, oder etwas hervorzubringen - überhaupt, in allen diesen schändlichen Gesichtern die Zerstreuung, die Nichttheilnehmung, die Atonie, die der Ueppigkeit eigen ist -
Die Vignette dieses Blattes ist ein Porträt eines durch Brandtewein
entnervten gichtischen unbekannten Menschen, der in einem Hospitale vermuthlich
sich selbst und der menschlichen Gesellschaft zur Last war. Ich hätte gewünscht,
daß der Zeichner ihn nicht verschönert hätte, welches ich wenigstens aus
dem Auge zu vermuthen Ursach habe! der Mann muß sonst gewiß nicht der schlechteste
in seinen Anlagen gewesen seyn! - und wenn er nicht Verstand im Handeln
gezeigt hat, so hat er doch sicherlich in die Classe derer gehört, die
Talente hatten, die sie sehr gut hätten nutzen können. - (
lav
)
Trunkenheit (8) Mein Kopf fühlte sich an wie in
einen Schraubstock eingeklemmt. Mir war schlecht. Kotz und schlaf, Nestor! Den
ersten Programmpunkt erledigte ich sofort, neben dem ehemaligen Frauengefängnis.
Dann schwankte ich zu meiner neuen Bleibe in der Rue des Petits-Hötels, um den
zweiten zu erledigen. Kein Flic in der Hotelhalle. Auch im Zimmer wartete keiner
auf mich. Ich zog mich aus und legte mich hin. Sofort sprang ich wieder auf
und entwischte so der Zimmerdecke, die auf mich zukam, und dem Bett, das gerade
Kap Hörn bei hoher See umsegelte. Wenn ich stand oder saß, ging es einigermaßen.
Liegen war unmöglich. Ich hatte ganz schön einen in der Krone. In der Toilette
schüttete ich mir kaltes Wasser ins Gesicht. In meinem armen Magen war noch
ein Rest Galle. Ich ebnete ihr den Weg in die Kanalisation. -
Léo Malet, Wie steht mit Tod? Reinbek bei Hamburg 1985
Trunkenheit (9) Junker Tobias tritt auf.
OLIVIA Auf meine Ehre, halb betrunken. - Wer ist vor der Tür, Vetter?
JUNKER TOBIAS Ein Herr.
OLIVIA Ein Herr? Was für ein Herr?
JUNKER TOBIAS 's ist ein Herr da. Es stößt Ihm auf. Hol der Henker die Heringe! - Was machst du, Pinsel?
NARR Bester Junker Tobias -
OLIVIA Vetter, Vetter! wie kommt Ihr schon so früh in diesen-widerlichen Zustand?
JUNKER TOBIAS Liederlichen! Schade was fürs Liederliche I -Es ist jemand vor der Tür.
OLIVIA Nun gut, wer ist es?
JUNKER TOBIAS Meinetwegen der Teufel, wenn er Lust hat; was kümmerts mich? Glaubt mir, sag ich Euch. Nun, es kommt alles auf eins heraus. Ab.
OLIVIA Womit ist ein Betrunkener zu vergleichen ?
NARR Mit einem Ertrunkenen, einem Narren und einem Tollen. Der erste Trunk über den Durst macht ihn zum Narren, der zweite toll, und der dritte ersäuft ihn.
OLIVIA Geh, hol den Totenbeschauer und laß ihn meinen Vetter in Augenschein nehmen, denn er ist im dritten Grade der Trunkenheit; er ist ertrunken. Geh, gib acht auf ihn!
NARR Bis jetzt ist er nur noch toll, Madonna; und der Narr wird auf
den Tollen achtgeben. Ab, - Shaespeare, Was ihr wollt
Trunkenheit (9) Verteidigung der Trunkenheit. Wenn man den Menschen nicht die thierischen Zeichen des Schlafs und Traums
übel nimmt, warum die ähnlichen der Trunkenheit? »Aber die Freiheit
über Körper wird genommen?« Wo nicht, bei welcher geistigen Anstrengung
nicht? Ists sündlich, freiwillig einzuschlafen. Das Schlimmste, was mittlere Trunkenheit hat, ist das Streben nach größerer. - Jean Paul, nach
(idg)
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