Es finden sich bedeutende Einblicke in das Wesen des Rausches selbst
— wie in der Hoffmannschen Bemerkung, daß durch den Wein
im Trinker nicht Ideen geschaffen werden, sondern nur der Umschwung der
Ideen gefördert wird. Die Phantasie vergleicht
er dabei einem Mühlrad, das sich beim Schwellen des Stromes hurtiger bewegt
— das Getriebe dreht sich funkelnder und rascher, wenn der Zecher Wein
aufgießt. Dem entspricht auch meine eigene Erfahrung — der Rausch addiert
nicht, er rnultipliziert. Bei Brüchen verkleinert er sogar. - Ernst Jünger,
Gärten und Straßen (7. Februar 1940)
Rausch (2) Eines der ersten Zeichen, daß der Haschisch zu wirken beginnt, »ist ein dumpfes Ahnungs- und Beklommenheitsgefühl; etwas Fremdes, Unentrinnbares naht . . . Bilder und Bilderreihen, längst versunkene Erinnerungen treten auf, ganze Szenen und Situationen werden gegenwärtig, sie erregen zuerst Interesse, zuweilen Genuß, schließlich, wenn es kein Abwenden von ihnen gibt, Ermüdung und Pein. Von allem, was geschieht, auch von dem, was er sagt und tut, wird der Mensch überrascht und überwältigt. Sein Lachen, all seine Äußerungen stoßen ihm zu wie Geschehnisse von außen. Er gelangt auch zu Erlebnissen, die der Eingebung, der Erleuchtung nahekommen . . . Der Raum kann sich weiten, der Boden abschüssig werden, atmosphärische Sensationen treten auf:
Dunst, Undurchsichtigkeit, Schwere der Luft;
Farben werden heller, leuchtender; Gegenstände
schöner oder auch klobig und bedrohlich . . . All dies vollzieht sich nicht
in kontinuierlicher Entwicklung, vielmehr ist das Typische ein fortwährender
Wechsel von traumhaftem und wachem Zustand, ein ständiges, schließlich
erschöpfendes Hin- und Hergeworfenwerden zwischen völlig verschiedenen
Bewußtseinswelten; mitten im Satz kann dieses Versinken
oder Auftauchen erfolgen ... Von alledem berichtet
uns der Berauschte in einer Form, die meist sehr erheblich von der Norm
abweicht. Die Zusammenhänge werden wegen des
oft plötzlichen Abreißens jeder Erinnerung an Vorhergegangenes schwierig,
das Denken gestaltet sich nicht zum Wort,
die Situation kann von so bezwingender Heiterkeit werden, daß der Haschischesser
minutenlang zu nichts fähig ist als zum Lachen
.. . Die Erinnerung an den Rausch ist überraschend scharf.« — »Es ist merkwürdig,
daß die Haschisch Vergiftung bisher noch nicht
experimentell bearbeitet wurde. Die vorzüglichste Schilderung des Haschisch-Rausches
stammt von Baudelaire (Paradis artificiels).« - Aus Joel und
Fränkel: »Der Haschisch-Rausch«, Klinische Wochenschrift 1926, V, 37.,
nach Walter Benjamin, Haschisch in Marseille, in (
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)
Rausch (3)
Wir sind guter Dinge: trinket!
Er hat uns den Tanz erfunden, Bakchos hat den Rausch geboren, Denn, wird uns der wohlgemischte Laßt uns denn zum Becher greifen Was da künftig ist, wer sagt es? Bald mit allerliebsten Mädchen, Wir sind guter Dinge: trinket, |
- Anakreontische Lieder, Übs. Eduard Mörike
Rausch (4) Rausch. Der patriotische Lärm in den Straßen,
die Jagd auf Goldautomobile, die einander jagenden falschen Telegramme, die
mit Cholerabazillen vergifteten Brunnen, die auf jede Eisenbahnbrücke Berlins
bombenwerfenden russischen Studenten, die über Nürnberg fliegenden Franzosen,
die Straßenexzesse des spionewitternden Publikums, das wogende Menschengedränge
in den Konditoreien, wo ohrenbetäubende Musik und patriotische Gesänge die höchsten
Wellen schlagen; ganze Stadtbevölkerungen in Pöbel verwandelt, bereit zu denunzieren,
Frauen zu mißhandeln, Hurra zu schreien und sich selbst durch wilde Gerüchte
ins Delirium zu steigern, eine Ritualmordatmosphäre, in der der Schutzmann an
der Straßenecke der einzige Repräsentant der Menschenwürde ist. Die Reservistenzüge
werden vom lauten Jubel der nachstürzenden Jungfrauen begleitet.
- Rosa Luxemburg 1914, nach: Frederick Hetmann, Rosa L. - Die Geschichte der Rosa Luxemburg und ihrer
Zeit. Frankfurt am Main 1979
Rausch (5) Entweder durch den Einfluß des narkotischen Getränkes, von dem alle ursprünglichen Menschen und Völker in Hymnen sprechen, oder bei dem gewaltigen, die ganze Natur lustvoll durchdringenden Nahen des Frühlings erwachen jene dionysischen Regungen, in deren Steigerung das Subjektive zu völliger Selbstvergessenheit hinschwindet. Auch im deutschen Mittelalter wälzten sich unter der gleichen dionysischen Gewalt immer wachsende Scharen, singend und tanzend, von Ort zu Ort: in diesen Sankt-Johann- und Sankt-Veittänzern erkennen wir die bacchischen Chöre der Griechen wieder, mit ihrer Vorgeschichte in Kleinasien, bis hin zu Babylon und den orgiastischen Sakäen. Es gibt Menschen, die, aus Mangel an Erfahrung oder aus Stumpfsinn, sich von solchen Erscheinungen wie von "Volkskrankheiten", spöttisch oder bedauernd im Gefühl der eigenen Gesundheit abwenden: die Armen ahnen freilich nicht, wie leichenfarbig und gespenstisch eben diese ihre "Gesundheit" sich ausnimmt, wenn an ihnen das glühende Leben dionysischer Schwärmer vorüberbraust.
Unter dem Zauber des Dionysischen schließt sich nicht nur der Bund zwischen
Mensch und Mensch wieder zusammen: auch die entfremdete, feindliche oder unterjochte
Natur feiert wieder ihr Versöhnungsfest mit ihrem verlorenen Sohne, dem Menschen.
Freiwillig beut die Erde ihre Gaben, und friedfertig nahen die Raubtiere der
Felsen und der Wüste. Mit Blumen und Kränzen ist der "Wagen des Dionysus
überschüttet: unter seinem Joche schreiten Panther und Tiger. Man verwandele
das Beethovensche Jubellied der „Freude" in ein Gemälde und bleibe mit
seiner Einbildungskraft nicht zurück, wenn die Millionen schauervoll in den
Staub sinken: so kann man sich dem Dionysischen nähern. Jetzt ist der Sklave
freier Mann, jetzt zerbrechen alle die starren, feindseligen Abgrenzungen, die
Not, Willkür oder "freche Mode" zwischen den Menschen festgesetzt
haben. Jetzt, bei dem Evangelium der Weltenharmonie, fühlt sich jeder mit seinem
Nächsten nicht nur vereinigt, versöhnt, verschmolzen, sondern eins, als ob der
Schleier der Maja zerrissen wäre und nur noch m Fetzen vor dem geheimnisvollen
Ur-Einen herumflattere. Singend und tanzend äußert sich der Mensch als Mitglied
einer höheren Gemeinsamkeit: er hat das Gehen und das Sprechen verlernt und
ist auf dem Wege, tanzend in die Lüfte emporzufliegen. Aus seinen Gebärden
spricht die Verzauberung. Wie jetzt die Tiere reden und die Erde Milch und Honig
gibt, so tönt auch aus ihm etwas Übernatürliches: als Gott fühlt er sich, er
selbst wandelt jetzt so verzückt und erhoben, wie er die Götter im Traume wandeln
sah. Der Mensch ist nicht mehr Künstler, er ist Kunstwerk geworden: die Kunstgewalt
der ganzen Natur, zur höchsten Wonnebefriedigung des Ur-Einen, offenbart sich
hier unter den Schauern des Rausches. - Friedrich Nietzsche, Die Geburt
der Tragödie aus dem Geiste der Musik
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