Gegenstand  Haustiere sind eine Art Mittelding zwischen Wesen und Sachen. Hunde, Katzen, Vögel, Schildkröten und Kanarienvögel - ihre pathetische Anwesenheit ist das Zeichen für ein Versagen auf dem Gebiet der menschlichen Kontakte und für die Zurückgezogenheit in eine narzißtische Heimwelt, in der die Ichbezogenheit sich ungestört auswirken kann. Stellen wir nebenbei fest, daß diese Tiere geschlechtlich nicht bestimmt sind (manchmal, mit Rücksicht auf die Umwelt, kastriert werden), daß sie, wiewohl Lebewesen, doch wie Gegenstände keine Sexualität zeigen und gerade durch diesen Umstand keine gefühlsmäßige Beunruhigung stiften.

Dank dieser wirklichen oder symbolischen Kastration tragen sie dazu bei, die Angst des Besitzers vor dem Kastriertwerden zu überwinden. Sie spielen also die gleiche wichtige Rolle wie alle übrigen Gegenstände, die uns umgeben. Denn der Gegenstand ist das vollkommene Haustier selbst. Er ist das einzige »Wesen«, dessen Eigenschaften die Person entfalten, anstatt sie einzuengen. In der Mehrzahl ausgedrückt: Die Gegenstände sind die einzigen »Existenten«, deren Koexistenz tatsächlich möglich ist, da ihre Unterschiede sich nicht gegeneinander richten, wie dies bei den Lebewesen der Fall ist, sondern gefällig auf die Person zu konvergieren und sich in ihrem Bewußtsein anstandslos zusammenaddieren lassen.

Der Gegenstand läßt sich am leichtesten »verpersönlichen« und verbuchen. Und von dieser subjektiven Buchführung ist nichts ausgenommen, alles kann besessen und investiert, in eine Kollektion geordnet, klassiert und verteilt werden. Der Gegenstand ist somit strenggenommen wie ein Spiegel: Die Bilder, die er widerstrahlt, können nur aufeinander folgen, einander aber nicht widersprechen. Er ist auch ein idealer Spiegel, da er nicht die tatsächlichen, sondern die erwünschten Bilder reflektiert. Kurz, er ist wie ein Hund, von dem nur noch die Treue übriggeblieben ist. - (baud)

Gegenstand (2) Der Gegenstand, diese demütige und empfängliche Symbolfigur, dieser psychologische Sklave und Intimus, wie er im gewöhnlichen Alltag erlebt und in jeder Kunstgattung des Abendlandes bis zur Gegenwart dargestellt wurde, dieser Gegenstand war das Sinnbild einer totalen Ordnung, die auf einer klaren Vorstellung von der Einrichtung, der Perspektive, der Substanz und der Form beruhte. Nach dieser Ansicht stellt die Form die absolute Abgrenzung zwischen Innen und Außen dar. Sie ist ein beständiger Behälter, das Innere eine Substanz. So haben die Gegenstände, die Möbel vor allem, neben ihrer praktischen Aufgabe die grundlegende Funktion, in der Vorstellung als ein Gefäß zu dienen. (Allerdings scheint eine Regel der Dimension die symbolische Auffassung zu bestimmen:

Über ein gewisses Maß hinaus wird jedes Ding, auch phallischer Form — Fahrzeug, Rakete —, zu einem Gefäß oder Uterus, und unterhalb dieser Größe zu einem Penis, selbst wenn es sich um Vasen oder Nippsachen handelt.) - (baud)

Gegenstand (3) Man kann dessen sicher sein: Wenn sich auch die Gegenstände manchmal der praktischen Kontrolle des Menschen entziehen, dem Imaginären entgehen sie nie. Die Art des Imaginären folgt der technologischen Entwicklung, und die zukünftige Wirkungsweise der Technik wird ein neues Vorstellungsbild erzeugen. Dessen Umrisse erkennen wir noch nicht deutlich, aber vielleicht wird es sich nach den Strukturen eines animistischen, eines energetischen Entwurfs um eine kybernetische Struktur handeln, in deren mythischem Brennpunkt nicht ein absoluter Organizismus, auch kein absoluter Funktionalismus steht, sondern die absolute Interrelationalität der Welt. Gegenwärtig bestimmen den Alltag - zu ungleichen Teilen - alle drei Aspekte. Die alte Kredenz, der Wagen und das Tonbandgerät stehen im selben Umkreis, obwohl sie sowohl in ihrer imaginären Seinsweise als auch in ihrer technischen Seinsweise voneinander radikal verschieden sind.

Wie dem auch sei, die Funktionsweise des Objekts empfinden wir als unsere eigene. - (baud)

Gegenstand (4) Jeanne Lalochère wurde plötzlich wach. Sie sah auf ihre Armbanduhr, die auf dem Nachttischchen lag; es war sechs Uhr vorbei.

— Ich darf nicht bummeln.

Sie verweilte aber doch noch einige Augenblicke, um ihren Scheich zu betrachten, der nackt dalag und schnarchte. Sie betrachtete seine ganze Gestalt, dann die Einzelheiten, wobei sie den Gegenstand, der sie einen Tag und zwei Nachte lang so sehr beschäftigt hatte und der jetzt mehr einem gesunden Säugling nach dem Stillen glich als einem saftigen Grenadier, hauptsächlich überdrüssig und ruhig ansah.

— Und dabei ist er noch so blöde.

Sie zog sich schnell an, warf verschiedene Gegenstände in ihre Handtasche und panierte sich das Gesicht.

— Ich darf nicht zu spät kommen. Wenn ich das Mädchen wieder bekommen will. Wie ich Gabriel kenne. Sie werden bestimmt pünktlich sein. Falls ihnen nichts zugestoßen ist. Sie preßte ihren Lippenstift ans Herz.

— Hoffentlich ist ihnen nichts zugestoßen.

Jetzt war sie fertig. Sie sah ihren Scheich noch einmal an.

— Wenn er zu mir kommt. Wenn er nicht lockerläßt. Ich werde vielleicht nicht nein sagen. Aber ich werde ihm nicht mehr nachlaufen. - Raymond Queneau, Zazie in der Metro. Frankfurt am Main 1999 (zuerst 1959)

Gegenstand  (5)  Gegenstände, mit denen ein Verbrechen begangen wurde, sind immer stumpf; es sei denn, sie wären scharf. - (fla)

Gegenstand  (6)  Der Beispiele sind unzählige. Des Sonnenwirtles Frau, Christine Schattinger, gab sich schon als zwölfjähriges Kind preis. Der Gegenstand der Wahl muß unverwüstlich in der Wollust, unverdrossen in Verrichtung der den Weibern allein zur Last fallenden häuslichen Arbeit, kräftig und ausdauernd zum Tragen von Gepäck und Kindern auf der Reise, schlau zum Baldowern und geneigt und geschickt zum Handeln, d. h. Stehlen, sein. Gegen diese Vorzüge schwindet die strenge Forderung körperlicher Schönheit, obgleich sie als angenehme Beigabe willkommen ist. Entsprechende Forderungen stellen die Dirnen und Weiber. Der kräftige, beherzte, verschlagene und renommierte Freier ist der willkommenste. Nur äußerer Zwang führt zur Ehe, die aber keineswegs ein Hindernis ist, anderweitige Verbindungen einzugehen. Oberamtmann Schäffer erwähnt den Gauner Sichler, der zwölf Beischläferinnen zugleich hatte, dann den einer mit einem scheußlichen Spitznamen bekannten Gaunerin, die zwei Ehemänner und eine Menge Beischläfer ihr eigen nannte.

Die Beischläferinnen werden mit Schickse, Schicksel, besonders aber mit dem aus dem hebräischen stammenden Pilegesch, Pilegsche bezeichnet. Für den Geliebten wie für den Ehemann wird der Ausdruck Kaffer (Chaver) auch wohl Bai, Isch und Freier gebraucht. Meistens nennt die Gaunerin ihren Beischläfer Kröner, - eine Bezeichnung, die sich schon im Liber Vagatorum, wie Krönerin für Ehefrau vorfindet und bis heute erhalten hat. Vielfach halten Verheiratete mit Ledigen zusammen, auch lebt oft genug der Vater mit der Tochter. So war Sibylle Schmidt, trotzdem ihre Mutter Madline noch mit dem Vater lebte, dessen Beischläferin. Er trug den Namen des großen oder Herzogs Keßler. Seltener finden sich Bruder und Schwester in blutschänderischer Gemeinschaft. - (ave)

Gegenstand  (7) Es gab zu dieser zeit noch keine eisenbahnen, die menschen reisten auf großen gegenständen durch das land. Diese gegenstände waren zahm, sie konnten sprechen, man unterhielt sich mit ihnen während der langen ritte, sie fragten und gaben antworten; pfiffe oder dämpfe brachten sie jedoch nicht zustande.

Es war im winter, mond und sonne ritten nach süden, schnee fiel, es war kalt, der wind blies eisig, mond und sonne fürchteten zu erfrieren. Der gegenstand, auf dem sie reisten, sagte: »Schneidet meinen leib auf, steigt in mich, näht mich von innen wieder zu!«

Der mond nahm sein messer, er schnitt den leib dieses gegenstands auf, er kroch mit der sonne in ihn, die sonne nähte ihn mit der bogensehne des mondes von innen zu. Nun froren sie nicht mehr, sie wärmten sich an den gedärmen dieses gegenstands, sie schliefen und wachten, es war immer . finster, sie hatten kein licht bei sich, sie wußten nicht, wohin es ging, wohin sie dieser gegenstand trug. - (ei)

Gegenstand  (8)  Die Gegenstände, das dürfte einen nicht berühren, denn das lebt ja nicht. Man bedient sich ihrer, man stellt sie wieder an ihren Platz, man lebt mitten unter ihnen: sie sind nützlich, mehr nicht. Aber mich, mich berühren sie, das ist unerträglich. Ich habe Angst, mit ihnen in Kontakt zu kommen, als wären sie lebendige Tiere.

Jetzt begreife ich; ich entsinne mich besser an das, was ich neulich am Strand gefühlt habe, als ich diesen Kiesel in der Hand hielt. Das war eine Art süßliche Übelkeit. Wie unangenehm das doch war! Und das ging von dem Kiesel aus, ich bin sicher, das ging von dem Kiesel in meine Hände über. Ja, das ist es, genau das ist es: eine Art Ekel in den Händen.  - Jean-Paul Sartre, Der Ekel. Reinbek bei Hamburg 2004 (zuerst 1938)

Gegenstand  (9)  während  der gegenstand wuchs und wuchs standen  leute um ihn herum um ihn zu betrachten, der gegenstand wuchs stetig aufwärts und die leute die um ihn standen betrachteten den gegenstand und sein wachstum, langsam wuchs der gegenstand unaufhaltsam aufwärts und die leute die um ihn standen um ihn und sein wachstum zu beobachten begannen einer nach dem anderen ihre köpfe in den nacken zu legen um den gegenstand in all seinen phasen im auge zu behalten, so wurde der stetig aufwärtsstrebende gegenstand in einer unzahl von augen die der hälfte von köpfen entsprachen behalten und die entsprechenden nacken knackten auf den entsprechenden schultern der leute die den gegenstand noch immer betrachteten aufwärts wo sich der gegenstand allmählich in die perspektive verjüngte, nun wuchs der gegenstand gleich einer akazie aufwärts und der verströmende duft seiner blüten vermochte die leute nicht ihren blick zu senken vielmehr hingen sie gebannt an dem gegenstand der nunmehr sich aufrichtete gleich einer angespannten stahltrosse die sich in der perspektive verliert, die leute standen um den gegenstand und betrachteten ihn wie er sich gleich einem zurückschnellenden äste im himmelsblau verlor. nun wäre es zweifellos falsch gewesen zu behaupten dass sich auf dies die köpfe dieser einer irgendeiner beschäftigung anblick frage zugewandt vielmehr hielten sie gebannt ihre blicke aufwärts wo sich der gegenstand gleich einer schwalbe im äther verlor, obwohl es jetzt hätte genug sein müssen und man ermüdet hätte das kinn geneigt um zu verschnaufen verzog sich vielmehr die düstere wölke die schon gedroht den ausblick zu verdecken vielmehr sich verzog und nun im leuchtenden abendrot den gegenstand zeigte, der sich gleichsam einer lilie im azur verlor vielmehr sich wieder fand in der unendlichen weite des abendlichen blaus und nun aufschnellte wie der tubus eines spiegel-fernrohrs und die insassen dieses beispielhaften planetariums hoben die köpfe an hinauf anstatt m müdigkeit zu sinken um den gegenstand nicht aus den tausend augen zu verlieren die ihn also emsig umgaben der jetzt aufschoss wie ein gefiederter pfeil in die laue abend-luft und zwischen dem feurigen regenbogen bohrte sich jetzt für die augen aller der gegenstand wie ein geschälter weidenstengel zwischen die wolken und während die mehr als tausend augen auf ihn gerichtet waren raste der gegenstand gleich einer gut gedüngten gänseblume in die beleuchteten lüfte und die hälser reckten sich und die augen traten aus den höhlen um den gegenstand nicht zu verlieren der sich nun allmählich gleich einem schwan in das firmament verlor, «ah», sagten alle aus 100 kehlen oder mehr und der gegenstand war verschwunden.   - Konrad Bayer, der sechste sinn. Roman. Reinbek bei Hamburg 1969

Gegenstand  (10)   Folgende These wird glaubwürdig: daß die Gegenstände eine nicht menschliche Präsenz haben, und zwar eine unmenschliche, mehr als menschliche, antimenschliche; Gerinnsel der Angst, wohlverstanden: oder wie Konglomerate von Staubkörnern der Gottesleiche (siehe oben) im Vinavil der Verzweiflung; oder Fettklackse des Wehs aus der Fettbäuchigkeit des Grams herausgeschnitten, herausgepreßt mit demiurgischen Daumen und dazu gebracht, Baum zu werden (mit Berufung zur Bahre oder zum Galgen), Metall (Messer oder Nagelzange), Stein (blutig niedergeschlagener Volksaufstand). Außer sie seien, simpüciter, Klackse der Gottesleiche selber, in der Zersetzung gemahlen, riechend nach grobem und nahrhaftem Fett. Gott als Pudding.  - (nieder)

Dinge, unbestimmte
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