reude  Auf der Mittagshöhe des Denkens lehnt der Revoltierende so die Göttlichkeit ab, um die gemeinsamen Kämpfe und das gemeinsame Schicksal zu teilen. Wir entscheiden uns für die treue Erde, das kühne und nüchterne Denken, die klare Tat, die Großzügigkeit des wissenden Menschen. Im Lichte bleibt die Welt unsere erste und letzte Liebe. Unsere Brüder atmen unter dem gleichen Himmel wie wir; die Gerechtigkeit lebt. Dann erwacht die sonderbare Freude, die zu leben und zu sterben hilft und die auf später zu verschieben, wir uns fortan weigern. - Camus, Der Mensch in der Revolte (1951)

Freude (2) Wenn die Freude intensiv ist, so führt sie zu verschiedenen zwecklosen Bewegungen, zum Herumtanzen, zum In-die-Hände-Schlagen, Stampfen etc. und zu lautem Lachen. Das Lachen scheint ursprünglich der Ausdruck bloßer Freude oder reinen Glücks zu sein. Wir sehen dies deutlich bei Kindern, wenn sie spielen und dabei beinahe unaufhörlich lachen. Wenn junge Leute, die schon aus der Kindheit heraus sind, recht ausgelassen sind, so hört man von ihnen immer viel sinnloses Lachen. Das Lachen der Götter wird von Homer beschrieben als »der Ausbruch ihrer himmlischen Freude nach ihren täglichen Banketten«. Ein Mensch lächelt — und wie wir sehen werden, geht Lächeln allmählich in Lachen über —, wenn er einem alten Freunde auf der Straße begegnet, ebenso wie bei jedem unbedeutenden Vergnügen: so wenn er ein schönes Parfüm riecht.  

Laura Bridgman konnte wegen ihrer Blindheit und Taubheit keinen Ausdruck durch Nachahmung irgendwie erlernt haben, und doch »lachte sie und schlug mit den Händen zusammen, und die Farbe auf ihren Wangen erhöhte sich«, wenn ein Brief von einem geliebten Freunde ihr mitgeteilt wurde. Bei anderen Gelegenheiten hat man gesehen, wie sie vor Freude auf den Boden stampfte. - (dar)

Freude (3) Sie werden selbst gelegentlich die Erfahrung gemacht haben, oft sogar täglich oder mehrmals am Tag, daß ein Gefühl der Freude plötzlich hochstößt, so gewaltsam, daß der Atem wegbleibt. Wo kommt dieses Urgefühl der Freude plötzlich her? Nach der althergebrachten Theorie vom Sinn des Lebens ist wenig genug Grund dazu vorhanden.

Wir nennen es Mitfreude, wenn es sich mit einem zufällig gegebenen Objekt oder Anlaß verknüpfen läßt. Mit einer solchen Erklärung wird sich Fuhrmann nicht zufrieden geben. Für ihn bedeutet das, eine Energie wird freigelegt, mit der dieses Freudegefühl ins Bewußtsein vorstößt, der Eruption eines Vulkans vergleichbar. Es werden Kräfte gelöst, die gegen den gewohnten Haushaltsbereich der gegenseitigen Beeinflussungen stoßen, Schutzdämme der Emanationen, bisher abgeschützt für den täglichen Gebrauch, überfluten, suchen Kontakt über die Enge des Menschendaseins hinaus — wir schämen uns oft, das zuzugeben, aber jeder von uns hat das in dieser oder jener Lage und Begebenheit schon erlebt.

Fuhrmann sieht darin eine lebendig werdende Erinnerung von der Urzeit her, die Reaktion des Instinkts, mit dem Naturgeschehen ringsum, im Einzelnen selbst auf die gegenwärtige Phase der Entwicklung eines Menschendaseins bezogen. Er sieht darin die Lebenssphäre eines urzeitlichen Geschlechts, die mit der Verkümmerung des Instinkts dem heutigen Menschen zum größten Teil bereits verlorengegangen ist. - Aus: Franz Jung, Erinnerung an einen Verschollenen. Ernst Fuhrmanns Lehre von den Zusammenhängen. In: Franz Jung, Schriften, Bd. 1, Salzhausen / Frankfurt am Main 1981

Freude (4) Man würde sich beim Tode eines schlechten Menschen kaum einer gewissen Freude erwehren können: endlich genösse man die Frucht seines Hasses und zöge aus ihm den einzigen Gewinn, den er verhieß, eben die Freude über sein Ende. Schließlich stirbt er wirklich, aber unter Umständen, über die uns zu freuen unsere Interessen uns verwehren: er stirbt zu früh oder zu spät. - (bru)

Freude (5)  Er persönlich, sagte Herr Domingo und zupfte an seinem Bart, tippe mehr auf Hemingway, der gelte in der Schweiz vermutlich noch immer als modern und schick. »Und weiberumlegträchtig«, ergänzte Herr Knott und kniff mehrfach in humoristischer Absicht die Augenlider auf und zu.

Da war ich auf einmal sehr lustig und hatte die allergrößte Freude an meinem Leben und deshalb warf ich im Vorbeimarschieren Zehnpfennigstücke in mehrere Briefkästen - eine nette Überraschung für die Anwohner und damit sie was zum Nachdenken hatten. - Eckhard Henscheid, Die Vollidioten. Ein historischer Roman aus dem Jahr 1972. Mit Zeichnungen der Originalschauplätze von F.K. Waechter. Frankfurt am Main 1979

Freude (6) 

die freude an mir
läßt nach, bei wem?
denen ich die hand nicht küsse?
denen ich in den arsch nicht krieche?
denen ich die fut nicht lecke?
die ich nicht vögle?
deren gruß ich nicht erwidere?
deren brief ich nicht beantworte?
deren einladung ich ausschlage?
denen ich als lach-dichter nicht diene?
mit denen ich nicht auf demonstration gehe?
mit denen ich nicht auf opposition mache?
denen ich keine texte gebe?
denen ich nicht meinen namen gebe?
die ich nicht aufs dichterroß hebe?
denen ich nicht als protagonist diene?
denen ich sage: eure texte sind dreck?
denen ich sage: hände weg von der literatur?
denen ich sage: ihr kotzt mich an?
denen ich sage: geht scheißen?
die freude an mir
mag an allen verschwinden.
mir muß sie bleiben.

   - Ernst Jandl, Idyllen. Darmstadt 1989

Freude (7)  Nichts gleicht der Freude des Menschen, der trinkt, ausser der Freude des Weines getrunken zu werden! - Nach Baudelaire

Freude (8) Je weiter ich kam, desto dichter staute sich das Volk. Es wurde immer schwerer durchzukommen. Ich empfand ihre »Freude« wie eine Feindseligkeit gegen meine Verzweiflung und ihr gemächliches Dahinziehen, als ob sie sich meinem Weg entgegenstellten. Nach und nach mußte ich meinen Schritt verlangsamen. Sie starrten mir neugierig ins Gesicht. - Und auf der Place Clichy wurde das Gewühl und besonders die »Freude« so arg, daß ich meinen Weg mit Ellbogen und Schultern bahnen mußte, während ein Platzregen von Konfetti, Papierschlangen und Schmähungen auf mich niederprasselte.

Ich mußte nachgeben. Es war das einfachste, nach Hause zurückzukehren. Und dazu entschloß ich mich also.

Das Gedränge ließ schon nach. Die Gaffer verliefen sich langsam. Aber ich konstatierte mißvergnügt, daß sich die Masken dafür verdoppelten. Wahrscheinlich ermutigte sie die sinkende Nacht, sich mit ihrem elenden Flitterkram auf die Straße zu wagen. Alle Straßen spieen solche Schwärme auf den karnevallauten Boulevard, mit Lumpen herausgeputzt, mit Tinte geschwärzt und mit Mehl gepudert, entstellt durch ihre ordinären grotesken Bemalungen - ein jammervolles Gesindel, aber voll »Freude«. Sie krochen aus widerlichen, verrufenen Gäßchen, aus den dunkelsten Sackgassen und selbst aus dieser Avenue Rachel, die zu Gräbern führte! Ja, selbst dort wohnten Leute, die jubilieren wollten und ihren Anteil an der »Freude« verlangten. An dem Wahnsinn! Zwei Clowns vor mir platzten vor Vergnügen. Sie hatten falsche Nasen aus Pappe, Kittel aus Glanzseide, halb gelb und halb blau, und sangen »freudig« den Gassenhauer, der gerade im Schwünge war. Eine Frau als Arbeiter verkleidet, Pfeife zwischen den Zähnen und ein Schnurrbärtchen auf den Lippen, folgte ihnen und lachte in sich hinein. Dann kam eine andere undefinierbare Maske. Mann oder Frau? Odaliske oder Römer? War es eine schmutzige Toga oder ein unsauberer Burnus? Man konnte es nicht unterscheiden. Aber, das stand felsenfest: das Ding war betrunken und stützte sich beim Gehen an die Mauer. Tatsächlich, es war grotesk! Die Allerelendesten wollten sich heute einen Festtag machen, um mich zu verhöhnen. Die Füße dieses Geschöpfes machten klapp klapp auf dem feuchten Asphalt, ich hätte wetten mögen, daß sich unter dem im Straßenkot schleifenden Peplum nur alte Latschen verbargen, aber er war im Kostüm, dieser Lump. Und besoffen war das Vieh! Oh! Diese »Freude!« diese Freude überall!  - Maurice Renard, Das Stelldichein. In: Das unsichtbare Auge. Eine Sammlung von Phantomen und anderen unheimlichen Erscheinungen. Hg. Kalju Kirde. Frankfurt am Main 1979 (st 477, zuerst 1862)

Freude (9)  Tränen sind leichter zu ertragen als Freude. Freude hat etwas Destruktives: Den anderen wird dabei unbehaglich zumute. «Weine, und du weinst allein» - was für eine Lüge! Weine, und du wirst eine Million Krokodile finden, die mit dir weinen. Die Welt weint immer und ewig. Die Welt ist in Tränen gebadet. Lachen, das ist etwas anderes. Lachen ist eine Sache des Augenblicks - es vergeht. Aber Freude - Freude ist eine Art ekstatisches Bluten, eine schändliche Überzufriedenheit, die aus jeder Pore deines Ichs dringt. Man kann die Leute nicht dadurch froh machen, daß man selber froh ist. Freude muß aus einem selbst kommen: Sie ist da oder nicht. Freude ist auf etwas zu Tiefes gegründet, um verstanden zu werden oder sie anderen mitzuteilen. Froh zu sein bedeutet, daß man ein Verrückter in einer Welt trauriger Gespenster ist.   - Henry Miller, Sexus. Reinbek bei Hamburg 1980  (zuerst 1947)

Freude (10)  Froh legten sie sich in die Ruder und setzten ihre Reise fort. Die Königin aber klagte und weinte, und mit ihr weinten die Töchter, aber das war alles vergebens, denn was ein Mann ist, so hat er zwar Freude, bei einer Frau zu liegen, aber danach hat er um so mehr Freude, aufzubrechen in die unbekannte Ferne.  - (anders)

Freude (11)

Freude (12)  Cicero und später Leibniz unterscheiden zwischen gaudium und laetitia. Gaudium ist die »Lust, die die Seele empfindet, wenn sie den Besitz eines gegenwärtigen oder künftigen Gutes als gesichert betrachtet; und wir sind im Besitz eines derartigen Gutes, wenn es auf solche Weise in unserer Macht ist, daß wir es genießen können, wann wir wollen.« Laetiüa ist eine muntere Fröhlichkeit, »ein Zustand, in dem die Lust in uns die Oberhand hat« (unter anderen, manchmal widersprüchlichen Empfindungen).

Gaudium ist das, wovon ich träume: einen lebenslangen Besitz genießen. Da ich aber keinen Zugang zum gaudium finden kann, von dem mich tausend Mißgeschicke trennen, denke ich daran, mich auf die laetitia zu beschränken: wenn ich mich dazu bewegen ließe, mich an die leichten Freuden zu halten, die der Andere mir schenkt, ohne sie durch die sie verklammernde Angst zu verunreinigen, abzutöten?  - (barthes)

Gefühle, freundliche
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