Dies noch wünsch' ich hierbei
dir recht zur Kenntnis zu bringen: |
- (
luk
)
Schiefigkeit (2) Ich wollte, Sie hätten
Ihren Sohn gehört, wie er seine Quetschung ohne Aufhebens nur so nebenbei
erwähnte. Er hat sie schon im Laufgraben nicht wichtig genommen, als um
ihn her alle ihn bemitleideten. Übrigens, mein liebes Kind, wenn er Ihre
Ermahnungen beherzigt und sich aufrecht gehalten hätte, wäre er tot. Aber
in seiner gewohnten Art saß er gebeugt auf dem Rand des Grabens, während
er mit dem Grafen von Guiche sprach. Nie hätten Sie, liebe Tochter, gedacht,
daß es sein Glück sein könnte, nicht ganz gerade gewachsen zu sein. -
(
sev
)
Schiefigkeit (3) Wessen Figur schief -
Wessen Mund schief -
Wessen Gang schief -
Wessen Handschrift schief ist, das ist, nach ungleichen, sich durchkreutzenden Direktionen geht -
Dessen
Denkensart, dessen Charakter, dessen Manier, zu handeln, ist schief, inkonsequent,
einseitig, sophistisch, falsch, listig, launisch, widersprechend, kaltschalkhaft,
hartgefühllos. - Lavater
Schiefigkeit (4) Wie anmaßlich ist im geheimen doch alles, was aus dem Osten kommt! — — — — Ich habe das Tulakästchen also in den Meridian gerückt. — Und da gibt es noch Narren — ich zum Beispiel —, die behaupten, der Mensch sei Herr über seinen Willen! — Was aber ist die Folge meiner Gutmütigkeit? Alles auf dem Schreibtisch, dieser selbst, das ganze Zimmer mitsamt seiner ihm innewohnenden vertrauten Ordnung, alles, alles kommt mir jetzt schief vor; der wertgeschätzte Meridian und nicht mehr ich scheint tonangebend geworden zu sein! — Oder der Tulakasten. Alles steht, liegt, hängt schief, schief, schief zu dem verdammten Produkt aus Asien! Ich schaue vom Schreibtisch aus zum Fenster hinaus, und was sehe ich? Die ganze Gegend draußen steht — »schief«. Das wird auf die Dauer so nicht weitergehen; Unordnung macht mich nervös. Entweder das Kästchen muß vom Schreibtisch verschwinden, oder------um Gottes willen!
ich kann doch nicht meine
ganze Wohnung umstellen im Verhältnis zu diesem Ding und seinem
Meridian!! Ich sitze, starre den silbernen Tulakobold an und seufze:
Es ist — bei St. Patricks Loch! — nicht anders: das Kästchen
ist »geordnet«, es hat »Richtung«; und mein Schreibtisch,
mein Zimmer, meine ganze Existenz liegt planlos drum herum, — hat
keine sinnvolle Orientierung, und ich habe das bis heute nicht
gewußt!----- - Gustav Meyrink Der Engel
vom westlichen Fenster München 1984 (zuerst 1927)