chiefigkeit
 

Dies noch wünsch' ich hierbei dir recht zur Kenntnis zu bringen:
Wenn sich die Körper im Leeren mit senkrechtem Falle bewegen,
Durch ihr eigen Gewicht, so werden sie wohl in der Regel
Irgendwo und -wann ein wenig zur Seite getrieben,
Doch nur so, daß man sprechen kann von geänderter Richtung.
Wichen sie nicht so ab, dann würden wie Tropfen des Regens
Gradaus alle hinab in die Tiefen des Leeren versinken.
Keine Begegnung und Stoß erführen alsdann die Atome,
Niemals hätte daher die Natur mit der Schöpfung begonnen.
Wer nun etwa vermeint, die schwereren Körper, die senkrecht
Rascher im Leeren versinken, vermöchten von oben zu fallen
Auf die leichteren Körper und dadurch die Stöße bewirken;
Die zu erregen vermögen die schöpferisch tätigen Kräfte:
Der entfernt sich gar weit von dem richtigen Wege der Wahrheit.
Denn was immer im Wasser herabfällt oder im Luftreich,
Muß, je schwerer es ist, umsomehr sein Fallen beeilen,
Deshalb, weil die Natur des Gewässers und leichteren Luftreichs
Nicht in der nämlichen Weise den Fall zu verzögern imstand ist,
Sondern im Kampfe besiegt vor dem Schwereren schneller zurückweicht:
Dahingegen vermöchte das Leere sich niemals und nirgends
Wider irgendein Ding als Halt entgegenzustellen,
Sondern es weicht ihm beständig, wie seine Natur es erfordert.
Deshalb müssen die Körper mit gleicher Geschwindigkeit alle
Trotz ungleichem Gewicht durch das ruhende Leere sich stürzen.
Darum können auch nie die schwereren Körper von oben
Auf die leichteren fallen und ihrerseits Stöße bewirken,
Die zum Betrieb der Natur die verschiednen Bewegungen stiften.
Deshalb (ich schärf es dir ein) muß etwas zur Seite sich neigen
Jeder fallende Körper, doch nur um ein Allerkleinstes,
Um nicht der Wahrheit zuwider zu reden von Schiefe der Fallbahn.
Denn das liegt doch vor Augen und ist mit den Händen zu greifen:
Wenn sich gewichtige Körper von oben nach unten bewegen,
Fallen sie nie von sich selbst aus schief, soweit man es sehn kann.
Doch wie könnte man je mit den Sinnen bemerken, ob niemals
Etwas vom richtigen Weg auch nur um ein Tüttelchen abweicht?

- (luk)

Schiefigkeit (2) Ich wollte, Sie hätten Ihren Sohn gehört, wie er seine Quetschung ohne Aufhebens nur so nebenbei erwähnte. Er hat sie schon im Laufgraben nicht wichtig genommen, als um ihn her alle ihn bemitleideten. Übrigens, mein liebes Kind, wenn er Ihre Ermahnungen beherzigt und sich aufrecht gehalten hätte, wäre er tot. Aber in seiner gewohnten Art saß er gebeugt auf dem Rand des Grabens, während er mit dem Grafen von Guiche sprach. Nie hätten Sie, liebe Tochter, gedacht, daß es sein Glück sein könnte, nicht ganz gerade gewachsen zu sein.  - (sev)

Schiefigkeit (3) Wessen Figur schief -

Wessen Mund schief -

Wessen Gang schief -

Wessen Handschrift schief ist, das ist, nach ungleichen, sich durchkreutzenden Direktionen geht -

Dessen Denkensart, dessen Charakter, dessen Manier, zu handeln, ist schief, inkonsequent, einseitig, sophistisch, falsch, listig, launisch, widersprechend, kaltschalkhaft, hartgefühllos. - Lavater

Schiefigkeit (4)  Wie anmaßlich ist im geheimen doch alles, was aus dem Osten kommt! — — — — Ich habe das Tulakästchen also in den Meridian gerückt. — Und da gibt es noch Narren — ich zum Beispiel —, die behaupten, der Mensch sei Herr über seinen Willen! — Was aber ist die Folge meiner Gutmütigkeit? Alles auf dem Schreibtisch, dieser selbst, das ganze Zimmer mitsamt seiner ihm inne­wohnenden vertrauten Ordnung, alles, alles kommt mir jetzt schief vor; der wertgeschätzte Meridian und nicht mehr ich scheint tonangebend geworden zu sein! — Oder der Tulakasten. Alles steht, liegt, hängt schief, schief, schief zu dem verdammten Produkt aus Asien! Ich schaue vom Schreibtisch aus zum Fenster hinaus, und was sehe ich? Die ganze Gegend draußen steht — »schief«. Das wird auf die Dauer so nicht weitergehen; Unordnung macht mich nervös. Entweder das Kästchen muß vom Schreibtisch verschwinden, oder------um Gottes willen!

ich kann doch nicht meine ganze Wohnung umstellen im Verhältnis zu diesem Ding und seinem Meridian!! Ich sitze, starre den silbernen Tulakobold an und seufze: Es ist — bei St. Patricks Loch! — nicht anders: das Kästchen ist »geordnet«, es hat »Richtung«; und mein Schreibtisch, mein Zimmer, meine ganze Existenz liegt planlos drum herum, — hat keine sinnvolle Orientierung, und ich habe das bis heute nicht gewußt!-----  - Gustav Meyrink Der Engel vom westlichen Fenster München 1984 (zuerst 1927)

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