iederholung Auf Agamemnons Geschlecht ruhte ein Fluch; von seinem Urahn Tantalos her war es unter Greueln erwachsen; ruchlose Gewalt hatte die einen seiner Glieder gestürzt, die anderen erhoben; durch einen ungeheueren Frevel im eigenen Hause sollte auch Agamemnon das Ziel seines Lebens finden.
Der Urgroßvater Tantalos hatte den zum Mahle geladenen Göttern seinen Sohn Pelops gekocht zum Schmause vorgesetzt, und nur ein Wunder hatte diesen Stammhalter des Geschlechts ins Leben zurückgerufen. Pelops, sonst unsträflich, ermordete seinen Wohltäter Myrtilos, den Sohn des Hermes, und half durch diesen Mord den Fluch des Hauses weiterspinnen. Myrtilos nämlich, der Stallmeister des Königs Önomaos, dessen Tochter Hippodameia Pelops durch den Sieg im Wagenrennen gewinnen sollte, ließ sich überreden, die Nägel aus dem Wagen seines Herrn zu ziehen und wächserne statt der eisernen einzustecken. Dadurch ging der Wagen des Önomaos auseinander und Pelops gewann den Sieg und die Jungfrau. Als aber Myrtilos die versprochene Belohnung forderte, stürzte ihn Pelops, um keinen Zeugen seines Betruges zu haben, ins Meer. Vergebens suchte er den über diesen Frevel zürnenden Gott Hermes zu versöhnen, baute dem Sohn ein Grabmal und dem Vater einen Tempel; er und sein Geschlecht waren der Rache des Gottes verfallen.
In den Söhnen des Pelops, Atreus und Thyestes, wirkte der
Fluch kräftig fort. Atreus war König zu Mykene, Thyestes neben
ihm König im südlichen Teile des argolischen Landes. Der ältere
Bruder besaß einen Widder, der goldene Wolle trug; nach diesem
gelüstete Thyestes, den jüngeren; er verführte die Gemahlin des
Bruders, Aërope, zur Untreue und erhielt von ihr das goldene
Lamm. Als Atreus das doppelte Verbrechen seines Bruders inneward,
hielt ihn keine Überlegung ab; er handelte wie der Großvater,
heimlich ergriff er die beiden kleinen Söhne des Thyestes, Tantalos
und Plisthenes, setzte sie geschlachtet beim gräßlichen Gastmahle
dem Bruder vor und gab ihr Blut, zum Weine gemischt, dem unseligen
Vater zu trinken. Dem zuschauenden Sonnengott kam über diese
Unmenschlichkeit ein solches Entsetzen an, daß er seinen Wagen
rückwärts lenkte, Thyestes aber floh vor dem entsetzlichen Bruder
nach Epirus zu dem König Thesprotos. Das Land des Atreus ward
von Dürre und Hungersnot heimgesucht, und der befragende König
erhielt vom Orakel die Antwort, die Landplage werde aufhören,
wenn der vertriebene Bruder zurückberufen sei. So machte sich
Atreus selbst auf den Weg, den Thyestes in seiner Zufluchtsstätte
aufzusuchen, und führte ihn mit einem Sohne, namens Ägisthos,
in die alte Heimat zurück. Auch dieser Ägisthos war das Kind
eines Greuels und in seinem Asyl von Thyestes erzeugt. Aber er
hatte geschworen seinen Vater an dem Atreus und dessen Kindern
zu rächen. Das erste vollführte er bald, nachdem die Brüder zusammen
nach Mykene zurückgekehrt waren. Ihre Freundschaft
war dort von kurzer Dauer gewesen, und Atreus hatte den Bruder
in den Kerker geworfen. Da erbot sich Ägisthos trügerischerweise
dem Oheim, indem er sich über den Greuel seiner Geburt entrüstet
stellte, den eigenen Vater umzubringen, In den Kerker eingelassen,
verabredete er mit seinem Vater die Rache, zeigte dein Atreus
ein blutiges Schwert, und als dieser, über den geglaubten Tod
des Bruders fröhlich, am Meeresufer ein Dankopfer anstellte,
stieß ihm Ägisthos dasselbe Schwert in den Leib. Thyestes kam
aus seiner Haft hervor und bemächtigte sich auf kurze Zeit des
brüderlichen Reiches, aber der älteste Sohn des Atreus, Agamemnon,
stellte ihm nach und rächte mit dem Schwert an ihm des Vaters
Mord. Ägisthos blieb verschont, er ward von den Göttern zum Fluche
des Geschlechts aufgehoben und regierte als König, in dem alten
Anteil seines Vaters im südlichen Lande. - (
sage
)
Wiederholung (2)
»Die Dialektik der
Wiederholung ist leicht;
denn das, was wiederholt wird, ist
gewesen,
sonst könnte es nicht wiederholt werden,
aber
gerade dies, daß es gewesen ist,
macht die Wiederholung zu
dem Neuen.«
»Wenn man die Kategorie
der Erinnerung oder der Wiederholung nicht hat,
dann löst
sich das ganze Leben in ein leeres und inhaltloses Lärmen auf.«
Constantin Constantius, Die Wiederholung
Die Wiederholung des Urerlebnisses - sie ist das Urerlebnis nicht mehr und darum auch nicht dessen Wiederholung. - Der zweite Kuß ist nicht zum zweiten Mal der erste Kuß, er ist der zweite; der erste ist unwiederholbar. - Was sich wiederholen kann (und auch dies nicht absolut genommen), sind die äußeren Umstände eines inneren Erlebnisses, nicht das innere Erlebnis selbst. In der Wiederholung des Äußeren beginnt etwas Neues: nicht das Einmalige eines ersten Mals, sondern das Stiften einer Erfahrung, darin jenes erste Mal steht und dennoch auch nicht steht, da es als Mythos schon entrückt ist, zugleich aber als deren erstes Glied den Beginn einer Kette Erfahrung bildet, die als Kette ja erst mit der Wiederholung, dem zweiten Glied, inauguriert wird; eine Kette beginnt durch ein zweites Glied, ein erstes allein ist keine Kette, nicht einmal eine verstümmelte. Das zweite Glied ist ohne ein erstes nicht denkbar, doch das war nicht als ein erstes Glied, sondern als ein Einmaliges erfahren und im Einmaligen als von einziger Art. Also ist jenes erste Erlebnis in der Eigenschaft des Erst-Seins gedoppelt, An-Sich und Für-Sich, unwiederholbar und wiederholbar, Urerlebnis und Eines von Vielen, Einmaliges und Alltägliches. - Das Unwiederholbare ist eine geschloßne Figur; das Wiederholen ist zur Zukunft hin offen, und jede Wiederholung schließt diese Öffnung und bietet neues Offensein an. Das Unwiederholbare ist vollständig vergangen und die Erinnerung daran ein Erinnern an Vergangnes; die Süße von Wehmut schwingt herein. Das Wiederholbare ist potentiell gegenwärtig, es schiebt sich damit vor das Urerlebnis, zerstört es als An-Sich, gewinnt es als Für-Sich, verdeckt und verklärt es gleichermaßen, macht es durch stetes Verdecken zu etwas, das durch ein Verdeckendes bricht, und ebendas heißt ja, Verklärung erfahren, aber die stellt sich nicht sofort, die stellt sich erst als ein Durchbrechendes ein, und davor liegen Widerstände, ebendie des Zweitenmal.
So war es Ernüchterung, was mich da ankam, als ich nun bei der zweiten Einfahrt vor Ort kroch - eigentlich ja das dritte Mal, doch das Erlebnis des ersten Tages mit dem zweifachen Befahren eines Strebs war Dauer, keine Wiederholung, unterbrochene Dauer freilich, aber eine Unterbrechung als Pause, die ein Erlebnis nicht abbricht, sondern verstärkt. - Es war alles am ersten Tag geschehen, und auch darin ein einziges erstes Mal, daß es mir durch ein Außer-mir geschehn war, das mich seiner Macht unterwarf. - Nun lag Wollen und Reflexion dazwischen, die Bewußtseinsvorwegnahme des zweiten Mals als konkret gewollt und bedacht und erwartet, und wo Konkretes erwartet wird, ist im Eintreffen des äußerlich Konkreten Enttäuschung von einer Art angelegt, die das Bestätigen konterkariert: das innere Erleben bleibt aus. - Ernüchterung. - Nicht schlechthin Enttäuschung, doch Spuren Enttäuschung, sie führten mich auf eine andre Bahn.
Was da im Wieder-Holen sich zutrug, war noch immer von großer
Art, und wenn auch nicht mehr das Ur-Erlebnis, so doch ein Erleben,
das jenes beschwor, freilich nur noch als Vergangenes, nicht
als lebendige Gegenwart. Das Mythische war nicht mehr gegenwärtig,
das Bergwerk als mein Alltag begann, doch der Alltag war noch
besonderer Alltag, nicht nur darin, daß er nicht j edentags war
(ich stand ja nicht jeden Tag vor Ort), sondern daß ihn ein Abglanz
des Mythischen traf, das in seinem Anfang gestanden. Andrerseits
war er Alltag schon gänzlich darin, daß ich ihn als Objekt für
mich nahm, als Gegenstand meines Berufes, als etwas, das ich
in Worte überführen, dessen Erscheinungsbild ich beschreiben,
dessen Wesen ich ausdrücken wollte und das ich als Prozeß, in
den ich gestellt war, diesem Wollen unterwarf. Das Mythische
aber kann man nicht wollen; es überfällt, es ist Epiphanie.
- Franz Fühmann, Im Berg. Rostock 1991
Wiederholung (3) Heute glaube ich, daß
es ein großer Fehler war, in den Osten
zurückzukehren und sie in jene Beardsleyer Privatschule zu stecken,
anstatt irgendwie die mexikanische Grenze zu überklettern, solange
es möglich war, um dann in subtropischer Seligkeit ein paar Jährchen
in Ruhe zu leben, bis ich meine kleine Kreolin in aller Sicherheit
heiraten konnte, denn ich muß bekennen, daß ich je nach dem Zustand
meiner Drüsen und Ganglien im Verlauf ein und desselben Tages
von einem Pol des Irrsinns zum anderen wechseln konnte - von
dem Gedanken, daß ich um 1950 mich irgendwie einer schwierigen
Heranwachsenden entledigen müßte, deren magisches Nymphchentum
sich verflüchtigt hätte, zu der Vorstellung, daß ich sie mit
Geduld und Glück
dahinbringen konnte, eines nicht allzu fernen Tages ein Nymphchen
mit meinem Blut in seinen erlesenen Adern zu produzieren, Lolita
die Zweite, die um 1960 acht oder neun wäre - zu einer Zeit,
da ich mich noch dans la force de l'âge befände; und die
Teleskopie meiner Sinne oder Un-Sinne war sogar scharf genug,
in der Ferne der Zeit einen vieillard encore vert (oder
war es vermodertes Grün?) auszumachen - den bizarren, zärtlichen,
sabbernden Dr. Humbert, der sich an der über alle Begriffe holdseligen
Lolita der Dritten in der Kunst übt, Großvater
zu sein. - (
lo
)
Wiederholung (4) Der Vogel hatte schon seit lange nicht mehr gesungen; ich erschrak daher nicht wenig, als er in einer Nacht plötzlich wieder anfing, und zwar mit einem veränderten Liede. Er sang:
»Waldeinsamkeit
Wie liegst du
weit!
O dich gereut
Einst mit der Zeit. -
Ach einzge
Freud
Waldeinsamkeit!«
Ich konnte die Nacht hindurch nicht schlafen, alles fiel mir von neuem in die Gedanken, und mehr als jemals fühlt ich, daß ich Unrecht getan hatte. Als ich aufstand, war mir der Anblick des Vogels ordentlich zuwider, er sah immer nach mir hin, und seine Gegenwart ängstigte mich. Er hörte nun mit seinem Liede gar nicht wieder auf, und er sang es lauter und schallender, als er es sonst gewohnt gewesen war. Je mehr ich ihn betrachtete, je bänger machte er mich; ich öffnete endlich den Käfig, steckte die Hand hinein und faßte seinen Hals, herzhaft drückte ich die Finger zusammen, er sah mich bittend an, ich ließ los, aber er war schon gestorben. - Ich begrub ihn im Garten.
Jetzt wandelte mich oft eine Furcht vor meiner Aufwärterin an, ich dachte an mich selbst zurück, und glaubte, daß sie mich auch einst berauben oder wohl gar ermorden könne. - Ludwig Tieck, Der blonde Eckbert
Wiederholung (5) Er trank den Kaffee aus
und ging weiter, wie die anderen scheinbar beschäftigt, schnell,
oder nachlässig, von einer Gangart plötzlich in die andere gefallen,
um sich immer weiter unter den anderen auf der Straße herumzubewegen,
ohne dabei aufhören zu können, andauernd zu sehen,
sich etwas anzusehen, die Läden, die Leute darin, Schaufenster,
in den Schaufenstern die ausgestellten Sachen, bunte Hemden,
elegante modisch geschnittene Hosen, französischer Breitcord,
mit breiten Ledergürteln, buntfarbige Socken, Socken aus Frottierstoff,
breite Schlipse, Jacketts, Kleider, silbrige Strümpfe, Stiefel,
wollige violette Röcke,
und jedes einzelne Teil war gleichzeitig
auch immer wieder an den anderen zu sehen, die ihm entgegenkamen,
ihn überholten, vor ihm die Straße, seinen Blick kreuzten und
schräg hinter anderen Leuten wieder verschwanden, ein Mädchen
in kurzem violetten wolligen Rock, der die Beine lang wirken
ließ, dazu hohe, eng und fest an den Beinen sitzende Wildlederstiefel,
das lange Haar sehr leicht um das Gesicht frisiert, dazu ein
Mann in einer tief auf den Hüften sitzenden engen Hose mit breitem
Gürtel, das Hemd türkisfarben, die Jacke auf Taille geschnitten,
lang, aus weichem samtigem Stoff. Alles schien so genau zueinander
zu passen und häufte sich um ihn fortwährend herum. Knie, sehr
weit frei gelassen von einem Rock, der eng saß, der Pullover
graubraun mit Zopfmuster, darin der rundliche Abdruck von Brüsten,
der das streifige Zopfmuster breiter auseinanderzog, Gesichter,
die sich drehten, Mädchengesichter, offen, frei, sehr unkompliziert,
schön, schön zurechtgemacht, jung, so jugendlich und sehr einfach,
wie er zu sehen glaubte, immer anders, es wiederholte sich andauernd
um ihn herum als etwas Einfaches, Unkompliziertes, bedrückend
lebendig, bunt, bewegt, überall, Beine, Füße, an der Stelle,
fortgezogen, an einer anderen Stelle in dem Gewirr wieder aufgetaucht,
dort, anders, andere Beine, Knie, Gesichter, Abdrücke von Brüsten,
Titten, die beim schnellen Gehen unter dem Pullover, dem Kleid,
einem Mantel etwas auf und ab hüpften, Titten, Titten, Fotzen,
versteckt zwischen den Beinen oben, Schenkel, Knie, die halbe
Drehung eines Gesichts, ein Mädchen, das lachte, das Haar zur
Seite gerutscht, nach vom gefallen ins Gesicht und aus dem Gesicht
wieder mit einer kurzen Handbewegung nach hinten geschoben, fast
so wie auf den Bildern, ausgeschnitten, an die Wand gesteckt,
in einer durchgehenden anhaltenden Bewegung, lebendig, sehr lebendig,
lebendig festgehalten mitten in einer Drehung. - (
brink
)
Wiederholung (6) Es gibt eine Art
von Vorkommnis, das sich in den Geschichten
von fünf oder sechs verschiedenen Helden,
sagen wir von Siegfried, Herkules,
Rustem, dem Cid und so weiter, findet. Und das Besondere an dieser
Art von mythologischen Vorkommnissen ist, daß man sich nicht
nur mit Fug und Recht vorstellen kann, es sei einem dieser Helden
wirklich widerfahren, sondern daß man guten Grund hat, sich vorzustellen,
es sei tatsächlich allen von ihnen widerfahren. Eine solche Geschichte
ist zum Beispiel die von einem kraftvollen Mann, dessen Stärke
durch die geheimnisvolle Schwäche einer Frau überwunden
oder zunichte gemacht wird. Die anekdotische Geschichte, die
Geschichte von Wilhelm Tell, wird wegen ihrer Ausgefallenheit
geschätzt. Aber die andere Art von Geschichten, die Geschichte
von Simson und Delila, von Artus und Guenièvre, sind offensichtlich
nicht deshalb beliebt, weil sie ungewöhnlich wären. Sie sind
wie alle gute, ruhige Dichtung beliebt, weil sie Wahres über
die Menschen erzählen. Wenn der Sturz Simsons durch eine Frau
und der Sturz des Herkules durch eine Frau gemeinsam mythologischen
Ursprungs sind, dann können wir voll
Genugtuung auch den Sturz Nelsons durch eine Frau und den Sturz
Parnells durch eine Frau für etwas Mythologisches
erklären. Und ich zweifle in der Tat nicht im mindesten daran,
daß sich in einigen Jahrhunderten die Erforscher der Volksüberlieferung
schlichtweg weigern werden zu glauben, daß Elizabeth Barrett
mit Robert Browning durchgebrannt ist; als schlagenden
Grund für ihre Zweifel werden sie die Tatsache anführen, daß
die ganze Romanliteratur der Periode von vorne bis hinten voll
war mit Entführungen dieser Art. - Gilbert Keith Chesterton,
Ketzer. Eine Verteidigung der Orthodoxie gegen ihre Verächter.
Frankfurt am Main 2004 (it 3023, zuerst 1905)
Wiederholung (7) Der von einem Kutscher
kürzlich übergefahme Mann, namens Beyer, hat bereits dreimal
in seinem Leben ein ähnliches Schicksal gehabt; dergestalt, daß
bei der Untersuchung, die der Geheimerat Herr K., in der Charité
mit ihm vornahm, die lächerlichsten Mißverständnisse vorfielen.
Der Geheimerat, der zuvörderst seine beiden Beine, welche krumm
und schief und mit Blut bedeckt waren, bemerkte, fragte ihn:
ob er an diesen Gliedern verletzt wäre? worauf der Mann jedoch
erwiderte: nein! die Beine wären ihm schon vor fünf Jahr, durch
einen andern Doktor, abgefahren worden. Hierauf bemerkte ein
Arzt, der dem Geheimenrat zur Seite stand, daß sein linkes Auge
geplatzt, war; als man ihn jedoch fragte: ob ihn das Rad hier
getroffen hätte? antwortete er: nein! das Auge hätte ihm
ein Doktor bereits vor vierzehn Jahren ausgefahren. Endlich,
zum Erstaunen aller Anwesenden, fand sich, daß ihm die
linke Rippenhälfte, in jämmerlicher Verstümmelung, ganz auf den
Rücken gedreht war; als aber der Geheimerat ihn fragte: ob ihn
des Doktors Wagen hier beschädigt hätte? antwortete er: nein!
die Rippen wären ihm schön vor sieben Jahren durch einen Doktorwagen
zusammen gefahren worden. - Bis sich endlich zeigte, daß ihm
durch die letztere Überfahrt der linke Ohrknorpel ins Gehörorgan
hineingefahren war. - Heinrich von Kleist, Charité-Vorfall
Wiederholung (8) Träumten wir jede Nacht das gleiche, würde es uns genau so beschäftigen wie alles, was wir täglich sehen; wenn ein Handwerker sicher sein könnte, jede Nacht zwölf Stunden lang zu träumen, er sei König, so wäre er, glaube ich, fast ebenso glücklich wie ein König, der jede Nacht zwölf Stunden lang träumen würde, er sei ein Handwerker.
Träumten wir jede Nacht, wir würden von Feinden verfolgt und von diesen schreckhaften Schemen gequält, oder man verbrächte den ganzen Tag mit den verschiedensten Beschäftigungen, wie wenn man auf Reisen ist, dann würde man fast ebenso leiden, wie wenn es Wirklichkeit wäre, und man würde den Schlaf fürchten, wie man sich vor dem Erwachen fürchtet, wenn man Furcht hat, daß uns solch Unglück wirklich begegnen könnte. Und tatsächlich wird es fast die gleichen Leiden bereiten wie die Wirklichkeit.
Weil aber die Traumbilder immer wechseln
und ein und dasselbe sich wandelt, berührt uns das, was man dort
sieht, weniger als das, was man im Wachen sieht; und zwar, weil
hier die Abfolge stetiger ist, die indessen nicht so stetig und
gleichmäßig wäre, daß nicht auch Wandlungen geschähen, wenn auch
weniger plötzliche; geschehen sie aber, und das ist nicht selten,
wie zum Beispiel auf Reisen, dann sagt man: es scheint mir, daß
ich träume. Denn das Leben ist nur ein um ein Weniges weniger
unbeständiger Traum. - Blaise Pascal, Gedanken
Wiederholung (9) Der Mythos
von der ewigen Wiederholung, so wie er durch das griechische Denken reinterpretiert
worden ist, hat zum Sinn einen äußersten Versuch zur »Statisierung« des Werdens,
zur Annullierung der Unumstößlichkeit der Zeit. Da alle
Augenblicke und alle Situationen des Kosmos sich unaufhörlich wiederholen, erweist
sich ihre Vergänglichkeit in letzter Analyse als nur scheinbar; unter dem Aspekt
der Unendlichkeit bleiben jeder Augenblick
und jede Situation an ihrem Platz, und sie gewinnen so den ontologischen Charakter
des Archetypus. Wie alle andern Formen des Werdens ist also auch das geschichtliche
Werden mit Sein gesättigt. Unter dem Gesichtspunkt der
ewigen Wiederholung verwandeln sich die geschichtlichen Ereignisse in Kategorien
und gewinnen so den ontologischen Charakter wieder, den sie im Bereich der archaischen
Geisteswelt besaßen. - Mircea Eliade, Kosmos und Geschichte. Frankfurt
am Main 1986 (st 1273, zuerst 1949)
Wiederholung (10) Madame hat möglicherweise
recht: mein wiederholtes Verlangen nach Beischlaf ist vielleicht pathologisch.
Ich selber freilich bleibe skeptisch. Ich führe es auf die Mäßigkeit meines
ganzen Lebens zurück, die ich bis jenseits der Vierzig gewahrt habe, auf mein
großes Gefallen an ihr - ich kann kein Fleckchen ihres Körpers sehen, ohne daß
ich gleich... auf das übrige Lust habe - und auch darauf, daß ich noch nie eine
Geliebte gehabt habe, die so bemerkenswert ist - wenn sie will. Auch auf vieles,
das mir versagt gewesen ist, führe ich es zurück, wie etwa weibliche Nacktheit,
der ich in wachsendem Maße zugetan bin. Wenn ich bedenke, wie ich mich hinsichtlich
all dieser Dinge entwickelt habe, muß ich sogar staunen, denn als ganz junger
Mann dachte ich an nichts, leistete wenig, fand nur geringes Vergnügen dabei
und beschränkte mich auf das Wesentliche. Keiner Frau habe ich die Liebkosungen
gewidmet, die ich Madame widme. Sorgen brauche ich mir darüber keine zu machen,
denn ich betreibe den Beischlaf natürlich, das heißt, ohne daß ich mich zu zwingen
oder mich zu strapazieren brauche und weil ich nachher noch sehr gut aufgelegt
bin. - (
leau
)
Wiederholung (11) Die Tochter seiner letzten Geliebten heiraten heißt: die Zeit umkehren, ein Wunder vollbringen. Die Zeit umkehren! Ei Weib (die zwanzigjährige Susanne) in die Arme schließen, die ihm das bot, was die vierzigjährige Mutter vor Jahren gewesei sein mußte.
Man muß eine alternde Geliebte gehabt haben, um dies Dinge zu verstehen.
Die Entartung des Körpers, den wir noch lieben, obwohl er zerstört ist, und
den andere zehn, fünfzehn achtzehn Jahre vor uns geliebt haben, als er noch
Frische, Anmut, Jugend, Leben hatte, als er noch keiner
abendlichen Massagen bedurfte, um die Falten zu glätten, kein Henna brauchte,
um die weißen Fäden zu verbergen, kein Karmin, um die erloschenen Lippen glühen
zu lassen. Man muß eine alternde Geliebte gehabt haben, um zu verstehen, wie
wir ihre Tochter begehren. -
Pitigrilli, Betrüge mich gut. In: P., Betrüge mich gut. Reinbek bei
Hamburg 1988 (rororo 12179, zuerst 1922)
Wiederholung (12) Solange ich nicht die Neigung zum Vergnügen überwinde, bin ich anfällig für den Taumel des Selbstmords, das weiß ich wohl.
Das erste Mal habe ich mich umgebracht, um meine Geliebte zu ärgern. Diese tugendhafte Kreatur weigerte sich plötzlich, mit mir zu schlafen, sie bereue, sagte sie, ihren hauptamtlichen Liebhaber betrogen zu haben. Ich weiß nicht recht, ob ich sie liebte, ich glaube, daß zwei Wochen Entfernung mein Bedürfnis nach ihr wesentlich vermindert hätten: ihre Weigerung brachte mich in Harnisch. Womit konnte ich sie treffen? Sagte ich, daß sie mir tiefe und dauerhafte Gefühle bewahrt hatte? Ich habe mich umgebracht, um meine Geliebte zu ärgern. Man wird mir diesen Selbstmord verzeihen, wenn man in Betracht zieht, daß ich noch sehr jung war, als mir dieses Abenteuer zustieß.
Das zweite Mal habe ich mich aus Faulheit umgebracht. Ich war arm, hatte einen vorgefaßten Abscheu vor jeder Arbeit und brachte mich um, ohne davon überzeugt zu sein, ganz wie ich gelebt hatte. Diesen Tod nimmt man mir nicht übel, wenn man bemerkt, wie blühend ich heute aussehe.
Das dritte Mal . . . ich erlasse euch die Beschreibung meiner anderen Selbstmorde,
wenn ihr nur diesen noch anhören wollt: Nach einer Soirée,
auf der meine Langeweile sich nicht nachdrücklicher
manifestiert hatte als an anderen Abenden, legte ich mich schlafen. Ich traf
die Entscheidung - ich erinnere mich sehr genau daran -, im selben Augenblick
artikulierte ich die einzige Begründung: Und wenn schon, meinetwegen! Ich stand
auf und suchte die einzige Waffe im Haus, einen kleinen Revolver, einer meiner
Großväter hatte ihn gekauft, die Kugeln waren genauso alt. (Es wird sich nachher
zeigen, warum ich auf diese Einzelheit hinweise.) Da ich nackt schlafe, fand
ich mich nackt im Schlafzimmer. Es war kalt. Ich beeilte mich, unter die Bettdecke
zu kriechen. Ich hatte den Hahn gespannt. Ich spürte das kalte Eisen im Mund.
In diesem Moment spürte ich wahrscheinlich mein Herz so schlagen wie damals,
als ich das Pfeifen einer Granate hörte, bevor sie explodierte, wie in Gegenwart
von etwas Unwiederbringlichem, noch nicht zu Ende Gegangenem. Ich habe auf den
Abzug gedrückt, aber der Hahn schlug zurück, der Schuß war nicht losgegangen.
Da habe ich die Waffe auf einen kleinen Tisch gelegt und vermutlich ein wenig
nervös dabei gelacht. Zehn Minuten später schlief ich
ein. Ich glaube, ich habe da eben eine nicht unwichtige Bemerkung gedacht,
falls dies überhaupt möglich ist . .. natürlich! Es versteht sich von selbst,
daß ich nicht einen Augenblick daran dachte, eine zweite Kugel zu schießen.
Wichtig war, daß ich die Entscheidung zum Sterben gefaßt — und nicht, daß ich
stürbe. - Jacques Rigaut, nach: Als die Surrealisten noch recht hatten. Texte
und Dokumente, Hg. Günter Metken. Stuttgart 1976
Wiederholung (13) - Wir gingen weiter, nach
Grance. Das ist nicht weit. Man muß über ein paar Felder, folgt ein Stück der
großen Landstraße, durchquert den Flecken Crachon, und schon ist man da. Pause.
Wir machten immer im Café zur Platane halt. Es war ungefähr um neun. Um den
Beaujolais zu schonen. Der Wirt hieß Monachou, Jean Monachou- Jetzt hat es der
Sohn. Pause. Wir setzten uns draußen hin. Zehn Minuten, nicht länger.
Monachou brachte uns von seinem eigenen Weißwein, der keinen Heller wert ist.
Noch zu früh für einen Besuch bei den Nutten, sagte er jedesmal. Mortin antwortete,
es ist nie zu früh für eine gute Tat. Jedesmal. Jahrelang. Pause. Ich
hatte das gern. Wenn etwas immer wieder dasselbe ist. Wenn etwas immer wieder
gleich anfängt. Mortin hat mir mal gesagt, das sei der Grund, weshalb ich es
nie zu etwas brächte, genau wie er. - Robert Pinget, Monsieur Mortin.
Frankfurt am Main 1966