roßvater   »Es war einmal ein kleines Mädchen, das hieß Gelbkäppchen.«
»Nein, Rotkäppchen!«
 »Ach ja, Rotkäppchen. Seine  Mutter rief es und sagte zu ihm: Hör mal, Grunkäppchen...«
»Aber nein, Rotkäppchen!« »Ach ja, Rotkäppchen. Geh zu Tante Diomira und bring ihr diese Kartoffelschalen.«
»Nein: Da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, bring es der Großmutter.«
»Schon gut. Das Mädchen ging in den Wald und begegnete einer Giraffe.« »Du bringst alles durcheinander! Es begegnete dem Wolf, keiner Giraffe.« »Und der Wolf fragte: »Wieviel ist sechs mal acht?«
»Gar nicht wahr! Der Wolf fragte: Wo hinaus so früh?«
»Du hast recht. Und Schwarzkäppchen antwortete...«
»Es war Rotkäppchen, rot, rot, rot!« »Ja, und es antwortete: Ich gehe auf den Markt, um Tomatensoße zu kaufen.«
»Nicht im Traum: Zur Großmutter, sie ist krank und schwach, aber ich weiß den Weg nicht mehr.«
»Richtig. Da sagte das Pferd...«
»Was für ein Pferd? Es war doch ein Wolf
»Klar. Und er sagte: Du fährst mit der Linie fünfundsiebzig, steigst am Domplatz aus, biegst rechts ab, dann wirst du drei Stufen und ein Geldstück auf dem Boden finden, laß die drei Stufen stehen, heb das Geldstück auf und kauf dir einen Kaugummi.«
»Großvater, du kannst wirklich keine Geschichten erzählen, du erzählst alles falsch. Aber einen Kaugummi kaufst du mir trotzdem.«

»Schon gut: Da hast du das Geld.« Und Großvater las wieder seine Zeitung.   - Gianni Rodari, Das fabelhafte Telefon. Wahre Lügengeschichten. Berlin 1997 (Wagenbach Salto 65, zuerst 1962)

Großvater (2) Großpapa war ein Schwindler und ziemlich verderbt. Der durchtriebene alte Fuchs verstand sich auf Senilität. Wenn er wieder einen seiner alten Streiche im Schilde führte, schminkte er sich in dunklen Farben und spielte dann die Rolle einer alten Frau in der Oper: das Tollhaus an der gewohnten Stelle. Er war ein schwerer Opiumraucher, hatte es aber mit halsabschneiderischen Geschäftsmethoden zu etwas gebracht. Falsch und gerissen, summte er gern eine alte Melodie vor sich hin. Er war eine Ratte und ein Vielfraß, und an den Füßen hatte er dicke Schwielen. Als er gebrechlich wurde, wählte er sich einen friedlichen Ort zum Ruhesitz und nahm eine Konkubine, um sich auf seine alten Tage zu amüsieren. - (liu)

Großvater (3)  Und so hat sich mein Opa einmal hingelegt und ist nicht mehr aufgestanden der Krebs hat ihn ausgezehrt er war gestorben Und es traf ein Telegramm in Nymburk ein damals herrschte Maienhitze und die Mutter war bereits bei der Großmutter in Zidenice als das Telegramm eintraf daß der Opa tot war also fuhr ich mit meinem Vater dorthin erst in der Nacht kamen wir an und klopften bei den Tureceks den Nachbarn sie gaben uns den Schlüssel vom Häuschen denn die Großmutter und die Mutter waren in Obrany beim Onkel Bob wir schlössen auf und da lag auf dem Bett in dem ich zur Welt gekommen war der tote Großvater er war gelb und ausgemergelt und roch süßlich der Vater legte sich aufs Sofa und ich neben meinen toten Opa ich konnte nicht einschlafen schaute mir immer wieder die Leiche an und wußte je länger desto gewisser das war nicht mein Großvater sondern eine Leiche nichts weiter als ein Toter... Und dann fand das Begräbnis statt am Vormittag kamen sie und legten den Großvater in einen Sarg es waren Angestellte des Bestattungsinstituts wie ich sie immer bei den Trauerzügen unterm Fenster gesehen hatte und es kamen die Verwandten ganze Horden von Verwandten und nachdem sich alle ins Zimmer gezwängt hatten in dem der Großvater im Sarg lag hoben sie die Hände und warfen sich wehklagend über die Leiche und küßten sie und ich stand da und stützte mich mit einem Finger auf den Sarg Es war nichts mehr zu machen sie brachten den Deckel und nagelten den Sarg zu und trugen ihn weg konnten den Sarg im Flur jedoch nicht drehen denn vom Dachboden führte eine steile Treppe herunter und da kippten sie den Opa irrtümlich aus und legten ihn wie eine umgedrehte Puppe wieder in den Sarg zurück und dann traten wir schon in die Sonne hinaus und man reihte mich ein die Musik begann zu spielen und alle waren schwarz gekleidet wir stiegen die Balbíngasse hinauf und der Zug und der Wagen mit dem Sarg des Großvaters blieben stehen zum einen weil die Pferde schon lahmten hauptsächlich allerdings um Opas Lieblingslied Mähren mein Mähren vor dem Haus zu spielen in dem er gewohnt hatte ich stand da und schaute auf die beiden Fenster unseres Häuschens jetzt krümmte auch ich mich in Weinkrämpfen und begriff plötzlich wie anders es war wenn man als Zuschauer einen fremden Trauerzug betrachtete und vor allem wenn ein anderer Junge und nicht ich dort stand  - (hra3)

Großvater (4)  Mein Großvater — er war früher Anwalt — hatte einen Mund ohne Lippen und spöttische Augen, und er sagte immer, das Gesetz sei zwingend.

»Das Gesetz ist zwingend!«

Die Geste, die diese Bemerkung begleitet, ist grotesk, die Betonung grausam. Die Hand öffnet sich und spreizt die Finger, die Handfläche wölbt sich wie bei einem Zauberkünstler, der gerade die Nuß verschwinden läßt. Die Stimme pfeift, wird schneidend; sie seziert den Satz, entstellt die Wörter, schneidet die Vokale, hängt die Konsonanten aneinander.

»Das Gesetz ist zwingend!«

Ich höre mir das an, und dunkle Bewunderung für die souveräne und geheimnisvolle Macht des Gesetzes und auch ein wenig Schrecken werden in mir wach — ich kaue an den Nägeln. Diese Unart hat man mir um die Welt nicht austreiben können, weder mit den bitteren Mixturen, die man mir im Schlaf auf die Finger schmierte, so daß es mir noch beim Aufwachen das Gesicht verzog, auch nicht mit Ermahnungen oder Schlägen. Aber mein Großvater hat's geschafft und mich mit einem Augenzwinkern kuriert.

»Du darfst nicht an den Nägeln kauen«, sagte er zu mir, »du darfst nicht an den Nägeln kauen, weil sie ja dein Eigentum sind. Wenn du Lust hast, Nägel zu kauen, dann kaue an denen der anderen — wenn du willst und falls du kannst. Aber die deinen sind dein Eigentum, und du hast die Pflicht, dir dein Eigentum unangeknabbert zu erhalten!«

Ich habe auf meinen Großvater gehört und die schlechte Angewohnheit aufgegeben. Vielleicht ist das Gesetz wirklich zwingend — für die Fingernägel.  - Georges Darien, Der Dieb. Nördlingen 1989 (Die Andere Bibliothek 54, zuerst 1897)

Großvater (5)  Zwischen ihrem Großvater und ihrem Onkel schien eine Art Band bissiger Sympathie zu bestehen. Gewiß, der alte Mann hätte sich über den Tod von Hunter Hawk gefreut und ihn als angenehme Unterbrechung der Monotonie des Alltags betrachtet. Doch das hatte wenig zu sagen, denn der alte Mann hätte sich praktisch über den Tod eines jeden - den eigenen natürlich ausgenommen — gefreut - den seines Sohnes, der Schwiegertochter und des schrecklichen Ergebnisses, ihrer gemeinsamen Bemühungen, einen menschenähnlichen Erben in die Welt zu setzen, den er von Herzen verabscheute. Er war zu viele Jahre gezwungen gewesen, ihre Gespräche mit anzuhören. Daphne brachte er die neidisch-freundlichen Gefühle des unverbesserlichen und senilen Mannes entgegen. - (goetter)

Großvater (6)  Großvater ist mit hundertsechzehn Jahren gestorben, Großmutter sechs Monate nach ihm, mit hunderteins. Die beiden hatten sieben Söhne und drei Töchter. Mit Ausnahme von Tante Claire, die bei ihren Eltern lebte, haben alle geheiratet, eine Familie gegründet und Kinder bekommen, so daß wir an dem Tag, an dem er starb, zweiundachtzig Personen an seiner Tafel waren, lauter Kinder, Enkel und Urenkel. Großvater ist mit dem Glas in der Hand gestorben. Ich weiß nicht mehr, zu welcher Festlichkeit wir zusammengekommen waren, jedenfalls ließ Großvater am Ende der Mahlzeit Champagner bringen, sprach ein paar Worte, erhob sein Glas, stieß mit Großmutter an, setzte sich wieder hin, und plötzlich sagte jemand: ›Pst, Großvater schläft!‹ Da es öfter vorkam, daß er nach dem Essen einnickte, schaffte man die Kinder hinaus. Aber Großvater schlief nicht. Er war tot. - Er war nie krank gewesen. Er war ein Mordskerl. Den einzigen Schuß der Revolution von 1848 hatte er abgefeuert, und zwar auf die Preußen, die aus dem Fürstentum Neuchâtel flohen. Er hatte buschiges Haar, blaßgold, eher ausgebleicht als weiß, denn er war von Natur aus blond. Er war noch ein schöner Mann. Es fehlte ihm nur ein einziger Zahn, und den hatte er aus Eitelkeit ersetzen lassen. Er sägte jeden Morgen eine Stunde lang Holz, und an seinem hundertsten Geburtstag machte er Großmutter eine Szene und beschuldigte sie, ihn nicht richtig gepflegt zu haben, weil er an diesem Tag nicht aufs Pferd steigen konnte, da er ein steifes Bein hatte - seinen ersten Gichtanfall! - (cend)

Großvater (7)  Durch meine ganze Kindheit war Tante Séraphie, die Betschwester,  mein böser Geist; in der Familie konnte man sie nicht ausstehen, aber sie hatte großen Einfluß. Ich vermute, daß in der Folge mein Vater sich in sie verliebte; wenigstens machten sie zusammen lange Spaziergänge in einem Bruch, Les Granges genannt, bei denen ich der einzige lästige Dritte war und mich entsetzlich langweilte. Meist versteckte ich mich, wenn diese Ausflüge herannahten. Daran scheiterte das bißchen Liebe, das ich für meinen Vater empfand.

In der Tat bin ich ausschließlich von meinem trefflichen Großvater Henri Gagnon erzogen worden. Dieser seltene Mann hatte eine Wallfahrt nach Ferney unternommen, um Voltaire zu besuchen, und war von ihm mit Auszeichnung empfangen worden. Er besaß eine kleine, faustgroße Voltairebüste auf einem sechs Zoll hohen Ebenholzsockel. (Das verriet einen eigenartigen Geschmack, aber die schönen Künste waren weder Voltaires noch meines trefflichen. Großvaters starke Seite.)

Diese Büste stand vor dem Schreibtisch, auf dem er schrieb. Sein Arbeitszimmer lag ganz hinten in einer geräumigen Wohnung, die auf eine schöne, mit Blumen geschmückte Terrasse hinausging. Es war für mich eine seltene Vergünstigung, wenn ich es betreten durfte, und eine noch seltenere, wenn ich die Voltairebüste sehen und berühren durfte.

Trotz alledem haben mir, solange ich mich entsinnen kann, die Schriften Voltaires im höchsten Grad mißfallen; sie muteten mich kindisch an. Ich kann füglich sagen, daß mir nichts von diesem großen Mann je gefallen hat. Damals konnte ich noch nicht erkennen, daß er der Gesetzgeber und Apostel Frankreichs, sein Martin Luther, war.

Henri Gagnon trug eine runde, gepuderte Perücke mit drei Reihen Locken, weil er Doktor der Medizin und bei den Damen sehr beliebt war; es ging sogar die Rede, er sei der Liebhaber mehrerer von ihnen gewesen, unter andern einer Madame Teyrrere, elnei der hübschesten Frauen der Stadt. Ich erinnere mich nicht, sie jemals gesehen zu haben, denn damals warer sie entzweit; aber sie hat es mir später auf eine recht eigentümliche Weise zu verstehen gegeben. Wegen seiner Perücke ist mir mein trefflicher Großvater stets wie ein Achtzigjähriger vorgekommen. Er litt an Depressionen (wie ich Bedauernswerter), an Rheumatismus, das Gehen fiel ihm schwer, aber er nahm grundsätzlich nie einen Wagen und setzte seinen Hut nie auf, einen kleinen dreieckigen Hut, den man unterm Arm trug. An diesem Dreispitz hatte ich meine Freude, wenn ich ihn erwischen und aufsetzen konnte, was von der ganzen Familie als Mangel an Ehrfurcht angesehen wurde, und schließlich horte ich aus Ehrerbietung auf, mich mit seinem dreieckigen Hütchen und dem kleinen Spazierstock abzugeben, der einen Knauf aus Buchsbaumholz mit Schildpatteinfassung hatte.  - (brul)

Grosseltern
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